07.07.2015, 14:12
Quintus Fabius schrieb:Ein Gebiet ist nicht automatisch völkerrechtlich staatenlos nur weil es ein Mandatsgebiet des Völkerbundes ist.Theoretisch nicht nein. Praktisch aber ist das osmanische Reich untergegangen und danach wurde es nur noch von Drittmächten verwaltet. Zuerst das Britische Empire, dann das Königreich Jordanien und jetzt halt der Staat Israel.
Direkt zuzurechnen ist das Gebiet keinem Player und dementsprechend wird es schwierig. Will man auf die ursprünglichen Bewohner des Gebiets abstellen endet es wieder damit, dass dort seit jeher Juden und arabische Stämme leben.
Quintus Fabius schrieb:Die exakten Artikel des A-Mandats zeigen zudem klar auf, dass das Ziel des Mandates eben nicht die Schaffung eines jüdischen Staates war. Das kam erst viel später und nur aufgrund der Umstände und völlig entgegen den Artikeln welche für das Mandat verfasst wurden.Diese Lesart ist so nicht richtig.
Zielsetzung des A Mandats war die rasche Unabhängigkeit der Palästinenser (und nicht der Juden), dass Mandat also lediglich eine Verwaltung für die völkerrechtlich de jure als unabhängiges Volk anerkannten Palis bis das betroffene palästinensische Volk "reif" genug für die Unabhängigkeit sei. In diesem Staat Palästina sollten Juden und Muslime zusammen leben.
Das die Briten unabhängig davon später mit der Balfour Deklaration erklärten, dass zusätzlich in Palästina eine nationale Heimstätte für das jüdische Volk zu schaffen sei ändert auch daran nichts, dass in den Artikeln des Mandats eindeutig festgelegt wurde, dass Zitat: "nichts unternommen werden sollte, das die zivilen und religiösen Rechte von existierenden nicht-jüdischen Gemeinschaften beeinträchtigt".
Zielsetzung und Hauptaufgabe des Mandats war ausdrücklich eine Heimstatt für das jüdische Volk zu schaffen.
Um ein arabisch - palästinensische Volk ging es dabei nie, kann es auch garnicht, da ein derartiges Volk zu diesem Zeitpunkt nicht existierte.
Faktisch legt das Völkerbundmandat sogar nahe, dass ganz Palästina selbstregierte Heimat des jüdischen Volkes werden sollte, in dem dann sonstige Volksgemeinschaften in der Region als 'geschützte Minderheiten' leben sollten.
Dein vertragstextbezogener Einwand wonach "nichts unternommen werden sollte, das die zivilen und religiösen Rechte von existierenden nicht-jüdischen Gemeinschaften beeinträchtigt" geht ins leere.
Natürlich sollte gesichert sein, dass die nichtjüdischen Menschen in der Region dort weiterhin nach Maßgabe ihrer Kultur leben sollten. Aber lese den Text genau: Während Nichtjuden zivilrechtlicher und religiöser Schutz zugestanden werden soll ist für die Juden die Errichtung einer Nationalen Heimstatt mit 'self-governing institutions' vorgesehen. Das zeigt klar was vorgesehen war. Ein dominant jüdischer Staat mit Minderheitenschutz für den Rest.
Im Mandatstext von 1922 heißt es:
Zitat:Whereas the Principal Allied Powers have also agreed that [...] in favor of the establishment in Palestine of a national home for the Jewish people, it being clearly understood that nothing should be done which might prejudice the civil and religious rights of existing non-Jewish communities in Palestine, or the rights and political status enjoyed by Jews in any other country; and
Whereas recognition has thereby been given to the historical connection of the Jewish people with Palestine and to the grounds for reconstituting their national home in that country; and
[...]
ART. 2.
The Mandatory shall be responsible for placing the country under such political, administrative and economic conditions as will secure the establishment of the Jewish national home, as laid down in the preamble, and the development of self-governing institutions, and also for safeguarding the civil and religious rights of all the inhabitants of Palestine, irrespective of race and religion.
usw.
Die Geschichte hat natürlich eine andere Entwicklung genommen, bis 1947 hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt das die arabische Bevölkerung in Palästina deutlich in der Mehrheit war und Juden und Araber so einfach nicht miteinander auskommen würden. Dementsprechend der Teilungsplan von 1947.
