zukünftige konflikte
#94
Quintus Fabius schrieb:Das ist eine These die schon sehr in die Richtung und Rechtfertigung des Ethnopluralismus geht.

Dem möchte ich entgegen halten, daß auch Ethnien sehr oft eine gar nicht so alte Konstruktion sind.
....
ich möchte erst mal nur den ersten Punkt der Argumentation aufgreifen:

Richtig - der Begriff ist nicht einmal so alt, die Staaten im klassischen Sinn waren bis vor wenigen Jahrhunderten noch die Dispostionsmasse, das Eigentum der Fürsten und Herrscher. Sie waren z.T. "Hochzeitsgut", und die Kriege waren vielfach dazu da, den Herrschaftsanspruch (oder besser - die Besitzgewalt) über noch mehr Territorien und Untertanen zu gewinnen.
Kriege sind um das Eigentum der Regenten geführt worden.

Erst in neuerer Zeit ist (schon mit dem irreführenden Begriff "Völkerrecht") die Intention des >Selbstbestimmungsrechts der Völker< entstanden.

Aber - wer sagt Dir denn, dass diese Entwicklung (die von Vordenkern im Westen, insbesondere in Europa angestoßen wurde), nicht zwangsläufig ist?

Wer die Welt mich "wachen Augen" ansieht, der bemerkt, dass es überall Ansätze zu einer Art "nation building" auf ethnischer Ebene gibt.

Die "Arabische Liga" oder auch die Orientierung der "Jungtürken" auf die turksprachigen Völker Zentralasiens hin (die auch in der modernen Türkei mit zunehmender Ablehnung einer europäischen Integration wieder mehr Raum erhält) sind Ansätze in dieser Richtung.
In Indonesien und den Philippinen wurde gezielt eine einheimische malaiische Sprache (Bahia Indonesia und Tagalog) als Klammer eines auf viele Inseln und Stämme verteilten Staatsvolkes gefördert - was in China der Pekinger Dialekt (Mandarin) des Chinesischen schon ist: die "gemeinsame Hochsprache" eines Volkes, das sich damit einerseits einer gemeinsamen Verständigungssprache bedient und gleichzeitig von anderen abgrenzt.

Ich behaupte, auch die Bündnisse der südamerikanischen Staaten sind nicht nur eine Auflehnung gegen die nordamerikanische Hegemonialmacht, sondern tragen im Ansatz auch das "Wir-Gefühl" der ~Iberosprachigen~ Staaten in Lateinamerika und die Abgrenzung gegen den angloamerikanischen Norden mit sich.

Dieses "nation building" vollzieht sich primär entlang der Sprachgrenzen, in Einzelfällen auch unter Einbindung einer religiösen Gemeinschaft wie der Hindu-Gesellschaft in Indien (wobei hier das koloniale Englisch die gemeinsame Sprache ist, und sich vom Norden aus "Hindi" als gemeinschaftsverbindende Sprache durchsetzt).

Andererseits finden die meisten Kriege der heutigen Staaten entlang der ethnischen Grenzen statt.
Sri Lanka mit dem Bürgerkrieg zwischen Singhalesen und Tamilen ist dafür genauso ein Beispiel wie die Bürgerkriege in Nigeria (Biafra) oder dem Sudan, wie der Aufstand der muslimischen Malaien aus den Südphilippinen gegen den christlichen Norden (und das ganze mit konträren Vorzeichen im Nordosten Indonesiens).

Sogar die "Stammeskriege" etwa in Neuguinea sind nichts anderes als primär ethnische Konflikte zwischen Gemeinschaften, die sich aufgrund bestimmter Gegebenheiten als Gemeinschaft definieren.

Die Frage ist nur, wo sich die Grenzen dieser Gemeinschaft festmachen lassen.
Mit zunehmender Modernisierung einer Gesellschaft wird auch der "Wir-Horizont" erweitert. Die modernen Medien - Rundfunk, TV, vor allem grenzüberschreitende Satellitensender - führen dazu, dass sich der "Wir-Horizont" an der Sprachgrenze fest macht.
"Wir" - das sind diejenigen, die sich untereinander in der gleichen Sprache verständigen können. Die "Barbaren" sind die anderen, die sich nicht dieser gemeinsamen Sprache bedienen - und damit kommen wir zu einer Abgrenzungsdefinition, die bereits in der Antike gegolten hat.

Waren also diese "Fürstentümer" nur eine vorübergehende Zeiterscheinung, die zwar über Jahrhunderte hin (vor allem im deutschen Sprachraum) Bestand hatten, aber nun durch die naütrlichere Sprachgemeinschaft abgeöst wurden?

Und noch etwas:
In der EU (und auch in China) ist die muttersprachlichen Gemeinschaft durch ein erweitertes "wir" ersetzt - durch eine Kultur- und Wertegemeinschaft, die sich aus mehrtausendjähriger gemeinsamer Geschichte und sich durchdringenden und befruchtenden Entwicklungen nährt.

Damit einher geht aber auch noch etwas anderes - nämlich die Erkenntnis, dass andere Kulturen nicht "besser" oder "schlechter" sind, sie sind "anders" ... ja, aber dieses "anders" darf nicht zu einer Bewertung führen.
Gerade diese Erkenntnis unterscheidet meinen Ansatz von der Ideologie Huntingtons (der sich zu sehr auf die Gegensätze zur islamischen Welt fokusssiert) oder gar von abartigen Rasseideologien der Vergangenheit.
Das unterscheidet mich auch von den Ansätzen der USA, die den eigenen "Way of life" als allein seeligmachend empfinden (und mich fatal an die Ideologie erinnern, dass "am deutschen Wesen die Welt genesen" solle.
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