Der Zweite Burenkrieg
#16
Zitat:Die Buren waren eine Kriegerkultur, d.h es gab eine weitgehende Überschneidung zwischen Zivilbevölkerung und dem im Kriegszeiten zu mobilisierenden Heer. Gemessen an der Gesamtbevölkerung konnte man daher enorme Mannzahlen ins Feld führen.

Ich glaube nicht, daß dies einer Definition für Krieger oder Kriegerkultur entspricht. Allerdings möchte ich Deiner nicht grundsätzlich widersprechen. Es geht ja um Betrachtungsweisen.

Zitat:Die besondere Tauglichkeit und Organisation ergibt sich wiederum (für den Ersten Burenkrieg noch mehr als für den Zweiten) aus den besonderen religiösen (reformierte Kirche, sehr dezentral aber vergleichsweise Bildungsbewusst) und sozioökonomischen (viele selbstständige Farmer, d.h. enormes militärrelevantes Vorwissen) Umstände der burischen Staaten.

Dem messe ich gleichfalls größten Wert zu! Ich habe das (durch Verschwägerung) auch aus der Schweiz so mitbekommen.
Nebenbei bemerkt, der Begriff militärrelevantes Vorwissen ist äußert interessant und potenziell themenerweiternd (etwa für einen eigenen Strang).

Zitat:Zudem lebten sie auch noch als Grenzkrieger, d.h. sie waren es aus der Tradition der Vortrekker her gewohnt, mobil zu sein und grundsätzlich in eine ihnen feindlich gesonnene Umwelt vorzustoßen.

Wiederum die Definition von Krieger, die mir keine gängige zu sein scheint. Zudem schreibe ich dem Buren eher Scholleninstinkt zu und nicht Nomadeninstinkt. Was aber keine Wertung darstellt. Die Buren betrieben (oder ließen betreiben) ebenso Stellungsbau wie die Briten. Die burischen Stellungen aber wurden getarnt. Sie hatten damit sozusagen begonnen. Das entspricht auch mehr einem Schollendenken als einem Routendenken.

Zitat:Die britische Heeresorganisation würde ich allerdings keinesfalls so kritisch sehen ...

Die britische Heeresorganisation sehe ich kritisch im Kontext deren eigener Begründung. Ich platzierte dazu einen eigenen Link vom britischen Unterhaus.

Die soziale Komponente (gesellschaftliche Ordnung), wie Du sie hier treffsicher beschreibst, kommt noch dazu und verstärkt die nachteiligen Folgen.

Das war ja auch kein britisches Spezifikum. In legerer Spielart gab's das auch im K. u. K. Reich.
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#17
Nelson:

Zitat:Einen ausgezeichneten, sehr ausführlichen Überblick über Tugela gibt Dr. Spencer auf youtube (https://www.youtube.com/watch?v=O7PLimxfro0). Zur finalen Artillerieunterstützung gehts etwa um Minute 44 herum.

Vielen Dank für diese sehr gute Vernetzung, hochinteressant ! Ich finde es immer faszinierend wie die gleichen Daten verschiedene Bilder erzeugen können.

Er nennt auch die Verluste: Die Briten erlitten 2182 Mann Verluste, die Buren ca. 500. Angesichts der extremen zahlenmässigen Überlegenheit der Briten und der Menge des Artilleriefeuers ein enormes Ergebnis für die Buren woraus sich meiner Meinung nach ergibt, dass das Artilleriefeuer in Wahrheit insgesamt (also auf die gesamte Schlacht bezogen) nicht so relevant war wie hier dargestellt. Die Schlacht zog sich recht lange hin. Ich weiß zudem aus einem Buch explizit dass die viel zahlreichere britische Feldartillerie (5 Batterien) unter burisches Gewehrfeuer geriet und sich zwei britische Feldartillerie-Batterien mit großen Verlusten zurück ziehen mussten.

Was hier im Film ausgeführt wird ist die Wirkung der schweren Artillerie auf britischer Seite - meiner Kenntnis nach 14 Geschütze - welche zu Steilfeuer / Bogenfeuer fähig waren und aufgrund ihrer größeren Granaten in den burischen Schützengräben sehr wirksam waren. Was schließlich die Buren in den Gräben so weit niederhielt dass die britische Infanterie durchstoßen konnte. Das war aber eben nicht die für die Schlacht ausschlaggebende Szene denn damit die englische Artillerie überhaupt auf diese Weise wirken konnte musste sie richtig stehen. Diese Positionierung war erst dadurch möglich, als es den Briten am 18 Februar gelungen war die burischen Stellungen zu flankieren und diese Flankenbewegung entschied bereits die Schlacht, war der ausschlaggebende Moment und hatte eben keine wirksame Artillerieunterstützung (Artillerie war da, aber nicht wirksam).

