Abschreckung im Zeitalter irrationaler Akteure - am Beispiel des mittleren Ostens
#1
Hallo,

mein erster Post hier und gleich etwas K.I.-lastig ;-)

Ausgehend von diesem Video

[Video: https://youtu.be/ZmInkxbvlCs]

stellt sich die Frage nach Eskalationspotential und Eskalationsdominanz, wenn der Gegner ein irrationaler Akteur ist.

Diverse Theorien wie die des strukturellen Realismus (z.B. Prof. Mearsheimer) nehmen rationale Akteure an und haben meiner Ansicht nach keine bzw. nur unzureichende Antworten im Fall irrationaler Akteure.

Ich habe versucht, das Thema mit K.I. zu bearbeiten, würde mich aber auf menschliche Meinung freuen (weshalb ich meinen Beitrag hier poste).

Frage:

Gibt es einen Unterschied zwischen Eskalationspotential und Eskalationsdominanz?

ChatGPT:

Zitat:Ja, Eskalationspotenzial und Eskalationsdominanz sind verwandte, aber unterschiedliche Konzepte, die oft in der Militärstrategie, den internationalen Beziehungen oder in Eskalationsszenarien von Konflikten verwendet werden.

1. Eskalationspotenzial:
Dies bezieht sich auf die Fähigkeit oder Möglichkeit einer Partei, einen Konflikt in Bezug auf Intensität, Umfang oder Schwere zu eskalieren. Es geht um die verfügbaren Mittel (z. B. militärische, wirtschaftliche, politische), die eine Seite hat, um die Einsätze im Konflikt zu erhöhen. Zum Beispiel hat ein Land mit einem großen Arsenal fortschrittlicher Waffen ein höheres Eskalationspotenzial, weil es aus einer breiteren Palette von Optionen zur Eskalation des Konflikts wählen kann.

2. Eskalationsdominanz:
Dies bezieht sich auf die Fähigkeit einer Partei in einem Konflikt, auf eine höhere Intensitäts- oder Bedrohungsebene zu eskalieren, um den Gegner abzuschrecken oder zu schwächen. Mit anderen Worten: Die Partei mit Eskalationsdominanz ist in der Lage, bei jedem Schritt der Eskalation die Oberhand zu behalten, sodass jede weitere Eskalation durch den Gegner kontraproduktiv oder zu kostspielig für ihn wäre.

Eskalationsdominanz bedeutet, sowohl die Fähigkeit als auch den Willen zu haben, zu eskalieren und die Dynamik des Konflikts in jeder Phase zu kontrollieren. Dadurch wird sichergestellt, dass der Gegner entweder nicht weiter eskalieren kann oder nicht bereit ist, dies zu tun, weil die Konsequenzen zu schädlich wären.

Bestimmung, ob ein Gegner Eskalationsdominanz hat:
Mehrere Faktoren helfen dabei, die Eskalationsdominanz zu bestimmen:

Fähigkeiten: Die militärischen, wirtschaftlichen oder politischen Ressourcen, die jeder Seite zur Verfügung stehen. Wenn eine Seite die andere in jeder Eskalationsstufe deutlich übertreffen kann (z. B. konventionelle oder nukleare Fähigkeiten, Wirtschaftssanktionen), kann diese Seite Eskalationsdominanz haben.

Risikogrenzen: Eskalationsdominanz beinhaltet das Verständnis des Punktes, an dem eine Eskalation für den Gegner inakzeptabel oder zu kostspielig wird. Wenn eine Seite die Einsätze so erhöhen kann, dass sie die Risikoschwelle des Gegners übersteigt, hat sie Dominanz.

Bereitschaft zur Eskalation: Es reicht nicht aus, die Fähigkeiten zu haben. Die Seite mit Eskalationsdominanz muss auch eine Bereitschaft zur Eskalation signalisieren, die über das hinausgeht, was der Gegner zu ertragen bereit ist, entweder durch die Demonstration von Entschlossenheit oder durch frühere Handlungen.

Wahrnehmung der Entschlossenheit: Wenn eine Partei als entschlossener oder entschlossener wahrgenommen wird, zu eskalieren (auch bei hohen Kosten), könnte dies zur Eskalationsdominanz beitragen. Zum Beispiel, wenn ein Gegner glaubt, dass man trotz Risiken weiter eskalieren wird, könnte er nachgeben.

Asymmetrische Kosten: Wenn eine Seite auf eine Weise eskalieren kann, die dem Gegner unverhältnismäßig hohe Kosten auferlegt (während sie ihre eigenen Kosten gering hält), könnte sie Eskalationsdominanz erreichen. Dies könnte beinhalten, Schwachstellen zu nutzen oder Vorteile zu maximieren, die ihren Fähigkeiten einzigartig sind.

Kurz gesagt, Eskalationsdominanz ist ein dynamisches Gleichgewicht aus Macht, Fähigkeiten und Risikoschwellen, bei dem eine Seite bei jedem Schritt der Eskalationsleiter die Oberhand behält.

Frage: Was ist, wenn der Gegner trotz unzureichendem Eskalationspotential und fehlender Eskalationsdominanz seine Unterlegenheit nicht zugeben will und sich weigert, die Eskalationsdominanz der anderen Partei zu akzeptieren, sogar dann, wenn dies mit grossen Kosten verbunden ist? Zum Beispiel im Fall einer fanatischen oder autokratischen Führung, der die der Bevölkerung auferlegten Kosten und Opfern weitestgehend egal ist?

ChatGPT:

Zitat:Wenn ein Gegner sich weigert, die Eskalationsdominanz anzuerkennen, obwohl ihm das Eskalationspotenzial fehlt, entstehen komplexe Herausforderungen im Konfliktmanagement und in der Abschreckung. Dieses Szenario beinhaltet oft irrationale Akteure oder solche, die ideologische, persönliche oder auf das Überleben des Regimes ausgerichtete Ziele über nationale Interessen oder das Wohlergehen ihrer Bürger stellen. Führer wie Fanatiker oder Autokraten könnten Richtlinien verfolgen, die die Kosten für ihre Bevölkerung, das Militär oder die Wirtschaft ignorieren, wodurch traditionelle Abschreckungsmodelle und Eskalationsdynamiken weniger effektiv werden.

