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Weitreichende Raketensysteme Bundeswehr - Leuco - 08.11.2021 Hallo Zusammen, wenn man die Waffensysteme verschiedener Länder vergleicht, fällt bei der Bundeswehr auf, dass es am weitreichenden Wirkmitteln fehlt (Ausnahme Luftwaffe). So gibt es im Heer z.B. keine Mittelstreckenraketen. Auch auf dem Fregatten fehlen die Marschflugkörper. Beim Heer wird zumindest über einen künftigen weitreichenden Lenkflugkörper nachgedacht. Bei den Fregatten habe ich hier bisher nichts mitbekommen. Mich würde der Grund hierfür interessieren. Gerade bei der Marine, welche den Landbeschuss im Profil hat, wäre ein weitreichendes Mittel als die Seezielflugkörper doch sinnvoll. Die Schiffe könnten so ggf. außer Reichweite der landgestützten Systeme des Gegners bleiben. In anderen Marinen gibt es bzw. soll es auch weitreichendere Seezielflugkörper geben. Kennt jemand den Hintergrund zu dieser Fähigkeitslücke? Wie würdet ihr diese für die einzelnen Teilstreitkräfte Heer und Marine bewerten? Aufklärung ist ja auch ein wichtiges Thema. In wie weit nutzt z.B. ein weitreichender Seezielflugkörper gegen andere Schiffe überhaupt? Viele Grüße RE: Weitreichende Raketensysteme Bundeswehr - Quintus Fabius - 08.11.2021 Leuco: Zitat:Mich würde der Grund hierfür interessieren. .....Kennt jemand den Hintergrund zu dieser Fähigkeitslücke? So weit es mir bekannt ist wollen die Teilstreitkräfte durchaus Raketen hoher Reichweite und das schon seit Jahren. Dass sie diese nicht bekommen muss also an Entscheidungen im Verteidigungsministerium oberhalb von ihnen liegen. Wie meist ist hier der Grund vermutlich ein ganzes Faktorenbündel, deren einflussreichste wahrscheinlich Inkompetenz, Ignoranz und Lobbyismus von Rüstungsfirmen sind. Gerade in der Merkel-Zeit ist das Verteidigungsministerium ja weitgehend zu einer Geldbeschaffungsmaßnahme für Großunternehmen geworden und werden sicherheitspolitische Entscheidungen zu sehr aus wirtschaftspolitischen, wahltaktischen, persönlichen (Posten) und sonstigen nicht-militärischen Gründen getroffen. Zur Frage der Landkriegsführung: https://wehrtechnik.info/index.php/2021/06/21/agenda-zukuenftiges-system-des-indirekten-feuers/ Im Strang Raketenartillerie habe ich dazu einen ausführlichen Kommentar geschrieben. Zitat:Gerade bei der Marine, welche den Landbeschuss im Profil hat, wäre ein weitreichendes Mittel als die Seezielflugkörper doch sinnvoll. Die Schiffe könnten so ggf. außer Reichweite der landgestützten Systeme des Gegners bleiben. Wenn man nun Land- und See zusammen betrachtet, dann wäre es natürlich sinnvoll Raketen sehr hoher Reichweite zu haben die man sowohl von Schiffen als auch von Land aus abfeuern kann. Darüber hinaus kann man solche Raketen und ihre Werfer an Land sehr viel leichter verbergen - von daher ist die Frage eines entsprechenden Land- See Abtausches vor allem auch eine Signatur, Aufklärung, Tarnung usw und nicht so sehr eine der Reichweite. Wenn du von See aus die an Land stehenden Anti-Schiffs-Raketen nicht aufklären kannst, diese aber dich, ist eine etwaige höhere Reichweite auf See irrelevant. Man hätte ja kein Ziel und kann erst dann auf den Feind wirken wenn man näher dran ist und ihn aufgeklärt hat, und damit auch in seiner Reichweite ist. Mit dieser Logik rüstet beispielsweise das USMC zur Zeit eine beachtliche Raketenartillerie-Streitmacht auf. Da werden zeitnah nicht weniger