Irak
#17
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Die ganze Geschichte über den Irak erzählen!

von Sir Peter Torry

Die internationalen Medien konzentrieren sich auf das Problem der Massenvernichtungswaffen im Irak. Wir zweifeln nicht daran, dass Beweise für deren Existenz gefunden werden. Aber diese Geschichte hat noch einige andere Aspekte, zum Beispiel die Beseitigung einer Tyrannei und unsere Entschlossenheit, ein besseres Land für dieses Volk aufzubauen. Dazu gehört die Schaffung eines Regierungsrates in der vergangenen Woche, was viele Kommentatoren hier in Deutschland nicht so richtig wahrgenommen haben.

Zum ersten Mal seit Jahrzehnten hat der Irak eine Führung, den Regierungsrat, in der weit gehend alle Schichten seiner Bevölkerung vertreten sind. In diesem Rat finden sich die unterschiedlichen ethnischen Gruppen und Religionen des Landes wieder: 20 Prozent seiner Mitglieder sind Kurden, 13 Mitglieder sind Schiiten, elf sind Sunniten, ein Mitglied ist Christ.

Zum ersten Mal, so weit sie zurückdenken können, verfügen die Schiiten, die die Mehrheit der Bevölkerung stellen, auch über eine Mehrheit in einer nationalen Regierungsinstitution.

Inzwischen haben sich auch die Lebensbedingungen für die Menschen im Irak verbessert. Seit der Beseitigung des Regimes von Saddam Hussein sind mehr als 150 Zeitungen gegründet worden. 240 Krankenhäuser sind wieder arbeitsfähig. 98 Prozent aller Schulen sind wieder geöffnet.
Die Wasserversorgung hat das Niveau aus der Zeit vor dem Konflikt überschritten. Die irakische Ölindustrie hat den Export wieder aufgenommen, und diese Einkünfte werden über den Entwicklungsfonds für den Irak direkt dem irakischen Volk zugute kommen.

Keiner wird behaupten wollen, dass man ein Land wie den Irak - der unter einer brutalen Diktatur zu Grunde gerichtet wurde - über Nacht völlig umgestalten kann. Noch dass die Koalition den Irakern innerhalb von zwölf Wochen alle Macht übergeben könnte. Das haben wir aus unseren Erfahrungen beim nation-building in Bosnien und Osttimor gelernt. Trotz aller Schwierigkeiten zeigt doch die wahre Geschichte des Irak, dass in den praktischen Alltagsdingen relativ schnell Fortschritte gemacht werden.

Der irakische Regierungsrat verfügt über echte Vollmachten. Er wird an allen Entscheidungen beteiligt sein, die die Übergangsbehörde der Koalition ab jetzt trifft. Der Rat wird die neuen Minister ernennen, sie sind dem Rat rechenschaftspflichtig und können von ihm auch wieder entlassen werden. Der Rat wird den Haushalt des Landes für das kommende Jahr festlegen. Drei Ratsmitglieder werden demnächst nach New York reisen, um den Irak bei den Vereinten Nationen zu vertreten.

Von entscheidender Bedeutung ist auch, dass der Rat die Verfahrensweise für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung mitbestimmen wird. Ist diese einmal angenommen, sind die Iraker in der Lage, eine nationale Regierung zu wählen, der die Koalition all ihre Vollmachten und Zuständigkeiten übergeben wird. Wenn alles gut geht, müsste das im Laufe von 2004 stattfinden können.

Die deutsche Regierung hat die Schaffung des Regierungsrates begrüßt, die Vereinten Nationen ebenso. Sergio de Mello, der Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs, hat die Bildung des Regierungsrates als einen "entscheidenden Moment" bezeichnet, der den Irak der "Erfüllung des vom UN-Sicherheitsrates in seiner Resolution 1483 ausdrücklich formulierten Wunsches einen Schritt näher bringt, dass nämlich der Tag, an dem die Iraker sich selbst regieren, schnell kommen muss".

Natürlich gibt es auch Probleme. Wir haben nie behauptet, dass die Wiederherstellung von Recht und Ordnung eine leichte Aufgabe sein wird. Aber wir haben das Problem angepackt. Bereits jetzt versehen 30 000 irakische Polizeibeamte schon wieder ihren Streifendienst, haben 100 Gerichte die Arbeit aufgenommen.

Und es kann keinen Zweifel an der Entschlossenheit der Koalition geben, gegen Angriffe von Baathisten entsprechend vorzugehen.
Zusätzlich zu den 147 000 US-Soldaten und den 11 000 britischen Soldaten vor Ort tragen auch Italien, die Niederlande, Dänemark, Polen, Norwegen, die Tschechische Republik, Neuseeland, die Ukraine und Litauen Truppenkontingente bei.

Natürlich gibt es auch Kritik von Irakern an der Übergangsbehörde der Koalition. Die Iraker sagen öffentlich ihre Meinung und nehmen ihr demokratisches Recht auf Protest wahr - etwas, was es seit Jahrzehnten in diesem Land nicht gegeben hat. Auch das ist ein Fortschritt, aber auch etwas, was unter Saddam Hussein mit Verhaftung oder noch härter bestraft wurde.

Wir sollten das Wesentliche nicht übersehen: Das Leben ist viel besser geworden, als es unter der Diktatur von Saddam Hussein war. Eine für den britischen Sender Channel 4 in Bagdad durchgeführte Umfrage hat ergeben, dass die Iraker im Verhältnis 2:1 den Krieg gegen Saddam Hussein für richtig hielten. 56 Prozent der Bevölkerung wollen, dass die Truppen noch ein weiteres Jahr im Irak bleiben. Nur eine winzige Minderheit wünscht sich Saddam zurück.

Inzwischen wird das Ausmaß der Gräueltaten des Regimes von Saddam Hussein deutlicher. Bisher sind Massengräber mit den Leichen von Zehntausenden von Menschen entdeckt worden. Nach jüngsten Schätzungen des Roten Kreuzes werden 300 000 Iraker "vermisst".

In der vergangenen Woche war Großbritanniens Außenminister Jack Straw in Bagdad. Einfache irakische Bürger - Sunniten, Schiiten, Kurden - haben ihr Unverständnis darüber ausgedrückt, dass sich westliche Medien so stark auf die Dossiers über die Massenvernichtungswaffen konzentrieren. Die einfachen Iraker sind der Meinung, dass die entdeckten Massengräber ein beredtes Zeugnis dafür sind, dass unsere Aktionen gerechtfertigt waren.

Sir Peter Torry ist seit Mai 2003 Botschafter Großbritanniens in Berlin

Artikel erschienen am 19. Jul 2003
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Dieses Artikel habe ich von der FAZ übernommen.
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