Mehrere Faktoren spielen in einer solchen Situation eine Rolle:

1. Asymmetrie von Werten und Zielen:
- Rationalität vs. Ideologie: Traditionelle Eskalationsmodelle gehen von rationalen Akteuren aus, die auf erhöhte Kosten und Bedrohungen vorhersehbar reagieren. Fanatische oder autokratische Führer hingegen können nicht-materielle Ziele (wie religiöse, ideologische oder persönliche Ziele) haben, die rationales Handeln außer Kraft setzen. Diese Führer könnten **Eskalation als moralische Pflicht** betrachten, selbst auf Kosten weitreichender Verwüstungen.
- Regimeerhalt: Autokraten könnten den **Erhalt des Regimes** über das nationale Wohl stellen, insbesondere wenn ihre Machtbasis unsicher ist. Ein Zurückweichen könnte als Bedrohung für ihre innere Macht angesehen werden, sodass sie eine weitere Eskalation als notwendig erachten, um ihre Autorität zu wahren.

2. Fehleinschätzung der Macht:
- Informationskontrolle: In autokratischen Systemen können Führer von Ja-Sagern umgeben sein, von der Realität isoliert oder durch ihre eigene Propaganda getäuscht werden. Dies kann zu einer Überschätzung ihrer Fähigkeiten oder einer Fehlinterpretation der Entschlossenheit des Gegners führen. Infolgedessen könnten sie die Diskrepanz im Eskalationspotenzial oder in der Dominanz nicht erkennen.
- Nationalismus und Propaganda: Durch die Förderung von Nationalismus oder kultartiger Loyalität können diese Führer ihr Volk (und manchmal sich selbst) davon überzeugen, dass die Kosten der Eskalation tolerierbar oder gerechtfertigt sind. Dies macht die Bevölkerung bereit, erhebliche Opfer zu ertragen.

3. Unvorhersehbares oder risikoreiches Verhalten:
- Bereitschaft, Kosten zu tragen: Selbst wenn materiell schwächer, kann ein Führer, der bereit ist, extreme Kosten (z. B. hohe zivile Opfer, wirtschaftlichen Zusammenbruch oder Umweltzerstörung) zu tragen, die Logik der Abschreckung stören. Wenn ein Gegner bereit ist, jedes Maß an Schaden oder Härte zu akzeptieren, um die Eskalation fortzusetzen, untergräbt dies die erwarteten abschreckenden Effekte von Bestrafungsstrategien.
- Eskalation zu extremen Taktiken: Fanatische oder autokratische Führer könnten zu extremen oder unvorhersehbaren Handlungen greifen, wie dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen, asymmetrischer Kriegsführung oder der Schaffung von Krisen (z. B. durch den Einsatz von menschlichen Schutzschilden, Cyberangriffe oder die Destabilisierung anderer Regionen). Ihre Bereitschaft, zu extremen Maßnahmen zu eskalieren, erschwert es, vorherzusagen, wo der Konflikt enden könnte.

4. Implikationen für das Konfliktmanagement:
- Begrenzte Abschreckung: Abschreckungsstrategien müssen möglicherweise neu kalibriert werden, um die Asymmetrie der Rationalität zu berücksichtigen. Die traditionelle Idee, die Einsätze auf unerträgliche Niveaus zu erhöhen, könnte scheitern, wenn der Gegner diese Einsätze nicht als unerträglich ansieht. In diesem Fall könnte Abschreckung durch Verweigerung (d. h. die Einschränkung der Fähigkeit des Gegners, seine Ziele zu erreichen) wirksamer sein als Abschreckung durch Bestrafung.
- Glaubwürdige Drohungen gegen die Führung: In Fällen, in denen Autokraten mehr um ihr persönliches Überleben besorgt sind als um das nationale Wohl, müssen Strategien auf führungsspezifische Schwachstellen abzielen. Dies könnte die Schaffung glaubwürdiger Bedrohungen für ihre Machtbasis beinhalten, sei es durch interne Instabilität, internationale Isolation oder direkte militärische Maßnahmen, die auf die Entmachtung der Führung abzielen.

5. Mögliche Reaktionen:
- Eskalationskontrolle: Die schwierige Dynamik erfordert, dass beide Seiten die Eskalation sorgfältig steuern, um zu vermeiden, dass die Situation außer Kontrolle gerät. Wenn eine Seite unvorhersehbar oder irrational ist, muss die rationalere Partei ein Gleichgewicht zwischen entschlossener Abschreckung und Bemühungen zur Deeskalation oder Kontrolle des Konflikts finden.
- Diplomatische oder psychologische Ansätze: Psychologische Kriegsführung, Propaganda oder geheime diplomatische Kanäle könnten notwendig sein, um die Führung davon zu überzeugen, dass eine weitere Eskalation sinnlos oder persönlich riskant für sie ist. Solche Bemühungen könnten äußeren Druck (internationale Sanktionen, Isolation des Regimes) oder inneren Druck (Unterstützung von Oppositionsgruppen, Erosion der Volksunterstützung) umfassen.

[b Fallbeispiel:[/b]
- Nordkorea: Nordkorea unter Kim Jong-un ist ein Beispiel für ein Regime, bei dem traditionelle Abschreckungsstrategien vor Herausforderungen stehen. Trotz Wirtschaftssanktionen und Isolation hat das Regime Nuklear- und Raketenprogramme verfolgt, was darauf hindeutet, dass Abschreckung durch wirtschaftlichen oder militärischen Druck allein unzureichend ist. Das Regime stellt Überleben und nationalistische Propaganda über die materiellen Kosten, die durch internationale Akteure auferlegt werden.

- ISIS oder dschihadistische Gruppen: Gruppen wie der IS operieren nach ideologischen Rahmenbedingungen, in denen Märtyrertum und religiöse Ziele den rationalen Selbsterhalt übertreffen, was die traditionelle Abschreckung erschwert. Sie könnten trotz überwältigender Verluste weiterkämpfen, da ihr Wertesystem nicht mit den typischen Abschreckungsberechnungen übereinstimmt, die auf materiellen oder menschlichen Kosten basieren.