als 14 weitere neue Raketenartillerie-Batterien neu aufgestellt und mit Systemen mit sehr hoher Reichweite und auch Anti-Schiffs-Raketen versehen. Die Idee dahinter ist dann, dass man entsprechen von Pazifikinseln aus die Schiffe der Chinesen unter Beschuss nehmen kann während diese umgekehrt die landgestützten Werfer schlechter aufklären und deshalb nicht ausreichend bekämpfen können etc und man so die Seeschlacht sozusagen von Land aus gewinnt. Eventuell ist das auch in der Bundeswehr ein Argument zunächst einmal landgestützte Systeme hoher Reichweite zu priorisieren, aber ich habe noch nie dergleichen von BW Seite aus gehört. Was ich schon mal von einem Marine-Offizier gehört habe war das Argument, dass der Kriegsraum in Nord- und Ostsee zu kleinteilig sei das Raketen sehr hoher Reichweite irgendeinen Vorteil bringen würden. Mein Gegenargument dass eine deutsche Flotte sich in diesen Gewässern ohnehin nicht halten könne und vermutlich in den Atlantik ausweichen müsste wo solche Systeme sinnvoller wären und mein Verweis auf russische Schlachtkreuzer die mit einem Übermass an Raketen bewaffnete sind ließ er nicht gelten. RE: Weitreichende Raketensysteme Bundeswehr - Leuco - 09.11.2021 Danke für deine ausführliche Antwort Quintus. Bezogen auf die Küstenverteidigung würde dies bedeuten dass man sie durch U-Boote ausschalten müsste, um die hochwertigen Überwasserkampfschiffe nicht zu gefährden. Hier wird wohl IDAS von der Reichweite nicht ausreichen solche Einheiten in Kaliningrad zu bekämpfen? RE: Weitreichende Raketensysteme Bundeswehr - Ottone - 09.11.2021 Zuersteinmal hat die BW heute Taurus, und alle anderen möglichen Waffensysteme müssen sich mit ihren Parametern einen Vergleich mit Taurus gefallen lassen. Die Frage wäre also ersteinmal wo Taurus Lücken hat welche nicht (alleine) von Bündnispartnern abgedeckt werden können und somit ergänzt werden müssten. Abgesehen davon sehe ich landgestützt generell mehr Raum für Überlegungen denn als auf See. Die Deutsche Marine ist keine Interventionsstreitmacht und soll & wird es politisch betrachtet auch nicht werden, zumal die entsprechenden FKs richtig teuer sind. Zudem wäre zuerst zu klären, ob die Marine sich BMD Effektoren (TWISTER) für die F127 leisten kann – was sehr fraglich ist. Erst wenn das positiv beantwortet und umgesetzt wird, DANN kann man über Marschflugkörper nachdenken. RE: Weitreichende Raketensysteme Bundeswehr - Quintus Fabius - 09.11.2021 Was man in dem Kontext noch erwähnen sollte ist, dass man Marschflugkörper sehr hoher Reichweite auch ganz bequem von Transportflugzeugen, beispielsweise von einem A400M aus einsetzen könnte - es gab entsprechende Studien dazu beispielsweise in Engelland. Bezüglich Taurus mal allgemein die Frage in den Raum: Ist der jetzt eigentlich endlich in den Eurofighter auch elektronisch integriert worden oder ist er mit EF immer noch nicht einsatzfähig? Leuco: Zitat:Bezogen auf die Küstenverteidigung würde dies bedeuten dass man sie durch U-Boote ausschalten müsste, um die hochwertigen Überwasserkampfschiffe nicht zu gefährden. Und wie klären die U-Boote an Land die entsprechenden Landeinheiten auf ?! Noch darüber hinaus kann man diese problemlos auch in dicht besiedeltem Gebiet (lies Großstädten) inmitten der Zivilbevölkerung positionieren und damit geht ihre Signatur im allgemeinen Rauschen der Stadt unter: Zitat: Hier wird wohl IDAS von der Reichweite nicht