Türkei
Zitat: So so, du bist also fest davon überzeugt, daß die damaligen Türken an die Armenier , mit dem Ziel sie auszuroten, systematisch und staatlich befehligt ein Genozid verübt haben.
Ja.
Zitat: Dann versuch das auch bitte sachlich darzulegen, und versuche mehrere Sichtweise in Betracht zu ziehen.
Für gewöhnlich lassen sich Völkermorde, die sich anbahnen, in verschiedene Stadien unterteilen, d. h. es wäre nicht so, dass es aus dem Nichts heraus zu einer Vernichtungsaktion kommt. Einige Eckpunkte, etwa 1.) vorhergehende Übergriffe, 2.) Enteignung und Entrechtung, 3.) Zusammenfassung der betroffenen Bevölkerungsteile (also eine Art Ghettoisierung, bzw. Zusammentreibung), 4.) Deportationen sowie 5.) letztlich der Mord an sich, kennzeichnen viele der als Völkermorde eingestuften Verbrechen der Vergangenheit. Als letzten Punkt, sozusagen unter 6.), könnte man noch überprüfen, ob es von Seiten der Staatsführung Äußerungen gab, die die Vernichtungsabsicht unterlegen würden.

Wir haben also nun 6 Punkte, auf die wir die Schablone der Vorkommnisse von damals legen können, um einen etwaigen Völkermord zu überprüfen oder zumindest um zu versuchen nachzuweisen, dass es ein solcher war.

Fangen wir an:

1.) Im Falle der Armenier sind fast alle Punkte erfüllt, zum einen fingen Pogrome und Übergriffe nicht erst im Ersten Weltkrieg an (sie fanden mit Unterbrechungen seit ca. 1890 fast beständig statt, wobei Höhepunkte – gemessen an der Zahl der Toten – 1896 und auch 1909/10 stattfanden), womit Punkt 1.) erfüllt wäre (die ständige Verfolgung oder die immer wieder aufflammenden Pogrome über einen längeren Zeitraum hinweg).

2.) Des weiteren, also bezogen auf Punkt 2.), gab es ab 1915 mehrere osmanische Gesetzeserlasse, die es vorsahen, dass alle Wertgegenstände, Hausratsgegenstände oder Grundstücke der Armenier ohne Entschädigung eingezogen werden können (quasi also die rechtliche Enteignung und Entmündigung, ähnlich wie bei den Juden im Dritten Reich). Und dies geschah dann auch, womit Punkt 2.) erfüllt wäre. Auf dieses Erlasse stützten sich übrigens auch später osmanische Soldaten, die den Armenier noch während der Deportationen Schmuck stahlen (was auch nach geltendem Militärrecht der Osmanen Diebstahl gewesen wäre, so aber nicht verfolgt wurde).

3.) Die Zusammenfassung oder Ghettoisierung: Bereits ab Frühjahr 1915 wurden Armenier oder diesen wohlgesonnene Personen zusammengefasst und von türkischer Polizei oder von Soldaten in einigen wichtigen Städten in Lagern untergebracht, in Stadtteile gesperrt oder bei der Verhaftung gleich umgebracht. Zudem wurden Armenier, die im Militär dienten, in eigenen Einheiten zusammengefasst (damit man ihrer schneller habhaft werden konnte). Später wurden diese Einheiten dann gezielt entwaffnet und liquidiert. Es ist also so, dass Punkt 3.) erfüllt wäre (die Zusammentreibung).

4.) Die Deportation: Viele der zusammengetriebenen Armenier wurden in Todesmärsche gezwungen (etwa nach Aleppo, Syrien) oder in Richtung des Schwarzen Meeres getrieben. Auf diesen Märschen kam es oft zu Massakern und ein Teil der Überlebenden wurde sogar entlang der Schwarzmeerküste ertränkt, weil er den Marsch überlebt hatte. Von Deportationsmaßnahmen war zudem fast 90% der armenischen Bevölkerung Anatoliens betroffen, es wurden also keineswegs (wie die türkische Seite gerne behauptet) nur wehrfähige Männer oder gar Aufrührer deportiert, sondern alle Personen dieser Bevölkerungsgruppe, was Punkt 4.) (die Deportation) eindeutig bestätigen würde. Und: Maßnahmen zur Wiederansiedlung (ein Argument gegen die Meinung, es sei eine „Umsiedlung“ gewesen) wurden ebenfalls keine getroffen, weil man eh wusste, dass es keine Wiederansiedlung geben würde (sondern dass die Menschen ermordet wurden).

5.) Der Mord fand ebenso statt, wobei man zwar nicht Gaskammern benutzte, aber die Leute erschlug, erschoss, verdursten ließ oder ertränkte, so wie entlang des Schwarzen Meeres, wo alleine bei Trabzon rund 3.000 Menschen gefesselt ins Meer geworfen wurden. Sicherlich, die Zahl der Opfer ist wegen der unsicheren Bevölkerungsanzahl im Osmanischen Reich umstritten, aber immerhin räumen sogar die Türken selbst ein, dass bei Kriegsende rund 800.000 Armenier „fehlten“. Selbst wenn man diesen türkischen Minimalwert heranzieht, so wäre dies eine Mordaktion sondersgleichen gewesen. Neuere Studien sprechen auch von 1,29 bis 1,65 Mio. Opfern. Auf jeden Fall dürfte Punkt 5.) (der Massenmord) gewährleistet sein.

6.) Die Staatsführung selbst machte deutlich, dass man den Mord begehen müsse (also evtl. Punkt 6.)). Wie war dies damals in der Türkei? Die Frage ist, zugegeben, schwierig zu beantworten, da viele Befehle teils nur mündlich weitergegeben wurden, also keine Schriftdokumente vorliegen. Insofern könnte man hier einen Teilfreispruch wegen fehlender Beweise anbringen. Aber zugleich machte z. B. Talat Pascha, der damalige türkische Innenminister, keinen Hehl daraus, dass er die „Armenierfrage“ lösen wolle und dass das armenische Volk vernichtet werden müsse (diese Aussagen wurden von Zeugen bestätigt). Es kann insofern davon ausgegangen werden, dass die Führung des Staates die Mordaktion zumindest anfangs guthieß und auch letztlich durchsetzte, womit Punkt 6.) in Teilen auch zutreffen würde.

Fazit: Alle weitgehend wichtigen Punkte, die einen Genozid charakterisieren, wären im Falle des Völkermordes an den Armeniern gegeben. Insofern kann und muss man auch von einem solchen Verbrechen reden und es wäre für die Türkei auch eine Befreiung, wenn sie sich endlich ihrer eigenen Geschichte stellen würde.

Ich hoffe, ich konnte dir hier eine sachliche Darlegung meiner Meinung geben.

Gruß, Schneemann.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema

Gehe zu: