Sechster Nahostkrieg
Werter Erich:

Zitat:@Quintus - wir stimmen also darin überein, dass Israel mit unnötiger Härte agiert und damit gegen das Humanitäre Völkerrecht verstößt?

Man kann natürlich immer von einem zum nächsten weiter hüpfen, und ständig neue Beschuldigungen eröffnen, aber das ändert nichts daran dass:

1. Es aktuell keine Hungersnot in Gaza gibt (eine solche droht zwar, ist aber hier und jetzt noch nicht der Fall).

2. Es in Gaza aktuell keinen Völkermord gibt.

Beides sind gesicherte und nachweisbare Fakten. Was in Gaza herrscht ist eine hochproblematische Nahrungsmittelunsicherheit (so lautet der Begriff laut UN) durch welche leicht eine Hungersnot entstehen könnte. Ob es dazu kommt / kommen wird, hängt von den Umständen ab.

Und da Völkermord eine Frage der Intention ist, liegt auch kein Völkermord vor.

Die Frage - ob Israel nun in Gaza gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen hat, ob die IDF dort Kriegsverbrechen begangen hat etc. ist davon völlig getrennt. Beides sind verschiedene Fragestellungen.

Meiner rein persönlichen Meinung nach beging und begeht Israel in Gaza Kriegsverbrechen, bzw. verstößt gegen das humanitäre Völkerrecht. Aber: man konnte in Gaza keinen Krieg führen, ohne dies zu tun. Der von dir angesprochene Ausgleich zwischen den gegenläufigen Interessen war und ist dort einfach faktisch nicht möglich. Er ist praktisch nicht machbar.

Zitat:Entscheidend ist letztendlich das "Humanitäre Völkerrecht". Es versucht "einen Ausgleich zwischen zwei gegenläufigen Interessen: den militärischen Notwendigkeiten bei der Kampfführung und der Bewahrung des Prinzips der Menschlichkeit im bewaffneten Konflikt." Und was im Gaza-Streifen geschieht ist nach den von mir berücksichtigten Quellen eben mit dem "humanitären Völkerrecht" nicht mehr vereinbar.

Dieser Ausgleich ist eine Quadratur des Kreises welche real unter den Umständen in Gaza nicht umsetzbar war und nicht umsetzbar ist.

Aber nun zum wesentlichsten: meiner Ansicht nach hat Israel im Rahmen dessen was getan wurde das absolute Maximum dessen geleistet, was an Bewahrung des Prinzips der Menschlichkeit dort möglich war. Angesichts der Länge des Kriegszustandes dort, der Geographie, der Umstände, der Massen an eng gedrängter Zivilbevölkerung ist die Zahl der Toten und Verletzten verblüffend gering ! Es gab noch nie in der Kriegsgeschichte einen Krieg in dem es unter solchen Umständen so wenige Tote und so wenige Verletzte gab.

Noch nie zuvor in der Geschichte war es überhaupt technisch möglich, derart präzise innmitten einer extrem dicht gedrängten Zivilbevölkerung gegen eine Guerilla zu kämpfen.

Die Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht welche Israel hier begangen hat, sind daher das absolute Minium dessen was überhaupt möglich ist. Weniger geht nicht.

Zitat:Die israelische Regierung nimmt diesen Ausgleich nicht vor. Sie stellt das Prinzip der Menschlichkeit zurück - und das (wahrscheinlich sogar) aus Gründen, die rein persönlicher Natur sind

Und das ist eine bloße These. Meiner Ansicht nach ist der Machterhalt von Bibi keineswegs der primäre Grund warum man das kämpfen dort nicht einstellt.

Der Gründe sind stattdessen zweierlei:

1. Man hat keinerlei Idee, was man nun überhaupt mit Gaza anfangen soll. Israel ist vollständig überfordert, und die Strategielosigkeit der Israelis erklärt einen Gros der aktuellen Handlungen. Man hat auf der militärisch-strategischen Ebene spektakulärste Erfolge errungen (teilweise ohne das dies überhaupt geplant war, also immer ad hoc und einfach so aus den Umständen heraus). Man konnte und man kann diese aber nicht in irgendeine sinnvolle politisch-strategische Zielsetzung überführen.

Kurz und einfach: die Israelis haben in Wahrheit überhaupt keinen Plan. Und keine langfristigen Ziele die über das Tagesgeschäft hinaus gehen, mit einer Ausnahme:

2. Man will durch die Zustände in Gaza die verbliebenen Geiseln frei pressen. Das ist das einzige Ziel welches überhaupt noch dort kohärent verfolgt wird, ansonsten stochert man so je nach Tageslage einfach sinnfrei in den Trümmern herum.

