20.10.2020, 23:17
(20.10.2020, 22:10)Quintus Fabius schrieb: Werter hunter1:
Noch vor wenigen Jahren hätte ich genau das gleiche geschrieben wie du hier. Es wäre auch meine Ansicht gewesen, dass es hier keinen Grund für Zwischenstopps und Unterbrechungen der Offensive gibt, ganz im Gegenteil solche Unterbrechungen die Offensive sogar gefährden und in einer möglichst aggressiven, extrem schnellen und allumfassenden offensive à outrance ein begrenzter Krieg in einem kurzen Zeitraum siegreich zu Ende gebracht werden kann.
Nun hat sich meine Ansicht dazu durch allerlei praktische Erfahrungen welche ich machen musste in den letzten Jahren sehr verändert. Es ist zwar rein theoretisch alles richtig was du vorbringst, die Realität aber ist immens schwierig, selbst auf der bloßen taktischen Ebene. Dieser gewaltige Unterschied zwischen theoretischen Überlegungen und dem Realgeschehen war mir selbst früher auch nicht klar, obwohl die praktischen Beispiele auch schon vor Jahren offen zu tage lagen. Beispielsweise haben die Israelis im Libanonkrieg schon 2006 logistische Probleme gehabt, und man bedenke da mal den Unterschied in der Überlegenheit, welcher noch viel extremer war, die geringe Größe des Kampfgebietes damals und was für Waffen den Israelis im Vergleich zu Azerbeidschan schon damals zur Verfügung standen.
Natürlich hast du recht dass so ein Waffenstillstand ebenso auch dem Gegner etwas bringen kann, aber du unterschätzt meiner Meinung nach die Größe der Probleme real vor Ort für einen Angreifer. Und die Drohnenwaffe ist nicht unbegrenzt verfügbar und muss für entscheidende Momente aufgespart werden. Wenn man die Drohnen non-stop einsetzt so verbraucht sich diese begrenzte Ressource zu schnell und/oder zu weitgehend und steht dann vielleicht in Schlüsselmomenten nicht mehr / oder noch nicht wieder ausreichend zur Verfüigung.
Im übrigen haben auch die Armenier jede Menge Drohnen und werden die Verluste welche die Azeris durch diese erleiden nicht ausreichend thematisiert. Selbst der Pseudo-Staat Berg-Karabach produziert eigene Drohnen, und hat diese beispielsweise vergleichsweise hektisch und in großem Umfang verballert, während die Azeris ihre Drohnenangriffe anscheinend deutlich besser koordiniert, zielführender und effektiver einsetzen.
Non-Stop Angriffe gleich mit welchem Waffensystem können selbst dann falsch sein, wenn sie (zumindest für eine gewisse Zeit) möglich sind. Das kann sogar den gegnerischen Wiederstand stärken. Totalirismus in der Kriegsführung war auch für mich das Ding, aber im Laufe der Zeit habe ich die Ansicht gewonnen, dass man dem Gegner beispielsweise Möglichkeiten zur Flucht einräumen muss, dass psychologische Faktoren besser wirken wenn man keine totalitären militärischen Ziele und Vorgehensweisen verfolgt und dass der Gegner sich viel eher ergibt, seine Kampfmoral viel eher schwindet wenn man die richtige Mischung aus Druck und weniger Druck einsetzt.
In der heutigen Zeit ist ein solches psychologisch geschicktes Vorgehen irgendwie im Rahmen der angestrebten totalen Vernichtung von Terroristen (Frei tötbaren Feinden / Barbaren) verloren gegangen. Dadurch zwingt man dem Gegner den Fanatismus regelrecht auf. Das Blut des Gegners zu sparen kann auch auf der taktischen Ebene wiederum eigenes Blut sparen und schlußendlich das eigentliche Ziel erreichbarer machen. In einem Non-Stop Krieg hat der Feind gar keine Zeit etwas anderes zu tun als bis zum äußersten zu kämpfen.
Nachdem Rußland in Syrien eingriffen hatte und sicher auch beratend der syrischen Armee zur Verfügung stand hatte sich das Blatt dort relativ schnell gewendet. Auch dort wurde ähnlich taktiert und ein Fleckchen und eine Rebellengruppe nach der anderen ausgeschaltet. Zwischendurch immer wieder Waffenstillstände und die Möglichkeit offen gelassen zu Flucht und Rückzug. So konnte die syrische Armee und mit ihr verbündete Milizen sehr viel Kraft und Material sparen. Die wenigsten Orte wurden wirklich im echten Häuserkampf erobert, denn meist zog der Gegner nach Umzingelung freiwillig ab.