Russland vs. Ukraine
Zum ukrainischen Vorstoß auf Kursk:

Der ukrainische Oberkommandierende Syrskyj hat erstmals die Öffentlichkeit umfassend gebrieft. Die Karte ist von einem Slide abfotografiert und zeigt die Lage vor zwei Tagen aus ukrainischer Sicht. Die Qualität ist nicht besonders gut, deswegen habe ich Sudscha und Korenewo als Anhaltspunkte eingezeichnet. Die blauen Rechtecke zeigen natürlich ukrainische Einheiten, die roten Rauten russische.

[Bild: https://s20.directupload.net/images/240821/77uwfh8z.jpg]

Man muss hinzufügen: Diese Karte enthält mit Sicherheit veraltete oder bewusst irreführende Informationen. Die Ukrainer wären schwerlich so blöde, die Standorte ihrer Einheiten und Verbände derart offenzulegen.

Laut der 'Neuen Zürcher Zeitung' umfasst der ukrainische Vorstoß etwa 10.000 Soldaten, davon 6.000 in Russland in Kämpfe verwickelt. Die Russen hätten in dem Gebiet nur 5.000 Soldaten. Noch seien keine Kräfte von der Front aus der Ukraine abgezogen worden, doch seien Truppen durch die Offensive gebunden, die in die Ukraine hätten verlegt werden sollen. (Quelle)

Dem widerspricht nun aber der Milblogger 'Romanow Light'. Er meldet einen ukrainischen Vorstoß auf das besetzte Saporischschja, dem zugute komme, dass von dort Truppen zur Verteidigung von Kursk abgezogen worden seien. Die Ukrainer nützten jetzt einfach ihre Gelegenheit. Er schließt mit den Worten: "Gerassimow, pennst du etwa?" (Quelle)

Zum russischen Vorstoß im Donbass:

Anders sieht es nordwestlich von Donetsk aus. Das russische Verteidigungsministerium behauptet, dass Nju Jork erobert worden sei. (Quelle) Von ukrainischer Seite liegt kein Kommentar vor. Perpetuas Lagekarte vermerkt das Stadtgebiet als russisch kontrolliert bzw. umkämpft.

Zur militärischen Gesamtlage der Ukraine:

In seiner Präsentation äußerte sich Syrskyj auch zur Bedrohung der Ukraine durch russische Luftangriffe und zeigte eine entsprechende Statistik, die Abfangerfolge seit Jahresbeginn und die verursachten Schäden auflistet. Ich habe sie nachstehend übersetzt bzw. zusammengefasst.

[Bild: https://s20.directupload.net/images/240821/8gy9n4t7.jpg]

Die obere Tabelle schlüsselt die Angriffe nach Datum auf. Interessanter ist die untere. Sie nennt in der ersten Spalte die russische, nordkoreanische oder iranische Bezeichnung des Waffensystems, dahinter folgt die Zahl der insgesamt auf die Ukraine abgefeuerten Waffen dieses Typs, dann die der Abfangerfolge. In der letzten Spalte steht aufgeschlüsselt, wie viele militärische und zivile Objekte jeweils von der Waffenwirkung betroffen waren. Rosa hervorgehobene Waffen bezeichnete Syrskyj im Vortrag als besonders gefährlich bzw. schwierig abzufangen. Zur Verdeutlichung habe ich die Abfangquote auf ganze Zahlen abgerundet ergänzt, da sie interessanterweise nicht immer mit der Einstufung als besonders schwierig abzufangen übereinstimmt. Das weist meines Erachtens deutlich darauf hin, dass hier der Abfangerfolg ausblieb, weil keine Flugabwehrsysteme oder -munition zur Verfügung standen.

Marschflugkörper, subsonisch
  • Ch-101/555—1.846 geortet, 1.441 abgefangen; 276 zivile Ziele, 129 militärische Ziele (Abfangquote 78%)
  • 3M14 Kaliber—804 geortet, 443 abgefangen; 137 zivile Ziele, 314 militärische Ziele (Abfangquote 55%)
  • 9M727/8/9 Iskander-K—202 geortet, 76 abgefangen; 97 zivile Ziele, 29 militärische Ziele (Abfangquote 37%)
Marschflugkörper, supersonisch
  • 3M55 Onyx²—211 geortet, 12 abgefangen; 161 zivile Ziele, 38 militärische Ziele (Abfangquote 5%)
  • Ch-22/32² ¹—362 geortet, 2 abgefangen; 271 zivile Ziele, 89 militärische Ziele (Abfangquote <1%)
Marschflugkörper, hypersonisch
  • 3M22 Zirkon² ¹—6 geortet, 2 abgefangen; 4 zivile Ziele, 0 militärische Ziele (Abfangquote 33%)
  • Ch-47M2 Kinschal—111 geortet, 28 abgefangen; 68 zivile Ziele, 15 militärische Ziele (Abfangquote 25%)
Ballistische Raketen
  • 9M723 Iskander-M¹ und Hwasong-11Ga*—1.300 geortet, 56 abgefangen; 980 zivile Ziele, 262 militärische Ziele (Abfangquote 4%)
  • 9K79 Totschka-U¹—68 geortet, 6 abgefangen; 40 zivile Ziele, 22 militärische Ziele (Abfangquote 8%)
  • S-300P/S-400³ ¹—3.008 geortet, 19 abgefangen; 2.176 zivile Ziele, 813 militärische Ziele (Abfangquote <1%)
Luft-Boden-Raketen kurzer und mittlerer Reichweite
  • Ch-35²—15 geortet, 1 abgefangen; 5 zivile Ziele, 9 militärische Ziele (Abfangquote 6%)
  • Ch-25/29/31/48/59/59¹—1.547 geortet, 343 abgefangen; 944 zivile Ziele, 259 militärische Ziele (Abfangquote 22%)
  • nicht identifiziert—57 geortet, 0 abgefangen; 38 zivile Ziele, 19 militärische Ziele (Abfangquote 0%)
Kamikaze-Drohnen
  • Shahed 131/6—13.315 geortet, 8.836 abgefangen; 1.004 zivile Ziele, 3.469 militärische Ziele (Abfangquote 66%)
  • andere—682 geortet, 436 abgefangen; 18 zivile Ziele, 228 militärische (Abfangquote 63%)
¹) als Schwierig abzufangen eingestuft
²) Seezielflugkörper, gegen See- und Landziele abgefeuert
³) Flugabwehrrakete, gegen Landziele abgefeuert

Die Zahlen verdeutlichen, dass die Ukraine weiterhin Flugabwehrwaffen und -munition dringend benötigt. Außerdem zeigt sich eine massive Diskrepanz zwischen der Zahl der angegriffenen militärischen und der zivilen Ziele. Für ein absichtliches Terrorbombardement spricht auch, dass Waffen mit hoher Marschgeschwindigkeit und geringer Vorwarnzeit überwiegend auf zivile Ziele abgefeuert werden.

