Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg
Es existiert ein Aspekt dieses Krieges, der die Rekrutierung und Ausbildung von NATO-Soldaten berührt, über den meiner Meinung nach viel zu wenig geredet wird, und das ist das potenzielle Schicksal bei Kriegsgefangenschaft.

Ein Blick in den jüngsten Bericht der Untersuchungskommission des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen zur Lage in der Ukraine gibt Aufschluss darüber, dass weiterhin fast alle dort beobachteten Völkerrechtsverstöße (und insbesondere alle Verbrechen gegen die Menschlichkeit) von russischen Soldaten begangen werden. Dies gilt gerade auch für den Umgang mit Kriegsgefangenen.

Diese Realität wird von den Anwerbern westlicher Armeen naturgemäß nicht breitgetreten, spielt aber meines Wissens nach in der Ausbildung ebenfalls kaum eine Rolle—oder schlicht gar keine. Dabei haben wir eine neue Situation.

Westliche Soldaten, die von den Streitkräften Jugoslawiens, des Iraks oder selbst der Taliban gefangen genommen wurden, hatten gute Aussichten auf eine halbwegs anständige Behandlung, schon weil sie ein Faustpfand für Verhandlungen und politischen Druck darstellten.

Wer in die Fänge des Islamischen Staates geriet, dessen Aussichten waren freilich nicht gut; doch waren aus westlicher Sicht nur Angehörige der Spezialkräfte diesem Risiko ausgesetzt, die eine entsprechende Ausbildung erhalten haben, Gefangennahmen und Verhören standzuhalten.

Gefreiter Dosenkohl kann man diese Ausbildung kaum angedeihen lassen.

Das ist ein Problem, da der realistischste potenzielle Gegner ein Staat ist, der laut der Human Rights Monitoring Mission in Ukraine seine Kriegsgefangenen systematisch misshandelt und in großer Zahl ermordet. (Quelle)

Unseren Soldaten würden Folter, Verschwindenlassen und Schauprozesse wegen angeblicher Verbrechen drohen; außerdem sexuelle Übergriffe (auch auf Männer), Unterernährung und unzureichende medizinische Versorgung.

Wie gehen wir mit dieser Realität um? Wie bereiten wir unsere Soldaten darauf vor?
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Eine sehr gute Anmerkung !

Da wir keine Armee sind die den Widerstand bis zum eigenen Tod als Doktrin verfolgt, sondern man ganz im Gegenteil eher dazu neigt Aufgabe, Gefangennahme und Überleben in Gefangenschaft als sinnvoll anzusehen und zumindest in manchen Einheiten sogar etliches an Ausbildung darauf verschwendet, werden sich Bundeswehrsoldaten im Vergleich mit anderen Armeen meiner Meinung nach eher ergeben wenn die Umstände des Kampfes dazu führen würden, dass man selbst dabei umkommt und der Gegner dennoch siegt. Auch gegen die Russen.

SERE A und B erhalten übrigens inzwischen sehr viele Soldaten. Auch C gibt es keineswegs nur für SE. Schlussendlich wird damit diese ganze allzu typische US-Amerikanische Denkweise dazu ausgebreitet, noch verbunden mit der heute üblichen vorauseilend unterwürfigen Soldatenkultur.

Wie könnte man am besten damit umgehen? Indem man diese Thematik einfach nicht ausbildet, was sogar die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass der Kampf auch unter widrigsten Umständen weiter geführt wird. Wie bereitet man die Soldaten darauf vor ? Antwort: gar nicht. Denn diese ganze Bundeswehrvorbereitung ist einfach nur völlige Zeitverschwendung und meiner Überzeugung nach einfach nur dummes Getue. Der Einfluss auf das etwaige Überleben dürfte im Verhältnis zum betriebenen Aufwand völlig irrelevant sein. So wie jede andere Vorbereitung auf Verhör, Folter, Vergewaltigung usw. auch, weil das niemals die Realität abbilden kann und die Idee der kontrollierten Pre-traumatisierung schlussendlich nur Defätismus und eine Aufgabementalität, eine Passivität und passive Duldungshaltung eintrainiert. Man spricht dann immer von Willen, Durchhalten, usw. aber in Wahrheit erzeugt dies einfach nur ein devotes passives Erdulden von Leid - was genau das Gegenteil von dem ist, was Kriegertum ausmacht, und genau dieses benötigt man für den modernen Krieg.

