Kulturen im Konflikt
Wenn man nicht eigenen eigenen Afrika-Thread aufmachen will, dann passt das hier am besten:
Zitat: Werden die machtpolitischen Karten in Afrika neu gemischt?

Im Juni hat in Brüssel ein viel beachtetes Afrika-Seminar stattgefunden, das von mehreren Forschungsinstituten – darunter zwei aus dem Geschäftsbereich des belgischen Verteidigungsministeriums – veranstaltet wurde. Der Titel der Tagung lautete: „Die Kontinente einander annähern, Allianzen schmieden: die militärische Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den afrikanischen Staaten vor dem Hintergrund weltweiter Konkurrenz stärken.“ Als Konkurrenten der EU wurden dabei insbesondere Russland, die Volksrepublik (VR) China und auch die Türkei genannt. Verwiesen wurde dabei beispielsweise auf Westafrika, wo innerhalb der vergangenen vier Jahre mehrere Staatsstreiche stattgefunden hatten, die zu einem Abrücken von westlichen Staaten führten. Man denke hier an Burkina Faso, Mali, Niger und den Tschad.

Afrika ist mit etwa einem Fünftel der gesamten Landfläche der Erde und mit einer Bevölkerung von rund 1,5 Milliarden Menschen nach Ausdehnung und Einwohnern der zweitgrößte Erdteil nach Asien. Als Nachbarkontinent Europas ist der Erdteil von besonderer geopolitischer und ökonomischer Bedeutung für die westliche Staatenwelt. Rund 30 Prozent der von Europa importierten Rohstoffe kommen aus Afrika.
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(Zitat von hier)

Ich denke, das "freischwimmen" regionaler Kräfte aus der Bipolarität des "Kalten Krieges" lässt sich an Afrika besonders gut beobachten. Schließlich waren die meisten afrikanischen Staaten noch im letzten Jahrhundert sogar europäische Kolonien - und damit in einem so engen Abhängigkeitsverhältnis, wie es kaum enger gehen dürfte.
Mit dem Machtverlust der Kolonialmächte geht gleichzeitig ein Machtvakuum einher. Regionale Kräfte genauso wie Dritte (in dem Zitat werden "insbesondere Russland, die Volksrepublik (VR) China und auch die Türkei genannt" versuchen, dieses Vakuum zu füllen.
Dabei bilden sich auch lokale Allianzen und Verbindungen, die zunächst auf ethnischen bzw. kulturellen Gemeinsamkeiten beruhen. Die Mitgliedschaft in der "Arabischen Liga" sei für die nördlichen Staaten des Kontinents von Marokko bis Somalia als Beispiel genannt.

Verbindend - aber auch konfliktträchtig - ist, dass die "mit dem Lineal gezogenen" (nach-)kolonialen Grenzen die Siedlungsgebiete der afrikanischen Völker durchschneiden. Vor allem Westafrika ist dafür ein Beispiel.
[Bild: https://de.wikipedia.org/wiki/Bantusprac...guages.svg] https://de.wikipedia.org/wiki/Bantusprac...guages.svg
Wer sich primär als Mitglied seines Volkes versteht, für den ist die staatliche Zugehörigkeit eher sekundär. Daher finden Rebellenbewegungen leicht grenzüberschreitende Unterstützung.

Wenn man die Sprachenkarte anschaut, dann findet man - grob gerechnet ab dem Äquator südlich - aber eine Sprachfamilie, bestehend aus über 500 Dialekten oder Sprachen, die fast dem afroasiatischen Sprachen zwischen Marokko und Somalia entspricht.
[Bild: https://de.wikipedia.org/wiki/Bantusprac...ies_de.svg] https://upload.wikimedia.org/wikipedia/c...de.svg.png
Die Niger-Kongo-B oder Bantu-Sprachfamilie zählt zu den am weitesten verbreiteten Sprachgruppen der Erde, 542 Dialekte gibt es in Afrika. Heute sprechen mehr als 240 Millionen Menschen eine der Bantu-Sprachen (nach [Bild: https://www.herder.de/wbg-magazine/aktue...-sprachen/]). Die Sprachgruppe hat sich seit etwa 3.000 (bis maximal 5.000) Jahren in Afrika in zwei "Stoßrichtungen" verbreitet.
[Bild: https://www.mpg.de/19012627/original-166...688f472f41]
Dabei wurde aber das vorherige Siedlungsgebiet nicht aufgegeben, es hat sich lediglich ausgedehnt. Das führt dazu, dass die Verständigung zwischen benachbarten Dialekten relativ problemlos möglich ist.
Es wird spannend zu beobachten sein, ob sich diese Sprachfamilie zu einem gemeinsam agierenden Block zusammen schließt.
Diese Staatengemeinschaft wäre durch eine gemeinsame Kultur geprägt - und könnte "auf Augenhöhe" mit externen Regionalmächten, aber auch mit den ehemaligen Kolonialstaaten der EU, agieren.
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Eine Gemeinschaft innerhalb der Sprachfamilie halte ich für schwierig. Sie kann höchstens teilweise als integrierender Faktor gesehen werden. Aber gerade in Tansania und Kenia gibt es auch noch andere Sprachfamilien, das Beispiel aus dem Westen wäre Nigeria. Sowohl in Kenia als auch in Nigeria gibt es Auseinandersetzungen entlang tribaler Grenzen und diese beinhalten in einigen Fällen auch Grenzen zwischen zwei Sprachfamilien, z.B. in Kenya Oromo vs. Kikuyu (=Bantusprache). Ein weiteres, grosses Problem ist die Religion. Es gibt eher eine Spaltung zwischen Islam und Christentum im betroffenen Gebiet, als ein friedliches Zusammenleben.
Ich denke, Integration folgt eher über gemeinsame Wirtschaftsräume, falls diese Erfolg haben. Organisationen wie die EAC (East African Community) zum Beispiel. Das ist dann aber ein Verbund von Nationalstaaten, die sprachlich und kulturell das Heu nicht auf derselben Bühne haben.
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Zitat:Es wird spannend zu beobachten sein, ob sich diese Sprachfamilie zu einem gemeinsam agierenden Block zusammen schließt.

