Russland
(14.02.2021, 15:39)Schneemann schrieb: @lime

Nein, ich lese den Focus im Grunde nicht. Aber ich gebe durchaus auch zu, dass ich teils eine sehr kritische Grundhaltung gegenüber dem Kreml habe. Ich schaue danach, dass die Grundhaltung in der Argumentation neutral bleibt, muss aber einräumen, dass es auch seinen Grund hat, weswegen meine Signatur sich in 15 Jahren nicht verändert hat.

Schneemann.

Meines Erachtens ist der Artikel wohl zum Teil schlecht recherchiert. Das mit der NPD dürfte Schirinowski gewesen sein oder eine andere radikale Splitterpartei. Und in der Sache das deutsche Rechtsextremisten bei einer russischen Pseudomiliz trainieren liest es sich so als ob Putin das befürworten würde. Wahrscheinlicher dürfte sein dass es einfach nicht verboten ist, da die Waffengesetze in Rußland eben viel weniger restriktiv sind. Auch orientieren sich besagte deutsche Rechtsextremisten scheinbar mehr in Richtung Ukraine, zumindest hat das meine (kurze) Recherche ergeben. Passt für mich nicht so ganz zusammen.
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Sowohl als auch, das hängt starkt von der Frage ab welche rechtsextreme Gruppe man betrachtet. Es sind hier sowohl Verbindungen nach Russland wie auch in die Ukraine vorhanden. Es wird zudem angenommen, dass Russland aktiv rechtsextreme Gruppen aller Art in Westeuropa fördert.

Rechte russische Milizen werden allerdings durchaus auch direkt von Putin gefördert und in jeder Weise gehätschelt. Das hat nichts mit laxen Waffengesetzen zu tun, dass kenne ich aus eigener Anschauung, war ja durchaus mehrere Jahre dort. Die kriegen offizielle behördliche Genehmigungen für Sachen weit jenseits russischer Waffengesetze und sind teilweise wirklich eng mit dem russischen Militär verbandelt, üblicherweise aber eher mit den Streitkräften des Innenministieriums.
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Tschetschenen bedrohen offen Putin und russische Journalisten. Hintergrund ist eine Veröffentlichung in Russland über systematische Folter durch das sogenannte Kadyrow-Regiment der Tschetschenen.

https://www.instagram.com/tv/CMhmywYoD0L...fs6094jh40

Ist nicht das erste Mal, Kadyrow selbst hat früher schon solche Äußerungen selbst getätigt, allerdings nicht so direkt und auf diese Weise per Instrgram Video.

Diese Vorfälle zeigen dass Russland schwächer ist als es hier wahrgenommen wird und Putin in Wahrheit ein stabilisierender Faktor dessen Wegfall zwingend dort Umbrüche zur Folge haben wird deren Fernwirkungen kaum kalkulierbar sind.
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Zitat:Diese Vorfälle zeigen dass Russland schwächer ist als es hier wahrgenommen wird und Putin in Wahrheit ein stabilisierender Faktor dessen Wegfall zwingend dort Umbrüche zur Folge haben wird deren Fernwirkungen kaum kalkulierbar sind.
Wobei das aber auch einer tschetschenischen Überheblichkeit geschuldet sein kann - und dem Umstand, dass man sich dort recht sicher fühlt, weil man sich für unverzichtbar hält. Abgesehen davon aber, wenn man denn Putin als Stabilitätsgaranten ansehen mag, muss man genau ihm selbst kolossales Versagen vorwerfen. Welche Schutzmechanismen bestehen, wenn er geht oder stürzt? Wer könnte sein Nachfolger werden?

Es gibt zwar eine undurchsichtige Kamarilla von Nutznießern (wobei davon sogar ein Teil aus der alten Oligarchen-Klientel der 1990er stammt), die aber meiner Meinung für eine verantwortungsbewusste Staatsführung, ja für eine staatstragende Rolle nicht taugen. Als eine Art Identifikationsfigur - etwas, dass Putin durchaus zu einem gewissen Grad für seine Person erreicht hat (so fair muss man ihm ggü. sein) - kann hier niemand wirklich herhalten. Und das ist genau genommen aber auch sein Versagen hinsichtlich der Zukunft des Landes: Es gibt keinen Plan B. Es gibt nur ihn, den Patriarchen. Er, der unabdingbar und unverzichtbar wirken will und der alles lenkt, der große Übervater, an den sich die Seele des Volkes anlehnen kann. Der Grund eben, weswegen auch keine Nachfolger großartig aufgebaut (worden) sind.