Die jüdische Seite akzeptierte diesen und gründete auf dieser Basis einen eigenen Staat. Auf der arabischen Seite gab es im Mandatsgebiet Palästina überhaupt keine größere nationale Bewegung, man sah sich als teil der großen Panarabischen Familie.
Entsprechend gab es auch nach dem israelischen Unabhängigkeitskrieg keine Bestrebungen daran etwas zu ändern. Die übrigen Restgebiete des Teilungsplan von 47kamen unter jordanischer bzw. ägyptischer Besatzung und sind bis heute Staatenlos.
Die Balfour Deklaration ist insoweit Bedeutsam, dass sie die erste öffentliche Erklärung der (späteren) Mandatsmacht Großbritanniens einen Jüdischen Staat errichten zu wollen darstellt.
Völkerrechtliche Relevanz entfaltet sie mittelbar durch die Miteinbeziehung in den Friedensvertrag zwischen den Alliierten und der Türkei als Nachfolger des Osmanischen Reichs von 1920 sowie eben auch durch die Aufnahme in das Völkerbundmandat für Palästina.
Zitat:Das Problem in Bezug auf eine völkerrechtliche Diskussion ist zudem, dass die Briten in verschiedenen Abkommen dieser Zeit ganz verschiedene, einander direkt wiedersprechende Vereinbarungen getroffen haben. Die älteste solche Vereinbarung ist aber die zwischen Hussein und McMohan, die ein Jahr vor der Balfour Deklaration abgegeben wurde und den muslimischen Arabern einen eigenen Staat zugestand.Zwischen der Balfour Deklaration und den Hussein - McMahon Korrespondenz gibt es schon erhebliche Unterschiede. Erstere wurde vom damaligen britischen Außenminister verfasst, letztere vom britischen Hochkommissar in Ägypten.
Nun ist die Frage, ob die anderen, jüngeren britischen Vereinbarungen diese ältere ersetzten oder nicht und ob die Briten diese weiteren Vereinbarungen überhaupt hätten schließen dürfen.
Weiterhin ist es umstritten dieser diplomatische Austausch sich überhaupt auf Palästina bezieht. Die Britischen Regierungen haben das immer energisch bestritten; da muss man sich dann schon sehr weit aus dem Fenster lehnen um da Widersprüche zu sehen.
In jedem Fall hat die Geschichte diesen Konflikt recht eindeutig entschieden. Die Balfour Deklaration entfaltete mittelbar völkerrechtliche Relevanz, die Einlassungen von McMahon halt nicht.
Ansonsten allgemein zu deiner aufgeworfenen Frage, ja natürlich können souveräne Staaten abgegebene Erklärung modifizieren oder aufkündigen.
Zitat:Noch ein interessanter Aspekt ist, dass die Türkei aufgrund der Streitigkeiten wegen Zypern den Vertrag von Lausanne völkerrechtlich für hinfällig erklärt hat und zwar noch bevor Israel sich für unabhängig erklärte.Das war doch in den Fünfzigern und wurde nie vollzogen
Zitat:Eine Teilung des Landes in einen Palistaat und einen Judenstaat wurde übrigens seitens der Briten dass erste Mal überhaupt erst im Juli 1937 vorgeschlagen. Und dies völlig entgegen aller Verträge und Abmachungen welche die Briten vorher bereits geschlossen hatten.Naja ich denke ich habe dargelegt warum man das alles so gerade nicht sehen kann.
Rein völkerrechtlich ist es mehr als fragwürdig, ob die Briten eine solche Festlegung 1937 überhaupt hätten treffen dürfen, zumal sie eindeutig den Artikeln des Mandats zuwieder lief.
Meiner Ansicht nach haben die Briten durch ihre vielen sich gegenseitig völlig wiedersprechenden Verträge und Abmachungen sowohl den Vertrag von Lausanne gebrochen wie auch das damals geltende Völkerrecht.
Daher teile ich die Auffassung der Türkei, dass hier weiterhin das Gebiet als türkisches Staatsgebiet zu betrachten war. Also entstand Israel per Unabhängigkeitserklärung aufgrund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker auf türkischem Staatsgebiet und Brechung der Artikel des Mandats wie der von den Briten mit den Arabern geschlossenen Abkommen wie des damals geltenden Völkerrechts.