Schlussfolgerung:
Wenn ein Gegner die traditionelle Eskalationsdominanz ignoriert oder sich weigert, seine Unterlegenheit anzuerkennen, wird der Konflikt unvorhersehbarer und gefährlicher. In solchen Fällen müssen sich Strategien darauf konzentrieren, Schwachstellen des Regimes zu nutzen, Eskalationen zu kontrollieren und die Fähigkeit des Gegners, seine Ziele zu erreichen, einzuschränken. Dies kann nicht nur militärische Strategien erfordern, sondern auch diplomatische, psychologische und indirekte Methoden, die Schwächen in der Machtausübung der Führung ausnutzen.

Konkrete Anwendung auf die Israel-Hamas-Hezbollah-Libanon-Iran-Situation:

Frage:
„Für die Hisbollah sieht ‚Sieg anders aus als für Israel‘, sagt Kaufman, Professor an der Universität Notre Dame: Die Gruppe kann argumentieren, dass sie gewinnt, wenn sie weiterhin Raketen nach Israel abfeuern kann.“ Dies ist ein Zitat, das am 1. Oktober 2024 in der Washington Post veröffentlicht wurde und sich auf den Abschluss des Krieges zwischen Israel, der Hisbollah und dem Libanon im Jahr 2006 bezieht, bei dem sowohl Israel als auch die Hisbollah den Sieg für sich beanspruchten. Seit dem 8. Oktober 2023 hat die Hisbollah regelmäßig Raketen auf Israel abgefeuert, also etwa ein Jahr lang, um Israel zu zwingen, seine Operationen gegen die Hamas im Gazastreifen einzustellen.

Diese Woche hat Israel eine begrenzte Bodeninvasion in Südlibanon eingeleitet, verbunden mit einem Evakuierungsbefehl für 40 oder mehr Dörfer (die Dorfbewohner wurden aufgefordert, in den Norden des Awwalie-Flusses zu evakuieren). Zudem hat Israel die Führung der Hisbollah enthauptet, indem es hochrangige Hisbollah-Kommandeure und Hassan Nasrallah getötet hat. Zusätzlich infiltrierte Israel die Versorgungskette der Hisbollah, indem es Sprengstoffe in etwa 5000 Pagern platzierte, die die Hisbollah an ihr Personal ausgegeben hatte, und die gleichzeitig explodierten, wodurch über 1000 Menschen getötet oder verstümmelt wurden, darunter der iranische Botschafter, der ebenfalls im Besitz eines Hisbollah-Pagers war und ein Auge verlor. In diesem Kontext kündigte die Hisbollah an, ihren Kampf gegen Israel fortzusetzen. Darüber hinaus griff der Iran Israel mit über 300 ballistischen Raketen an, von denen nur wenige den Boden erreichten, da die anderen abgeschossen wurden. Sowohl Netanyahu als auch der iranische Führer Khamenei erklärten, dass sie nicht nachgeben würden.

Im Zusammenhang mit den Konzepten der Eskalationsdominanz und des Eskalationspotenzials stellt sich die Frage, wo die Hauptakteure (Israel, Hisbollah, Libanon, Iran) stehen und ob sie rationale Akteure oder Fanatiker beziehungsweise Autokraten sind. Welche Strategie ist von den Kriegsparteien zu erwarten? Wie üblich unterstützen die USA Israel, allerdings wird Israel vorgeworfen, große Kollateralschäden in Kauf zu nehmen, solange es sich um nicht-israelische Zivilisten handelt.

ChatGPT:
Zitat:Analyse der Eskalationsdominanz und des Eskalationspotenzials der Akteure:

1. Israel:
Israel verfolgt eine Strategie der Abschreckung, die auf militärischer Überlegenheit und technologischer Dominanz basiert. Israel hat ein hohes Eskalationspotenzial, insbesondere durch seine hochentwickelten Raketenabwehrsysteme (wie Iron Dome) und seine Fähigkeit, präzise und asymmetrisch zuzuschlagen. Israel setzt gezielte Tötungen und Infiltrationen ein, um die Führung von Gegnern wie der Hisbollah zu schwächen, was zeigt, dass es die Eskalationsdominanz innehat. Israel handelt rational, indem es versucht, die Bedrohung aus dem Libanon und von der Hisbollah zu minimieren, auch wenn dies zu erheblichen Kollateralschäden führen kann. Diese Taktik zielt darauf ab, sowohl die Hisbollah als auch den Iran abzuschrecken, während gleichzeitig Druck auf die Unterstützung für die Hamas ausgeübt wird.

2. Hisbollah:
Die Hisbollah hat ein relativ geringes Eskalationspotenzial im Vergleich zu Israel, da sie sich vor allem auf asymmetrische Kriegsführung und Raketenangriffe stützt. Dennoch argumentiert die Hisbollah, dass ihre Fähigkeit, weiterhin Raketen abzufeuern, als "Sieg" gewertet werden kann, selbst wenn sie militärisch unterlegen ist. Ihr Verhalten zeigt Züge irrationaler Akteure, die ideologische und religiöse Ziele über materielle Verluste stellen. Auch wenn die Hisbollah erhebliche Verluste erleidet, wird sie wahrscheinlich weiterkämpfen, um ihre politische und militärische Position im Libanon zu behaupten.

3. Iran:
Der Iran unterstützt die Hisbollah und Hamas finanziell und militärisch, während er gleichzeitig Raketen auf Israel abfeuert. Der Iran verfolgt eine doppelte Strategie: einerseits die Schwächung Israels, andererseits die Sicherung seiner regionalen Einflusssphäre. Obwohl der Iran Eskalationspotenzial zeigt, ist seine Fähigkeit, Israel direkt zu beeinflussen, begrenzt, vor allem angesichts der israelischen Verteidigungssysteme. Das iranische Verhalten kann als das eines autokratischen Regimes gesehen werden, das mehr Wert auf ideologische und strategische Ziele legt als auf rationale Kalkulationen der Kosten.

4. Libanon:
Der Libanon als Staat spielt eine marginale Rolle im Konflikt, da die Hisbollah de facto Teile des Landes kontrolliert. Der Staat hat weder die militärischen Kapazitäten noch die politische Stabilität, um aktiv in den Konflikt einzugreifen oder ihn zu beeinflussen. Libanon wird vor allem als Schlachtfeld und Opfer der Eskalation gesehen.