Das ist eine wirklich hochinteressante Idee, über die ich noch einiges nachdenken muss. Aus dem Bauch heraus würde ich es verneinen, weil die jeweiligen Interessen zu unterschiedlich und die Sprachfamilie als einigendes Band hier demgegenüber zu schwach erscheint.
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es gibt viele Möglichkeiten von Menschen, sich als "gemeinsam" zu definieren. Religion (wie die islamische Umma) oder Sprache und gemeinsame Abstammung sind da Beispiele. Gemeinsame Wirtschaftsräume (EU siehe unten) können nur insoweit als "einigende Klammer" dienen, als auch ein gemeinsamer wirtschaftlicher Standard erreicht ist und gehalten wird. So gesehen ist "der Westen" mit Nordamerika und (West-)Europa durchaus eine Basis. Aber - Wirtschaft entwickelt sich. Sie kann sich auch "auseinander entwickeln".

Langfristig denke ich, dass die Sprache das nachhaltigste Mittel ist, Gemeinsamkeit zwischen "wir" und den "anderen / Fremden" zu erzeugen. Der Mensch kommuniziert in Sprache, er denkt in Sprache - und daher werden Gedanken und Ideen und auch kulturelle Gemeinsamkeiten und Identitäten sowie Entwicklungen über die Sprache ausgetauscht.
Religion (nimm etwa das Christentum oder speziell die größte christliche Kirche, die Katholiken) tritt gegenüber sprachlichen Identitäten zurück. Noch im WK II. haben katholische Priester auf jeder Seite der Front die jeweiligen Waffen gesegnet, ohne dass ein religiöse Gemeinsamkeit zwischen den Katholiken beider Seiten bestanden hätte. Wenn etwa katholische Kriegsgefangene aus Polen oder Frankreich, die in den niederbayrischen Dörfern zum landwirtschaftlichen Frondienst eingesetzt waren, gemeinsam mit den katholischen Bauern Weihnachten gefeiert haben - dann war das schon eine sehr kritische Ausnahme, die bereits bei den katholischen Nachbarn nicht publik werden durfte.
Sogar in der jüdischen Diaspora war hebräisch (bzw. in Osteuropa auch jiddisch) eine Grundlage für die gemeinsame Identität.
Die heute prägende Idee vom "Nationalstaat" und dem "Selbstbestimmungsrecht der Völker" beruht auch auf der Sprachengemeinschaft der Nation oder des jeweiligen Volkes. Dementsprechend sind auch die Autonomiebewegungen von sprachlichen Minderheiten (Basken, Bretonen, Katalanen, Schotten, Südtiroler ...) eine Ausprägung dieser "gemeinsamen Identität gegenüber den Anderen" unter negativem (Trennungs-)Vorzeichen,

Die EU ist - nach dem Vorbild der Schweiz - dagegen ein übernationales Experiment, das trotz aller kulturellen und wirtschaftlichen Gemeinsamkeiten enorme Probleme hat, nationale Befindlichkeiten (und damit letztendlich auf einer sprachlichen Abgrenzung beruhende Trennungen) zu überwinden.