Zitat:Gerade wegen der jüngeren deutschen Geschichte muss die "Staatsräson Deutschlands" auf die Einhaltung humanitärer Werte hin ausgerichtet sein, und nicht auf die Unterstützung eines Staates, egal, wie sich die Führung dieses Staates verhält.

Wie schon geschrieben, gehen humanitäre Werte und Völkerrecht und Krieg gegen eine Guerilla niemals zusammen. Das sind Widersprüche die sich praktisch nicht auflösen lassen und die Idee einer humanitären Kriegsführung ist eine Illusion mit welcher wir uns selbst belügen.

Nichts desto trotz hat Israel zumindest versucht, dass Maximum an Beschränkung und Zurückhaltung heraus zu holen, so weit wie dies halt machbar war (und ist).

Der Umkehrschluss ist, dass wir absolut jeden Krieg verlieren werden, wenn wir diese extremistischen Ideen in Bezug auf humanitäre Kriegsführung - diese Quadratur des Kreises - in einem ernsthaften Krieg in der Art und Weise wirklich verfolgten sollten, wie das im Friedensbetrieb hier wohlfeil verlangt wird. Oder noch anders und einfacher: nur weil wir hier und jetzt im Frieden erklären, man müsse Kriege in einer bestimmten Art und Weise führen und alles andere sei ein Verbrechen, heißt das nicht, dass man Kriege so überhaupt führen kann.

Und da Krieg immer ein Verbrechen ist, und selbst die hochritualisierten Blumenkriege welche wir führen wollen dies immer noch wären, ist die moralische Empörung über Israel entweder weltfremd oder ablehnenswerte Heuchelei. (in deinem Fall natürlich weltfremd weil du einfach ein guter Mensch bist). Du müsstest meiner Meinung nach irgendwann mal erkennen, dass es diesen Ausgleich von Prinzipien der Menschlichkeit und den Notwendigkeiten der Kriegsführung in der Realität des Krieges nicht gibt und nicht geben kann, ohne den Feind dadurch automatisch den Sieg zuzuerkennen und dies einem Feind, der keinerlei Prinzipien der Menschlichkeit kennt und auch kein humanitäres Völkerrecht.

Überspitzt: man würde die Nazis im 2WK siegen lassen, weil das humanitäre Völkerrecht dies gebietet.

Das kann nicht die Lösung sein.

Würdest du also einen apokalyptischen Todeskult der auch den Tod des eigenen Volkes anstrebt wie die Hamas siegen lassen, nur um das humanitäre Völkerrecht in extremistischer Weise vollständig einzuhalten ?
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(Gestern, 12:17)Kongo Erich schrieb: Und ich bleibe auch bei meiner Aussage:
Gerade wegen der jüngeren deutschen Geschichte muss die "Staatsräson Deutschlands" auf die Einhaltung humanitärer Werte hin ausgerichtet sein, und nicht auf die Unterstützung eines Staates, egal, wie sich die Führung dieses Staates verhält.
Unsere (d.h. der nach ~1930 geborenen Generationen) deutsche (und auch die europäische) Verantwortung liegt nicht (mehr) in einer Schuld, die vor Jahrzehnten aufgeladen wurde, sondern in der massiven Unterstützung bei der Umsetzung des Humanitären Völkerrechts.

Im Begriff "Räson" steckt auch der Begriff "Zwang". Freie Menschen haben aber das Recht frei zu denken und zu handeln. Insofern kann ich mit solchen Überlegungen absolut nichts anfangen.
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(Gestern, 17:51)Schneemann schrieb: @Kongo Erich
Genau das ist der springende Punkt bzw. da kann ich mitgehen. Aber genau deswegen, weil manche Medien eben oberflächlich postulieren und leichtsinnig mit Übertreibungen jonglieren, sollten wir dies eben nicht tun. Wenn wir also folglich präzise vorgehen wollen, dann sollten uns moralisierende und überzeichnete Formulierungen schwerfallen.

Schneemann
und
(Heute, 08:21)Quintus Fabius schrieb: Werter Erich:


Man kann natürlich immer von einem zum nächsten weiter hüpfen, und ständig neue Beschuldigungen eröffnen, aber das ändert nichts daran dass:

1. ....