Strategieprognose:
- Israel wird seine Taktik fortsetzen, die Führung der Hisbollah zu eliminieren, während es versucht, Raketenangriffe zu minimieren und Kollateralschäden zu kontrollieren. Die begrenzte Bodeninvasion und gezielte Tötungen zeigen Israels Absicht, die Hisbollah durch eine Kombination von direkter militärischer Aktion und psychologischer Kriegsführung zu zermürben.
- Hisbollah wird wahrscheinlich weiterhin Raketen abfeuern, um ihre Relevanz und Widerstandsfähigkeit zu demonstrieren, auch wenn sie geschwächt ist. Sie könnte auch auf Unterstützung des Iran hoffen, um ihre Kampagne fortzuführen.
- Iran könnte weitere verdeckte oder direkte militärische Aktionen gegen Israel planen, während es gleichzeitig versucht, seine Verbündeten in der Region zu mobilisieren.
- Die USA werden weiterhin Israel unterstützen, aber gleichzeitig den internationalen Druck auf Israel wegen der Kollateralschäden spüren.

Die Dynamik dieser Eskalation bleibt gefährlich, da die Hauptakteure auf unterschiedliche Rationalitäten und Eskalationslogiken setzen.

So, was meint ihr? Wie geht man am besten mit tendenziell irrationalen (autokratischen oder fanatischen) Akteuren um? Wie stellt man Eskalationsdominanz und wirksame Abschreckung her, wenn dem Gegner nicht-materielle Ziele (z.B. Ideologie, Regime-Erhalt) wichtiger sind als materielle Verluste zu vermeiden?
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#2
Willkommen im Forum. Vorab möchte ich deine Fragestellung an sich in Frage stellen und zwar in Bezug auf deine Definition von irrationalen und rationalen Gegnern:

Zitat:wenn dem Gegner nicht-materielle Ziele (z.B. Ideologie, Regime-Erhalt) wichtiger sind als materielle Verluste

Warum sollte eine Seite in jedem Fall irrational sein, weil ihr nicht-materielle Ziele wichtiger sind ? Und es wäre sogar umgekehrt denkbar, dass eine Seite zwar materielle Ziele höher gewichtet, aber trotzdem irrational agiert. Ich würde daher die Frage, ob ein Gegner als rational oder irrational einzustufen ist nicht an der Frage der Zielsetzung des Gegners festmachen. Sondern an der Frage, wie er sein Ziel erreichen will und wie er sich in diesem Kontext verhält. Und damit dreht sich deine Fragestellung praktisch gesehen in eine Definition um:

Ein Gegner ist gerade eben deshalb irrational, weil du ihn nicht abschrecken kannst. Gerade eben dadurch wird er zu einem irrationalen Akteur. Und damit wird deine Frage wie man einen irrationalen Akteur abschrecken könnte zugleich beantwortet: gar nicht. Gerade eben deshalb, weil er ein irrationaler Akteur ist und die Unmöglichkeit ihn abzuschrecken ihn überhaupt erst als solchen definiert.

Deshalb halte ich die Antworten der sogenannten KI hier auch für falsch, weil diese ideologische Ziele gerade eben als entscheidendes Definitionsmerkmal verwendet und damit aber einfach nur einer westlich anglo-amerikanischen Weltsicht folgt, und es zugleich an Logik vermissen lässt (schlussendlich hat diese sogenannte KI ja auch keinerlei Logik, sondern simuliert nur durch die Auswertung von vorgegebenen Datenbanken). Die allzu typischen Antworten der sogenannten KI welche du hier zitierst zeigen auch hier wieder einmal klar die Beschränktheit dieser Systeme auf. Deshalb gehe ich nicht einmal weiter darauf ein, weil es nur Zusammenfassungen vorgegebener Datenbanken sind, die zudem immer eine politische Intention haben, und allein durch diese den Blick auf wesentliche andere Perspektiven verstellen.

Ich finde es rein persönlich sogar extrem bedauerlich, wie sehr diese Programme zunehmend das Denken viel zu vieler Menschen prägen, indem sie ihnen eine bestimmte Sicht aufoktroyieren.

Auf deine Frage hin aber will ich folgendes antworten:

was meint ihr? Wie geht man am besten mit tendenziell irrationalen (autokratischen oder fanatischen) Akteuren um?

Im Sinne meiner Definition ist der beste Umgang mit solchen Akteuren, sie so weitgehend wie möglich zu bekämpfen und dadurch fortwährend zu schwächen, mit dem Idealziel der vollständigen Auslöschung dieser Akteure. Bekämpfen ist hier im weitesten Sinne gemeint, also sowohl kulturell wie wirtschaftlich wie politisch wie militärisch, direkt wie indirekt, auf jede nur denkbare offene wie verdeckte Weise. Das Ziel muss es immer sein, diese Akteure so weit wie möglich zu schwächen und ihrer Handlungsmöglichkeiten zu berauben. Oder um es in deinen Begrifflichkeiten auszudrücken: Man muss ununterbrochen das Eskalationspotentail des Gegners erordieren, abtragen, vernichten. Ob das theoretische Idealziel der Nicht-Existenz des Gegners erreichbar ist, spielt dafür gar keine Rolle.

Verbleibt noch der Fall, dass der Gegner zwar ideologische Ziele höher gewichtet, aber trotzdem ein rationaler Akteur ist:

Zitat:Wie stellt man Eskalationsdominanz und wirksame Abschreckung her, wenn dem Gegner nicht-materielle Ziele (z.B. Ideologie, Regime-Erhalt) wichtiger sind als materielle Verluste zu vermeiden?

In diesem Fall kann man Abschreckung dadurch herstellen, indem man entsprechend die Erreichung der nicht-materiellen Ziele bedroht / in Frage stellt. Da der Gegner hier rational agiert, wird er dadurch abgeschreckt, weil sonst seine nicht-materiellen Ziele bedroht sind.
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#3
Ohne jetzt zu sehr auf die philosophische Ebene abzugleiten, aber die Bewertung von Rationalität braucht immer einen Bezugsrahmen, der sich aus einem subjektiven Wissensstand ergibt. Nur weil uns etwas irrational erscheint, muss es weder aus einer anderen subjektiven oder gar aus objektiver Perspektive irrational sein - es können auch einfach nur Informationen fehlen, oder das Urteilsvermögen durch äußere oder innere Einfluss getrübt sein. Tatsächlich halte ich sehr viel mehr für rationaler als dies gemeinhin behauptet wird, aus diesem Grund ist meiner Ansicht nach die Unterstellung von Irrationalität häufig auch weniger eine Aussage über fremde Handlungen, sondern vielmehr über den eigenen Informationsstand.

