Aufstands- und Partisanenbekämpfung (COIN)
phantom:

Zitat:Wie viel Bevölkerungsprozent sind eigentlich von Stämmen beeinflusst? Gibt es dazu Fakten?

Im "sunnitischen" Teil des Irak wird eigentlich der Gros aller Menschen durch Stämme beeinflusst, die einen mehr, die anderen weniger. Dies gilt nicht nur für ländliche Gebiete sondern auch für beachtliche Bevölkerungsanteile in den Städten da die dort lebenden Städter ja ebenfalls früher einem Stamm angehörten.

Es gibt im Irak ungefähr 170 Stämme und Großfamilien wobei hier auch kleinere mit erfasst sind. Die größeren Stämme haben dabei über 100 000 Mitglieder! Man sieht also allein aufgrund dieser Zahlen, dass die Bedeutung von Stämmen im Irak immens hoch ist. Ein Umstand der im Westen von vielen nicht verstanden wird.

Ich vermute, dass mehr als drei viertel der sunnitischen Bevölkerung sich selbst als Stammesmitglieder begreifen und dabei dem Stamm eine größere Priorität einräumen als dem Staat Irak oder anderen Irakern und daher durch die jeweilige Politik der Stammesführer deutlich beeinflusst werden.

Für einen ersten Überblick kann ich dir das Buch: Eine kleine Geschichte des Irak von Henner Fürtig empfehlen.

Zitat:Oder in Selbstbeweihräucherung und Uneinigkeit zu verfaulen. Dum rumschwafeln und anderen vorhalten was sie alles besser machen könnten, anstatt selbst mal den Ar.sch heben, das ist das Problem.

Völlig richtig. Zweifelsohne ist das dort eines der primären Probleme. Aber ich schrieb ja explizit:

Zitat:Meine Aussage weiter oben war, dass die Eliten entscheidend für den Verlauf sind, aber dass sagt nichts in Bezug auf das Ergebnis aus. Der entscheidende Einfluss der Eliten kann daher sowohl in einem Sieg als auch in einer Niederlage enden.

Und gerade deshalb dort diese schlechten Ergebnisse bzw. Niederlagen. Du glaubst nun, dass du die dort mit einer anderen strategischen Doktrin zu Selbstständigkeit und Eigenverantwortung zwingen könntest, durch ökonomischen, politischen usw Druck, aber in Wahrheit wird dieser Druck rein gar nichts in diese Richtung bringen - und das Endergebnis wird konträr zu deiner Zielsetzung sein.

Gibt es überhaupt eine Lösung? Das ist in diesem Fall stark zu bezweifeln. Es ist hier kein positives Ergebnis mehr möglich.

Zitat:Lieber lässt du dich von einem Diktator mit ungewissem Ausgang "befreien", der sein eigenes Volk mit Giftgas beglückt hat. Nach deiner Logik wurde also Kuwait von Saddam Hussein befreit. :roll: Was du hier manchmal rauslässt ... .

Interessanter Umstand am Rande: die Iraker verstanden sich selbst tatsächlich als Befreier und die Befreiung Kuwaits als feindlich besetzter Teil des Südirak wurde auch exakt so von Saddam propagiert.

Am Ende ist der wahre Befreier aber immer einfach nur der Siegreiche. Wären die Iraker damit durchgekommen Kuwait zu besetzen (rein theoretisch), wären sie tatsächlich die Befreier Kuwaits gewesen. Nicht weil sie besser als die Kuwaitischen Eliten gewesen sind, sondern einfach nur weil sie gewonnen haben. Genau so wie Deutschland von der Roten Armee befreit wurde, nicht wahr.

Zitat:Ich seh es anders, eher eine Frage was machbar ist. Der Sieg ist mit so vielen verschiedenen Interessen/Parteien nicht möglich, auch gar kein erstrebenswertes Ziel.

Deine Aussage resultiert nur daher, dass du unter dem Begriff Sieg immer eine Maximallösung verstehst. Der Sieg ist aber abhängig vom Kriegsziel. Die Frage ist also, was für ein Kriegsziel du verfolgst. Und hier hast du ja durchwegs positive Ansichten: willst etwas für die Menschen dort tun, die Wirtschaft voran bringen, alle beglücken, damit sie dir und deinen Ideen dann folgen und im weiteren auch noch für sich selbst sorgen können (Stichwort Eigenverantwortung). Diese deine Zielsetzung aber ist schon sehr anspruchsvoll und sehr hoch stehend.

Nur deshalb kommst du zu dieser Aussage, dass ein Sieg nicht möglich ist, weil du schon selbst erkennst, wie ehrgeizig deine Kriegsziele sind die du üblicherweise benennst.

Zitat:Der Zweck ist der Aufbau der eigenen Kontrollorgane. Häufig sind ja die Fähigkeiten schon vorhanden, sie dienten einfach der falschen Partei. Man kann ja nicht sagen, die irakische Armee sei nicht existent gewesen. Sie war einfach zerstritten, konnte sie nicht auf ein Ziel vereinen, weil man a) alles selber lösen wollte und b) halt die politische Zerstrittenheit das Problem massiv verschärft hat c) als gröbsten Fehler dann alle in die Wüste geschickt hat.