Nicht zuletzt zeigt sich, dass Drohnen nach wie vor nicht die größte Sorge sind. Zu bedenken ist hier, dass ein System wie Shahed 136 einen Gefechtskopf von 40 bis 60 kg trägt und leicht abzufangen ist, während bspw. der Kaliber-Flugkörper einen Gefechtskopf von 500 kg hat.

Zu Entwicklungen in Russland, die sich auf den Krieg auswirken können:

Die 'NZZ' analysiert in einem Artikel die russische Wirtschaftslage. Die Zeitung urteilt: "Der neue Glaube an die fortgesetzte Resilienz der russischen Wirtschaft ist so verfehlt wie die ursprüngliche Erwartung eines kurzfristigen Einbruchs." Schon die Umstellung auf Kriegswirtschaft habe einen abrupten Absturz verhindert, doch spreche einiges für einen langfristigen Abwärtstrend, denn: "In der kurzen Frist wird die Wirtschaftsleistung durch die Nachfrageseite bestimmt, in der langen Frist durch die Angebotsseite." Kurzfristig wachse die russische Wirtschaft jetzt, da mehr Geld in die Industrie fließt. Das Wachstum beruht aber nicht auf Konsumgütern und Wohlstand, sondern auf Waffen und Munition.

Die Zeitung betont: "Die aggregierte Wirtschaftsleistung taugt in Kriegszeiten eben nur begrenzt als Wohlstandsindikator." Denn: "Die Verdreifachung der Militärausgaben und der höhere Aufwand für interne Unterdrückung verdrängen öffentliche Ausgaben, die für den Erhalt des Produktionspotenzials unabdingbar wären. Kombiniert man die Zahlen der jüngsten russischen Staatsbudgets mit Inflationsdaten, ergibt sich ein klares Bild: Die Mittel für Bildung, Gesundheit, Infrastrukturentwicklung und dergleichen sind real deutlich am Sinken. Auf diese Weise erodieren die Kriegslasten das Produktionspotenzial der russischen Wirtschaft." (Quelle)
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(21.08.2024, 08:32)muck schrieb: Laut der 'Neuen Zürcher Zeitung' umfasst der ukrainische Vorstoß etwa 10.000 Soldaten, davon 6.000 in Russland in Kämpfe verwickelt. Die Russen hätten in dem Gebiet nur 5.000 Soldaten. Noch seien keine Kräfte von der Front aus der Ukraine abgezogen worden, doch seien Truppen durch die Offensive gebunden, die in die Ukraine hätten verlegt werden sollen. (Quelle)

Dem widerspricht nun aber der Milblogger 'Romanow Light'. Er meldet einen ukrainischen Vorstoß auf das besetzte Saporischschja, dem zugute komme, dass von dort Truppen zur Verteidigung von Kursk abgezogen worden seien. Die Ukrainer nützten jetzt einfach ihre Gelegenheit. Er schließt mit den Worten: "Gerassimow, pennst du etwa?" (Quelle)

Wenn die ukr. Operation das Ziel hatte russ. Truppen von der Ostfront abzulenken dann ist dieses scheinbar bisher nicht erreicht worden. Diese Problematik könnte die ukr. Militärführung dazu verleiten noch mehr Truppen in die Offensive zu werfen um noch weiter vorrücken zu können. Eine selbst gestellte Falle droht wenn man sich dazu entschließt weitere Reserven dafür einzusetzen.
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Wenn Du das aus dem zitierten Abschnitt ableitest, wie es den Anschein hat, da könnte ich persönlich nicht mitgehen.

Erstens sehe ich keine Anzeichen dafür, dass der ukrainische Kräfteansatz seit Beginn der Opposition erhöht wurde. Es standen von Anfang an mehrere Brigaden bereit.

Zweitens gibt es schon seit dem 08.08. Anzeichen dafür, dass die Russen eben doch Kräfte von der Front abziehen (Panzer aus Woltschansk, jetzt Personal aus Saporischschja)… nur eben nicht nordwestlich von Donetsk und Horliwka.

Da haben sie ja momentan auch einen Lauf, dass sie da mit dem Druck nachlassen würden, war nicht zu erwarten.

Jedoch: Der russische Vorstoß gegen Charkiw scheint zum Erliegen gekommen zu sein. Und auch an anderen Abschnitten, war zuletzt zu lesen, hat der Druck nachgelassen.
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Zum ukrainischen Vorstoß auf Kursk:

Der Milblogger-Kanal 'Rybar' (~1,3 Mio. Follower) meldet einen ukrainischen Vorstoß auf das Kirchdorf Snagost, was die Einschließung Korenewos ermöglichen würde. Der ukrainische Vorstoß halte weiter an und sei in keiner Richtung wirklich zum Stehen gebracht. Russische Verstärkungen träfen jedoch ein und würden bald die Wende bringen. (Quelle) Z-Blogger Swjatoslaw Golikow (~55.000 Follower) geht aus der Froschperspektive noch weiter: "Übrigens, wenn einer denkt, dass der Feind seine Erfolge [nördlich von Sudscha] übertreibt, lautet die Antwort: Nein! Die Situation ist wirklich sehr schwierig. Und das ist nicht der einzige Bereich, in dem alles sehr schwierig ist." (Quelle)

Mit dem Angriff Steiners wird das alles in Ordnung kommen …

Zur militärischen Lage Russlands:

Letzte Nacht kam es zu einem erfolglosen ukrainischen Angriff auf Ziele in Moskau. (Quelle) Insgesamt wurden wohl 10 Drohnen abgeschossen.