Vor allem die 2 Brigade der 2 Division der Briten eroberte unter hohen Verlusten die sogenannte Höhe von Monte Christo und die 6 Brigade der 3 Division den sogenannten Green Hill. Dadurch waren die Burischen Stellungen bei Hlangwane von der Flanke her bedroht und die Buren mussten sie räumen. Dem folgend brachten die Briten die schweren Geschütze nach Hlangwane und erst von dort aus entfalteten sie dann den hier im Film beschriebenen Effekt auf den Rest der burischen Schützengräben (das burische Stellungssystem war da aber bereits durch die genannte Flankierung im Prinzip am auseinanderfallen).

Trotzdem scheiterten die Engländer noch bis zum 25 Januar fortwährend an den burischen Stelllungen und versuchten dann diese erneut zu flankieren. Erst bei diesem Flankenangriff wurde dann ein Pfad entdeckt auf welchem die britische Artillerie in eine günstigere Stellung gebracht werden konnte. Die 5 Infanterie-Divison griff dann von der Flanke aus die Buren an, während die Artillerie diese in den Gräben beschäftigte und eine weitere Division band die Buren im Zentrum und in der Flanke.

Und hier kommt nun der Punkt der im Film angesprochen wird, dass aufgrund dieses massiven Trommelfeuers der Briten an dieser Stelle dann der Einbruch in die burischen Stellungen gelang. Das war aber nur ein Teil einer vom 12 bis zum 28 andauerenden Schlacht. Und nach diesem Einbruch durch das Artilleriefeuer am 25 kam der britische Angriff bereits um 14 Uhr des gleichen Tages wieder zum Stillstand. Von einer die Schlacht dominierenden und bestimmenden Wirkung kann daher meiner Meinung nach keine Rede sein.

Um 14:30 Uhr wurden bereits die britischen Reserven in den Kampf geworfen und von den Buren abgeschlagen. Um 15 Uhr stürmte dann die 5 britische Brigade unter Walter Kitchener im Bajonettangriff den sogenannten Railway Hill von dem aus die Buren die Briten erneut gestoppt hatten. Damit brach die burische Front zusammen. Erst danach erfolgte der genannte Angriff der 4 Brigade auf die restlichen Teile der burischen Stellungen bei denen die Überreste der bereits zurückfallenden burischen Einheiten sowie deren Nachhut von der britischen Feldartillerie dann niedergehalten wurden, womit auch der sogenannte Hart Hill von der 4 Brigade überrannt werden konnte.

Natürlich also spielte die Artillerie eine Rolle und das Sperrfeuer der schweren britischen Geschütze in Form eines Trommelfeuers im Bogenschuss war meiner Kenntniss nach das erste dieser Art (von der Massivität her) aber im ganzen Geschehen war das nur eine Episode von vielen und ohne die vorherigen verlustreichen und dann erfolgreichen Versuche der Briten in die Flanke der Buren zu stoßen wäre es nicht mal dazu gekommen. Die Infanterie erkämpfte überhaupt erst die Möglichkeit dazu und als sich die Buren dann zurück fallen ließen war auch (vorübergehend) wieder keine Artillerie da. Als diese dann wieder eingriff war die Schlacht im Endeffekt schon vorbei.

Von daher ist mein Bild etwas anders als das des Filmes. Die effektive Wirkung der Artillerie wird in dem Film meiner Meinung nach zu stark überhöht im Vergleich zur wesentlich größeren Leistung und Bedeutung der britischen Infanterie insgesamt. Er will meiner Ansicht nach eine klare Linie und Kontinuität von diesem Krieg direkt in den Ersten Weltkrieg ziehen. Und zweifelsohne war diese Schlacht das erste Mal, dass Artillerie in dieser zukunftsweisenden Weise eingesetzt wurde (Trommelfeuer - welches auch aufrecht erhalten wird bis die eigenen Kräfte den feindlichen Graben erreichen). Das also hier "modernes" Artilleriefeuer aus einer günstigen Stellung heraus eingesetzt wurde bedeutet meiner Meinung nach eben nicht, dass dies der ausschlaggebende Faktor war. Die Wirkung wird meiner Meinung nach hier überschätzt, die der Infanterie, insbesondere der Flankenangriffe unterschätzt. Der Beleg dafür ist meiner Meinung nach nicht zuletzt das Verlustverhältnis.