Dieses devote Soldatengetue, die ganze unterwürfige, passive, erduldende, sich unterwerfende, masochistische Soldatenkultur an sich muss weg. Was in dieser Bundesrepublik und der Bundeswehr natürlich niemals passieren wird.
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Müsste man nicht eher die Situationen analysieren, welche typischerweise zur Aufgabe und Gefangennahme führen, um präventiv zu verhindern, dass solche Situationen entstehen?
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Es ist immer ein ganzes Faktorenbündel, aber Soldaten ergeben sich oft obwohl es nicht zwingend notwendig wäre und manchmal auch wenn es gar keinen Sinn macht.

Meistens sind folgende Faktoren ausschlaggebend: starke länger andauerende Übermüdung (schränkt die Denkfähigkeit stärker ein als alles andere, macht depressiv, senkt den Willen stark ab etc.), das Gefühl in eine unhaltbare Situation ohne Rückzugmöglichkeit geraten zu sein, gleichgültig ob dies stimmt oder nicht, dass ist immer mehr eine bloße emotionale Sache die oft wenig mit der Realität zu tun hat und schlussendlich die Kommunikation durch und mit dem Gegner. Gerade letztgenanntes wird heillos unterschätzt. Soldaten ergeben sich erstaunlich oft, wenn man mit ihnen kommuniziert und ihnen die Aufgabe anbietet - umgekehrt führt eine Nicht-Kommunikation oft dazu, dass Soldaten weiter kämpfen.

Weitere Faktoren bespielen schlussendlich die gleichen Mechanismen: beispielsweise führen Mangelernährung, Alkohol usw. gleichermaßen dazu, dass depressive defätistische Meme sich in den Köpfen ausbreiten analog zum Schlafmangel (Vitaminmangel ist in der Ukraine aktuell ein Problem an der Front). Oder führt länger andauerender Artilleriebeschuss selbst dann zum Gefühl dass man in einer ausweglosen Situation ist selbst wenn dieser ineffektiv ist usw. Das ist immer der gleiche Dreiklang: Absenken der Denkfähigkeit / Intelligenz durch die Widrigkeit der Umstände - Emotionen statt eiskalter objektiver Analyse der Umstände - Kommunikation mit bzw. durch den Gegner. Natürlich hat der Durchschnitt der Menschen (normale, psychisch gesunde, normal sozialisierte Menschen) hier erhebliche Grenzen was das ganze angeht. Entsprechend kann man eine Mehrheit der Menschen nicht auf eine rationale vernünftige Weise dazu bringen grenzenlos weiter zu kämpfen.

Nun könnte man aber natürlich trotzdem durchaus etliche Maßnahmen ergreifen um diese Sache zu verbessern: am einfachsten und plakativsten indem man dafür sorgt dass Soldaten so viel wie möglich schlafen, indem man ihnen Handys usw. weg nimmt um sie von jedweden Informationen und Einflussnahme abzuschneiden und sie von den Informationen her isoliert und insbesondere - und da kommt der entscheidende Punkt ins Spiel: indem man eine entsprechende Kriegerkultur befördert. Jede Disziplin die aufoktroyiert wird, ist dem immer unterlegen und zugleich würde eine solche innere militärische Kultur die Befähigung zur Gewaltausübung erheblich steigern. Man müsste die Soldaten durch diese Kultur regelrecht "impfen" - aber das ist in dieser Bundeswehr unmöglich und wird in diesem Staat auch niemals mehr geschehen. Schon der bloße Gedanke einer Kriegerkultur läuft allem völlig konträr was die Bundeswehr und die aktuelle Gesellschaft in dieser Bundesrepublik ausmacht. Schon der bloße Begriff stößt sofort auf massiven Widerstand und rigide Ablehnung, ohne sich mal neutral und rein kriegswissenschaftlich damit zu befassen.

Das Problem ist bereits die ganze Frage der psychologischen Ausrichtung: bei der Bundeswehr / vielen Soldaten hört man ständig nur: es geht darum die eigenen Grenzen zu überwinden, sich selbst zu steigern, eigene Grenzen auszuweiten, etwas zu erdulden, zu beißen, sich zu überwinden usw usw. Das zieht sich durch die gesamte Selbstwahrnehmung, allenfalls noch ergänzt um das überkommene Mantra des Kameraden - man tue alles für die Kameraden und nur für diese kämpfe man und wegen dieser kämpfe man weiter etc. Der wesentlichste Punkt aber ist, dass man selbst hier im Mittelpunkt steht. Entweder selbst als Person oder zumindest die eigene Seite in Form der Kameraden. Es geht immer nur um einen selbst, die eigene Gruppe, die Kameraden direkt neben einem. Nirgends hört man, dass man als einziges den Gegner töten will, vernichten will, besiegen will, ausschalten will, also der Gegner im Mittelpunkt von allem steht und nicht man selbst. Je mehr eine Armee Feindzentrisch in ihrer inneren Verfasstheit ist, desto weniger ergeben sich die Soldaten dieser Armee. Je mehr sie in ihrer inneren Kultur egozentrisch ist, desto eher führen die oben erläuterten Umstände dazu, dass man sich ergibt.