Zur geopolitischen Lage:

Die Werchowna Rada hat das Römische Statut angenommen und die Ukraine der Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs unterworfen. Allerdings wurde ein Vorbehalt erklärt: Kiew wird keine Staatsangehörigen an den IStGH überstellen, wenn diese zwischen 2024 und 2031 eines Verbrechens gegen internationales Recht beschuldigt werden. (Quelle)

Sehr ambivalente Sache. Auf der PR-Ebene halte ich diesen prinzipiell richtigen Schritt in dieser Form für problematisch. Denn zwar sind solche Vorbehalte einerseits (leider) völlig normal; Deutschland bspw. hat in seiner Unterwerfungserklärung bestimmt, dass es keine Bundeswehrsoldaten für im Ausland begangene Taten ausliefern wird. Doch hat Russland sich dem IStGH überhaupt nicht unterworfen, und die Ukrainer sollten, wenn sie die Bestrafung russischer Entscheidungsträger durch internationale Gerichte fordern, sich selbst keine Vorzugsbehandlung einräumen. Ich wüsste auch nicht, warum das überhaupt nötig wäre. Die ukrainischen Streitkräfte achten das Völkerrecht ohnehin.

Zu Entwicklungen in Russland, die sich auf den Krieg auswirken können:

Apropos Milblogger …

Auf Telegram und im russischen Fernsehen wird gerade auf regierungsnahen Kanälen massiv Stimmung gemacht gegen die im Volk beliebten Z-Blogger. "Der Hauptfeind ist gefunden!", verkündet etwa der nationalistische Kanal 'Unser Königreich' (~83.000 Follower) und behauptet: "Seit Tagen wird im Fernsehen über den gewaltigen Schaden berichtet, den "Milblogger" während der ukrainischen Invasion verursacht haben. Ein argloser Mensch könnte sogar denken, dass es die Blogger waren, die unsere Dörfer und Weiler angegriffen, besetzt und Zivilisten gemordet haben." Für den Autor ist klar: "Wenn die Blogger fallen, fällt Kiew. Wer das nicht versteht, ist ein Feind und ein Verräter." Behauptet wird auch, dass die Blogger "1,5 Mio. Uniformen aus den Lagern", Munition und sogar Drohnen gestohlen hätten, wovon kaum jemand etwas wisse. (Quelle)

Fernsehen wie Regierung lenken ganz offensichtlich nur von ihrer eigenen Verantwortung ab. Denn zwar wurde der vernichtende HIMARS-Angriff bei Rylsk, wo gut 400 russische Soldaten auf einmal fielen, wirklich durch einen Verstoß gegen die Prämisse Feind hört mit! ermöglicht; nur war es eben das Fernsehen, das die Truppenbewegungen in die Welt hinausposaunte, und nicht die Blogger.

'Dostojewski-Club' (Politologe und Armeeangehöriger, ~110.000 Follower) spottet daher an die Adresse der Kritiker: "'So, lasst uns alle Blogger einsperren, und sofort werden wir gewinnen'. So verkünden es sinngemäß die föderalen Medien. [Igor Girkin alias] Strelkow aber sitzt im Gefängnis, er sagt und schreibt nichts. […] Na, siegen wir schon? Und wer kann den Kern dessen widerlegen, was Strelkow gesagt hat? Wann hat Strelkow von der Notwendigkeit gesprochen, in Belgorod und Kursk die Territorialverteidigung aufzubauen? Im Sommer 2022 etwa?!" (Quelle)

Ich lehne mich mal aus dem Fenster und behaupte: Wenn die Milblogger verschwinden, gerät Russland ernstlich in Gefahr, den Krieg zu verlieren.

Denn sie berichten nicht nur von der Front und dienen mit der Propaganda, die sie mehrheitlich betreiben, durchaus den Kriegsanstrengungen. Sie stellen auch die Kommunikation zwischen Einheiten und Verbänden sicher, verbreiten schneller als jeder offizielle Kanal Informationen über neue ukrainische Vorstöße, Waffen, Taktiken; sie versorgen die Freiwilligen mit einem insgesamt recht zutreffenden Bild davon, was sie an der Front erwartet, erklären ihnen, wie sie sich zu verhalten haben, und welche Ausrüstung sie sich beschaffen sollten. Nicht zuletzt organisieren sie im quasi-industriellen Maßstab Material- und Lebensmittelspenden für die Frontverbände, darunter auch Drohnen und Schutzwesten.

Ihr Einfluss auf die russischen Kriegsanstrengungen kann meines Erachtens kaum überschätzt werden. Denn spätestens ab der Ebene der Verbandskommandeure (Bataillon aufwärts) ist die russische Armee keine Meritokratie mehr, sondern ein wie zu Napoleons Zeiten quasi-aristokratisch organisierter Komplex, wo Führungsverantwortung erhält, wer mächtige Freunde bzw. Verwandte hat oder reich ist.

Sie ist gekennzeichnet durch eine Führung, die den unteren Ebenen relevante Informationen vorenthält, weil sie dem Propagandanarrativ widersprechen, und von militärischen Führern, die lieber Männer in den Tod schicken, als ihren Vorgesetzten Misserfolge melden zu müssen. Die Milblogger helfen, diese erheblichen Mängel zu kompensieren. Sind sie nicht mehr da, werden es die Russen schmerzhaft spüren.

