Forum-Sicherheitspolitik
Munitionsversorgung - Druckversion

+- Forum-Sicherheitspolitik (https://www.forum-sicherheitspolitik.org)
+-- Forum: Hintergründe (https://www.forum-sicherheitspolitik.org/forumdisplay.php?fid=97)
+--- Forum: Fragen und Antworten (https://www.forum-sicherheitspolitik.org/forumdisplay.php?fid=66)
+--- Thema: Munitionsversorgung (/showthread.php?tid=6854)

Seiten: 1 2


Munitionsversorgung - Venturus - 06.05.2023

Ich habe an einer Stelle gelesen, dass moderne Pulver nicht so einfach zusammenzurühren sind, wie beispielsweise Schwarzpulver, sondern einen gewissen Reifeprozess durchlaufen müssen. Im konkreten Fall wäre für die moderne 155 mm-Granate mit einer Wartezeit von einem halben Jahr zu rechnen. Sprich: Selbst bei freien Kapazitäten, vorhandenen Rohstoffen, verfügbaren Fachkräften und dem Willen der Politik würde sich jede Bestellung erst nach sechs Monaten realisieren. Ist dem so und gäbe es sinnvolle Möglichkeiten eine Fähigkeitseinschränkung durch weniger elaborierte Pulvermischungen in Kauf zu nehmen, um den Prozess zu beschleunigen?

Außerdem: Wie schnell könnten andere Staaten wie Südkorea oder die Schweiz an uns liefern, damit wir unsererseits unsere Munitionsreste, so kärglich sie auch sein mögen, in die Ukraine verfrachten können? Gibt es da Erfahrungswerte, dass dort die Unternehmen größere Vorräte unterhalten, die man uns kurzfristig verkaufen könnte?

Anmerkung: Mir ist die theoretische Natur meiner Frage bewusst, aber nehmen wir einfach mal an, wir würden plötzlich eine entschlossene Regierung bekommen.


RE: Munitionsversorgung - Quintus Fabius - 06.05.2023

Die modernen Pulver welche in Treibladungen verwendet werden sind natürlich viel aufwendiger von der Herstellung her als Schwarzpulver, man nehme mal beispielsweise das nitroglycerinfreie ECL Pulver welches Rheinmetall für Treibladungen verwendet. Aber das ist dir ja bekannt.

Nun ist es so, dass die chemische Industrie durchaus Pulver ad hoc herstellen könnte, die dann sofort zur Verfügung stehen und dies im Prinzip auch in riesigen Mengen. Eine wirklich entschlossene Regierung könnte also durchaus ad hoc eine gewaltige Produktion von Treibladungen anleiern und erzwingen, nur dass dann beispielsweise etwaig auch Pulver verwendet werden müssten, die nicht REACH Konform sind, bei denen es bei längerer Lagerung zu Umwandlungsprozessen kommt, wie beispielsweise ausfallendem Sprengöl usw.

Diese Treibladungen hätten also nicht die Handhabungssicherheit, nicht die gleichen herausragenden Eigenschaften und würden in den meisten Fällen dann auch zu einem größeren Rohrverschleiß führen, giftige Substanzen frei setzen, sie würden eventuell unter bestimmten Umweltbedingungen / Temperaturen Probleme bereiten usw usw usf Im Kriegsfall wäre das natürlich irrelevant, aber der ist ja noch nicht eingetreten und in der Friedensproduktion wird die entsprechende Produktion halt vor allem anderen von endlos vielen Vorschriften und Bürokratismen behindert. Die Unternehmen müssen immens viele Normen und Vorgaben erfüllen, für dies es im Friedensbetrieb natürlich auch gute Gründe gibt.

Würde man diese Bürokratie entschlossen beiseite schaffen, und zusätzlich aus dem Ausland entsprechende Bestandteile zukaufen, könnte man meiner Einschätzung nach innerhalb kürzester Zeit immense Mengen an konventioneller Artilleriemunition produzieren. Und mit immens meine ich wirklich immens. Wenn man es denn wollte und bezahlen würde.

