(Gestern, 18:37)Wittgenstein schrieb: Das stimmt. Eine Shahed kann man aber auch mit primitiver Flak bekämpfen.
Aus meiner Sicht ist das sogar das zu bevorzugende Mittel gegen konkret diesen Drohnentyp (Shahed-131/136/238 aka Geran-1/2/3), sofern sie denn bspw. an eine moderne optische Zielführung gekoppelt ist mit bevorzugt Oerlikon/Rheinmetall AHEAD Munition. Das wäre aus meiner Sicht ein sehr gut denkbares weil relativ einfach verfügbares und auch im Ansatz nicht so überkomplexes Mittel, um diese Waffensystem technisch UND ökonomisch verträglich zu negieren. Damit ist die Geschichte der Flugabwehr nicht vollständig erzählt, aber das Fundament braucht ein Low-Cost Element mit hinreichend Munitionsvorräten in allen Layern, insb. im unteren Layer.
Zitat:In June 2021, Rheinmetall tested its 35 mm revolver gun against drone swarms with the use of AHEAD ammunition. Firing PMD 428 rounds,[13][14] an eight-drone swarm was neutralized with an 18-round burst, most of them being destroyed with the first six rounds.[15]
https://en.wikipedia.org/wiki/AHEAD_ammunition
(Gestern, 19:33)Broensen schrieb: Ja, natürlich. Aber dafür braucht man eine FlaK am richtigen Ort. Das ist eben nicht immer so gegeben. Im Regelfall erwischt eine FlaK solche Drohnen nicht im zufälligen Vorbeiflug, sondern nur im Endanflug.
Die Shahed/Geran ist so konstruiert, dass sie eine industrielle Produktionskette mit übersichtlichen Aufwand ermöglicht. Das ist kein Manufakturbetrieb, wie im klassischen Flugzeugbau, sondern da purzeln ohne Schwierigkeiten jeden Tag 100-200 Stk. einsatzfertig verpackt mit Stempel und Briefmarke vom Band. Jeden Abend bekommt der freundliche Mann von Fedex da seine Pakete überreicht. Das geht deshalb, weil bereits die Komponenten dazu Standardkomponenten sind und teils vormoniert. Das ist eine reine Peace-Time Produktionsrate, wenn man betrachtet, dass 1- 1,5 Mio. deutlich aufwändigere PKW nach dem selben Prinzip jedes Jahr (bspw. im sanktionierten Iran aktuell) herstellt werden. Mit ein wenig Investment und Modernisierung könnte man einen Großteil der Shahed Produktion ebenso mit Robotik automatisieren und noch sehr viel höhere, aberwitzige Stuckzahlen produzieren, so dass man den Himmel damit verdunkeln könnte. 12 T-6 hin, oder 36 Wolverine her. Solche Flugabwehr nutzt sich irgendwann ab und ist teures Spielzeug im Ernstfall, weil die mathematische Grundformel ungünstig ist.
Dem kann ich nur eine andere disruptive Technologie entgegenstellen oder ganz low-tech mit Masse beantworten. Alles andere zwingt Dich in ein Spiel gegen die Zeit.
Bei allen realistischen Shorad Optionen ist irgendwo bei ca. 8-15km Endegelände, stehen insofern konzeptbedingt richtig oder falsch. Ein Dutzend solcher Systeme kann sowohl frontnah oder punktuell einen effektive Abschusszone für feindliche UAV bilden. Je nachdem wie man sie platziert und ggf. vernetzt. Aber den Layer darüber wollen wir ja erst mal bewusst für höherwertigere Ziele schonen, wie MALE UAV, Steatlh UAV, Cruise Missiles, Flugzeuge, Raketen, Bomber. Die Konsequenz ist, dass der unterste Layer einfach in der Breite viel zu dünn besetzt ist für die heutigen kriegerische Auseinandersetzungen, wo gerade in diesem unteren Luftraum (< 300m Flughöhe) plötzlich sehr viel Action ist.
35mm ist dual use und erfüllt auch andere Zwecke gegen Ziele am Boden ganz gut. Das Gapfilling wäre aus meiner Sicht mit 35mm von Oerlikon/Rheinmetall die sich flexibel untereinander kombinieren und mit höheren Layern vernetzen lassen am günstigsten. Es könnte immer auch im Kern das exakt gleiche Waffenmodul sein, welche stationär wie mobil auf unterschiedlichen Plattformen Anwendung findet. Ebenfalls interessant aber nochmal deutlich spezialisierter sind andere günstige dual-use Flugkörper wie Coyote, die ich zusätzlich entsprechend weit vorne sehen würde. Damit kann man Luft und Bodenziele gleichermaßen bekämpfen. Coyota o.Ä. ließe sich mit bestimmt Flak Modulen verheiraten. Wenn davon mal 500 Stk vom Band rollen, dann hat das definitiv einen Effekt, den man regional negierend einsetzen kann. Es ist die naheliegendste Lösung aus meiner Sicht. Die Komponenten dazu lassen sich meiner Einschätzung nach alle in Massen produzieren. Auf dem Markt können sich ja auch weitere rumtreiben, die beispielweise Containerisierte CIWS Lösungen auf LKW anbieten. Nehme ich auch im ersten Lot gleich alle die man zum realistischen Preis liefern kann. Alles ansich kein Rocket-Science, und darf es auch nicht sein gegen diese Art von Bedrohung im unteren Layer. Im Bereich Rocket Science wäre eine disruptive Option vielleicht eine flächendeckende Technik im Eloka Spektrum. F & E in diesem Bereich würde in meinem Verteidigungsministerium ebenfalls eine bevorzugte budgetäre Versorgung erfahren.
