12.02.2009, 08:17
Angesichts des A400M-Debakels bekommen rationale Stimmen im reichlich diffusen Raum zwischen Hardthöhe und Regierungsviertel Oberwasser:
Zitat:Hans-Peter Bartels ist stellvertretender verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.ftd.de/meinung/kommentare/:Gastkommentar-Hans-Peter-Bartels-Lehren-aus-dem-A400M-Desaster/472891.html">http://www.ftd.de/meinung/kommentare/:G ... 72891.html</a><!-- m -->
In der Beschaffungspolitik der Bundeswehr deutet sich ein dreifacher Paradigmenwechsel an: erstens das Ende des Dogmas "Wir kaufen deutsch/europäisch". Zweitens der Abschied von dem Anspruch, stets erster Kunde neu eingeführter Waffensysteme zu sein. Und drittens die Einsicht, dass sich die bisher verfolgte Strategie der Superstandardisierung nicht realisieren lässt.
Innerhalb der Bundeswehr wird der Konflikt um die Gültigkeit der alten Maßstäbe derzeit bei zwei größeren Rüstungsprojekten ausgetragen. Die Marine will nicht mehr länger auf die maritime Variante des verspäteten europäischen Standardhubschraubers NH 90 warten und würde lieber ein bereits verfügbares Modell des US-Herstellers Sikorsky kaufen. Das Verteidigungsministerium ist noch anderer Meinung - aus industriepolitischen Gründen und weil schon erhebliche Summen in die Entwicklung der Marinevariante MH 90 bei den europäischen Herstellern Eurocopter (EADS) und Agusta Westland geflossen sind. Jedoch hat der zuständige Staatssekretär entschieden, den Wettbewerb wieder zu eröffnen - Ausgang offen.
Ebenfalls umstritten, diesmal zwischen Luftwaffe und Ministerium, ist die Anschaffung von Aufklärungsdrohnen. Hier spricht sich die Amtsseite für ein israelisch-deutsches Entwicklungsprojekt namens Heron-TP aus. Die Soldaten hätten dagegen lieber schnell das schon seit einigen Jahren fliegende amerikanische System Predator.
Der Kummer über das Primat deutsch-europäischer Lösungen dringt langsam aus den geschlossenen militärischen Karrees an die Öffentlichkeit. Von einer "desaströsen Entwicklung" spricht der Luftwaffeninspekteur Klaus-Peter Stieglitz mit Blick auf den Airbus-Großtransporter A400M. Er rechnet inzwischen mit vier Jahren Verspätung, also einer Einführung nicht vor 2014. Gebraucht aber werden diese oder ähnliche Flieger jetzt - für Afghanistan und für die Verbindung zu allen anderen Einsatzgebieten. Einstweilen erledigen gecharterte Antonows einer ukrainischen Firma und die Kurzstrecken-Transall-Maschinen aus den 70er-Jahren den Job.
Fliegende Oldtimer
Ähnliche Geschichten lassen sich vom Eurofighter, von den drei Luftabwehrfregatten F124, vom Schützenpanzer Puma oder vom CSAR-Rettungshubschrauber erzählen. Dass neue Plattformen schneller einsatzbereit sind als geplant, kommt praktisch nicht mehr vor. Selbst bei bereits eingeführten geschützten Fahrzeugen für das Heer aus rein deutscher Produktion (Dingo) gibt es Lieferengpässe.
Noch unkalkulierbarer sind neue Waffensysteme: So verzögert sich jetzt wohl die Einführung des unbemannten Höhenaufklärers Euro Hawk, einer deutschen Version des amerikanischen Global Hawk. Die vier Jahrzehnte alte Breguet Atlantic muss so lange weiterfliegen. Auch das extrem komplexe Flugabwehrraketensystem MEADS, ein amerikanisch-deutsch-italienisches Entwicklungsprojekt, hinkt deutlich hinter dem Zeitplan her und droht den Kostenrahmen zu sprengen.
Grandios gescheitert ist schon heute die neue, angeblich moderne und wirtschaftsnahe Beschaffungsstrategie des "Commercial Approach": Wenn Entwicklung und Beschaffung neuer Systeme nicht mehr getrennt entschieden und finanziert werden, sondern von Anfang an mit einem einzigen Vertrag zwischen Regierungen und Industrie alles festgelegt ist, dann soll das bestellte Gerät schneller kommen und billiger zu haben sein. Der Beleg dafür, dass diese Strategie die optimale ist, sollte der A400M werden. Tatsächlich aber ist dieses Acht-Nationen-Projekt zum Albtraum von Regierungen wie Industrie geworden. Falls es, wie von Airbus erwogen, zum Abbruch des Programms kommt, wäre es der teuerste Flop in der jüngeren Geschichte der europäischen Luftfahrtindustrie. Und falls es weitergeht möglicherweise auch.
Manche Ursachen für diese Probleme mögen militärtypisch sein, aber gewiss nicht alle. Neu ist das omnipotente Auftreten insbesondere der deutsch-europäischen Luftfahrtindustrie, die gern verspricht, was der Kunde hören will. Neu ist die Multinationalität der Programme von Anfang an, neu gelegentlich auch die Industriekooperation in Konsortien gleichberechtigter Partner aus unterschiedlichen Ländern. Nicht neu ist die Detailfreude der deutschen Teilstreitkräfte, die enorm fantasievoll sind, wenn es darum geht, künftige Fähigkeiten zu fordern und einmal gestellte Forderungen wieder zu verändern, egal wie viele Nationen sich am Projekt beteiligen. Internationale Standardisierung und nationale Sonderwünsche erheben die Quadratur des Kreises zum Prinzip.
Die Erkenntnis, dass dieses nicht der direkteste und günstigste Weg zu einer guten neuen Ausrüstung ist, setzt sich in der Bundeswehr mehr und mehr durch. Gefragt sind pragmatische Lösungen statt alter Dogmen. Die bisherigen Grundsätze, deutsch zu kaufen, erster Anwender zu sein und Standard vor Typenvielfalt zu setzen, sind deshalb nicht falsch. Aber sie werden relativiert. Dies muss und wird sich auf die Beschaffungsplanung auswirken.