Aber dessen ungeachtet, die Geschichte hat es doch entschieden. Völkerrecht und internationale Diplomatie ist nie blitzblank und widerspruchslos. Aber hier haben wir ja eben nicht die Handlungen des Britischen Empire im vis a vis mit der Türkei oder sonstwem, sondern mehrere Beschlüsse des Völkerbundes bzw. der Vereinten Nationen.
Tatsächlich dürfte die Staatsgründung Israel eine der am völkerrechtlich am meisten abgesicherten Staatsgründungen überhaupt sein.
Es ist ziemlich albern das alles wieder aufschnüren zu wollen, erst Recht hundert Jahre danach und nach allem was in der Region seitdem passiert ist.
Zitat:Wenn es einen unmittelbaren Rechtsnachfolger gibt (so wie die BRD der Rechtsnachfolger des Dritten Reiches ist usw) ist dass keineswegs Gegenstandslos. Und die Türkei ist der Rechtsnachfolger des osmaninschen Reiches und damit sind deren Rechtsansprüche keineswegs untergegangen.Nachdem ihnen diese Gebiete mit militärischer Gewalt entrissen wurden, entsprechende Ansprüche in zwei völkerrechtlichen Verträgen aufgegeben haben und mehrere Beschlüsse des Völkerbundes und der Vereinten Nationen genau auf diesem Faktum aufbauen ist das nicht nur untergangen sondern mausetot.
Zitat:Das wurde erst 1937 so beschlossen. Und zwar eindeutig entgegen der Artikel des Mandats. Und die Briten haben diverse sich gegenseitig widersprechende Erklärungen abgegeben. Wie ist dass eigentliich völkerrechtlich zu bewerten, wenn man mehrere sich gegenseitig ausschließende Verträge abschließt ? Welcher davon gilt dann? Welcher nicht ?Im Zweifelsfall der jüngere Vertrag. Hier müsstest du zunächst einmal belegen das es diese Widersprüche überhaupt gibt. Und ob es überhaupt völkerrechtliche Verträge sind und nicht relativer lose und unverbindliche Absichtserklärungen.
Fakt ist, dass die Briten den Vertrag von Lausanne gebrochen haben. Und völkerrechtlich damit dass ganze Gebiet weiter Staatsgebiet der Türkei als Rechtsnachfolger des osmanischen Reiches war. Daran ändert auch eine britische Verwaltung nichts.
Fakt ist, dass die ganze Sache durch ist. Seit fast hundert Jahren. Die ganzen Fragen wären damals lohnenswert zu diskutieren gewesen, die Beschlüsse des Völkerbundes und der Vereinten Nationen haben darüber längst den Mantel der Geschichte gelegt.
Zitat:Auch das simmt so nicht. Unabhängigkeitsbestrebungen der Palis gab es schon viel früher. Noch darüber hinaus sollte im ursprünglichen Palästina welches das Ziel des Mandats war die jüdische und muslimische Bevölkerung zusammen in einem Staat leben.Ich sehe nicht das es vor 1967 eine palästinensische Unabhängigkeitsbewegung gegeben hat. Was es gab war den Wunsch zur Panarabischen (Staaten)Familie zu gehören. Genauer betrachtet sah man sich im Zweifelsfall nicht als eigenständig sondern als Teil Großsyriens. Die von außen angetragene Idee eines eigenen Staates wurde ausdrücklich abgelehnt (!).
Zudem ist die Frage zu stellen, wie ein Gebiet überhaupt Staatsgebiet wird. Wenn die Westbank durch die Besetzung Jordaniens kein jordanisches Staatsgebiet wurde, wie kann dann irgendein Gebiet durch die Besetzung Israels zu israelischem Staatsgebiet werden?!
Der Wunsch nach einen eigenen Staat ergab sich aus der Abgrenzung zur israelischen Besatzung nach 1967.
Zu der Frage nach Staatsgebieten; Besetztes Gebiet wird zu Staatsgebiet wenn der Besatzer das Gebiet annektiert. In jüngerer Zeit ist die Annektierung etwas aus der Mode gekommen und es ist umstritten inwieweit das Völkerrechtlich noch möglich ist. Ich meine das es unter gewissen Umständen geht, aber das würde hier zu weit führen.