Aber genau dieser Umstand kann zur größten Bürde für das Land werden, wenn die Macht des Patriarchen schwindet bzw. wenn er gar innerhalb kurzer Zeit stürzen sollte. Er hinterlässt dann ein Loch, ein Vakuum, das wiederum allerlei dubiose Gestalten anziehen wird, erfahrungsgemäß. Und hierin besteht - wenn ich versuchen würde, einmal im Sinne eines prorussischen Verständnisses zu argumentieren - das größte Risiko für Russland bezüglich dem Erbe Putins. Wenn es Putin also wirklich um Russland gehen würde, würde er jetzt schon beginnen, mit dem Aufbau eines Nachfolgers zu beginnen. Je länger er aber nun wartet, desto mehr Irritationen und zukünftige Flurschäden verursacht er hinsichtlich der Stabilität Russlands in der Zukunft.

Schneemann.
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(22.03.2021, 10:10)Schneemann schrieb: Wobei das aber auch einer tschetschenischen Überheblichkeit geschuldet sein kann - und dem Umstand, dass man sich dort recht sicher fühlt, weil man sich für unverzichtbar hält. Abgesehen davon aber, wenn man denn Putin als Stabilitätsgaranten ansehen mag, muss man genau ihm selbst kolossales Versagen vorwerfen. Welche Schutzmechanismen bestehen, wenn er geht oder stürzt? Wer könnte sein Nachfolger werden?

Es gibt zwar eine undurchsichtige Kamarilla von Nutznießern (wobei davon sogar ein Teil aus der alten Oligarchen-Klientel der 1990er stammt), die aber meiner Meinung für eine verantwortungsbewusste Staatsführung, ja für eine staatstragende Rolle nicht taugen. Als eine Art Identifikationsfigur - etwas, dass Putin durchaus zu einem gewissen Grad für seine Person erreicht hat (so fair muss man ihm ggü. sein) - kann hier niemand wirklich herhalten. Und das ist genau genommen aber auch sein Versagen hinsichtlich der Zukunft des Landes: Es gibt keinen Plan B. Es gibt nur ihn, den Patriarchen. Er, der unabdingbar und unverzichtbar wirken will und der alles lenkt, der große Übervater, an den sich die Seele des Volkes anlehnen kann. Der Grund eben, weswegen auch keine Nachfolger großartig aufgebaut (worden) sind.

Aber genau dieser Umstand kann zur größten Bürde für das Land werden, wenn die Macht des Patriarchen schwindet bzw. wenn er gar innerhalb kurzer Zeit stürzen sollte. Er hinterlässt dann ein Loch, ein Vakuum, das wiederum allerlei dubiose Gestalten anziehen wird, erfahrungsgemäß. Und hierin besteht - wenn ich versuchen würde, einmal im Sinne eines prorussischen Verständnisses zu argumentieren - das größte Risiko für Russland bezüglich dem Erbe Putins. Wenn es Putin also wirklich um Russland gehen würde, würde er jetzt schon beginnen, mit dem Aufbau eines Nachfolgers zu beginnen. Je länger er aber nun wartet, desto mehr Irritationen und zukünftige Flurschäden verursacht er hinsichtlich der Stabilität Russlands in der Zukunft.

Schneemann.

Es gibt doch noch Medwedew? Generell haben doch auch westliche Länder ähnliche Probleme. Da gibt es oft auch keine geeigneten Nachfolger.
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Zitat:Es gibt doch noch Medwedew? Generell haben doch auch westliche Länder ähnliche Probleme. Da gibt es oft auch keine geeigneten Nachfolger.
Medwedew wird faktisch keine große Rolle spielen. Sein Support durch die Institutionen ist zu gering, zudem hält sich seine Beliebtheit im Volk in Grenzen. Der Vgl. zu westlichen Staaten hinkt zudem: Einen derartigen, beinahe Personenkult-ähnlichen Mythos um den Staatsführer findet man im Westen nirgendwo - zumal hier genügend Kontrollmechanismen vorliegen, die derartige Tendenzen unterbinden würden.

Schneemann.
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(22.03.2021, 14:29)Schneemann schrieb: Medwedew wird faktisch keine große Rolle spielen. Sein Support durch die Institutionen ist zu gering, zudem hält sich seine Beliebtheit im Volk in Grenzen. Der Vgl. zu westlichen Staaten hinkt zudem: Einen derartigen, beinahe Personenkult-ähnlichen Mythos um den Staatsführer findet man im Westen nirgendwo - zumal hier genügend Kontrollmechanismen vorliegen, die derartige Tendenzen unterbinden würden.