PS: Willkommen im Forum. Smile
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#4
(05.10.2024, 07:24)Quintus Fabius schrieb: Willkommen im Forum.

Danke Smile

(05.10.2024, 07:24)Quintus Fabius schrieb: Vorab möchte ich deine Fragestellung an sich in Frage stellen und zwar in Bezug auf deine Definition von irrationalen und rationalen Gegnern:

Warum sollte eine Seite in jedem Fall irrational sein, weil ihr nicht-materielle Ziele wichtiger sind ? Und es wäre sogar umgekehrt denkbar, dass eine Seite zwar materielle Ziele höher gewichtet, aber trotzdem irrational agiert. Ich würde daher die Frage, ob ein Gegner als rational oder irrational einzustufen ist nicht an der Frage der Zielsetzung des Gegners festmachen. Sondern an der Frage, wie er sein Ziel erreichen will und wie er sich in diesem Kontext verhält. Und damit dreht sich deine Fragestellung praktisch gesehen in eine Definition um:

Ein Gegner ist gerade eben deshalb irrational, weil du ihn nicht abschrecken kannst. Gerade eben dadurch wird er zu einem irrationalen Akteur. Und damit wird deine Frage wie man einen irrationalen Akteur abschrecken könnte zugleich beantwortet: gar nicht. Gerade eben deshalb, weil er ein irrationaler Akteur ist und die Unmöglichkeit ihn abzuschrecken ihn überhaupt erst als solchen definiert.

Deshalb halte ich die Antworten der sogenannten KI hier auch für falsch, weil diese ideologische Ziele gerade eben als entscheidendes Definitionsmerkmal verwendet und damit aber einfach nur einer westlich anglo-amerikanischen Weltsicht folgt, und es zugleich an Logik vermissen lässt (schlussendlich hat diese sogenannte KI ja auch keinerlei Logik, sondern simuliert nur durch die Auswertung von vorgegebenen Datenbanken).

Interessanter Aspekt. Irrational erscheint eine Handlung, wenn sie nicht mit dem gesunden Menschenverstand nachvollziehbar ist und daher in der Regel weder erwartet wird (es sei denn, das Aktionsmuster wäre bereits bekannt) noch rational nachvollziehbar ist.

Beispiel : Während es grundsätzlich verständlich erscheint, dass z.B. eine religiöse Gruppierung ihre Glaubensinhalte verbreiten möchte und evtl. auch Personen zu ihrem Glauben bekehren oder Andersdenkende zu einer gewissen Konformität zwingen will (wenn man mal versuchsweise die Sichtweise dieser Gruppierung übernimmt) so stellt sich doch die Frage nach den Kosten. Um ein gewisses Ziel zu erreichen sind oftmals auch Kosten zu tragen, d.h. es ist ein Aufwand erforderlich.
Wenn nun ein grobes Missverhältnis zwischen diesem Aufwand und dem Wert des Ziels besteht (soweit der Wert des Ziels objektivierbar ist), so erscheint den Aussenstehenden, die versuchen unvoreingenommen die Sache zu analysieren (soweit dies möglich ist), das Vorgehen als nicht rational.
Oder anders gesagt : wenn Gruppe H sich das überwertige Ziel gesetzt hat, Gruppe I nicht nur vernichtend zu schlagen, sondern auszulöschen und von der Landkarte zu tilgen, jedoch nicht über die Mittel verfügt, dies tatsächlich zu tun (fehlende Eskalationsdominanz, fehlendes Eskalationspotential), jedoch trotzdem an dem Ziel festhält, und diesem Ziel alles unterordnet, d.h. auch das eigene Überleben, dann erscheint dieses Vorgehen dann nicht rational begründbar, solange Gruppe I nicht dasselbe versucht. Selbst wenn Gruppe I dasselbe versuchen würde, jedoch im Gegensatz zur Gruppe H über Eskalationspotential verfügt (d.h. sie haben letzlich mehr und effektivere Möglichkeiten, Angriffe ohne massive Kosten abzuwehren bzw. Angriffe ohne massive Kosten selbst durchzuführen), wäre das Handeln von Gruppe I noch nicht zwangsläufig irrational (wenn auch ethisch fragwürdig). D.h. auf der rein materiellen Ebene entstünden für Gruppe I keine überschiessenden materiellen Kosten.

Was die Abschreckung irrationaler Gegner betrifft : ich finde, da müssten die unterschiedlichen Kostenarten unterschieden werden.

Also :
Materielle Kosten in Form von Militärausgaben, Umsatzverluste der Wirtschaft, Landverluste, Verluste der wirtschaftlichen Nutzung von Seehäfen oder der eigenen kommerziellen Flotte

Ideologische Kosten in Form des moralischen oder politischen Abwendens eigener Bevölkerungsanteile von den vormals gemeinsamen Zielen (z.B. wird die kriegsführende Partei abgewählt, oder wenn dies nicht geht, stimmen die Leute mit den Füssen ab)

Personelle Kosten in Form von hohen Verlusten an Soldaten oder Zivilisten
usw.

Ob man nun die personellen Kosten als Unterform materieller Kosten sieht oder nicht, spielt für diese Analyse erstmal keine Rolle. Z.B. scheuen die USA keine materiellen Kosten im eigentlichen Sinn, jedoch personelle Kosten sehr wohl. Daher macht die obige Aufteilung meines Erachtens Sinn.