Verdrängt werden Bestenauslese und Kritikfähigkeit auch in der zivilen Verwaltung, wo Russland nun den Umbau des Staates von der Bundesrepublik zum zentralistisch-autoritären System weiter vorantreibt. Seit dem 08.08. haben die Gouverneure die Befugnis, gewählte Amtsträger aller Ebenen nach einmaliger Verwarnung abzusetzen, wenn diese nicht binnen eines Monats tun, was ihnen in der Verwarnung aufgetragen wurde. (Quelle)

Dazu muss man wissen, dass seit 2021 die russischen Gouverneure, die zwar weiterhin gewählt werden, vom Präsidenten jedoch ihrerseits verwarnt und widrigenfalls abgesetzt und ausgetauscht werden können. Das ist faktisch das Ende der Demokratie in Russland. Denn nicht nur können so unliebsame Volksvertreter aus jedem erdenklichen Grund entfernt werden. Es wird auch sichergestellt, dass sich andersdenkende Russen kaum mehr um öffentliche Ämter bewerben werden, es hat ja keinen Sinn. Wofür man vorher Schmutzkampagnen in den Medien, Schlägertypen und Fensterstürze brauchte, das kann jetzt hochoffiziell auf dem Dienstweg erfolgen: Wer sich nicht auf Linie bringen lässt, der fliegt.

Zu Kriegsverbrechen:

Laut Danielle Bell, der Beauftragten der Vereinten Nationen für die Menschenrechtslage im Russo-Ukrainischen Krieg, erleiden fast alle ukrainischen Gefangenen in russischer Hand Folter. Dem niederländischen Fernsehen sagte sie: "Sie werden schon bei der ersten Befragung gefoltert. Sie werden mit Metallstangen geschlagen und starken Elektroschocks ausgesetzt. Sie werden nackt ausgezogen. Es ist schrecklich. Es ist das Schlimmste, was ich in meiner 20-jährigen Laufbahn der Gefangenenbesuche im Auftrag der VN gesehen habe. Folter ist weit verbreitet und wird systematisch angewendet. 95 % der ukrainischen Kriegsgefangenen werden gefoltert [.]" Bell unterstrich auch: "Die ukrainischen Behörden gewähren uns ungehinderten Zugang zu den Lagern und provisorischen Gefängnissen, in denen Kriegsgefangene untergebracht sind. Obwohl es zu Beginn der Invasion einige Probleme gab, haben wir in den letzten 1,5 Jahren Bedingungen beobachtet, die dem Humanitären Völkerrecht entsprechen" (Quelle).
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Zum russischen Vorstoß auf Charkiw:

Die Ukrainer haben auf Brigadeebene einen Angriff auf die russischen Stellungen im Raum Charkiw gestartet und sind nach eigenen Angaben zwei Kilometer weit vorgerückt. Die Russen hätten 300 Gefallene zu beklagen. (Quelle) Bemerkenswerterweise halten die Russen immer noch die vollständig umzingelte Maschinenfabrik PJSC Woltschansker Aggregatewerk. Das Gelände, das in der zweiten Juniwoche erobert wurde, ist nur 90.000 m² groß und seit dem 11.07. durch einen 250 m breiten ukrainischen Streifen von den eigenen Linien abgeschnitten. Allerdings eignen sich die massiven Industriebauten gut zur Verteidigung und sind auf zwei Seiten von der Woltscha umflossen (ca. 15 m breit, keine Ahnung wie tief).

Zu ukrainischen Angriffen auf die Krim:

Vor Port Kawkas in der Straße von Kertsch ist die Ro-Ro-Fähre "Conro Trader" von einem ukrainischen Seezielflugkörper getroffen worden und nach einem Brand gesunken. Das Schiff war offenbar mit Treibstoff oder brennbaren Chemikalien beladen. (Quelle)

Die Versorgung der Krim per Schiff wird damit zusehends schwieriger. Zumindest für den ökonomischen Transport von Massegütern und voluminösen bzw. besonders schweren Einzellasten (z.B. Baumaschinen, Panzer) geht den Russen langsam, aber sicher der Transportraum aus.

Zur Lage der russischen Armee:
(03.08.2024, 12:50)Schneemann schrieb: Ein weiterer möglicher Hinweis zu hohen russischen Verlusten - offenbar ist man dazu übergegangen, aus Verbänden im Hinterland, die normal nur Verwaltungs-, Versorgungs- oder Instandhaltungsaufgaben wahrzunehmen hätten, Kampfeinheiten zu bilden. Deren Kampfwert dürfte wahrscheinlich ähnlich niedrig sein wie bei den hastig aus nicht benötigtem Marine- oder Luftwaffenpersonal behelfsmäßig zusammengestellten deutschen Felddivisionen in der Endphase des Zweiten Weltkrieges...
https://armyrecognition.com/focus-analys...in-ukraine

Allerdings ist es sicherlich keine gute Idee, wenn man vergleichsweise gut und teuer ausgebildete Fachleute (wie Flugingenieure etc.) an der Front verheizt. Denn diese Fachleute sind nicht so schnell zu ersetzen wie der viel bemühte "Bauer", dem man eben das Gewehr in die Hand drückt und ihm einen Crashkurs gibt...

Schneemann
Die britische Regierung meldet, dass das Regiment im Raum Kursk zum Einsatz komme. Ihm gehörten sogar die Bedienmannschaften von Frühwarnflugzeugen an. (Quelle)

Wenn man schon AWACS-Crews als Infanterie einsetzt, bedeutet das nicht nur einen akuten Personalmangel, sondern auch, dass die ukrainischen Abschüsse mehrerer Berijew A-50 im Winter und Frühling die Einsatzbereitschaft dieser Teilflotte empfindlich reduziert haben müssen. Ganz offensichtlich hat man mehr einsatzbereite Besatzungen als Flugzeuge.

