Söldner(un)wesen
Zitat:1. Ich sage nicht, dass PMFs generell notwendig sind. Sie wären es nicht, wenn die Nationalstaaten Verantwortung für ihren "Mist" übernehme, den sie anrichten. Aber das tun sie nicht. In den USA nicht und in Europa erst recht nicht. Und da in dieser Hinsicht keine Änderungen absehbar sind, wird man sich mit der Existenz von PMFs abfinden und das beste daraus machen müssen.

Ist so ne klassische realistische Machtpolitikposition, die ich nicht mehr ganz als für heute angemessen ansehe, weil du einfach den Staat als zu zentral ansiehst.
Inwiefern ist es denn amerikanischer und europäischer "Mist", wenn irgendwo in Afrika der Staat zerfällt und die Warlords und die jeweilige "Regierung" sich Unterstützung eben auch in Form von ausländischen Sicherheitsfirmen holen? Dahinter stecken komplexe soziale und historische Prozesse, gescheiterte Identitätsbildungsprozesse, nie funktionierende politische Institutionen etc. . Im Irak mag das alles mal etwas anders sein, aber ich finde, dass das pure Versagen des Nationalstaates die Grundlage des Problems ist, sondern nur ein seiner vielen Symptome.
Einerseits gibt es in vielen Gebieten der Welt Staatsgebilde, die den Staat in seiner europäischen, modernen Form nie kannten und wo er sich nie auch wirklich etablieren konnte. Es ist nirgends festgeschrieben, dass der Staat diese und jene festen Funktionen haben muss. Als Historiker muss dir ja nicht sagen, dass die historische Wirklichkeit fast immer eine andere war und der moderne, vorsorgende und schützende Nationalstaat nunmal eine Erfindung der europäischen Neuzeit ist, letztlich sogar erst des 19. und 20. Jahrhunderts. Ich sag nur: Staatlichkeit als moderne Ideologie.
Der Staat und das politische System ist sowohl in den nationalen Gesellschaften wie global dabei, Einfluss zu verlieren. Ob du das nun auf die funktionelle Differenzierung unserer Gesellschaften, den Primat der Wirtschaft, die wachsenden Interdependenzen zwischen den Staaten oder einfach nur darauf zurückführst, dass alles komplexer geworden ist und daher die staatlichen Steuerungsfunktionen schwächer werden, ist egal. Aber letztlich ist das die grundierende Ursache und nicht nur bloße Unmotivation der politischen Eliten. Denn Demokratisierung und Mediakratie und zunehmende postmoderne Friedfertigkeit haben auch im Westen selbst in den politischen Systemen ihre nicht zu unterschätzenden Nachwirkungen. Der CNN-Effekt ist genauso eine beinharte reale politische Limitierung wie die Bürokratisierung (die nun wirklich heute nicht mehr das zentrale Problem ist) oder die diversen Wirtschaftsinteressen.
Die Privatisierung von Konflikten sieht man überall auf der Welt. Dass das auch die relativ noch gut funktionierenden Staaten trifft und da auch private Akteure Geld verdienen, ist für mich ne klare evolutionäre Entwicklung, die man nicht umgehen kann.
Daher sehe ich es inzwischen auch so, dass die PMFs eine logische und kaum mehr verhinderbare Einrichtungen sind. Allerdings kann man da nicht einfach den Nationalstaat dafür pauschal verantwortlich machen, da liegen andere, tiefere Gründe dem zugrunde. Denn Nationalstaaten verlieren einfach an Regulierungs- und Steuerungspotential.
Aber: Sie haben es eben noch nicht ganz verloren und daher könnte man durchaus mehr und öfter auch bei den Sicherheitsfirmen ansetzen, als man es bisher schon getan hat. Du weißt ja besser als ich, dass Firmen wie Exective Outcomes oder Sandline ja nicht mehr existieren.

