Israel
Sorry, Schneemann aber einem rechtskonservativen deutschen Juden und kritikfreien Israelfreund nicht bei Zeiten mit Aussagen auf die Füße zu treten, hielte ich für falsch. Das wäre tatsächlich mit meiner Agenda nicht vereinbar. Insofern absolut richtig, was Du über mich schreibst. Zur Sache muss ich Dir daher natürlich auch widersprechen und bediene mich dabei einer Analyse von Moshe Zuckermann*:

Zitat:Strukturelle Exklusion
...
»Das Eindringen des Faschismus aus den Straßenrändern in die Korridore der Herrschaft«, schreibt der israelische Historiker Danny Gottwein (Haaretz, 9.11.2010), »ist einer der Wege, deren sich die israelische Rechte bedient, um sich mit dem Wandel der gesellschaftlichen Funktion der Okkupation auseinanderzusetzen. Die Modifikation des Staatsbürgerschaftsgesetzes, die darauf aus ist, einen Treueeid auf Israel als einen jüdischen und demokratischen Staat einzubeziehen, ist ein Ausdruck davon.«

Gottwein verweist in diesen wenigen Sätzen auf die strukturelle Diskrepanz zwischen dem Selbstbild Israels als einem demokratischen Staat, der sogar vorgibt, die einzige Demokratie im Nahen Osten zu sein, und seiner politischen Realität, die sich gesetzlicher Mittel bedient, welche bei jedem Demokraten berechtigtes Entsetzen hervorrufen dürften. Denn nicht nur ist das Kriterium des Jüdischen unter Juden selbst mitnichten konsensuell geklärt (das Gegenteil ist der Fall) – Israel ist darüber hinaus nun einmal ein Staat, in welchem (staatsoffiziell anerkannt) mindestens 1,3 Millionen Nichtjuden, arabische Bürger, leben. Die irreale, dafür mit um so größerer Emphase ausgesprochene Erwartung, daß diese nichtjüdischen Bürger Israel als einen jüdischen Staat anerkennen (und nicht etwa als den Staat all seiner Bürger, in welchem sie als gleichberechtigte Bürger einbezogen wären), läuft auf nichts anderes hinaus als auf ihre strukturelle Exklusion aus der bürgerlichen Gemeinschaft des Landes. Dies ist freilich schon seit Gründung des Staates das etablierte Grundmuster. Offiziell sind Israels Araber gleichberechtigte Bürger des Staates; de facto leben sie aber seit Jahrzehnten (in nahezu allen Lebensbereichen) als Bürger zweiter Klasse. Neu ist die nunmehr gesetzlich vorangetriebene Identitätsfarce, die – aus der politischen Ecke Avigdor Liebermans kommend – der bewußten Diskriminierung der arabischen Bevölkerung des Landes eine legale Grundlage zu verschaffen trachtet. Das hat mit biologistischem Rassismus nichts zu tun, sehr wohl aber mit einem ethnisch beseelten politischen Rassismus, der sich mit der faschistischen Brachialität Liebermans nur zu gut in Einklang weiß.