Zur Lage der russischen Armee, part deux:

Ein dänischer Staatsbürger, der sich 2022 freiwillig zur russischen Armee gemeldet hatte und in der Ukraine eingesetzt wurde, hat sich gerichtlich die Entlassung erstritten. Seinen Angaben nach sei ihm insbesondere versprochen worden, er könne wählen, wo er in der Ukraine eingesetzt werden wolle, und dies wurde ihm dann verweigert. Außerdem sei der Krieg viel heftiger gewesen, als man ihm geschildert habe. Während die erste Instanz noch gegen ihn urteilte, gab das Appellationsgericht seiner Klage mit der Begründung statt, er sei des Russischen nicht mächtig gewesen und habe deshalb nicht wissen können, was in seinem Vertrag stehe. Das Gericht ordnete seine Entlassung an. (Quelle)

Dieses Urteil ist bemerkenswert. Nicht-russische Staatsbürger in russischen Diensten (v.a. Inder, Nepalesen und Sudaner), behaupten immer wieder, wenn sie in ukrainische Gefangenschaft geraten, dass sie geglaubt hätten, Arbeitsverträge für bloße Hilfsdienste (wie Bauarbeiten) zu unterschreiben. Sie hätten nicht gewusst, dass man sie an die Front schicken werde. Wenn andere dem Beispiel des Dänen folgen, könnte das die Truppenstärke der Russen weiter schwächen. Selbst wenn man sie nicht gehen lässt, dürfte ihre Kampfmoral leiden.
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(23.08.2024, 02:23)muck schrieb: Nicht-russische Staatsbürger in russischen Diensten (v.a. Inder, Nepalesen und Sudaner), behaupten immer wieder, wenn sie in ukrainische Gefangenschaft geraten, dass sie geglaubt hätten, Arbeitsverträge für bloße Hilfsdienste (wie Bauarbeiten) zu unterschreiben. Sie hätten nicht gewusst, dass man sie an die Front schicken werde.

Das Urteil ist nur so zu interpretieren, dass auch russische Gerichte Dänen einfach glauben müssen, während das für Nepalesen etc. wohl nicht gilt.

Denn: Dänen lügen nicht.
https://www.youtube.com/watch?v=RS9GaBs137A
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Zumindest bei den Indern wird Putin auf die Bremse treten müssen. Dass Modi not amused ist, hatte im Juli sogar 'RIA Nowosti' gemeldet, und das will was heißen Big Grin
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Hui, musste hier fast zwei Wochen nachlesen, hab erst jetzt das WLAN im Spital gefunden Big Grin

Daher zwei, drei Zitat seit ca. dem 12.08.:

Zuerst zur Reserve der Ukraine von 14 Brigaden:
muck schrieb:Die Reserve war auch Gegenstand von Debatten in der Rada, wo gefordert wurde, sie zur Entlastung der Angehörigen der an der Front stehenden Brigaden einzusetzen. Es galt aber von Anfang an als gesichert, dass ein Teil der Kräfte dauerhaft im Raum Kiew vorgehalten wird, um einen möglichen zweiten Angriff von Belarus aus abzufangen (die Grenze ist 90 km entfernt).

Und wie sieht das denn jetzt aus? Wird Kiew aktuell noch verteidigt? Wäre evtl. ja noch relevant, siehe 2022.

Aus dem NZZ-Artikel über die Analyse der russischen Wirtschaftsleistung:
muck schrieb:Die Zeitung betont: "Die aggregierte Wirtschaftsleistung taugt in Kriegszeiten eben nur begrenzt als Wohlstandsindikator." Denn: "Die Verdreifachung der Militärausgaben und der höhere Aufwand für interne Unterdrückung verdrängen öffentliche Ausgaben, die für den Erhalt des Produktionspotenzials unabdingbar wären. Kombiniert man die Zahlen der jüngsten russischen Staatsbudgets mit Inflationsdaten, ergibt sich ein klares Bild: Die Mittel für Bildung, Gesundheit, Infrastrukturentwicklung und dergleichen sind real deutlich am Sinken. Auf diese Weise erodieren die Kriegslasten das Produktionspotenzial der russischen Wirtschaft."
Seh ich nicht so als Problem für Russland, eher als Strategie. Wir diskutieren ja über russische Sklavensoldaten und den Nihilismus in der Gesellschaft, was die für uns unvorstellbare Leidensfähigkeit des russischen Kanonenfutters überhaupt erst ermöglicht. Die russische Gesellschaft muss weiter verdummen und niedergewirtschaftet werden, da in 20 Jahen der nächste Stoss für neues Territorium mit der nächsten herangewachsenen Generation emotionsloser Sklavensoldaten ansteht. Eine erodierende Bildung und Infrastruktur ist dafür sogar Voraussetzung.
Russland und die ganze Welt lernen seit zwei Jahren, dass man sein Territorium ausdehnen und halten kann, wenn man nur genügend Menschenleben dagegenwirft. Russland lernt gerade, dass es mit dieser Strategie einen Krieg gewinnen kann. Und wie schon gesagt wurde: Die Westeuropäer wären in derselben Situation schon lange gegen die Russen zusammengebrochen. Insbesondere diejenigen, die immer von sich behaupten, wehrbereit zu sein (also mein eigenes Volk. die Schweizer...). Es ist hier einzig der Leidensfähigkeit der Ukrainer geschuldet, dass es in der Ukraine noch nicht dazu gekommen ist.
Russland wird also genauso weitermachen: Produktion von seelenlosen Soldatenmassen, um den Gegner zu erdrücken. Seelenlose, defätistische Menschen rebellieren auch nicht zuhause gegen die Regierung. Praktisch.

Schon allein deswegen darf Russland diesen Krieg unter gar keinen Umständen gewinnen. Sonst geht es in 20 Jahren dann einfach weiter, wenn die Bestände wieder aufgebaut sind.