Zitat:2. Ich übersehe gar nichts. Ich stelle die Dinge nur in ein anderes Licht als mancher Reporter, der klischeebeladen die bösen Söldner als Grundlage allen Übels sieht. Das ist eben Quatsch. Die Verantwortlichen sitzen in Regierungen und dort haben die ersten grundlegenden Entscheidungen zu fallen. Die Firmen nutzen aus, was an Möglichkeiten gegeben wird. Das ist Grundlagen unseres hochumjubelten Wirtschaftssystems. Wenn das zuviel des Guten ist, dann muss der Staat sanktionieren. Das tut er aber nicht, denn teiweise will er es nicht, teilweise ist er inzwischen handlungsunfähig, eben durch Bürokratisierung und weil die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut. Selbst Staaten, die "entschlossen" gegen Söldner vorgegangen sind, haben Lücken und Möglichkeiten hinterlassen, teils aufgrund unauflösbarer juristischer Problematiken im internationalen Kontext, teils schlicht bewusst.

Ich hab auch nicht geschrieben, dass sie der Grund allen Übels sind, sondern ich habe versucht aufzuzeigen, dass die Söldner ein Mosaikteil sind im blutigen Mosaikgefüge Irak. Und bedenkt man eben gewisse psychologische und medien- und stimmungsrelevante Effekte, so stellen diese Söldnereinheiten eben auch ein großes Problem dar. Al-Sadr kann sich eben kaum bessere PR-Munition wünschen als wild umherfeuernde und Zivilisten-tötende Söldner der Amerikaner, die dann letztlich ungestraft in die USA geschickt werden, weil der Irak dank einer Übereinkunft von 2004 keine Jurisdiktion über die Söldner hat. Diese Gesetzlosigkeit ist ein weiteres dysfunktionale Puzzleteil im aufgelösten staatlichen Gefüge. Ich werd mich hüten diese Pauschalurteile über Sölder hier zu produzieren, allerdings war dein Statement auch etwas zu viel an Verharmlosung. Wie gesagt, Fehlverhalten von Soldaten rechtfertigt dann nicht Fehlverhalten von privaten Kämpfern. Denn so wird es im Irak nie mal Ansätze staatlicher Ordnung geben können, wenn sogar private westliche Firmen hier auch so mitmischen wie sie wollen, ohne fest regulierten Lizenzierungen.
Und wie gesagt, am Staat liegt es auch nicht so einfach, zumal der Irak noch ne ganz andere Geschichte ist und die zunehmende Bürokratisierung hat nun ja auhc nichts damit zu tun, ob bestimmte Sicherheitsfirmen ohne Lizenzen sich im Irak herumtreiben. Da muss man schauen, inwiefern staatliche Institutionen überhaupt problemlösungsfähig sind und welchen Problemen sie gegenüberstehen. Auch hier würde ich die Dinge anders fassen.

Zitat:3. Die Firmen agieren keineswegs allesamt in einer rechtlichen Grauzone. Einige sind direkt den Amerikanern unterstellt und müssen durch diese sanktioniert werden (in diesem Kontext sind jüngst Änderungen versucht worden), teils unterstehen sie sehr wohl direkt dem irakischen Staat und können durch diesen sanktioniert werden. Wenn dann lautstark gemeckert wird, dann setzt man sich eben dem Verdacht aus, das politisch zu instrumentalisieren. Ich möchte aber nicht behaupten, dass das zwangsläufig im Blackwater-Fall so war. Aber Blackwater ist eben nicht alles.

Kann sein, dass du bessere Infos hat. Mein Kenntnisstand ist der, dass viele der Firmen keine Lizenz haben, einfach engagiert werden und ihre Kämpfer in den Irak kommen lassen. Zudem gilt dank einer Übereinkunft aus dem Jahr 2004, dass der Irak keine Jurisdiktion hat über die privaten Kämpfer. Sicher, sie unterstehen bestimmten Auftraggebern, irakischen wie amerikanischen oder privaten Unternehmen. Aber wie diese Firmen nun agieren und wieviele überhaupt was machen, das dürfte doch bisher eher unkontrolliert sein.

Es wäre aber schon ein richtiger und erster Schritt, wenn die US-Administration wie von Frau Rice angekündigt, neue Richtlinien für den Schusswaffengebrauch herausgeben will. Wäre doch schon mal was und etwas auch in der Art, was ich für positiv halten würde.
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