Schneemann.

"Merkel" im Zusammenhang mit dem Wort "alternativlos" stellt für mich durchaus etwas Ähnliches dar. Auch das Machtvakuum mit Ausdifferenzierung des Parteiensystems gibt es jetzt schon obwohl sie noch im Amt ist. Medwedew ist immerhin aktuell Vorsitzender der erfolgreichsten Partei Rußlands. Um Präsident zu werden müsste er allerdings aus der Partei austreten, da nur Parteilose Präsident werden dürfen. Die Frage ist ob er dieses Wagnis unternehmen wird wenn es soweit ist.
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Nun denn, der Vergleich mit Frau Merkel ist hier doch wenig zielführend. Man mag sie gut finden oder kritisieren, jeder wie er/sie mag, aber nur weil sie in demokratischen Wahlen eben über Jahre hinweg immer wieder im Amt bestätigt wurde, und sie übrigens mit wechselnden Koalitionen regierte, bedeutet dies nicht, dass sie die CDU bzw. den Großteil des deutschen Parteienspektrums beherrscht, die Medien und die Geheimdienste kontrolliert und nach weitestgehendem Belieben die Justiz anweisen kann, einen unliebsamen Kritiker abzuservieren.

Um wieder auf Medwedew zurückzukommen: Ich glaube nicht, dass er bereit wäre, sich diesem Wagnis auszusetzen. Er hatte in der Vergangenheit Kritik an manchen russischen Verhältnissen geäußert (das war sicherlich entweder mutig - oder, wenn es abgesprochen war nach dem Schema "guter Cop" und "böser Cop", sicherlich geschickt), aber ansonsten blieb er blass im Hintergrund. Während er Präsident war (2008-2012) ging die Mehrheit der Russen immer von aus, dass er nur vorgeschoben im Amt und Putin der Strippenzieher war. Und heute dürfte das genauso sein. Seiner Reputation hat das zwar nicht geschadet, aber ein Ersatz für Putin ist er dadurch nicht geworden. Ich mutmaße mal, dass - wenn er Nachfolger wird, wenn Putin komplett abtritt - es sogar zu wachsendem Unmut in der Bevölkerung käme ob dieser Personalie. Nicht deswegen, weil er ein schlimmer Finger wäre, sondern deswegen, weil viele ihm vermutlich gar nicht zutrauen, die Probleme des Landes zu stemmen und sich führungsstark im Dickicht des Kreml durchzusetzen.

Schneemann
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Die Verfassungsänderung hat für Putin bereits einen Posten etwas im Hintergrund im Föderationsrat geschaffen, was die steuernde Begleitung eines neue Präsidenten - Medwedew oder jmd anderem - nach seiner Zeit als Präsident erlauben würde. Der Staatsrat hingegen, der im Zuge des angestrebten Zusammenschlusses mit Belarus einst eine starke Position erlangen sollte, wurde für das Referendum wieder ganz erheblich zurückgestuft. Nebenbei: Zur Absicherung des neuen Konstruktes gehört auch, dass der Präsident jetzt auch formal die Verfassungrichter vorschlagen und absetzen kann.
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(23.03.2021, 13:23)Ottone schrieb: Die Verfassungsänderung hat für Putin bereits einen Posten etwas im Hintergrund im Föderationsrat geschaffen, was die steuernde Begleitung eines neue Präsidenten - Medwedew oder jmd anderem - nach seiner Zeit als Präsident erlauben würde. Der Staatsrat hingegen, der im Zuge des angestrebten Zusammenschlusses mit Belarus einst eine starke Position erlangen sollte, wurde für das Referendum wieder ganz erheblich zurückgestuft. Nebenbei: Zur Absicherung des neuen Konstruktes gehört auch, dass der Präsident jetzt auch formal die Verfassungrichter vorschlagen und absetzen kann.

Zumindest kann das Volk in Rußland den Präsidenten selbst wählen. Auch wenn es natürlich medial und durch Sicherheitsapparate beeinflusst wird besteht zumindest noch diese Möglichkeit.
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Inklusiv der Verhinderung relevanter Kandidaten im Vorfeld und Wahlfälschungen.
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(23.03.2021, 17:38)Ottone schrieb: Inklusiv der Verhinderung relevanter Kandidaten im Vorfeld und Wahlfälschungen.