Ich wäre so froh, wenn wir hier bei uns einfach das ganze Armeematerial samt und sonders in die Ukraine schicken würden. Wir brauchen keine Leo2 und keine M109 in der Schweiz, die waren immer gegen die Russen gedacht, aber wir sollten nicht warten, bis die an unserer Grenze stehen. In Mitholz im Berner Oberland wird ein riesiges Munitionslager zurückgebaut, unter grossen Kosten. Die ganzen Granaten sollte man heiss über russischen Verbänden abrüsten lassen, durch ukrainische Operatoren, anstatt teuer zurückzubauen. Wir liefern nicht mal Munition für den Gepard, auf dessen Oerlikon-Kanonen wir so stolz sind hierzulande. Es ist eine einzige Schande.
Aber eben, Neutralität und so...es steht halt auch einiges auf dem Spiel. Offenbar auch, wenn das rein Böse seit zwei Jahren einen bestialischen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. Zum Kotzen.

muck schrieb:Apropos Milblogger …

Auf Telegram und im russischen Fernsehen wird gerade auf regierungsnahen Kanälen massiv Stimmung gemacht gegen die im Volk beliebten Z-Blogger.
Sperrt sie alle ein! Es nützt uns natürlich mehr, wenn Putin und co. nur noch hören, es sei alles unter Kontrolle, während die ukrainische Armee bereits höflich an die goldene Kremltür klopft.
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Wie ihr wisst interessieren mich völkerrechtliche Fragen. Und es scheint wir haben hier Know-How. Daher folgende ernst gemeinte Frage ohne jede Wertung:

Lassen wir die Entwicklung zwischen 2014 und 2014 auf der Krim mal weg.

Der Angriff der Russen auf das Staatsgebiet der Ukraine im Februar 2024 war nach einhelliger Auffassung "des Westens" ein Angriffskrieg. So wird es in D offiziell bezeichnet. Von Politikern und "den" Medien.

Die Russen nennen es SMO und haben den Kriegszustand so weit mir bekannt ist nicht erklärt.

Jetzt stehen seit mehreren Tagen ukrainische Truppen auf russischem Gebiet. Nicht auf den schnell durch Russland annektierten ursprünglich ukrainischen Oblasten sondern auf "russischen Kerngebiet" (Oblast Kursk).

Da es keinen völkerrechtlich erklärten Kriegszustand zwischen Russland und der Ukraine gibt, ist dieser Angriff der Ukrainer nicht genau so als Angriffskrieg zu werten wie der russische Angriff 2024?

Ist der Angriff der Ukrainer nicht auch völkerrechtswidrig zu werten?

Was sagt die UNO und der UN Sicherheitsrat? Wie wird dort die Lage bewertet?

Ich würde mich über eine sachliche, juristische Diskussion freuen, unabhängig davon wer "der Böse" ist oder wer welche moralischen "Rechte" hat oder nicht.
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(23.08.2024, 17:51)Hinnerk2005 schrieb: ....

Da es keinen völkerrechtlich erklärten Kriegszustand zwischen Russland und der Ukraine gibt, ist dieser Angriff der Ukrainer nicht genau so als Angriffskrieg zu werten wie der russische Angriff 2024?
...
ich denke, das ist der entscheidende Punkt.
Es muss keine "formale Kriegserklärung" geben, um einen Kriegszustand zu haben.

Im III Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907 ist zwar eindeutig geregelt:
Zitat: „Artikel 1.
Die Vertragsmächte erkennen an, daß die Feindseligkeiten unter ihnen nicht beginnen dürfen ohne eine vorausgehende unzweideutige Benachrichtigung, die entweder die Form einer mit Gründen versehenen Kriegserklärung oder die eines Ultimatums mit bedingter Kriegserklärung haben muß.

Artikel 2.
Der Kriegszustand ist den neutralen Mächten unverzüglich anzuzeigen und wird für sie erst nach Eingang einer Anzeige wirksam, die auch auf telegraphischem Wege erfolgen kann. Jedoch können sich die neutralen Mächte auf das Ausbleiben der Anzeige nicht berufen, wenn unzweifelhaft feststeht, daß sie den Kriegszustand tatsächlich gekannt haben.

Artikel 3.
Der Artikel 1 dieses Abkommens wird wirksam im Falle eines Krieges zwischen zwei oder mehreren Vertragsmächten. Der Artikel 2 ist verbindlich in den Beziehungen einer kriegführenden Vertragsmacht und den neutralen Mächten, die gleichfalls Vertragsmächte sind.“
- allerdings belegt die Kriegserklärung lediglich "beweisbar", dass es einen Kriegszustand gibt. D. h. die Gesetze des Krieges gelten nach dem Kriegsvölkerrecht schon nach einseitiger Kriegserklärung. Diese ist wohl nur "nachrichtlich" und nicht "konstitutiv".
Nur gibt es nämlich auch "unerklärte Kriege". Das ist der Fall, wenn ein Staat einen anderen mit Krieg überzieht, ohne seine vertragliche Verpflichtung aus dem Haager Abkommen nachzukommen.
Sollte dann etwa das Kriegsvölkerrecht nicht gelten? Wäre der angreifende Staat dann frei, sich ohne jede Beschränkung sämtlicher Kriegshandlungen zu bedienen?
Dann gäbe es auch keine Kriegsverbrechen, weil ja kein "erklärter Krieg" und damit kein Kriegszustand vorlag.
Das kann es doch nicht sein.*)

Da es vielfach an Kriegserklärungen fehlt, sprechen die wissenschaftlichen Autoren heute regulär von „internationalen bewaffneten Konflikten“ - und schließen damit den "erklärten Krieg" wie auch den "unerklärten Krieg" mit ein.
Nun gibt es in der Vergangenheit einige Beispiele für "unerklärte Kriege".
Hitlers Überfall auf das Sudetenland wird als "unerklärter Krieg" bezeichnet (SPIEGEL).
In dem Sinne können auch die "grünen Männchen" auf der Krim (2014) als Teil eines "unerklärten Krieges" bezeichnet werden.
Allerdings könnte man diese beiden Ereignisse auch noch als "bewaffnete Zwischenfälle" bezeichnen.

Etwas anderes gilt wohl für den Vietnamkrieg **). Auch da gab es keine "Kriegserklärung" - und trotzdem ist die h.M. wohl, dass es sich tatsächlich um einen richtigen internationalen Krieg (und nicht nur einen Bürgerkrieg) handelte. Dafür sprechen sowohl die Beteiligung offizieller bzw. regulärer Truppeneinheiten auf beiden Seiten (hier Nordvietnam und USA), die Intensität der Kämpfe zwischen den Beteiligten wie auch die lange Zeit der Auseinandersetzungen.