Das ist auch der Grund, warum die Russen trotz (!) der extrem dummen Art und Weise wie sie mit Gefangenen umgehen fünfmal (!) so viele Ukrainer gefangen haben wie umgekehrt die Ukrainer Russen. Das ist so ein Fakt, der vielen erst einmal kontraintuitiv erscheint. Die Ukrainer behandeln die Russen gut, machen viel Kommunikation und versuchen die Russen zur Aufgabe zu bewegen, trotzdem nehmen die Russen sehr viel mehr Ukrainer gefangen (obwohl jeder Ukrainer panische Angst davor hat dass es dazu kommt) und umgekehrt ergeben sich sehr viel weniger Russen.

Würden die Russen auf die gleiche Weise mit den Gefangenen umgehen wie die Ukrainer, wäre dies fatal für die Ukraine. Das hätte schon zum Zusammenbruch etlicher Frontabschnitte im Laufe der Zeit führen können, welche die Ukrainer nur aus panischer Angst vor Gefangennahme weiter verteidigen konnten.

Zum Glück sind die Russen so dumm.
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Spezifika über die Japanische Armee im 2WK habe ich hierhin verschoben:

https://www.forum-sicherheitspolitik.org...212&page=3
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Die russische Stützpunkte waren gut geschützt. Es gab ELOKA, Flugabwehrraketen Systeme unterschiedlicher Reichweiten und Infanterie Patrouillen.
Die Russen waren gut auf die bisherigen Angriffe der Ukraine vorbereitet.

Die Lehre muss sein, das der Feind die Angewohnheit hat, nicht das zu tun was man von ihm erwartet.
Man kann nicht von Vergangenem auf Zukünftiges schließen.
Klassischer Trugschluss.

Den Fehler machte Frankreich nach dem ersten Weltkrieg und wir sind dabei ihn zu wiederholen.
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In Rückschau liest sich dieser Artikel nun anders:

https://www.businessinsider.com/russia-c...tin-2025-5

Zitat:Kommersant suggested that this was related to concerns that mobile internet networks could be used to direct drone attacks
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Wenn die Stützpunkte gut geschützt gewesen wären, dann hätten die Angriffe keinen Erfolg gehabt. Das Verfahren stellt in diesem Krieg keine unerwartete Neuheit dar, es gibt vergleichsweise leicht umsetzbare und trotzdem effektive Abwehrmaßnahmen, die seit Jahren im Feld erprobt und verbessert wurden, und die grundsätzliche Gefahr derartiger Aktionen war Russland bekannt (tatsächlich führt es lediglich in der Wirkung unterschiedliche Angriffe selbst durch). Entweder also wurde dieser Gefahr nicht im ausreichenden Maße Rechnung getragen (dafür könnte es verschiedene Gründe geben), oder es handelt sich um statistische Ausreißer (dazu würden Informationen passen, dass weitere Angriffe verhindert wurden), oder eine Mischung aus beidem.

Die Lehre, die wir daraus ziehen sollten: mehr mehr mehr.
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Meiner Meinung nach ist man in Russland zu sehr von der Leistungsfähigkeit der eigenen Inneren Sicherheitsdienste überzeugt und ging vor allem auch davon aus, dass die Stützpunkte welche hier angegriffen wurden zu weit weg sind und eine derart weitreichende Operation (wortwörtlich) nicht möglich ist, ohne dass dies den inneren Geheimdiensten auffällt.

Ich möchte aber dennoch der Aussage widersprechen, dass diese Stützpunkte nicht geschützt wären. Ich weiß aus eigener Anschauung schon vor etlichen Jahren aus Ostsibiren, dass selbst dort (fernab von allem) durchaus eine ganze Reihe von Schutzmaßnahmen vorhanden sind, von einfacher FlaK bis hin zu rigiden Kontrollen im Umfeld (wehe man würde da ein Photo machen). Da sprang im übrigen dann auch mal eine Gruppe Russen mit Fliegerfäusten rum.

