18.03.2011, 01:22
Schneemann schrieb:Sehr geehrter Herr Samsonite,
Sie dürfen mich gerne auch duzen, dies ist durchaus mit den Forenregeln konform.
In Ordnung. Ist mir lieber. Bei anderen Foren ist das nicht selbstverständlich.
Zitat:1.) Nein, die „Weisheiten“ stammen nicht aus einem westdeutschen Offizierskasino. Sie sind teilweise unmittelbare Erfahrung. Genau genommen sind es auch nicht meine Weisheiten, sondern diejenigen, welche in dem betreffenden zitierten n-tv-Beitrag zu lesen waren.
Was überwiegt denn nun: Die eigenen, persönlichen Erfahrungen mit ostdeutschen Soldaten, oder doch mehr das Hörensagen oder Berichte wie die von n-tv:
Zitat:Nach seinen Worten entwickelt sich die deutsche Armee zu einer "Unterschichtenarmee": "Die lebensgefährlichen, tödlichen Dienstleistungen sind den Unterschichten vorbehalten. Ich halte das für einen Skandal". Laut Verteidigungsministerium wuchs der Anteil der Mannschaftsdienstgrade aus dem Osten auf 62 Prozent - beinahe zwei Drittel – an, doch der Anteil der Stabsoffiziere aus dem Osten sank von 18 auf 16 Prozent.
Etwas bösartigere Menschen als ich würde das als Bestätigung der von mir getroffenen Aussage über die den Ostdeutschen zugedachten Rolle nehmen.
Zitat:2.) Das westdeutsche Bildungssystem ist sicher nicht fehlerfrei. Aber es ist kritikfreudiger als das stur auf die Errungenschaften der Partei ausgerichtete ehemals ostdeutsche.
Über dieses Thema könnte man ganze Foren schreiben. Ist aber hier OT. Vielleicht nur soviel: Das ostdeutsche Bildungssystem war stark ideologisiert, was die "weichen", sprich gesellschaftsrelevanten Fächer wie Geschichte oder Gesellschaftswissenschaften ("Statsbürgerkunde") oder Teile des Deutsch- und Literaturunterrichtes betraf. Was die anderen Bereiche betraf, so konnte es mit dem damaligen westdeutschen System wenigstens mithalten, wenn es nicht noch leistungsfähiger war. Es verfügte im Unterschied zu heute über einen einheitlichen Lehrplan, einheitliche Lehrmittel und einen stringenten Unterrichtsplan, der auch einheitliche Kritierien für das Abitur beinhaltete. Trotz und vielleicht gerade wegen des autoritären Charakters herrschte in den Klassen ein Klima vor, wo ein geregelter Unterricht noch möglich war. Im Gegensatz zur Selbstdeklarierung als Einheitsschule war das DDR-Schulsystem ausreichend differenziert. Es gab Spezialschulen zur Förderung von besonderen mathematischen, künstlerischen, sportlichen oder sprachlichen Talenten. Mir ist zwar persönlich vollkommen bewußt, daß einer der Hauptgründe für den zu beobachtenden Niedergang des Schulsystems, wie er so hauptsächlich im Westen stattfindet, im hohen Anteil an Schülern aus im Bürokratendeutsch "bildungs- und kulturfernen" Familien mit Migrationshintergrund und nicht an der Schulform liegt. Politisch sehr unkorrekt, so etwas zu nennen, aber wahr. Rechnet man die Leistungen dieser Schüler heraus, wären auch die westdeutschen Ländern beim Pisa-Ranking weit vorn.
Aber natürlich gibt es inzwischen auf Grund der demographischen Enwicklungen, die ich mit "degenerativen Erscheinungen" unter anderen gemeint habe, inzwischen eine große einheimische Unterschicht mit allen dazugehörigen Problemen. Der Mittelstand hatte in den letzten Jahren zu wenig, die Unterschichten überproportional viele Kinder. Im Osten z.B. hatten nur 10 % der Akademikerfrauen keine Kinder, im Gegensatz zu ca. 40 % im Westen. D.h., der Teil der Bevölkerung, den man heute Mittelschicht nennt, hatte auf Grund der Familienförderung nicht weniger Kinder als die unteren Schichten. Auch war es der SED gelungen, die Auswirkungen des Pillenknicks Anfang der 70er wieder wettzumachen, so daß die Geburtenquote 1980 wieder auf ca. die bestandserhaltende 2,0 anstieg. Das machte sich dann auch bei den Rekrutenjahrgängen Ende der 80er Jahre bemerkbar. Nach 1990 sank die Geburtenquote dann schlagartig um die Hälfte, um in den letzten Jahren wieder auf das niedrige westdeutsche Niveau zu steigen. Die Auswirkungen zeigen sich inzwischen in den Jahrgängen, die ins wehrfähige Alter kommen.