Wäre die Artillerie so gewesen wie beschrieben, wären die britischen Verluste nicht mindestens 4 mal so hoch gewesen wie die burischen und je nach Quelle sogar bis zu 10 mal so hoch.
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#18
Noch eine Obskurität: Angeblich (hörte ich jetzt auch zum ersten Mal) wurde im Burenkrieg zum allerersten Mal kabellose Kommunikation (Funk) militärisch eingesetzt:

http://samilitaryhistory.org/diaries/wirelessabw.html

Zitat:The Boer War in South Africa (1899-1902) was the first occasion in which wireless communications were used in military conflict. This article traces the history from the point of view of both the British and the Boer forces, both of which had intentions to use this latest invention on the field of battle. Marconi's apparatus, in its most elementary form, went with the British Army to the front but failed; the Boers' German equipment was captured and never saw service. The British Army soon rejected wireless but the Royal Navy acquired the apparatus and made it work. No doubt circumstances and personalities played their part but by far the major factor in determining success and failure was the natural electromagnetic environment.
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#19
Zitat: Wiederum die Definition von Krieger, die mir keine gängige zu sein scheint. Zudem schreibe ich dem Buren eher Scholleninstinkt zu und nicht Nomadeninstinkt. Was aber keine Wertung darstellt. Die Buren betrieben (oder ließen betreiben) ebenso Stellungsbau wie die Briten. Die burischen Stellungen aber wurden getarnt. Sie hatten damit sozusagen begonnen. Das entspricht auch mehr einem Schollendenken als einem Routendenke

Mit Nomadismus oder Taktik hat die ganze Sache tatsächlich nichts zu tun, sondern mit der Beschreibung der Funktion, welche die burische Bevölkerung über einen längeren Zeitraum (ca. 1840-1880) übernahm: Das Leben an und in einer sich verschiebenden Frontier-Zone, vergleichbar etwa den russischen Kosaken oder nordamerikanischer Siedler. Zumeist (aber eben auch nicht zwingend) wirkten derartige Funktionsethnien im Dienst oder zumindest zum Nutzen eines Imperiums, in dem sie an dessen Peripherie Grenzsicherung sowie Ausdehnung in ein bestehendes Machtvakuum oder gegenüber einer feindlichen Großmacht übernahmen (Beispiel für ersteres: Kosaken in Sibierien, Beispiel für letzteres: Die habsburgische Militärgrenze).

Zitat: Die britische Heeresorganisation würde ich allerdings keinesfalls so kritisch sehen ...

Die britische Heeresorganisation sehe ich kritisch im Kontext deren eigener Begründung. Ich platzierte dazu einen eigenen Link vom britischen Unterhaus.

Ah, ich war von den paar Seiten der Freihandelsdiskussion zu Beginn des Links abgelenkt. Eine Haushaltsdebatte über die Größe und Ausstattung des Heeres in Friedenszeiten beginnt ab Column 433. Zu dem Beispiel sollte man allerdings bedenken: Es geht um das Heer und man schreibt das Jahr 1820 - und der Vortragende, Col. Thomas Davies, war ein ausgesprochener Kritiker der Verschwendung bei Militärausgaben. Lord Palmerston ist dem dann auch recht souverän entgegengetreten. Sobald Geld ins Spiel kommt und eine größere Menge über ein Budget zu entscheiden hat wird zudem immer ein gewisses wirtschaftliches Denken auftreten - schon Demosthenes und Eubulos haben sich trefflich darüber gefetzt
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#20
(20.01.2021, 23:19)Nelson schrieb: Mit Nomadismus oder Taktik hat die ganze Sache tatsächlich nichts zu tun, sondern mit der Beschreibung der Funktion, welche die burische Bevölkerung über einen längeren Zeitraum (ca. 1840-1880) übernahm: Das Leben an und in einer sich verschiebenden Frontier-Zone, vergleichbar etwa den russischen Kosaken oder nordamerikanischer Siedler. Zumeist (aber eben auch nicht zwingend) wirkten derartige Funktionsethnien im Dienst oder zumindest zum Nutzen eines Imperiums, in dem sie an dessen Peripherie Grenzsicherung sowie Ausdehnung in ein bestehendes Machtvakuum oder gegenüber einer feindlichen Großmacht übernahmen (Beispiel für ersteres: Kosaken in Sibierien, Beispiel für letzteres: Die habsburgische Militärgrenze).

Eine Funktion, die bei den Farmern im Wilden Westen (Frontier) tatsächlich ausgeprägt war. Ich kann mich aber nicht überwinden diese als Krieger zu bezeichnen. Das waren Farmer, die selbst ganz andere als Krieger bezeichnet haben, nämlich die Indianer. Ein "Kriegerfarmer" wäre tatsächlich beispiellos und wird etwa durch Wehrbauern auch nicht repräsentiert.