Die Unternehmen zieren sich (zu Recht) mit der Produktion, weil ihnen einfach die Abnahmegarantie über längere Zeiträume über größere Lose fehlt. Damit ist das für die nicht kalkulierbar und das unternehmerische Risiko zu groß. Schaff entsprechenden Unternehmen wie Nitrochemie einfach eine entsprechende Abnahmegarantie und Sicherheit was ihre Gewinne angeht und du wirst überrascht sein, wie schnell du mit was für erstaunlichen Mengen an Material zugeschüttet wirst.

Will man (Politik und BW Führung) halt nur nicht.

Zu anderen Ländern im allgemeinen kann ich wenig beitragen, aber zu Südkorea kann ich etwas sagen: ja, man könnte aus Südkorea erhebliche Munitionsmengen ordern, aber das wird aus vielerlei Gründe nie passieren. Und es wäre natürlich wesentlich sinnvoller, eigene Produktionskapazitäten wieder aufzubauen und wir haben dafür auch noch die Zeit.

Die Wartezeiten auf neue Granaten ergeben sich übrigens meiner Kenntnis nach nicht aus den Treibladungen. Man sollte an dieser Stelle auch festhalten, dass die Granate und die Treibladungen bei moderner Artillerie getrennte Dinge sind und das eine mit dem anderen "nichts zu tun hat". Die Treibladungen sind meiner Kenntnis nach aktuell nicht so das Problem.


RE: Munitionsversorgung - Quintus Fabius - 07.05.2023

Anbei:

https://www.zeit.de/news/2023-04/16/linke-bedenken-wegen-munitionsfabrik-ernst-nehmen

https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/dresden/grossenhain-riesa/kretschmer-buergerentscheid-pulverfabrik-rheinmetall-100.html

DAS Problem hat man natürlich auch noch. Dass die ach so friedensbewegten Bürgerixe und Politiker*_Innennixen durchaus etwas gegen die Herstellung von Pulvern in ihrem Hinterhof haben.


RE: Munitionsversorgung - Venturus - 07.05.2023

Danke erst einmal für die Erklärung.

Mir war auch nicht bewusst, dass es sich bei diesem Problem um die Treibladungen handelte. Ich dachte das Sprengmittel in der Granate, aber wieder was gelernt.

Meine Frage nach Südkorea zielte eher auf eine Notsituation ab. Natürlich wäre der Einkauf im Inland sinnvoller, aber als kurzfristige Lösung, um schnell Granaten ins Kriegsgebiet zu kriegen. Unseren Vorrat hätten die ja eh binnen kürzester Zeit verschossen.


RE: Munitionsversorgung - Venturus - 07.05.2023

Anmerkung: Habe ich missverständlich geschrieben. Meine Vorstellung wäre deutsche Granaten in die Ukraine und südkoreanische Granaten in deutsche Depots.


RE: Munitionsversorgung - Quintus Fabius - 07.05.2023

Stichwort Granaten: im März 2022 (!) hatte Rheinmetall angeboten, für 42 Milliarden Euro ein Gesamt-Paket zu schnüren, in dem immense Mengen Munition / Granaten beinhaltet gewesen wären. Diese wären dann bis Ende 2022 zugelaufen. Stattdessen schreiben wir jetzt MAI 2023.

Aber so wie Russland am Ende ist, haben wir eigentlich immer noch Zeit. Wir könnten hier und heute entsprechend die Granaten in Auftrag geben, und hätten sie Ende 2023. Stattdessen werden wir höchstwahrscheinlich im MAI 2024 dann ein Dejavu erleben.......


RE: Munitionsversorgung - lime - 07.05.2023

(07.05.2023, 21:03)Quintus Fabius schrieb: Stichwort Granaten: im März 2022 (!) hatte Rheinmetall angeboten, für 42 Milliarden Euro ein Gesamt-Paket zu schnüren, in dem immense Mengen Munition / Granaten beinhaltet gewesen wären. Diese wären dann bis Ende 2022 zugelaufen. Stattdessen schreiben wir jetzt MAI 2023.