Das ist mal eine sehr gute und interessante Ausführung zu dieser Thematik, und du hast völlig recht, nur die Reihenfolge der Ereignisse stimmt nicht:

1 die irakische Armee (die Armee Saddams und der Baath-Partei) war durchaus existent und hatte den Irak im Griff, so weit richtig aber:

2 Dann hat man alle in die Wüste geschickt, und dies nicht weil

3 man alles selber lösen wollte, den das wollte man gar nicht. Sondern weil man den Irak Ent-Baathisieren wollte und die ganzen bisherigen Eliten um ihre Pfründe damit brachte und erst daraus ergab sich

4 die Zerstrittenheit und Zersplitterung dessen was man vorgefunden hat

Der pimäre Fehler der USA im Irak war es, die Baath Partei aufzulösen und die irakischen Sicherheitskräfte aufzulösen. Stattdessen hätte man sich mit den Sunnitischen Eliten sogar noch vor Beginn des Feldzuges verbünden müssen und die Armee Saddams (die ja massenweise kapitulierte bzw desertierte) auf die eigene Seite bringen müssen, und zwar schon während des Feldzuges.

Dann hätte man zusammen mit den Sunniten eine gute Chance gehabt die Schiiten klein zu halten und den Partisanenkrieg gegen diese zu gewinnen. Dafür hätte man den Kurden eine weitergehende Autonomie einräumen müssen um den Rücken frei zu haben.

Aber alles Geschichte: aus Überheblichkeit, aus Hybris insbesondere in Bezug auf Drohnen, vernetzte Kriegsführung und die eigenen technischen Möglichkeiten hat man die Chance auf den Sieg im Irak vertan. Man hat die Armee Saddams entlassen, aber nicht mal genug Bodentruppen im Irak gehabt um die Demobilisierung auch nur überwachen zu können.

Zitat:Das ist eben auch deine Logik, nur den eigenen vertrauen, die anderen kann man eh nicht brauchen.

Das ist in vielen Ländern der Welt leider genau so der Fall. Vertrau nur dir selbst. Was aber nicht heißt dass ich mich um das danach nicht kümmern würde, im Gegenteil. Wie oben angeführt würde ich mir eben vorher schon intensive Gedanken über das danach machen, und nicht erst irgendwann wenn ich schon in der feindlichen Hauptstadt stehe.

In Bezug auf den Irak hätte ich den Sunniten genau so wenig getraut und nur auf meine eigenen Leute gezählt. Aber ich hätte mich bewusst von Anfang an gezielt mit ihnen verbündet und den Irak in ihrer Hand belassen und das heißt die Baath Partei und die Armee Saddams an der Macht belassen.

Zitat:Anstatt zig-Milliarden im eigenen Militärapparat zu verlochen, fördert man gescheiter die hiesige Bevölkerung. Das funktioniert mit einem Bruchteil der Kosten, denn dort ist die Manpower dramatisch preiswerter als bei uns.

Der Ansatz des britischen Empire, der schließlich zu den Warrior-Tribes und den entsprechenden Kolonial-Armeen führte. Keine Frage - ein brauchbarer Ansatz, wenn auch nicht für überall. Speziell in Bezug auf den Irak hätte man dann die bereits bestehenden Strukturen fördern müssen, also gerade eben die Baath Partei.

Zitat:Und wie sieht jetzt deine Lösung aus, jeden abzuballern der einen Bart trägt?

Die Bope befriedet seit einigen Jahren die Favelas sehr erfolgreich mit dem Konzept: Erst schießen, dann foltern, dann hinrichten. Aber auch das ist Methodismus und kann unter anderen Umständen ebenso scheitern. Wie sieht also meine Lösung aus?

Für jeden einzelnen Konflikt ein eigenes und speziell auf diesen einzelnen Konflikt zugeschnittenes Kriegsziel ganz klar und eindeutig festlegen und dann genau das tun, was notwendig ist um dieses spezielle Kriegsziel zu erreichen, also zu siegen. Das bedeutet in einem größeren Geschehen dass sich in Wahrheit aus mehreren Unterkonflikten zusammen setzt eventuell sogar mehrere Kriegsziele und entsprechend mehrere individuelle Vorgehensweisen.

Und allgemein, in Allgemeinplätzen also: primär darauf achten dass die Kriegsziele bescheiden sind und tatsächlich machbar. Begrenzte Kriegsziele definieren, klar und eindeutig. In vielen Fällen wird es trotzdem notwendig sein, die Zivile Kontrolle mit auszuüben gerade weil man sich nur auf sich selbst verlassen kann. Parallel dazu muss man aber die Umstände so gestalten, dass die richtigen Einheimischen Eliten keine Wahl mehr haben als auf unserer Seite zu stehen. Und man sollte bestehende Strukturen aufgreifen statt sie zu zerschlagen und ersetzen zu wollen. Und die notwendige Härte, Grausamkeit und Hinterlistigkeit aufbringen und anwenden.
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[Kein Betreff] - von Holger - 23.01.2004, 11:13

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