Studie zur Rolle der europäischen Länder - Schneemann - 22.08.2025
Eine recht interessante Studie darüber, wie die Menschen von heute das Verhalten ihrer Vorfahren zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges in ihren Ländern einschätzen.
Zitat:Helden, Opfer – und kaum Kollaborateure
Internationale Studie zeigt, wie Menschen in Europa die Rolle ihrer Bevölkerung in der NS-Zeit verklären. [...]
Ob in Belgien, Polen oder der Ukraine: Wenn es um die Rolle der eigenen Bevölkerung während der nationalsozialistischen Besatzung geht, sehen sich viele Menschen in Europa heute als Opfer – oder als Helden. Zu diesem Ergebnis kommt eine länderübergreifende Studie unter Leitung von Dr. Fiona Kazarovytska von der Abteilung Sozial- und Rechtspsychologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Die Ergebnisse veröffentlichte sie gemeinsam mit Prof. Dr. Roland Imhoff von der JGU und Prof. Dr. Gilad Hirschberger von der Reichman University in Israel im Fachjournal Political Psychology.
Im Rahmen der Studie führte das Team eine Online-Befragung mit 5.474 Personen aus acht europäischen Ländern durch: Belgien, Frankreich, Litauen, Niederlande, Österreich, Polen, Ukraine und Ungarn. Die Teilnehmenden wurden repräsentativ nach Alter und Geschlecht ausgewählt. Ziel war es herauszufinden, wie Menschen heute die Rolle ihrer eigenen Bevölkerung unter der NS-Besatzung erinnern. Dazu sollten sie auf einer Skala von 1 bis 7 angeben, wie sehr sie bestimmten Aussagen zustimmen – etwa "Die Menschen in meinem Land wurden verfolgt, weil sie Widerstand geleistet haben" oder "Die Bevölkerung hatte keine andere Wahl, als mit den Nazis zu kooperieren". [...]
Die Studie ist die erste ihrer Art, die systematisch und empirisch untersucht, wie Bürgerinnen und Bürger in acht europäischen Ländern moralisch auf die Rolle ihrer eigenen Bevölkerung während der NS-Zeit zurückblicken. Damit rückt diese Studie die subjektive Wahrnehmung der breiten Bevölkerung in den Mittelpunkt. Der Fokus auf moralische Selbstverortung und nationale Identifikation erlaubt dabei neue Einblicke in die psychologischen Mechanismen kollektiver Erinnerung – jenseits offizieller Geschichtspolitik.
Ähnliche psychologische Muster wie die Tendenz zur moralischen Entlastung durch Betonung von Zwang oder Widerstand sind für die deutsche Bevölkerung durch frühere Studien gut belegt. Die neue Untersuchung zeigt nun, dass sich vergleichbare Formen kollektiver Selbstverklärung auch in anderen europäischen Gesellschaften finden, obwohl deren historische Rollen sehr unterschiedlich waren. [...] Dass viele Menschen die Rolle ihrer Vorfahren positiv darstellen, hat psychologische Gründe. "Das dient dem Schutz der eigenen nationalen Identität", erklärt Kazarovytska. Wer sich mit der eigenen Geschichte konfrontiert sieht, stehe oft vor einer psychologischen Herausforderung. "Schuld oder Mitverantwortung anzuerkennen ist etwas, das schwer mit einem positiven Selbstbild vereinbar ist." Stattdessen griffen viele auf narrative Strategien zurück, die moralische Ambivalenz ausblenden und die Vergangenheit in ein günstigeres Licht rücken.
https://presse.uni-mainz.de/helden-opfer-und-kaum-kollaborateure/
Hier die Übersicht: https://presse.uni-mainz.de/files/2025/08/02_psychologie_erinnerungskultur_historische-rollen.jpg
Was mir auffiel, ist, dass in Österreich, das sich gerne und über Jahrzehnte hinweg als "erstes Opfer Hitlers" bezeichnet hatte, eine recht große Zahl, wenn auch keine Mehrheit, von williger Kollaboration ausgeht und am wenigsten Menschen, von allen acht Ländern, dem Helden-oder-Opfer-Schema folgen. Hat sich hier in Österreich das Bild in den letzten Jahren gewandelt?
Die zweithöchsten Werte, wenn es um "willige Kollaboration" geht, finden sich in Frankreich, Ungarn und Belgien. In der Ukraine und in Polen dominiert hingegen das Helden-oder-Opfer-Schema, wobei bzgl. der Ukraine der niedrigste Wert an "williger Kollaboration" herauskam.
Schneemann
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