Etwas weiter zurück: würdest Du Hitlers Ansprache "Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen" als formale Kriegserklärung einschätzen? Das "Zurückschießen" könnte man doch genauso als "militärische Sonderoperation" abtun, die nicht mehr als einen "bewaffneten Zwischenfall" zum Inhalt hat.
Und doch wird Hitlers Überfall als Beginn des zweiten Weltkriegs gewertet.

Die Heftigkeit der Kämpfe an der russisch-ukrainischen Grenze, die Beteiligung regulärer Truppeneinheiten und die Dauer der Auseinandersetzung seit 2022 lassen nicht mehr die Einordnung als "bewaffneter Zwischenfall" zu. Es handelt sich tatsächlich um einen Krieg zwischen Russland und der Ukraine.

Und damit sind auch den von Dir aufgeworfenen Fragen die Grundlagen entzogen.

*)
Ich weiß, ich vertrete hier eine Meinung, die nicht überall geteilt wird. Aus der Sicht der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags bedarf es dagegen zweier Elemente: 1) des bewaffneten Kampfes zwischen Staaten oder Staatengruppen und 2) einer Kriegserklärung oder eines entsprechenden Ultimatums.
Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: Die völkerrechtliche Definition von Krieg. Sachstand WD 2 – 3000 -175/07

**)
Eine Liste der bewaffneten Militäroperationen der USA gibt es bei "Tante Wiki". Schau Dir einfach einmal diese Liste an und entscheide selbst, was Du als "bewaffneten Zwischenfall" oder als "Krieg" beurteilen würdest.
Und danach googelst Du einfach mal, wo es bei diesen "Kriegen" tatsächlich eine formale Kriegserklärung gab.
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(23.08.2024, 17:51)Hinnerk2005 schrieb: Da es keinen völkerrechtlich erklärten Kriegszustand zwischen Russland und der Ukraine gibt

Eine formale Kriegserklärung wird völkerrechtlich heute als irrelevant betrachtet, da die ursprüngliche Forderung durch das Haager Abkommen von 1907 durch die UN Charta von 1945 und die gerade nicht auf einen formalen Kriegszustand reduzierte Gewaltanwendung ersetzt wurde:

Zitat:Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.

https://unric.org/de/charta/

Im übrigen genau deswegen, weil in der Zwischenzeit die meisten Kriege schlicht nicht mehr erklärt wurden, um die völkerrechtlichen Konsequenzen zu negieren. Daraus ergibt sich dann auch das dagegen gerichtete Selbstverteidigungsrecht. Entsprechend heißt es in Artikel 2 des Genfer Abkommens von 1949:

Zitat:Ausser den Bestimmungen, die bereits in Friedenszeiten zu handhaben sind, ist das vorliegende Abkommen in allen Fällen eines erklärten Krieges oder jedes anderen bewaffneten Konflikts anzuwenden, der zwischen zwei oder mehreren der Hohen Vertragsparteien entsteht, und zwar auch dann, wenn der Kriegszustand von einer dieser Parteien nicht anerkannt wird.

https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1951/181_184_180/de

Falls dich diese Thematik näher interessiert empfehle ich diesen Aufsatz dazu:
https://css.ethz.ch/content/specialinter...5c38d80952

Dort wird im letzten Satz festgehalten:
Zitat:In conclusion, nowadays, there is no significant legal reason to differentiate between declared and undeclared wars.

Unabhängig davon wäre allerdings die ukrainische Offensive auch dann kein Angriffskrieg, wenn das zuvor geschriebene anders wäre. Schon rein logisch ist ein Angriffskrieg eine Aktion, keine Reaktion. Davon kann aber in dem Fall keine Rede sein, die ukrainische Offensive kann nicht unabhängig von dem russischen Angriff 2022 betrachtet werden, sondern ist eine direkte Folge von eben jenem und völlig losgelöst vom formalen Status rechtens.
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Danke für euren Input. Besonders für die Artikelempfehlung.

Nachfrage zu Helios Post. Wenn es kaum noch einen juristischen Unterschied macht ob Kriege erklärt werden oder nicht, wie kann man dann durch einen de facto stattfindenden Krieg der eben nicht erklärt wurde die "völkerrechtlichen negativen Konsequenzen" meiden?
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(23.08.2024, 17:51)Hinnerk2005 schrieb: Der Angriff der Russen auf das Staatsgebiet der Ukraine im Februar 2024 war nach einhelliger Auffassung "des Westens" ein Angriffskrieg. So wird es in D offiziell bezeichnet. Von Politikern und "den" Medien.

Die Russen nennen es SMO und haben den Kriegszustand so weit mir bekannt ist nicht erklärt.

Jetzt stehen seit mehreren Tagen ukrainische Truppen auf russischem Gebiet. Nicht auf den schnell durch Russland annektierten ursprünglich ukrainischen Oblasten sondern auf "russischen Kerngebiet" (Oblast Kursk).

Da es keinen völkerrechtlich erklärten Kriegszustand zwischen Russland und der Ukraine gibt, ist dieser Angriff der Ukrainer nicht genau so als Angriffskrieg zu werten wie der russische Angriff 2024?
Wenn man der westlichen Interpretation folgt, dann ist es eine Handlung im Rahmen der Selbstverteidigung.
Folgt man der russischen, dann ist Kursk wohl ebenfalls eine militärische Sonderoperation.

Somit also in jedem Fall legitim. Angel
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(23.08.2024, 20:26)Helios schrieb: […] ist eine direkte Folge von eben jenem und völlig losgelöst vom formalen Status rechtens.
Man kann es nicht oft genug betonen. Ich dachte, mich trifft der Schlag, als selbst das 'Nachgefragt'-Format der Bundeswehr auf Youtube sich "aufgrund der vielen Nachfragen" genötigt sah klarzustellen, dass die Ukraine durch den Kursk-Vorstoß keineswegs zum Aggressor wird.
(23.08.2024, 22:50)Hinnerk2005 schrieb: Nachfrage zu Helios Post. Wenn es kaum noch einen juristischen Unterschied macht ob Kriege erklärt werden oder nicht, wie kann man dann durch einen de facto stattfindenden Krieg der eben nicht erklärt wurde die "völkerrechtlichen negativen Konsequenzen" meiden?
Man kann es nicht. Das Völkerrecht will nichts weniger, als dass Regierungen sich ihrer Verantwortung entziehen können, indem sie Etikettenschwindel betreiben und einen offenkundigen Krieg eine "Polizeiaktion" oder dergleichen Blödsinn nennen.