(03.10.2024, 21:12)hunter1 schrieb: ...
Ich denke, Integration folgt eher über gemeinsame Wirtschaftsräume, falls diese Erfolg haben. ...
auch in dieser Richtung entwickelt sich Afrika. Der halbe Kontinent träumt von einer nuklearen Zukunft:
Afrikas zweifelhafter Atomkraft-Boom berichtet die Süddeutsche Zeitung:
Zitat: Bislang gibt es auf dem Kontinent genau ein Kernkraftwerk (Anm.; das Atomkraftwerk Koeberg, 30 Kilometer nördlich von Kapstadt in Südafrika). Jetzt aber träumt der halbe Kontinent von einer nuklearen Zukunft – ermutigt vor allem von Russland. Doch wie realistisch sind die Pläne? ....
mit "Atomkraftwerk" hätte ich zuerst an arabische Länder, z.B. an Ägypten, gedacht. Tatsächlich folgt bei der Süddeutschen Zeitung als erstes Beispiel Kenia.
Inzwischen wird auch die Infrastruktur im südlichen Afrika ausgebaut. Vom Atlantik (Lobito in Angola) über die DR Kongo und Sambia bis zum Indischen Ozean (Dar es Salaam in Tansania) führt inzwischen eine durchgehende (im Wesentlichen von China gebaute) Bahnlinie, die nicht nur dem Gütertransport dienst sondern sogar von Luxuszügen befahren wird. Bahnverbindungen gehen über Sambia bis Südafrika und von Tansania bis Kenia und in die zentralafrikanischen Staaten am Rift-Valley (oder sind zumindest geplant). Der so erschlossene Wirtschaftsraum wächst zusammen - auch, weil die Kommunikation und Verständigung der breiten Bevölkerung über die Staatsgrenzen hinaus möglich ist (die kolonialen Amtssprachen von portugiesisch über französisch bis englisch) tragen dazu eher nicht bei. Aber die Bantu-Dialekte Swaheli [Bild: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/c...wahili.png]https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/ae/Maeneo_penye_wasemaji_wa_Kiswahili.png, Bemba und Kimbundu tragen zu dieser Verständigung auch der Landbevölkerung bei.

Und damit wird eines klar:
die integrative Entwicklung der Staaten südlich des Äquators schreitet voran.
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(05.05.2004, 21:27)Erich schrieb: Ich fang ansonsten mal mit einer eigenen Stellungnahme an:
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Tatsache ist doch, dass jeder - und auch jede Kultur - die eigene Einstellung für richtig und die beste Alternative hält; das ist der Grund für religiöse Überzeugung und den Missionseifer, den etwa christliche Missionare genauso wie der Islam entwickelt haben, und um ein anderes Beispiel zu nehmen:
früher gabs das "am deutschen Wesen soll die Welt genesen" und genau dieselbe Einstellung findet sich ganz natürlich auch heute im Westen.
Die USA sind da ein geradezu klassisches Beispiel. Die `Fehleinschätzung, man müsse nur Saddam stürzen, und im Irak würden jubelnd Demokratie und Menschenrechte einziehen resultiert aus dieser Grundüberzeugung. Dabei wird völlig übersehen, daß diese Errungenschaften der westlichen Kultur auch den entsprechenden kulturellen Background voraussetzen.
Der ist in anderen Kulturen aber so nicht vorhanden, unabhängig ob wir zum völlig anderen Staatsideal aus dem Islam (insbesondere dem Zweig der Schia) sehen oder zum konfuzeanischen Staatsideal.

Formate wie "G-7" sind doch ein Versuch, die unterschiedlichen kulturellen Prägungen und Differenzen zu überbrücken und mit den (wirtschaftlich) potentesten Staaten zu gemeinsamen Lösungen globaler Probleme zu finden.
Man mag darüber streiten, ob das erfolgreiche Versuche sind. Aber es sind wenigstens Versuche. Und unter diesen Vorzeichen ist es bedenkenswert, dass Indien jetzt zum G-7 Gipfel in Kanada nicht eingeladen wurde:
Zitat:Indien und Kanada: „Ein großer diplomatischer Fehler“
Indiens Premierminister Narendra Modi ist dieses Jahr offenbar nicht als Gast zum G-7-Treffen eingeladen. Es gibt Spannungen mit Kanada. Ottawa wirft Delhi vor, Morde im Ausland zu sanktionieren.

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Und sollte Modi darüber hinaus nicht zum G-7-Treffen eingeladen sein, während die Staatsoberhäupter Brasiliens, Mexikos, Südafrikas, Australiens und der Ukraine anreisen, wäre das nicht das Bild, das Modi von sich und Indien als neuer Weltmacht abgeben möchte.
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Um was genau soll es bei den "sanktionierten Morden im Ausland" denn überhaupt gehen?
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Angeblich hat Indien diverse Morde in Kanada beauftragt.
Mehr hier:
Zitat:Polizei in Kanada nimmt drei Verdächtige fest
Stand: 04.05.2024 09:09 Uhr

Der Mord an einem Sikh-Aktivisten sorgte im vergangenen Jahr für eine diplomatische Krise zwischen Kanada und Indien. Nun hat die Polizei drei Verdächtige in dem Fall festgenommen. Ob es Verbindungen zur indischen Regierung gibt, wird noch geprüft.
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das wären dann russische Methoden - und Israel oder die USA lassen ja auch selbst im Ausland morden, und den Saudis hat man gleiches in der Türkei nachgewiesen.
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