Zitat:Musst du eigentlich nicht selbst lachen wenn du Wörter wie Völkergemeinschaft hinschreibst ?!Da ich diesen Zirkus in New York nicht unbedingt ernst nehme nicht wirklich. Aber es soll ja Mitdiskutanten geben denen das wichtig ist.
Zitat:Das dürfen ja nur die Israelis. Nur Israelis dürfen unilateral Grenzen ziehen und nur von Israelis besetztes Gebiet ist Staatsterritorium. Wenn andere Gebiete besetzen wird das Land nicht deren Staatsterritorium sondern bleibt weiter israelisches Staatsterritorium weil:Das sind völlig unterschiedliche Themenkomplexe die wenig miteinander zu tun haben.
jüdische Ansprüche auch nach 2000 Jahren nicht gegenstandslos sind und rechtlich gesehen das Land den Juden gehört weil Gott (man höre und staune) den Juden dieses Land geschenkt hat.
Es ist eine spannende rechtliche Frage welche Konfliktparteien untereinander Grenzen festlegen können.
Aber das hat nichts mit grundsätzlichen Ansprüchen auf eine nationale Heimat basierend auf kulturellen Wurzeln zu tun.
Zitat:Aha. Wenn das Gebiet aber nicht israelisches Staatsgebiet ist, mit welchem Recht geschieht dann das alles dort was dort täglich geschieht? Von jüdischen Siedlungen über jüdischen Wasser, Land und sonstigen Diebstahl hin zu Enteignung und Vertreibung unter dem Deckmäntelchen der Sicherheitspolitik ?!Nein es ist staatenloses Gebiet unter israelischer Besatzung. Beziehungsweise Verwaltung. Besatzung ist ein Völkerrechtliches Konstrukt das nur funktioniert wenn das fragliche Gebiet einem anderen staatlichen Akteur weggenommen wurde. Das wurde es aber nicht. Die Türkei hat das fragliche Gebiet aufgegeben, die Briten haben es verwaltet, dann die Jordanier und jetzt halt Israel.
Wenn dieses Gebiet übrigens nicht israelisches Staatsgebiet ist, müsste es völkerrechtlich immer noch türkisches Staatsgebiet unter israelischer Besatzung sein.
Und Israel agiert in diesem Gebiet halt als staatlicher Akteur da sie dort momentan die relevante Staatliche Institution sind. Das nicht nur aus der jüngeren Historie oder aus irgendeinem Völkerrecht heraus, sondern auch weil sie von den Vereinten Nationen dazu verpflichtet wurden die Gebiete bis zum Abschluss eines Friedensvertrages zu verwalten.
Der Umstand das in diesen Gebiet immer mehr jüdische Menschen drängen um dort zu leben verkompliziert die Sache dann natürlich in der Praxis.
Zitat:Recht (im eigentliichen Sinne des Wortes) und Völkerrecht bzw die juristischen Sophistereien von dessen Apologeten haben nicht im Ansatz etwas miteinander zu tun.Ja, zweifellos, eine Ironie und Tragödie der Geschichte.
Aber ein interessanter Nebenaspekt: die Palis haben im Schnitt wohl mehr antike jüdische Vorfahren als die jüdischen Einwanderer welche ihnen das Land raubten.
Das will ein Pali heute natürlich genau so wenig hören wie ein Israeli. Rein von der Abstammung her kommen die Palis aber in einem größeren Umfang von den antiken Juden her als alle anderen. Den die jüdische Besiedelung in Palästina ist nie abgerissen. Es sind nur im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr Juden zu Muslimen geworden und haben sich dann mit den Arabern dort vermischt und deren Kultur und Sprache übernommen.
Zitat:Exakt. Genau so wie die israelische Position ohne jeden Realitätsbezug ist und furchtbar unehrlich.Nach meiner Auffassung ist die israelische Position um mehrere Größenordnungen ehrlicher und realistischer als die der Gegenseite.
Zitat:Und auch das wird sich auf Dauer ändern. Langfristig glaube ich nicht an die Überlebensfähigkeit Israels.Sagen wir so, Israels überleben wir sich sicher nicht an der rechtlichen Interpretation von Ereignissen von vor hundert Jahren entscheiden.