ausreichen solche Einheiten in Kaliningrad zu bekämpfen? Mal noch ganz abgesehen davon dass die Leistungen dieses primär für die Bekämpfung von Luftzielen (bspw U-Boot Jagdhubschrauber) konzipierten Systems gerade eben gegen Landziele eher bescheiden sind; IDAS im günstigsten Fall ab 2024 zuläuft (also auf gut Deutsch später); hat man darüber hinaus in Bezug auf Kaliningrad noch genau das oben angeführte Problem, dass man von einem U-Boot aus niemals entsprechende russische Einheiten inmitten der Stadt und ihrer Zivilbevölkerung ausmachen kann. RE: Weitreichende Raketensysteme Bundeswehr - Broensen - 09.11.2021 (08.11.2021, 14:14)Leuco schrieb: So gibt es im Heer z.B. keine Mittelstreckenraketen. Auch auf dem Fregatten fehlen die Marschflugkörper. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt ist auch die öffentliche Wahrnehmung und ihr politisches Echo. Alles was man nicht als Defensivwaffe(sic) oder humanitäres Hilfsmittel deklarieren kann, ist schwer zu vermitteln. Da bleibt dann nur Bündnisverpflichtung als Argument. Und kein Bündnis erwartet realistisch von Deutschland die Beschaffung weitreichender Wirkmittel. Denn wenn wir es schon nicht schaffen, eine kleine Präzisionsrakete an eine Drohne zu hängen, dann sind wir von Mittelstreckenraketen eher weit entfernt. RE: Weitreichende Raketensysteme Bundeswehr - Helios - 09.11.2021 (09.11.2021, 20:13)Quintus Fabius schrieb: Bezüglich Taurus mal allgemein die Frage in den Raum: Ist der jetzt eigentlich endlich in den Eurofighter auch elektronisch integriert worden oder ist er mit EF immer noch nicht einsatzfähig? Er ist bisher nicht integriert und kann somit nur vom Tornado aus eingesetzt werden. RE: Weitreichende Raketensysteme Bundeswehr - Leuco - 09.11.2021 Vielleicht um meine Fragestellung bzw. Gedanken noch etwas zu präzisieren: Mir geht es rein um den Verteidigungsfall. Marschflugkörper um irgendwo auf dem Globus am Land schießen zu können sehe ich auch nicht bei uns. Dem Taurus hatte ich nicht auf dem Schirm. Für die Raketenatrtillerie wird zumindest diskutiert. Wie seht ihr denn im Verteidigungsfall die Lage auf See, bezogen auf die Reichweite der Seezielflugkörper. Wie schwer wiegt wenn bei der Marine bei 200 km Schluss ist und andere Kampfschiffe oder Küstenverteidigungen (Kaliningrad) größere Reichweiten haben. Ich kann hier die Relevanz nicht greifen, da die Ziele ja auch erstmal aufgeklärt werden müssen. Bei einer reinen Seeschlacht ist ggf. das U-Boot auch der bessere Effektor gegen andere Überwassereinheiten und die Reichweite der eigenen Seezielflugkörper weniger relevant? In der Ostsee muss man sich um die Baltische Flotte im Moment wohl wenig Sorgen. Das Potenzial der landgestützten Bastion ist für mich hier aber fraglich. RE: Weitreichende Raketensysteme Bundeswehr - Quintus Fabius - 09.11.2021 Helios: Ernsthaft ?! Der Trageversuch am EF war doch schon irgendwann 2014 wenn ich mich recht erinnere ?! Leuco: Zunächst mal müsste man ein konkretes Szenario festlegen: angesichts deiner Ausführungen zu Ostsee, Kaliningrad und Baltikum gehe ich mal von einem vollumfänglichen Krieg mit der russischen Föderation aus. In einem solchen wird die deutsche Marine meiner Einschätzung nach Eingangs überhaupt nicht in der Ostsee operieren. Das Risiko wäre (für sich allein) viel zu hoch. Eventuell ein paar U-Boote, aber das wars schon. Die Fähigkeiten der deutschen Marine nun gegen russsiche