2. Es in Gaza aktuell keinen Völkermord gibt.
...
ich glaube, wir müssen hier (insbesondere den umfangreichen Ausführungen von Dir, werter Quintus folgend) eines nach dem anderen aufdröseln.

Erst einmal möchte ich gerne von Euch nochmal erfahren, in welchem meiner letzten Beiträge ich selbst dem Staat Israel oder seiner Regierung "Völkermord" vorgeworfen habe.
Der Begriff kommt in meinen Postings vor, ja, aber entweder in den Zitaten der von mir verlinkten Presseartikel die auch dazu dienen, die zunehmende Distanzierung zum Vorgehen Israels zu dokumentieren (und da wäre es verfälschend, die Zitate mit anderen Begriffen anzureichern), - oder in der Diskussion um den Inhalt des Begriff selbst.

(Heute, 09:43)lime schrieb: Im Begriff "Räson" steckt auch der Begriff "Zwang". Freie Menschen haben aber das Recht frei zu denken und zu handeln. Insofern kann ich mit solchen Überlegungen absolut nichts anfangen.
Freiheit findet immer dort ihre Grenzen, wo die Freiheit der anderen beeinträchtigt wird. Das gilt für Einzelne genauso wie für staatliche Akteure. Den die selbst beanspruchte Freiheit schließt zwangsläufig auch den Schutz vor Übergriffen durch andere ein.
Insoweit sind wir durchaus konform.
Und daraus folgt zwangsläufig, dass es auch Aufgabe des Staates ist, den Schutz vor Übergriffen zu gewährleisten.
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Werter Erich:

Zitat:ich glaube, wir müssen hier (insbesondere den umfangreichen Ausführungen von Dir, werter Quintus folgend) eines nach dem anderen aufdröseln.

Erst einmal möchte ich gerne von Euch nochmal erfahren, in welchem meiner letzten Beiträge ich selbst dem Staat Israel oder seiner Regierung "Völkermord" vorgeworfen habe.
Der Begriff kommt in meinen Postings vor, ja, aber entweder in den Zitaten der von mir verlinkten Presseartikel die auch dazu dienen, die zunehmende Distanzierung zum Vorgehen Israels zu dokumentieren (und da wäre es verfälschend, die Zitate mit anderen Begriffen anzureichern), - oder in der Diskussion um den Inhalt des Begriff selbst.

Du selbst hast dies nicht direkt geschrieben. Entsprechend bezog sich meine Aussage aber auch eigentlich nur auf die von dir mehrfach vernetzten Artikel - in welchen dieser Begriff öfter verwendet wird.

Ich widersprach also primär den von dir als Beitrag vernetzten Artikeln.

Allgemein:

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/m...18628.html

Zitat:Zakari al-Mutawaq leidet an Zerebralparese, einer frühkindlichen Hirnschädigung, die das Nervensystem und die Muskulatur stört. Sein Bild ging, wie einige andere von gesundheitlich schwer beeinträchtigten Kindern aus Gaza, um die Welt, um den Blick auf die dort herrschende Hungersnot zu lenken.

Die „New York Times“ hatte zunächst auf die Überzeugungskraft dieser Bilder gesetzt, ohne die Verfassung des Kindes genau zu beschreiben. Der „Guardian“, der „Stern“, die „Zeit“, Fox News und in Italien „Il Fatto Quotidiano“ brachten ähnliche Bilder. Dort, bei „Il Fatto Quotidiano“, war von der Erkrankung des abgebildeten jungen Osama al-Raqab – Mukoviszidose – nicht die Rede. Auch nicht davon, dass er sich zum Zeitpunkt der Berichterstattung seit Wochen in Mailand in einer Spezialklinik befand und es ihm inzwischen sehr viel besser geht.

Für das Blatt zählte nur der Symbolwert des Bildes, nach dem Motto: So sieht der Hunger in Gaza aus. Doch ist es ein falsches Symbol, ein Verstoß gegen journalistische Grundregeln und ein Kategorienfehler. Es geht nicht um Moral oder journalistisches Handwerk, sondern um Moral und wahrhaftige, vollständige und zutreffende Berichterstattung. Wer Bilder aus Gaza verbreitet, die in diesem Fall verschiedene Agenturen innerhalb weniger Tage aufspielten, ohne genau zu prüfen, wer und was darauf zu sehen ist und unter welchen Umständen die Aufnahmen entstanden, führt die Öffentlichkeit in die Irre.

https://www.rnd.de/politik/gibt-es-eine-...C6WOM.html

Zitat:Außenminister Wadephul spricht von einer Hungersnot. Internationale Experten für Ernährungssicherheit sehen das anders. Warum?