Zitat:3.) Interne Studien der Bundeswehr zeigen, dass die meisten der eher schlecht gebildeten Rekruten aus dem Osten stammen.
Nun ja: Wenn 62 % der Mannschaftsdienstgrade sich aus dem Osten rekrutieren und dort anteilmäßig viel mehr junge Männer keinen Ersatzdienst, sondern Wehrdienst leisten, ist das wohl unvermeidlich.
Zitat:Das Zurückgreifen auf ethnische Deutsche ist nicht zwingend wichtig. Wichtig sind a) Motivation und b) Identifikation. Ein türkisch- oder russischstämmiger Deutscher, der sich mit diesem Land identifiziert, sich als Deutscher und deutscher Soldat sieht und der auch dementsprechend motiviert seine Aufgabe erfüllt, ist u. U. wichtiger und verlässlicher als ein ostdeutscher, schlecht gebildeter „reinblütiger“ Sold-Rekrut.
Eben: Die Identifikation mit diesem Land ist der Knackpunkt. Ich wage zu behaupten, daß ein Großteil derjenigen mit MiHiGru, besonders der hohe Anteil von denen mit türkischer Abstammung, sich wenig bis gar nicht mit diesem Land identifiziert. Von den Loyalitätskonflikten, die drohen, wenn es wie derzeitig und zukünftig zu erwarten um Einsätze in islamischen Ländern geht, ist da noch nicht einmal die Rede. Das ist übrigens einer der Hauptgründe, warum die Russische Armee verstärkt auf Berufssoldaten setzt. Die geringe Geburtenrate in den 90er Jahren bei den ethnischen Russen, im Gegensatz zu den nichtrussischen Ethnien, führt in Kombination mit gesundheitlichen und sozialen Problemen einmal zu einem Mangel an einsatzfähigen Wehrpflichtigen. Zum anderen drohen durch den hohen Anteil der nichtrussischen, oft muslimischen Rekruten ethnische Spannungen innerhalb der Armee.
Der Dienst in der Bundeswehr ist im Gegensatz zu den Parolen unserer turbokapitalistisch-neoliberalen Vorturner eben kein Job wie jeder andere, den es so effizient wie möglich auszuüben gilt. Es ist ein Knochenjob, wo man Leib und Leben riskiert. Eine Armee, die das nicht kann oder nicht will oder so etwas anderen überläßt, wird zur Operettenarmee. Dabei hat die Bundeswehr, obwohl sie seit einiger Zeit auch an Kampfeinsätzen teilnimmt und nicht mehr nur die Leute vom KSK dazu herangezogen werden, noch gar nicht die volle Härte eines Krieges auszuhalten. Das könnte sich jederzeit ändern.
Zitat: Ich möchte hier über die russischstämmigen deutschen Soldaten nur sagen, dass ich sie als sehr zäh, ausdauernd und mutig in Erinnerung habe. Disziplinarisch gab es zwar manchen Ärger und auch die Eigeninitiative war nie sehr groß, aber verlässlich waren sie – und meist auch immer sehr kameradschaftlich (übrigens auch kameradschaftlicher als mancher „ethnische“ Ostdeutsche).
Niemand behauptet, daß die Ostdeutschen bessere Menschen sind. Aber bist du überzeugt, daß du über die ostdeutschen Soldaten insgesamt urteilen kannst? Oder verallgemeinerst du nicht deine drei oder vier persönlichen negativen Erfahrungen, die du eventuell gemacht hast, und überträgst das vor dem Hintergrund deiner ohnehin vorhandenen Ressentiments zu einem Generalurteil?
Es bleibt bei dem, was ich oben geschrieben habe und wie du es selbst gepostet hast: Die Essenz einer Armee ist die Disziplin wie auch die Identifikation mit dem Land und der daraus erwachsenden Bereitschaft, Belastungen und Opfer auszuhalten.
Zitat: Erstens sind es nicht meine Vorurteile, sondern – wenn überhaupt – eigene Erfahrungen. Zweitens kenne ich den Osten durchaus recht gut.
Man soll ja immer vom Positiven ausgehen. So gehe ich davon aus, daß du tatsächlich den Osten gut kennst, also nicht nur deine Garnison und dessen Umfeld, sondern auch viele persönliche Bekanntschaften mit Leuten von dort hast und mit der Gegend und all den Sachen gut vertraut bist, die dort laufen und in den letzten Jahren gelaufen sind.
Zitat:Freundlichen Gruß, der Schneemann.
Freundlichen Gruß zurück.