Was hier fehlte war meiner Meinung nach ein Verständnis für die Natur dieser Art von Angriffen - man dachte zu konventionell und fiel gerade eben deshalb diesem Angriff zum Opfer. Die Drohnen sind klein, sehr schnell, der ganze Angriff geschah blitzartig aus kurzer Distanz, es gab keine passiven Schutzmaßnahmen (Netze beispielsweise welche diese Drohnen recht zuverlässig abfangen würden) und keinen Nahbereichsschutz der diese Art von Drohnen bekämpfen kann.

Meiner Meinung nach ist der primäre Grund, dass man zu sehr in konventionellem Denken verfangen ist.
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Laut Ukraine wurden 150 Drohnen eingesetzt , bisher haben wir 15 bebilderte Treffer, was 10% der eingesetzten Systemen ausmacht. Was ist dann mit den restlichen Drohnen passiert? Ein Teil wurde von Zivilisten verhindert , aber wo ist der Rest abgeblieben, immerhin sind 90% nicht erfolgreich gewesen.

Die Aktion war einzigartig, das steht außer Frage
Aber kein zerstörter Bomber bringt der Ukraine nur einen Meter Boden zurück oder hat einen Einfluss auf die Front . Kann es sich die Ukraine wirklich leisten ressorcen anderthalb Jahre mit sowas zu binden?
Das gleiche der aktuelle Angriff auf die Kertsch Brücke , Planungszeit ca ein Jahr. Die Brücke ist für die Versorgung der Krim nicht mehr unbedingt notwendig.
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Drohnen fallen ständig aus allen möglichen Gründen aus, oder versagen. Laut ukrainischen Quellen agierten die Drohnen zumindest teilweise mit KI, was auch erklären würde, warum die russische EloKa welche es an solchen Flugplätzen gibt sie nicht so behindert hat. Andererseits versagen gerade KI Drohnen recht häufig.

War der Angriff sinnvoll?! Die Antwort lautet meiner Meinung nach: absolut ja. Denn exakt diese Bomber stellten und stellen für die Ukraine ein großes Problem dar, insbesondere auf der strategischen Ebene, da gerade von diesen Bombern aus verheerende Angriffe mit Marschflugkörpern durchgeführt wurden und werden.

Wenn man zudem den Aufwand mit dem Schaden verrechnet, so ist das Verhältnis spektakulär ! Etwaig wurden bis zu 10 Milliarden an Militäraussrüstung vernichtet, durch ein paar FPV Drohnen, und wir sprechen hier von Systemen die praktisch während dieses Krieges so nicht mehr nachproduziert werden können.

PS: Und im Krieg selbst geht es eigentlich nicht um den Besitz von Boden, dieser ergibt sich allenfalls aus dem Krieg als Folge desselben.
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(Gestern, 21:37)alphall31 schrieb: Laut Ukraine wurden 150 Drohnen eingesetzt , bisher haben wir 15 bebilderte Treffer, was 10% der eingesetzten Systemen ausmacht. Was ist dann mit den restlichen Drohnen passiert? Ein Teil wurde von Zivilisten verhindert , aber wo ist der Rest abgeblieben, immerhin sind 90% nicht erfolgreich gewesen.

Es ergibt überhaupt keinen Sinn davon auszugehen, dass 90% nicht erfolgreich waren, nur weil davon entsprechende Videobeweise fehlen. Immerhin schreibst du selbst im anderen Strang über 24 bestätigt zerstörte oder beschädigte Maschinen, allein das zeigt ja bereits, dass die Quote höher gewesen sein muss (wenn die 150 tatsächlich stimmen). Noch höher wäre sie, wenn die Zahl von knapp 40 Maschinen stimmen sollte.
Diese ganzen Rechnungen, Listen usw. zeigen in meinen Augen eher, dass diese OSINT-Herumraterei nur bedingt dafür tauglich ist, militärische Lehren aus einem Konflikt zu ziehen. Es sind immer nur Datenfragmente, die ohne Einordnung in ein rein auf diese Weise kaum oder nur sehr schwer und mit sehr viel Aufwand zu ermittelbares Gesamtbild allenfalls zufällig richtige Schlussfolgerungen zulassen.

Davon abgesehen wäre in meinen Augen eine Erfolgsquote von 10% bereits außerordentlich gut in Bezug auf Aufwand und Ertrag.
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