Also wenn eine Partei auf der materiellen und personellen Ebene keine Kostengrenzen hat und in diesem Zusammenhang nicht abschreckbar ist (also auf dieser Ebene irrational agiert), bedeutet das nicht, dass nicht auf der ideologischen Ebene Kosten entstehen können, welche eventuell durchaus Kostenobergrenzen haben, vielleicht nicht von vorn herein bewusst festgelegt, wenn jedoch massive Kriegsmüdigkeit in der Bevölkerung und Armee auftritt, kann möglicherweise aus diesen Gründen die Angriffstaktik nicht fortgeführt werden, droht dieses Szenario und ist es als solches erkennbar, mag es einen Abschreckungseffekt ausüben.

(05.10.2024, 07:24)Quintus Fabius schrieb: Verbleibt noch der Fall, dass der Gegner zwar ideologische Ziele höher gewichtet, aber trotzdem ein rationaler Akteur ist:

In diesem Fall kann man Abschreckung dadurch herstellen, indem man entsprechend die Erreichung der nicht-materiellen Ziele bedroht / in Frage stellt. Da der Gegner hier rational agiert, wird er dadurch abgeschreckt, weil sonst seine nicht-materiellen Ziele bedroht sind.
Naja, wie oben ausgeführt, muss man die Abschreckbarkeit auf die jeweiligen Ebenen beziehen und getrennt analysieren. Auf der ideologischen Ebene wäre das Handeln dann rational, jedoch nicht auf der materiellen Ebene. D.h. je nach Ebene handelt der Akteur irrational bzw. rational.

(05.10.2024, 17:25)Helios schrieb: Ohne jetzt zu sehr auf die philosophische Ebene abzugleiten, aber die Bewertung von Rationalität braucht immer einen Bezugsrahmen, der sich aus einem subjektiven Wissensstand ergibt. Nur weil uns etwas irrational erscheint, muss es weder aus einer anderen subjektiven oder gar aus objektiver Perspektive irrational sein - es können auch einfach nur Informationen fehlen, oder das Urteilsvermögen durch äußere oder innere Einfluss getrübt sein. Tatsächlich halte ich sehr viel mehr für rationaler als dies gemeinhin behauptet wird, aus diesem Grund ist meiner Ansicht nach die Unterstellung von Irrationalität häufig auch weniger eine Aussage über fremde Handlungen, sondern vielmehr über den eigenen Informationsstand.

Ja, korrekt, die Frage nach dem Bezugsrahmen der "Normalität". Ist auch ein Thema in der Psychiatrie bzw. Psychologie: was ist noch normal?

Hier gibt es natürlich auch kulturelle Effekte. Letztlich empfindet eine zwar heterogene Gruppe, die jedoch gewisse gemeinsame Sozialisierungsphänomene aufweist, ein bestimmtes Handeln eines Akteurs als "normal", "nachvollziehbar" oder "rational" und ein anderes Handeln jedoch als "abartig", "unnormal", "nicht nachvollziehbar" oder "irrational".

In der Psychiatrie finden sich ausserdem noch das Konzept der überwertigen Idee, d.h. ein Gedanke/Konzept/Idee/Ziel, der über das normale Mass hinaus wichtig wird (auf der Individualebene), weshalb er als "überwertig" bezeichnet wird. Dieser überwertiger Gedanke wird, wenn es zu sozialen Störungen oder zu signifikanten Einschränkungen des Alltags führt, im allgemeinen als "krankhaft" eingestuft. Wobei es nicht unbedingt der Gedanke selbst sein muss, der als krankhaft bewertet wird, als vielmehr die alles vereinnahmende Überwertigkeit oder auch "Priorisierung", welcher dieser Idee innewohnt. Dass heisst die üblichen Kostenschwelle wird verlassen und die Idee wird trotz hoher und sehr hohen individuellen oder vergemeinschaftlichten Kosten weiter verfolgt. Dies macht das sich auf diese überwertige Idee gründende Handeln irrational.

Ich denke nicht, dass es nur dem Aussenstehenden fehlender Kontext ist, welche als problematische erscheinende Handlungen als nicht nachvollziehbar oder irrational erscheinen lassen. Im heutigen Informationszeitalter kann der Kontext in der Regel durch Recherche oder Konsultieren diverser einschlägiger Experten hergestellt werden. Wobei sich hier neue Probleme auftun: Experten mit eigener Agenda, von Dritten bezahlt usw.

Dass fehlende Informationen den Anschein von Irrationalität erwecken können, mag jedoch in Sonderfällen zutreffen. Z.B. wenn Autokraten in einer Informationsblase leben, oder wenn es eine aus politischen Gründen gebildete Blase mit einem eindeutigen Bias gibt, wie z.B. die amerikanischen "Fuchs Nachrichten" ;-)

(05.10.2024, 17:25)Helios schrieb: PS: Willkommen im Forum. Smile

Danke. Smile

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#5
Ideelle Ziele – ideologische oder religiöse etwa – mögen denen irrational erscheinen, die sie nicht teilen, trotzdem folgen sie inhärenten Regeln, wodurch sie berechenbar werden. Innerhalb des Regelwerks sind sie rational. Nur sehr selten verstoßen von ideellen Zielen geleitete Entscheidungsträger bewusst und offen gegen die von ihrer Ideologie oder Religion vorgegebenen Regeln, da sie sonst Gefahr laufen, sich ihrer Legitimation zu berauben.

Ein interessantes Beispiel wäre Adolf Hitlers Entscheidung, den Holocaust zu intensivieren, als sich das Kriegsglück gegen Deutschland wandte. Der industrialisierte Massenmord band zehntausende Männer abseits der Front und beraubte die Nazis der Arbeitskraft von Millionen Menschen. Vernünftiger wäre es gewesen (so widerlich das Wort in dem Zusammenhang auch sein mag), die "Endlösung" zu vertagen. Hitlers persönlicher Hass minderte also die Erfolgsaussichten der von ihm proklamierten Ideologie.

Doch sind solche Beispiele zum Glück selten. Hitler war besonders gefährlich, da er nicht Prophet irgendeiner existierenden Ideologie war, sondern die Ideologie mit ihren Regeln selbst entwickelt hatte. Also konnte er sie auch ändern. Außerdem war er ein Asket und wenig an anderen Dingen interessiert. Ein Hermann Göring etwa hätte zuerst an seinen Profit gedacht, und Krieg und Massenmord wohl weniger bereitwillig eskaliert.