Das Völkerrecht stellt deshalb auf den tatsächlichen Zustand ab und nicht auf die Deutung des Zustands durch Regierungen.

Die entfaltet allein im Innenverhältnis eine gewisse Wirkung, siehe z.B. die Neubewertung des Afghanistaneinsatzes in Deutschland. (Durch sie änderte sich nur, welches nationale Recht – StGB oder VStGB – deutsche Gerichte auf deutsche Soldaten anzuwenden hatten. Andere Staaten und internationale Organisationen hielten den Bundeswehreinsatz schon lange vorher für einen bewaffneten Konflikt, es brauchte nicht erst Guttenbergs Geistesblitz, um ihn zu einem solchen zu machen.)

Der Verzicht auf eine Kriegserklärung hat im auswärtigen Bereich heute allenfalls noch symbolische Bedeutung; der angreifende Staat will nicht als Aggressor gelten und ggf. den Verbündeten des Staates, gegen den man Krieg führt, keinen hochoffiziellen Grund geben, sich in den Krieg einzumischen.

Wirklich interessant ist der Verzicht auf eine Kriegserklärung nur noch im Innenverhältnis. Warum vermeidet bspw. Russland die Kriegserklärung?

Erstens: Man bildete sich ernsthaft ein, die Ukraine binnen dreier Tage zu unterwerfen. Danach den Krieg zu erklären, wäre ein Eingeständnis von Schwäche vor dem eigenen Volk gewesen.

Zweitens: Durch eine Kriegserklärung würden viele russische Gesetze und Teile der Verfassung außer Kraft gesetzt, wodurch auch die letzten Reste von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Russland verschwänden. Alle Macht, auch die Befugnisse der autonomen Teilrepubliken, würden sich im Kreml konzentrieren. Man kann sich vorstellen, wie z.B. die mit Mühe befriedeten Tschetschenen auf das Ende ihrer inneren Autonomie reagieren würden.

Spätestens nach der Kriegserklärung wäre Putin also das, was zu sein er immer verleugnet hat: ein Diktator. Aber: Dann würde auch alle Verantwortung bei ihm liegen. Für das Kursk-Fiasko z.B. könnte er nicht mehr Gerassimow und Smirnow als die Schuldigen hinstellen, sondern er wäre der Schuldige, weil er alle Fäden in der Hand hält.

Drittens: Würde Russland den Krieg erklären, gingen damit die Mobilmachung und die Aufhebung aller Restriktionen hinsichtlich des Einsatzes von Wehrpflichtigen einher.

Gerade das will Moskau aber nicht.

Dass Putin im März 2022 die illegal dort eingesetzten Wehrpflichtigen aus der Ukraine zurückholte, war ein Rosenstraße-Moment, eines der wenigen Male, dass er sich öffentlichen Protesten beugte. Der Eindruck dieser Proteste wirkt bis heute nach, er versucht krampfhaft, den Krieg von der für ihn wichtigen westrussischen Mittelschicht fernzuhalten.

Denn es gilt als Binsenweisheit in der russischen Innenpolitik, dass jede Regierung fest im Sattel sitzt, solange die Einwohner von Piter und Nicht-aus-Gummi (Sankt Petersburg und Moskau) Ruhe geben. Dort leben die Leute, denen Putin noch aufs Maul schaut. Und die nicht an die Front sollen müssen.

Konsequenterweise kommt die große Mehrheit der russischen Gefallenen in diesem Krieg aus den Föderationssubjekten südlich von Don und Wolga, aus Baschkortostan, Tuwa, Burjatien, aus Südsibirien und Fernost (Quelle). Mit anderen Worten: Die Nicht-Slawen und die Nicht-Christen aus dem Süden und Osten müssen die Drecksarbeit erledigen, damit die wohlhabenden Slawen im Westen sich nicht gestört fühlen und nicht auf dumme Gedanken kommen.

Putin wird sich hüten, etwas daran zu ändern, solange er es nicht muss.

Fun fact: Kein Territorium der russischen Föderation hat proportional mehr Kriegstote zu beklagen als der Autonome Kreis der Nenzen. Von diesem indigenen Volk am Polarkreis lebten 2021 nur noch rund 6.500 Menschen. Die nenzische Dissidentin Nastja Lapsui behauptet, dass von diesen seit 2022 rund 900 Männer im Krieg gefallen seien. Das wären fast 14% des gesamten Volkes, und ein Großteil der Männer im wehrfähigen Alter.
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(23.08.2024, 22:50)Hinnerk2005 schrieb: Nachfrage zu Helios Post. Wenn es kaum noch einen juristischen Unterschied macht ob Kriege erklärt werden oder nicht, wie kann man dann durch einen de facto stattfindenden Krieg der eben nicht erklärt wurde die "völkerrechtlichen negativen Konsequenzen" meiden?

Wie muck bereits dargelegt hat geht es bei der formalen Kriegserklärung hinsichtlich der rechtlichen Konsequenzen nicht mehr um eine äußere, sondern nur noch um eine innere Wirkung. Theoretisch könnte es auch um explizite bi- oder multinationale Verträge gehen, aber weder ist mir da eine passende Formulierung bekannt, noch ergibt das wirklich Sinn.
Genau darauf zielten wie bereits erwähnt die kodifizierten Änderungen im Zuge der Gründung der UN ab, eben weil dies vorher anders gesehen werden konnte und tatsächlich auch wurde (hierzu empfiehlt sich ein Blick auf das Verhältnis von erklärten zu nichterklärten Kriegen, die dafür vermeintlichen Gründe und die sich ergebenen Unterschiede gerade bei der Anwendung unterschiedlicher völkerrechtlicher Regelungen).
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