Darüber hinaus und das kommt ein wenig ins Hintertreffen ist die passive Sicherheit im Zivilbereich zu erhöhen. Kinetische Härtung von zentralen Anlagen, Notfallpläne, Krisenübungen, Überarbeitung der Pläne für den Bevölkerungsschutz. Simulieren/Üben, Scheitern und Lektionen ziehen. Wieder üben, wieder verlieren, neue Lektionen ziehen. Usw. Im Ernstfall muss jeder wissen, was zu tun ist, ohne das Gremien zusammenkommen, oder großartige Entscheidungen getroffen werden müssen. Die trifft man bestenfalls vorher. Der größte Feind in diesen Szenarien ist vermutlich die psychologische Komponente unter Beschuss zu stehen und Kapazitäten zu verlieren. Das war lange fern, aber damit muss man sich wieder intensiver befassen.
Zitat:D.h., sie muss sich in der Nähe das Ziels befinden, was bei den Langstreckendrohnenangriffen quasi überall sein kann. Das würde ein enorme Dichte an Flakgeschützen erfordern, um so allein unsere KRITIS zu schützen, geschweige denn Wohnviertel o.ä. Und wir sehen ja, welche Vielfalt von Zielen die Russen in der Ukraine auswählen.
Exakt.
Zitat:Deshalb eben der Ansatz einer "fliegenden FlaK", die sich der angreifenden Drohne in der Luft annähert und somit eine sehr viel größere Fläche abdecken kann, als das FlaK am Boden vermag.
Die Idee ist nicht schlecht. Fliegende Optionen klingen sogar super, aber bis man mir eine zeigt, die mich überzeugt, bleibt dieser simple 35mm bodengestützte Ansatz mein Favorit und den kann man sowieso parallel verfolgen. Eben weil er aus meiner Sicht vergleichsweise einfach ist und daher auch von den Einsatzmöglichkeiten relativ offen gegen alles uns jeden verwendbar bleibt. Es lässt sich auch nicht so leicht abnutzen, weil es ist simpel, es purzelt vom Band, die Teile sind alle Standard und daher kann ich im Krieg lange beschädigtes Material kanibalisieren und wiederverwenden. Es fällt im Westen manchmal etwas schwer so zu denken, aber darauf zielen Technologiekiller ab. Es besteht ein Drang mit noch komplexerer Technologie die Technologiekiller zu bekämpfen. Also lieber nochmal eine Schüppe darauf zu legen, anstatt Dinge grundsätzlich und konzeptionell zu überdenken, denn das könnte die Beherrschung der Technologie als solche ja sonst in Frage stellen. Flak waren solange old-school, so lange feindliche Kampfjets die mit hoher Geschwindigkeit/Höhe/Distanz/Wendigkeit die einzige oder die zentrale Bedrohung aus der Luft darstellten.
(Gestern, 21:47)Wittgenstein schrieb: @Broensen siehe #189
eine Flächendeckende Luftabwehr aller Bedrohungen werden nicht für uns noch für unsere Verbündeten abbilden können.
Selbst mit mehr Flugzeugen (egal welcher Bauart) ist das nicht möglich.
Genau das ist der Punkt. In diesen ganzen Überlegungen steht sich der Angreifer im Zweifel nur selbst im Weg, weil er vielleicht schlicht zu wenig Drohnen produziert, da 2 Drohnenjäger-Flugzeuge 8 Stück davon pro Einsatz im Schnitt abfangen können um einfach mal irgendwas zu sagen. Es kommt ja gar nicht auf genaue Zahl an, aber sie ist fix. Sie pendelt sich irgendwo ein. Ein solches Spiel ist im Grundsatz ein mathematisches Problem, dass mit nur linear effektiver Symptombekämpfung nicht zu gewinnen ist, wenn das Medikament teurer und seltener ist als das Virus selbst. Ein Flugzeug ist per se ein System, welches der Abnutzung unterliegt. Mehr als die meisten anderen Waffensysteme vermutlich. Demgegenüber stehen fliegende Mofas, als ein in Massen produziertes Wegwerfprodukt. Wenn man das Spiel mit Taktiken spielt, die der Abnutzung unterliegen bei geringerer Produktionsrate, ist das wie eine Schlinge, die sich langsam zu zieht, oder man schafft es vorher auszubrechen bzw. den Krieg zu entscheiden. Noch sehe ich nicht, was den Feind daran hindert einfach die Schlagzahl zu erhöhen. 400% Produktionssteigerung von Shaheds jedes Jahr! Und danach noch mehr. Und noch mehr.
Zitat:Unsere Luftabwehr (alles was traditionell Aufgabe der Luftwaffe ist) ist gut und wird noch besser werden. Noch mehr in dem Bereich würde mMn die Luftwaffe insgesamt zu defensiv ausrichten. Im Heer gibt es dagegen große Lücken.
Die Flugabwehr ist technisch auf einem hohen Level, aber sie hängt sicherlich quantitativ um Lichtjahre dem tatsächlichen Bedarf hinterher. Insbesondere wenn es um Raketenabwehr geht, die wir hier Thread-bedingt die ganze Zeit ausblenden. Und die Zielgröße ist vielleicht auch gar nicht realisierbar ohne andere Bereiche zu vernachlässigen. Die Flugzeuge oder die Flak diskutieren wir hier nach meinem Verständnis in ihrer Funktion als "Gap-Filler" für untere Fluglagen, denn mehr ist es nicht. Und da eignet sich das Eine besser, als das andere aus meiner Sicht. Gerade Kampflugzeuge sind, wie Du richtig sagst, eigentlich sehr wertvolle Assets.