28.11.2012, 00:27
Schneemann schrieb:Ich persönlich habe den Einsatz im Grunde unterstützt, da ich den Kampf gegen die fundamentalistischen Taliban und ihre Helfershelfer aus Pakistan und Saudi-Arabien, auch im Kontext des 11. September 2001, für richtig hielt (und teils immer noch halte), Unocal und Pipeline-Deals hin oder her. Zugleich habe ich aber auch immer gesagt, dass es illusorisch ist, mit nur 4.500 Soldaten ein Gebiet von 162.000 Quadratkilometern (das deutsche Einsatzgebiet), das beinahe halb so groß ist wie Deutschland selbst, in einem archaisch geprägten und von mehreren Jahrzehnten Krieg zerrissenen Land zu sichern.
Dazu sei erwähnt, dass die Besatzung Afghanistans von Anfang an am Limit kalkuliert war. Der Löwenanteil der Raumgewinne wurde durch die Nordallianz erzielt. Die maßgeblich von Iran und auch Indien (im Proxykrieg gegen Pakistan und Saudi Arabien) unterstütze Truppe war anfangs völlig außen vor gelassen.
Die anfängliche Bombenkampagne gegen vermute Taliban- und Al-Kaida Stellungen war mangels Aufklärungstiefe ziel- und militärisch wertlos. Erst die koordinierte Kampführung der USAF (aus der Luft) und der Nordallianz (am Boden) und Geheimdienstinformationen dieser Fraktion gemeinsam haben den Taliban in hervorragender Geschwindigkeit den Raum entzogen. So mussten die USA kaum in urbanem Gebiet selbst kämpfen. Das war so nach Aussagen der Beteiligten (u.a. von unmittelbar beteiligten Informationsträgern der US-Seite) nicht von Anfang an geplant. Wenn die USA sich damals also alternativ genötigt gesehen hätten, die Befreiung Afghanistans im Alleingang oder als NATO Verband vorzunehmen, wären mehr Truppen in Afghanistan gebunden gewesen während auf der anderen Seite sicherlich deutlich weniger Ressourcen (u.a. finanzielle) für einen Irak-Feldzug zur Verfügung gestanden hätten.
Insofern war der strategischer Fehler hier, das generelle Missmanagement u. Overstretching der eigenen Kräfte. Irak + Afghanistan parallel war offenbar auch für die USA ein zu großer Happen im Maul. Das kann man insofern drehen und wenden wie man will. Glückliche/Ungeplante Zufälle (Einigung mit der Nordallianz + Kollektivkapitulation des Großteils der irak. Streitkräfte) haben die jeweiligen Feldzüge sogar noch erheblich erleichtert. Andere Dinge, die man ebenfalls nicht auf der Rechnung hatte (nachhaltiger Widerstand) haben sie erheblich erschwert.
Zitat:Wenn man aber dies anmerkte, so war beinahe jeder dagegen, sich verstärkt zu engagieren, egal ob nun Stammtisch, Uni, Firma oder Verwandtschaft. Auch die deutsche Politik schlich wie die Katze um den heißen Brei herum. Man wurstelte weiter, setzte „auf Polizistenausbildung“ und die ANA.
Die Fragestellung damals war sehr grundsätzlich, was man in Afghanistan überhaupt wollte. Damals liefen noch Motivationskampagnen in Richtung "Wir befreien die Frauen von ihren Schleiern und die Männer von ihren Bärten". Al-Kaida und die Taliban, denen die Anschläge von 9/11 zur Last gelegt wurden, waren bekanntermaßen die längeren Arme des saudischen Regimes und des pakistanischen Geheimdienst ISI. Mit beiden pflegten die USA engste Beziehungen. Eine Konsequente Reaktion auf 9/11 (15 der 19 identifizierten Attentäter waren saudische Staatsangehärige!) wäre eine andere gewesen, wie die sinnfreie Besatzung Afghanistans! Man hätte in Saudi Arabien und Pakistan Rambazamba machen müssen und diese Strukturen da treffen wo es ihnen wenigstens weh tut. Stattdessen setzte man den bis dahin recht kooperativen Iran auf die List der "Achse des Bösen" und erklärte Saudi Arabien zum wichtigsten regionalen Verbündeten im Kampf gegen den Terror. Gleichzeitig hat man mit der langfristigen Besatzung Afghanistans der Propagandaabteilung der Wahabiten das größte Geschenk seit der Einführung der Glühbirne beschert. So viele Gelder wie anschließend aus der arabischen Welt in die Kassen dieser Clique geflossen ist, gab es vor 9/11 lange nicht. Womit wir hier beim nächsten strategischen Kapitalfehler wären.
Zitat:Groß wurde herausgestellt, es seien bereits über 30.000 afghanische Polizisten ausgebildet worden. Einige Leute von der Bundeswehr, darunter auch jemand, den ich persönlich kenne, sagten indessen „unter der Hand“, dass von diesen 30.000 Polizisten gerade mal 1.500 überhaupt einsatzbereit seien und als zuverlässig gelten könnten. Das ist nach zehn Jahren Engagement mehr als peinlich.
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Um es auf den Punkt zu bringen: Man kann und konnte sich nicht entschließen, diesen Krieg (und es ist ein Krieg, trotz aller Verklärungen und halbherzigen Umdeutungen der Politik) richtig und mit dementsprechendem, vollem Einsatz zu führen und wird ihn deswegen gnadenlos verlieren.
Auch hier sprichst Du wieder einen für mich ebenfalls sehr relevanten Punkt an, den ich bereits eingangs erwähnte: Man hat die Lage militärisch und soziodemographisch vollkommen falsch eingeschätzt. Und das sehr konsequent.
Zitat:Die Politik erklärt dies aber dem Bürger kaum oder gar nicht, sie flüchtet sich stattdessen entweder in einen sinnlosen und militärisch quasi unhaltbaren Durchhalte-Aktionismus von wegen, dass „es einfach klappen muss ob der Afghanen an sich und der Frauen im Speziellen“ (Befürworter) oder in geradezu verbohrte und oft antiamerikanisch angehauchte Grundsatz-Negationen (Gegner).
Wenn man mehr von der Situation begreift in die man versetzt wurde, dann macht die Antwortsuche was man nun tun kann und auch die Identifikation mit dem Problem nicht zwangsläufig einfacher. Insofern wundere ich mich darüber eher weniger.