Also ich bezweifle dass 2018 irgendetwas gefälscht werden musste damit Putin gewinnt. Es gab auch mindestens einen gut bekannten westlich orientierten Kandidaten. Fakt ist die Wähler wollten diesen nicht. Selbst ein Kommunist und ein Rechtsextremer lagen weit vor diesem Mann, der nur auf etwas über 1% kam.
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Die Wahl war vor allem so angelegt, dass sie nur ein Ergebnis haben konnte (u.a. laut OSZE). Trotzdem gab es auch Wahlfälschung, selbst wenn diese nicht wirklich notwendig war, so sorgte sie doch für ein akzeptableres Ergebnis insbesondere im Hinblick auf die Wahlbeteiligung.
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(23.03.2021, 21:11)Ottone schrieb: Die Wahl war vor allem so angelegt, dass sie nur ein Ergebnis haben konnte (u.a. laut OSZE). Trotzdem gab es auch Wahlfälschung, selbst wenn diese nicht wirklich notwendig war, so sorgte sie doch für ein akzeptableres Ergebnis insbesondere im Hinblick auf die Wahlbeteiligung.

Das glaube ich persönlich nicht wirklich. Ich habe selbst vor vielen Jahren oft als Wahlhelfer ehrenamtlich mitgewirkt und meines Erachtens ist es in halbwegs entwickelten Staaten heutzutage unmöglich im großen Stil Wahlen zu fälschen. Man muss bedenken dass die kleinsten Einheiten bei uns Wahllokale unabhängig voneinander ihre Ergebnisse melden, die für jeden einsehbar sind (auch in Rußland). Ein Betrug würde also nur direkt im Wahllokal funktionieren aber nicht auf den höheren Ebenen. Nur Auszählungen können beobachtet werden von den Wählern. Dies ist auch in Rußland möglich und wird dort sogar häufiger praktiziert. Aufmerksame Beobachter können sich direkt bei der Auszählung die Stimmen notieren und dann mit dem offiziell gemeldeten Ergebnissen vergleichen. Damit würde ein versuchter Betrug sofort auffallen. Ist kein Beobachter vor Ort dann gäbe es theoretisch Möglichkeiten, auch bei uns, um zu betrügen. Allerdings müssten dafür alle Wahlhelfer in einem Lokal entweder zusammen den Betrug begehen oder echte Schlafmützen sein. Betrugsmöglichkeit wäre zum Beispiel bei der Meldung des Wahllokalergebnisses die Stimmen zweier Parteien zu tauschen. Ich bin mir sicher dass dieser Betrug sogar relativ häufig versucht wird aber eben fast immer auffällt und dann war es halt ein Zahlendreher. Eine andere Möglichkeit wäre Stimmen auf den falschen Stapel zu legen usw. Tricks gibt es da sicher Einige aber die Meisten werden auffliegen bzw. dann als "menschliche Fehler" noch korrigiert werden. In den Meisten Wahllokalen wird es aber sauber zu gehen. Ich konnte als Wahlhelfer damals jedenfalls keinerlei absichtlichen Betrug feststellen. Eine andere Sache ist wiederum die Briefwahl bei der es auch eine Lücken gibt. Trotzdem glaube ich dass ein Gesamtergebnis maximal um 1-2% gefälscht werden könnte ohne wirklich aufzufallen und Putin hat damals 77% der Stimmen im ersten Wahlgang bekommen. Meines Erachtens ein eindeutiger Sieg. Ich bin häufig geschäftlich in Osteuropa und auch in Rußland unterwegs und auch die Unternehmer dort sind fast alle nicht westlich orientiert. Im Gegenteil wird der Westen als schwach empfunden und eher verachtet. Wenn es das Sytem Putin mal abgewählt wird dann wird der neue Gewinner ein radikaler Nationalist sein, da bin ich mir sicher. Und der kommunistische Kandidat wäre auf Platz 2.
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Ich denke der Bewertung der OSZE kann man gut vertrauen. Ansonsten illustriert u.a. Wikipedia die Schwierigkeiten der Präsidentschaftswahl 2018. Russland ist heute eine Anscheinsdemokratie, aber keine funktionierende Demokratie.

Ein Nationalist als Nachfolger von Putin: Das klingt plausibel, wobei ich das Wort "radikal" gestrichen habe. Toll wäre jedenfalls ein Präsident der den Rechtsstaat repariert.
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