Krieger stellen per Definition Kasten oder Klassen dar. Wenn diese Definition nicht gelten soll, dann hast Du natürlich Recht.

(20.01.2021, 23:19)Nelson schrieb: Ah, ich war von den paar Seiten der Freihandelsdiskussion zu Beginn des Links abgelenkt. Eine Haushaltsdebatte über die Größe und Ausstattung des Heeres in Friedenszeiten beginnt ab Column 433.

Wofür ich mich entschuldige. Das ist fraglos reichlich viel Text für eine kleine Passage von Relevanz.

(20.01.2021, 23:19)Nelson schrieb: Sobald Geld ins Spiel kommt und eine größere Menge über ein Budget zu entscheiden hat wird zudem immer ein gewisses wirtschaftliches Denken auftreten - schon Demosthenes und Eubulos haben sich trefflich darüber gefetzt.

Dieser eine Umstand dominiert, überschlagen, 45 Prozent aller Beiträge in diesem Forum. Fein, sich hierin mit den beiden Herren Demosthenes und Eubulos in bester Gesellschaft zu wissen.

(20.01.2021, 23:16)Quintus Fabius schrieb: Noch eine Obskurität: Angeblich (hörte ich jetzt auch zum ersten Mal) wurde im Burenkrieg zum allerersten Mal kabellose Kommunikation (Funk) militärisch eingesetzt:

http://samilitaryhistory.org/diaries/wirelessabw.html

Wie interessant! Heliographen hatten sprichwörtlich Glanzzeiten im zweiten Burenkrieg und es wird dabei eine Rekordreichweite von mehr als 200km (Compassberg <—> Cockscomb) im Feldeinsatz genannt.
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#21
Pogu:

Zitat:Zudem schreibe ich dem Buren eher Scholleninstinkt zu und nicht Nomadeninstinkt. ....Das entspricht auch mehr einem Schollendenken als einem Routendenken.

Ein Teil der Buren lebte tatsächlich für geraume Zeit halbnomadisch, diese werden in Afrikaans > Trekboere < genannt. Diese zogen bereits zur Zeit der niederländischen Herrschaft ins Landesinnere, also noch bevor die Engländer dort überhaupt aktiv waren. Die Gründe waren ähnlich denen der späteren Voortrekker, primär wollte man Unabhängigkeit und sich nichts von der Niederländischen Ostindien Kompanie sagen lassen.

Die Voortrekker entwickelten ebenfalls zumindest zeitweilig halbnomadische Lebensweisen. Eine gewisse innere Unruhe verbunden mit dem Wunsch neuen Boden zu finden und umzubrechen galt als typisch burisch. In den kinderreichen Familien war es darüber hinaus zwingend notwendig dass jüngere Söhne in der Wildnis neue Farmen anlegten, und dass man stets bereit war schlechtere Böden für bessere aufzugeben oder weiter zu ziehen sollten die Felder erschöpft sein oder das Wasser in einer Region zu knapp werden, so dass diese Tradition des Vordringens in neue Gebiete nicht abriss. Dazu kam noch der vergleichsweise hohe Viehanteil im Verhältnis zum Anbau von Feldfrüchten. Die Unruhe mit dem Ziel des Weiterwanders hat im Afrikaans sogar ein eigenes Wort: trekgees.

Manche recht spezielle Charaktereigenschaften die man bei den Buren / Afrikaners findet lassen sich selbst heute noch auf solche halbnomadischen Einflüsse zurück führen. Beispielsweise die Vorliebe für Grillfreiern (Braai), der sehr hohe Fleischanteil in der Nahrung im allgemeinen (für klassische Bauernvölker untypisch) oder eine gewisse Neigung zu Unpünktlichkeit.


Allgemein:

Damit anonymen abstrakten Wörtern mal Bilder zur Seite gestellt werden:

https://www.youtube.com/watch?v=vjh78RIb51U

https://www.youtube.com/watch?v=thz3DQQNjTw
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#22
(26.01.2021, 11:44)Quintus Fabius schrieb: Ein Teil der Buren lebte tatsächlich für geraume Zeit halbnomadisch ....

Ein facettenreiches Völkchen. Die denkwürdige Schlacht am Ncome River im Jahr 1838 hatte tatsächlich eine, wie ich es interpretieren würde, halbnomadische Handschrift. Ein paar hundert Buren gegen bis zu zwei Myriaden Zulus (etwa 30fache Überlegenheit), mit dem Ergebnis von gerade mal drei verwundeten Buren aber bis zu dreitausend toten Zulus.
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