In diesem Sinne ist zu fragen, ob die Entscheidungsträger wirklich bereit sind, alle ihre Entscheidungen ideellen Zielen unterzuordnen, oder nicht auch persönliche Handlungsmotive haben, die der Ideologie entgegenstehen. Da könnte man dann ansetzen.

Wieder das Beispiel Iran: Die Islamische Revolutionsgarde hat, der SS nicht unähnlich, ein weitverzweigtes Wirtschaftsimperium aufgebaut, das heute die größte Wirtschaftsmacht im Land darstellt. Jene, die vom System profitieren, mögen noch so oft beteuern, dass sie bereit sind, für den wahren Glauben zu sterben; ihre bombastischen Villen sprechen eine andere Sprache.

Aus einem ähnlichen Grund halte ich übrigens auch Wladimir Putins Drohungen mit dem roten Knopf für irrelevant. Putin ist steinreich. Ein Mann, der sich ein 68 Hektar großes Anwesen an der Schwarzmeerküste bauen lässt, hegt keinen übermäßigen Wunsch zu sterben.

Mit anderen Worten, ich würde für ein neues Verständnis von "Abschreckung" plädieren. Entgegen aller Unkenrufe hat sich das Konzept der nuklearen Abschreckung nämlich bewährt.

Was derzeit im Nahen Osten geschieht, wäre vor 1945 undenkbar gewesen. Hätte es die Akteure in der jetzigen Machtkonstellation damals schon gegeben, nur eben ohne Atomwaffen, der Iran hätte Israel längst vernichtet. Und auf dem Weg dorthin wohl noch die schiitischen Gebiete Iraks und Syriens annektiert.

Was derzeit in Osteuropa geschieht, wäre nach dem gleichen Denkmuster ebenso unmöglich gewesen. Die Ramstein-Kontaktgruppe wäre längst auf ukrainischer Seite in den Krieg eingetreten und hätte Putins Armee in den Kuban getrieben.

Umgekehrt funktioniert das Ganze natürlich auch.

Russland hätte uns längst den Krieg erklärt, um die Unterstützung der Ukraine gewaltsam zu unterbinden. Und der Grund, warum Netanjahu so zappelig wird, ist, dass Iran sich offenbar einem eigenen Atomwaffenarsenal nähert. Sobald die Ajatollahs die Bombe haben, kann Israel keinen konventionellen Erstschlag mehr führen, ohne einen nuklearen Zweitschlag zu riskieren.

Solange also Atomwaffen im Spiel sind, ist auch der irrational erscheinende Akteur durchaus zur Deeskalation fähig. Man muss ihn nicht davon abhalten, sich nicht selbst zerstören zu wollen; er will es in aller Regel nicht. Die einzige Eskalationsgefahr besteht darin, dass der irrational erscheinende Akteur sich zumindest den Anschein geben muss, zum Äußersten bereit zu sein, was zu Missverständnissen führen kann.

Die Frage ist vielmehr, wie verhindere ich, dass mein Gegner mir einen begrenzten Schlag versetzt und sich hinter seine atomare Mauer verdrückt. Die Ukrainer haben da ein Mittel gefunden, das funktionieren würde, wenn der sog. Westen es nur mit Nachdruck unterstützen würde: Sie greifen die russische Wirtschaft an. Das wirkt. Beispielsweise schrumpften die öffentlichen Einnahmen Russlands in der Oblast Tjumen, der wichtigsten Gasförderregion, im ersten Halbjahr um 34,4%, weil die ukrainischen Angriffe die Produktion stören und Gazprom kaum noch Umsatzsteuer zahlen kann. (Quelle)

Es hat ebenso seinen Grund, dass Israel aktuell offenbar einen Angriff auf die iranische Ölproduktion erwägt.

Moderne Kriege sind scheißteuer. Und die Macht autoritärer Regimes, die am ehesten "irrational" sind, beruht auf einem Gesellschaftsvertrag: Wohlstand gegen Gehorsam. Bricht der Wohlstand weg, verliert die Regierung an politischer und militärischer Potenz.

Die Autokraten wissen das natürlich. Deswegen suchen sie wirtschaftliche Verflechtungen mit den militärisch potentesten Staaten, deswegen kaufen sie ausländische Devisen ein.

Schon jetzt können die USA wahrscheinlich keinen Krieg gegen China führen, der über ein kurzes "Missverständnis" hinausreicht, weil der Absturz der chinesischen Wirtschaft ihre eigene Wirtschaft in den Abgrund reißen würde. Und anders als noch vor einem Jahrhundert sind westliche Wohlstandsgesellschaften nicht mehr bereit, solche Einbußen einfach hinzunehmen.

Insofern ist die beste Art der Abschreckung in meinen Augen, eine hohe wirtschaftliche Resilienz aufzubauen, damit man glaubhaft behaupten kann, einen Krieg notfalls nicht zu scheuen.

Sodann braucht es unterhalb der atomaren Schwelle eine Offensivkraft mit strategischer Reichweite (sowohl konventionell als auch im Cyberraum), damit jeder wagemutige Autokrat immer befürchten muss: Wenn ich denen auf den Schlips trete, kommen sie und keulen den Esel, der meine Dukaten kackt.

Vor allem braucht es aber an allen Stellen der Gesellschaft den Willen, eine glaubhafte Abschreckung aufrechtzuerhalten. Eine Regierung kann noch so kraftmeierisch auftreten; wenn Umfragen sagen, dass nur jeder zehnte Bürger für sein Land kämpfen würde, weiß der potentielle Gegner natürlich, was er von Drohungen zu halten hat.

Wirtschaft, Gesellschaft, Militär. Die drei Säulen der Abschreckung.

Meiner Ansicht nach sind im sog. Westen bzw. unter seinen Alliierten derzeit nur die USA, Frankreich, Israel und Japan zu strategischer Abschreckung fähig.
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#6
(08.10.2024, 21:56)muck schrieb: Meiner Ansicht nach sind im sog. Westen bzw. unter seinen Alliierten derzeit nur die USA, Frankreich, Israel und Japan zu strategischer Abschreckung fähig.