Aber so wie Russland am Ende ist, haben wir eigentlich immer noch Zeit. Wir könnten hier und heute entsprechend die Granaten in Auftrag geben, und hätten sie Ende 2023. Stattdessen werden wir höchstwahrscheinlich im MAI 2024 dann ein Dejavu erleben.......

Munition und Granaten für 42 Milliarden Euro und dabei soll es sich nur um die Produktion für ein Dreivierteljahr 2022 handeln? Also da kann irgendwas nicht stimmen.


RE: Munitionsversorgung - Helios - 07.05.2023

(07.05.2023, 21:03)Quintus Fabius schrieb: in dem immense Mengen Munition / Granaten beinhaltet gewesen wären. Diese wären dann bis Ende 2022 zugelaufen.

Nicht bis, sondern ab. Sechs bis zwölf Monate Lieferzeit ab Auftragseingang, bei den angedachten Mengen mit Laufzeiten über etliche Jahre.
(07.05.2023, 23:09)lime schrieb: Munition und Granaten für 42 Milliarden Euro und dabei soll es sich nur um die Produktion für ein Dreivierteljahr 2022 handeln? Also da kann irgendwas nicht stimmen.

Nein, das Gesamtpaket lag bei 42 Milliarden. Da ging es um Panzer, Fahrzeuge, etc. Die Munition war nur ein Posten unter Vielen.


RE: Munitionsversorgung - Quintus Fabius - 07.05.2023

lime:

Zitat:ein Gesamt-Paket zu schnüren, in dem immense Mengen Munition / Granaten beinhaltet gewesen wären

Helios:

https://rp-online.de/wirtschaft/unternehmen/rheinmetall-ruestungskonzern-bietet-bundeswehr-42-milliarden-euro-paket_aid-66709543

Zitat:„Wir haben für das Ministerium aktuell Listen aufgestellt, was kurzfristig verfügbar wäre. Wir als Rheinmetall könnten in kurzer Zeit Ausrüstung im Wert von 42 Milliarden Euro liefern“, so Papperger.

Demnach will der Rheinmetall-Chef nun die Produktion hochfahren. "In vielen Werken arbeiten wir im Einschichtbetrieb, wir können auch rund um die Uhr arbeiten", sagte er.

Die von dir genannten Lieferzeiten bezogen sich meiner Erinnerung nach auf die angebotenen Fahrzeuge:

Zitat:Im Bericht bei „Focus Online“ hieß es, Rheinmetall könne innerhalb von zwölf Monaten logistische Fahrzeuge liefern, innerhalb von 18 Monaten Radfahrzeuge und innerhalb von 24 Monaten auch Kettenfahrzeuge.

https://www.focus.de/finanzen/boerse/aktien/rheinmetall-chef-armin-papperger-koennten-dem-bund-fuer-42-milliarden-euro-ausruestung-liefern_id_60784060.html

Zitat:Man sei lieferfähig, sagt Armin Papperger, der Chef des Düsseldorfer Rüstungskonzerns.

Wir haben viele Partner in der Welt, zum Beispiel in Australien und England. Dort haben wir Kapazitäten aufgebaut, von denen auch Deutschland jetzt profitieren wird.

Stichwort Bürokratie als verlangsamender Faktor - und es ist eben nicht primär die Produktionskapazität, sondern die Bürokratie:

Zitat:Papperger: Die Beschaffung dauert allgemein viel zu lange. Es gibt zum Teil 25 Genehmigungsprozesse für Panzer-Munition. Da können wir viel schneller sein. Ein Beispiel: Munition, die in den Niederlanden für denselben Waffentyp schon qualifiziert worden ist, müssen wir in Deutschland nicht noch einmal extra genehmigen.

Zitat:Papperger: Wir haben für das Ministerium aktuell Listen aufgestellt, was kurzfristig verfügbar wäre. Wir als Rheinmetall könnten in kurzer Zeit Ausrüstung im Wert von 42 Milliarden Euro liefern. Unsere Munitionswerke und Panzerwerke haben die Kapazitäten dafür.