Nachbarn nach Wunsch


Danny Gottwein indiziert, daß die faschistische Tendenz sich von den Rändern der Straße in die Mitte der politischen Herrschaft bewegt. Zu denken ist eher eine dialektische Wechselwirkung: Die politische Klasse nimmt auf, was ihr »die Straße« zufaucht, formt aber zugleich das Fauchen, facht es an und legitimiert es. So eröffnet etwa die Publizistin Avirama Golan eine mit der Drohung »Du bist der nächste Araber« betitelte Kolumne (Haaretz, 3.11.2010) mit den Worten: »Was ist so schlimm daran – sagte mir G. –, daß Menschen in Gemeinden sich ihre Nachbarn aussuchen wollen? Ich rede von der Bestrebung, in einem schönen, sauberen Ort zu leben, den Kindern eine hochwertige Erziehung in einer qualitativ hochstehenden Gemeinde angedeihen zu lassen; was ist also so schlimm daran, daß man keine Araber haben möchte? Sie passen doch wirklich nicht zu einer Ortsgemeinde mit jüdisch-zionistischer Couleur.« Golan klärt G., einen orientalischen Juden mit einer Frau aus der ehemaligen Sowjetunion, auf, macht ihm plausibel, warum er selbst kaum eine Chance hätte, in der von ihm idealisierten Gemeinde aufgenommen zu werden, und beendet ihre Kolumne wie folgt: »G. ist in eine faschistische Falle hineingetappt, die ihn mit dem hohlen Titel ›Jude‹ entschädigt, während sie seine staatsbürgerliche israelische Identität ausradiert, damit er nicht merkt, wie sehr seine Selbstsicherheit bereits erschüttert worden ist. Aber wieso siehst du das nicht, G.? Weißt du denn nicht, daß in den Aufnahmekomittees [besagter Gemeinden] und in allen künftig kommenden du der nächste Araber sein wirst?«

Was sich bei Avirama Golan wie eine anekdotische Fiktion des Feuilletons ausnimmt, ist krude israelische Realität, dezidierte Praxis der parlamentarischen Legislative.
...
Von Verfolgten zu Verfolgern

Nur stellt sich dann halt die Frage aufs neue, ob somit der Zionismus vielleicht doch für rassistisch zu erachten sei. Die Antwort lautet weiterhin: nein – jedenfalls insofern der Zionismus als prononciertes Erzeugnis des europäischen Nationalismus begriffen wird. Was Rassismus, Fremden- und Ausländerhaß anbelangt, hat er keinem anderen Nationalstaat des Westens etwas voraus. Die Spezifität der ihm nachweisbaren rassistischen Elemente (die hier nur lapidar skizziert werden konnten) erklärt sich aus seinem Entstehungszusammenhang und seiner präzedenzlosen historischen Genese, mithin aus seinem wesentlich reaktiven Charakter: Der zionistische Rassismus »verdankt« sich in vielem dem europäischen Antisemitismus, nicht zuletzt in seiner ideologischen Selbstgewißheit und seinem selbstgerechten Hang zur (geschichtlichen) Verdrängung. Am Rande bemerkt sei hier nur, daß er darin auch im innerjüdischen Diskurs (etwa zwischen aschkenasischen und orientalischen Juden) nicht haltmacht.

Eine ganz andere Frage ist freilich, ob sich Israels Staats- und Gesellschaftsrealität (ungeachtet essentialistischer Wesensbestimmungen des Zionismus als solchen) durch Rassismus auszeichnet. Und diese Frage muß – zumindest im Hinblick auf die immer beredter sich manifestierende Gesamttendenz – entschieden bejaht werden. Die unselige Konstellation von geschichtlicher Verfolgungsneurose, politischer Ideologie der Expansion, religiös-messianischem Wahn und realer (selbstgewollter?) Sackgasse in der Handhabung des Nahostkonflikts hat inzwischen die ursprüngliche Idee emanzipierter nationaler Souveränität in eine regressiv-repressive »Rückbesinnung auf sich selbst« umkippen lassen, bei der die historische Angst vorm Verfolgtsein in eine brachiale Ideologie der Verfolgung, »Judentum« zur reaktionären Kampfparole gegen Fremde und das Gedenken an historischen Rassenwahn in eigenen Rassismus umgeschlagen sind. Das hat nicht unbedingt etwas mit Zionismus, viel aber mit der Art und Weise zu tun, wie sich seine Träger in den »Straßenrändern« und den »Korridoren der Herrschaft« gegenwärtig meinen, setzen zu sollen.

* Der Soziologe Moshe Zuckermann lehrt seit 1990 am Cohn Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas (Universität Tel Aviv) und war von 2000 bis 2005 Direktor des Instituts für Deutsche Geschichte in Tel Aviv.
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Israel - von Lara - 08.04.2007, 23:00
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