Ich würde das auf die USA eingrenzen, denn Israel beweist doch gerade gegenüber dem Iran das Gegenteil und bei Frankreich und Japan sehe ich null Potential dazu.
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#7
Israel hat den iranischen Interessen in der Region einen vernichtenden Schlag verletzt. Und zur Antwort fliegen nach langer Bedenkzeit 200 Raketen auf eine Handvoll militärischer Ziele, offenbar nachdem man die USA (und damit Israel) via Schweden vorgewarnt hat. Der einzige Tote wurde zufällig von Trümmern getroffen, und war nicht mal Israeli. Der Iran spricht seit Jahrzehnten davon, Israel vernichten zu wollen. Und trotzdem eine derart moderierte Reaktion? Warum? Ich würde darin sehr wohl eine funktionierende Abschreckung sehen. Der Angriff diente nur der Gesichtswahrung und war das Äußerste, wozu man sich getraut hat.

Was Frankreich und Japan anlangt; beide Staaten haben ein starkes Nationalbewusstsein (=Grundlage starker Wehrbereitschaft) und genügend Wohlstand für eine nationale Kraftanstrengung. Sie haben außerdem starke Armeen, die fähig sind, militärische Macht über große Distanzen zu projizieren. Frankreich ist z.B. auf den Weltmeeren wesentlich präsenter als das in diesem Sinne mehr beachtete Großbritannien, und verfügt auch über eine breiter aufgestellte Atommacht. Deswegen wählte ich sie als Beispiele.
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#8
Bei der französische Armee sieht es genauso schlecht aus wie die Bundeswehr , nur mit Atomwaffen . Man geht nur anders damit um .

https://dgap.org/de/forschung/publikatio...eitenwende

https://www.faz.net/aktuell/politik/ausl...27885.html
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#9
RAND sah das in einer Studie anders: (Link)

Demzufolge sind die Franzosen dazu in der Lage, deutlich schneller als die Briten und Deutschen größere Verbände an die NATO-Ostflanke zu verlegen, und können sie auch durchhaltefähiger aufstellen.

Die Franzosen sind uns in vielerlei Hinsicht überlegen. Während dem Gezerre um Artillerie-Granaten für die Ukrainer kam zum Beispiel per Senatsanfrage heraus, dass die Franzosen 2023 Munitionsbestände für 12 Kampftage eingelagert hatten, mehr als dreimal so viel wie wir, und anscheinend mehr als wir und Briten zusammen.

Ich gehe aufgrund aller mir bekannten Zahlen davon aus, dass die Franzosen in Europa derzeit die einzige Armee haben, die ohne Unterstützung durch die USA in allen Domänen – zu Lande, zu Wasser und in der Luft – Krieg führen kann; zumindest eine Zeitlang.

Die Polen sind mittlerweile zu Lande sehr stark, aber nicht in der Luft, und was die Marine angeht, sind sie selbst in der Ostsee nicht wirklich präsent.

Bei den Briten ist das Heer noch kaputter gespart als das deutsche, wenngleich niemand darüber redet. Luftwaffe und Marine sind auf dem Papier gut aufgestellt; erstere lebt jedoch von der Hand in den Mund, was Munition anlangt (nicht einmal für die Angriffe auf den IS waren genügend Luft-Boden-Waffen vorhanden); und die nominell starke Marine ist dadurch erheblich beeinträchtigt, dass Ausfälle aufgrund verschleppter Erhaltungsmaßnahmen mit den Kinderkrankheiten der neuen Einheiten zusammentreffen.

Bleiben im mittleren Europa nur die Franzosen…
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#10
(08.10.2024, 19:58)Zardo schrieb: Ich denke nicht, dass es nur dem Aussenstehenden fehlender Kontext ist, welche als problematische erscheinende Handlungen als nicht nachvollziehbar oder irrational erscheinen lassen. Im heutigen Informationszeitalter kann der Kontext in der Regel durch Recherche oder Konsultieren diverser einschlägiger Experten hergestellt werden. Wobei sich hier neue Probleme auftun: Experten mit eigener Agenda, von Dritten bezahlt usw.

Dass fehlende Informationen den Anschein von Irrationalität erwecken können, mag jedoch in Sonderfällen zutreffen. Z.B. wenn Autokraten in einer Informationsblase leben, oder wenn es eine aus politischen Gründen gebildete Blase mit einem eindeutigen Bias gibt, wie z.B. die amerikanischen "Fuchs Nachrichten" ;-)

In meinen Augen sind das keine Sonderfälle, vielmehr betrachte ich das Informationsdefizit sowohl im Kleinen wie auch im Großen als Normalzustand. Die heutigen Mittel und Medien bieten zwar einen einfachen und umfangreicheren Zugriff auf benötigten Kontext, allerdings muss dieser auch aus einer wesentlich größeren Menge an unnötigen und womöglich falschen Informationen gefiltert werden. Um tatsächlich einen besseren Wissensstand zu erreichen, ist ein sehr viel höheres Maß an Selektionsvermögen notwendig. Und anhaltende öffentliche Diskussionen zeigen, dass dieses im Kleinen nicht leistbar ist und umfänglich immer komplexere Strukturen voraussetzt (ein Problem, mit dem die Geheimdienste bekanntermaßen zu kämpfen haben). Hinzu kommt, dass trotz dieser Informationsvielfalt wesentliches Wissen zur Beurteilung der Rationalität immer noch fehlt, beispielsweise auf den persönlicheren Ebenen.

Wir leben alle mehr oder weniger in Informationsblasen, zum Teil auch solchen, die wir nicht sprengen können. Selbst mit geschickten Fähigkeiten bei der Selektion und einer weitestgehenden Unvoreingenommenheit wird die Bewertung weiterhin lückenhaft sein. Da zudem die Irrationalität nicht nur die Möglichkeiten reduziert, abgeschreckt zu werden, sondern gleichzeitig auch eine eigenen Form der Abschreckung anderen gegenüber darstellt, ist es sinnvoll eine solche unter gewissen Rahmenbedingungen vorzutäuschen und damit einen falschen Informationsstand schon allein aus dem Grund heraus aktiv zu fördern. Damit wird dann die Ebene der bewussten Falschinformationen angekratzt, die ein eigenes Gefechtsfeld darstellt und dadurch unabhängig von einer solchen Zielsetzung die Selektion und damit die Bewertungsgrundlage aktiv erschwert.
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