Papperger: Die Werke dafür haben wir: In Ungarn, Australien, England und auch in Kanada, den USA und natürlich unsere deutschen Werke. Kapazität gibt es also genug.



RE: Munitionsversorgung - Helios - 08.05.2023

(07.05.2023, 23:23)Quintus Fabius schrieb: Die von dir genannten Lieferzeiten bezogen sich meiner Erinnerung nach auf die angebotenen Fahrzeuge

"Die ersten Munitionschargen könnten in einem Jahr geliefert werden, Radpanzer in eineinhalb und Kettenpanzer in zwei Jahren.
(...)
Die auf rund zehn Jahre ausgelegten 42 Milliarden Euro würden nicht nur in Rheinmetalls Kassen fließen.
(...)
Das Personal müsste aufgestockt werden, und zwar um rund 1500 bis 3000 zusätzlich zu den derzeit 8000 Beschäftigten, die im Inland in Rheinmetalls Sicherheitsbereich arbeiten. Zudem könnte die Firma Werke in anderen Staaten nutzen."


https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ruestungsindustrie-duesseldorf-milliarden-vom-bund-ruestungsfirmen-wollen-mehr-produzieren-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220303-99-367333

Diese große Diskussion um Bestände und industrielle Kapazitäten gäbe es gar nicht, wenn Rheinmetall allein innerhalb eines halben Jahres eine riesige Menge an Munition liefern könnte.


RE: Munitionsversorgung - alphall31 - 13.05.2023

Der Krieg in der Ukraine hat aber gezeigt das man keine 155 mm Granaten aus Us oder Franz. Beständen zum Beispiel mit der Pzh 2000 verschießen kann . Warum sollte das mit Granaten aus südkorea anders sein?

Wenn Rheinmetall angeblich Kapazitäten frei hat frag ich mich warum die Produktion von 10 Pzh 2000 mehr als drei Jahre dauert. Diese sind ja bestellt also hindert hier keine Bürokratie mehr.


RE: Munitionsversorgung - lime - 13.05.2023

(13.05.2023, 01:06)alphall31 schrieb: Wenn Rheinmetall angeblich Kapazitäten frei hat frag ich mich warum die Produktion von 10 Pzh 2000 mehr als drei Jahre dauert. Diese sind ja bestellt also hindert hier keine Bürokratie mehr.

Weil die Herstellung nur wirtschaftlich ist wenn die Produktionslinie ausgelastet ist. Da schrauben und schweißen dann eben nur einige Wenige aber dafür drei Jahre daran rum.


RE: Munitionsversorgung - Kopernikus - 13.05.2023

(13.05.2023, 01:06)alphall31 schrieb: Der Krieg in der Ukraine hat aber gezeigt das man keine 155 mm Granaten aus Us oder Franz. Beständen zum Beispiel mit der Pzh 2000 verschießen kann .

Ich frag mal dazwischen.

Warum kann man keine 155mm Granaten aus fremden Produktionen mit der PZH2000 verschiessen??

Ich dachte das wäre ein Standard-Kaliber.


RE: Munitionsversorgung - Falli75 - 13.05.2023

(13.05.2023, 10:01)Kopernikus schrieb: Ich frag mal dazwischen.

Warum kann man keine 155mm Granaten aus fremden Produktionen mit der PZH2000 verschiessen??

Ich dachte das wäre ein Standard-Kaliber.

Ist es, einzige für mich mögliche Erklärung wäre die Nutzung der Treibladungen, welche ziemlich sicher auf die maximal möglichen Drücke zugeschnitten sind. 777 verträgt nicht das gleiche wie Pzh2000.


RE: Munitionsversorgung - alphall31 - 14.05.2023

Es hat mit den beim abfeuern entstehenden Gasen zu tun


Zitat: Weil die Herstellung nur wirtschaftlich ist wenn die Produktionslinie ausgelastet ist. Da schrauben und schweißen dann eben nur einige Wenige aber dafür drei Jahre daran rum.

Man hat seit einem Jahr einen Auftrag über 100 Haubitzen plus jetzt noch einmal zehn . Ich habe bisher nicht gehört das nur eine einzige davon gefertigt wurde.