Landeinheiten von See aus vorzugehen sind derart unzureichend, dass es viel sinnvoller ist unsere Kriegsschiffe erstmal zurück zu halten und dann als Ergänzung Verbündeteter Flotten einzusetzen. Die reine Seeschlacht wird es in der Ostsee nicht geben, dass Kriegsgeschehen über der Ostsee wird primär von der Luftkriegsführung und dem gegenseitgen Versuch den Luftraum dort zu kontrollieren oder (russische Seite) zumindest umkämpft zu halten absolut dominiert werden. Das führt dann zu der Frage was für Seeeinheiten auf welche Weise in diesen Luftkampf eingreifen können. Die Frage wie Seeeinheiten hier gegen andere Seeeinheiten kämpfen würden ist demgegenüber meiner Meinung nach völlig irrelevant. Die Reichweite der von Schiffen aus eingesetzten Systeme hoher Reichweite gegen andere Schiffe oder Landziele ist daher meiner Ansicht nach tatsächlich nicht relevant bzw. viel weniger relevant gegenüber anderen Fragestellungen. Luftverteidigungsschiffe sind daher wesentlich relevanter als der Beschuss irgendwelcher feindlicher Landeinheiten welche man viel leichter und viel besser von Land aus beschießen kann. Artilleriefeuer aus Polen nach Kaliningrad ist hier einfach wesentlich erfolgversprechender. Entsprechend wird die neue Klasse 127 ja auch folgerichtig als Luftverteidigung angedacht: https://dmkn.de/wp-content/uploads/2019/12/Luftverteidigung.pdf Und genau das muss der nächste Schwerpunkt bei der Marine sein, genau diese Fähigkeit wird benötigt, insbesondere die dadurch bereitgestellte Verteidigungsmöglichkeit gegen feindliche Systeme extrem hoher Reichweite, seien es Raketen oder Marschflugkörper. Die Idee mit Kriegsschiffen irgendwelche russischen Einheiten in Kaliningrad von See aus zu beschießen ist meiner Meinung nach hingegen völlig an den realen Begebenheiten vorbei. Es wäre auch eine völlige Verschwendung der entsprechenden Schiffe die man dann dringendst für andere Aufgaben benötigen wird. Völlig anders sieht die Lage an Land aus: wie in dem von mir vernetzten Artikel beschrieben wäre weitreichende Raketenartillerie für das Heer absolut wesentlich. Gerade weil kleinere osteuropäische Länder diese Fähigkeit nicht stemmen und nicht in ausreichender Qualität und Quantität vorhalten können wäre es so absolut wesentlich, dass die Bundeswehr exakt solche Einheiten in deutlich größerer Zahl hat, um damit die Länder in Osteuropa unterstützen zu können. Beispielsweise könnte deutsche Raketenartillerie von Polen aus wesentlich leichter und einfacher russische Einheiten in Kaliningrad angehen und wäre genau dies sehr viel besser als von Schiffen aus einen solchen Angriff durchzuführen. RE: Weitreichende Raketensysteme Bundeswehr - Leuco - 09.11.2021 Danke Quintus für diese aufschlussreiche Ausführung. Das klingt für mich sehr schlüssig. RE: Weitreichende Raketensysteme Bundeswehr - Quintus Fabius - 09.11.2021 Immer gerne! Scharfe Kritik und eine Widerlegung meiner Ausführungen wären mir aber in Wahrheit lieber. RE: Weitreichende Raketensysteme Bundeswehr - 26er - 10.11.2021 @Quintus Fabius: Würde es Sinn machen, das Thema in einen eigenen Strang auszulagern? RE: Weitreichende Raketensysteme Bundeswehr - Quintus Fabius - 10.11.2021 Hiermit getan: die entstandene Diskussion habe ich hierhin verschoben: https://www.forum-sicherheitspolitik.org/showthread.php?tid=3973&page=35 Bleiben wir hier im weiteren enger bei weitreichenden Raketensystemen für die Bundeswehr. |