Was ist eine Hungersnot?

Eine Hungersnot ist ein seltenes und extrem dramatisches Ereignis. Ihre Ausrufung basiert auf streng festgelegten Kriterien. Diese sind von Experten der 2004 gegründeten IPC-Initiative (Integrated Food Security Phase Classification) definiert.

In der IPC-Skala gibt es fünf Stufen der Ernährungslage in einem Land oder einer Region. Die allerhöchste - und schlimmste - ist Stufe fünf: „Katastrophe/Hungersnot“. Darunter spricht man von Hungerkrisen.
Wie sehen Experten die Lage im Gazastreifen?

Aktuell gilt für den gesamten Gazastreifen die Stufe vier auf der IPC-Skala („Emergency/Notfall“). Das bedeutet unter anderem, dass nach IPC-Einschätzung viele betroffene Haushalte nicht genug zu essen haben. Das schlägt sich in sehr hoher akuter Unterernährung und überhöhter Sterblichkeit nieder. In dieser Phase ist laut IPC Nothilfe mit Nahrungsmittellieferungen nötig, damit Menschen nicht an Unterernährung sterben.

Und diese Nahrungsmittellieferungen finden statt, wenn auch so, dass sich die Lage nicht bessert, also immer nur gerade so viel wie als Tagesbedarf erforderlich.

Zitat:Wann wird eine Hungersnot ausgerufen?

Für die Einstufung als Hungersnot müssen drei Kriterien gleichzeitig erfüllt sein:

Mindestens 20 Prozent der Haushalte einer Region sind von einem extremen Lebensmittelmangel betroffen;
Mindestens 30 Prozent der Kinder leiden unter akuter Mangelernährung;
Täglich sterben mindestens zwei Erwachsene oder vier Kinder pro 10.000 Einwohner an Hunger oder aufgrund des Zusammenspiels von Unterernährung und Krankheit.

Und das ist alles aktuell in Gaza nicht der Fall ! Nicht mal ansatzweise. Was jedoch aktuell der Fall ist:

Zitat:Aus deutschen Sicherheitskreisen hatte es am Samstag geheißen, 50 bis 100 Prozent der Hilfsgüter, die in den Gazastreifen gelangten, würden von der Hamas oder anderen kriminellen Organisationen abgezweigt.

Es ist daher ausgesucht wohlfeil, Israel für eine Hungersnot in Gaza verantwortlich zu machen und dann von Völkermord durch Aushungern zu faseln - wie es in den Artikel welche Erich hier vernetzt hat der Fall ist.

Noch eine provokante These:

Man (auch Erich) hat ja Israel überzogene Härte und Unverhältnismässigkeit vorgeworfen. Zitat:

@Quintus - wir stimmen also darin überein, dass Israel mit unnötiger Härte agiert und damit gegen das Humanitäre Völkerrecht verstößt?

Meine These ist nun, dass Israel sogar zu wenig Härte gezeigt hat. Hätte man mehr Härte gezeigt, hätte härter und viel schneller zugeschlagen, so wäre die Lage jetzt besser, auch wenn das kontraintuitiv erscheint. Selbst die Zahl der Toten wäre praktisch gesehen gleich hoch, sie wäre dann nur in kürzerer Zeit angefallen, dafür tritt sie nun einfach zeitlich gestreckt auf.

Provokante These: Hätte Israel vorübergehend mehr gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen, härter agiert, wäre härter und entschlossener vorgegangen, so wäre die Chance bestanden, jetzt schon Gaza komplett und vollständig zu kontrollieren und die Hamas wäre bereits vernichtet.

Im weiteren könnte man direkt die Macht in Gaza selbst ausüben, als offizielle Besatzungsmacht diesen Status einer Besatzungsmacht auch selbst einräumen und ausüben, und dann könnte hier und jetzt die Zivilbevölkerung viel besser versorgt werden und man hätte aktuell die Gefahr einer echten Hungersnot dort gar nicht mehr.

Ebenso könnte man dann jetzt in ganz Gaza ernsthaftes COIN betreiben und damit die Lage dort tatsächlich unter Kontrolle bringen.

Aber Israel will dies eben nicht, aus einer Vielzahl von Gründen, und auch, weil man sich in der Kriegsführung durch den internationalen Druck so eingeschränkt gefühlt hat, dass man zu wenig hart vorgegangen ist.
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