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(Allgemein) Bundeswehr – quo vadis? - Druckversion

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RE: Bundeswehr – quo vadis? - GermanMilitaryPower - 30.11.2022

US-General kritisiert Bundeswehr scharf: Deutschland nicht mehr unser Top-Verbündeter

https://www.merkur.de/politik/news-russland-usa-deutschland-polen-fra-ukraine-krieg-91941019.html

Es kriselt und bröckelt. Wir bleiben logistisches Drehkreuz, verlieren aber an Ansehen und Respekt. Polen nimmt unseren Platz nach UK ein.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Quintus Fabius - 30.11.2022

Um noch mal auf die Frage von Leuco einzugehen:

Egal wo man in der Bundeswehr genauer auf den Einzelnen Posten blickt, findet man überall hervorragendes. Einen Eurofighter Piloten der an der Weltspitze vom Können her ist, in einem durchaus brauchbaren Kampfflugzeug, der darüber hinaus menschlich einfach nur herausragend ist. Eine Panzerbesatzung (selbst gesehen / erlebt) welche ein derart hohes Maß an impliziter Kommunikation hat, und derart eingespielt ist, dass es wie Telepathie erscheint wie sie zusammen agieren. Die sind - ja ich will es so sagen - Künstler mit ihrem Panzer und agieren als ob sie nur ein Mensch und nur ein Wille wären. Ein Lkw-Fahrer in einem Versorgungsregiment, welcher mit seinem Lkw intuitiv in schwierigstem Gelände und in Engstellen sein Fahrzeug nur wenige Zentimeter an mehreren Hindernissen nacheinander vorbei manövrieren kann, und der anscheinend niemals müde wird oder erschöpft und endlos lange mit seinem Fahrzeug hin und her fahren kann, ein IT Spezialist der in der freien Wirtschaft ein vielfaches von dem verdienen würde was er bei der Bundeswehr kriegt, aber aus echtem Idealismus nicht seinen persönlichen Vorteil sucht, junge Offiziere die von glühendem Patriotismus beseelt sind, so dass selbst meine Wenigkeit davon beeindruckt ist, ein Oberfeldwebel der Gebirgsjäger welcher eine derart natürliche Autorität und Führungsbefähigung hat, dass jeder ihm in die Hölle folgen würde, und so könnte man endlos weiter machen.

Es gibt also überall Einzelnes, was herausragend gut ist und weltweit keinen Vergleich zu scheuen braucht. Das Problem ist, dass diese ganzen hervorragenden Einzelposten nicht oder zu wenig zusammenwirken, dass diese ganzen Einzelinstrumente kein Orchester bilden. Es fehlt also bildlich gesprochen der Dirigent. Das primäre Problem der Bundeswehr vor allem anderen ist daher ein Führungsproblem. Es fehlt an einem wirklichen strategischen Konzept, es fehlt eine wirkliche Idee davon wie die Bundeswehr real Krieg führen soll (trotz aller Worthülsen dazu) und es fehlt selbst wo man irgendwelche Ideen davon hat, wie man agieren will an der realen praktischen Umsetzung dieser Konzepte. Man stolpert einfach so vor sich hin, ergeht sich in Worthülsen und inhaltsleerem Gefasel, betreibt bloße Strukturextrapolierung und vor allem anderen die Sicherung der eigenen Pfründe.

Das Problem sitzt oben!

Die Bundeswehr krankt an Strategieunfähigkeit, mangelnder strategischer Weitsicht, mangelnder Strategie an sich, mangelnder Ernsthaftigkeit (!) und vor allem anderen mangelnder Verantwortung der Führung für ihr Versagen.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Schneemann - 30.11.2022

Zitat:...ein Oberfeldwebel der Gebirgsjäger welcher eine derart natürliche Autorität und Führungsbefähigung hat, dass jeder ihm in die Hölle folgen würde, und so könnte man endlos weiter machen.
Auch wenn das nun nur meine eigene persönliche Erfahrung ist, so kann ich dazu sagen, dass ich das ohne große Diskussion unterschreiben würde. Ich hatte selbst den Eindruck, dass alle Vorgesetzten im Bereich bis ca. zum Hauptfeldwebel bei der Gebirgstruppe nicht nur integer, leistungsorientiert, sondern bei den Mannschaften auch sehr gut akzeptiert waren. Es war im Zug bis hinauf auf die Bataillonsebene in diesem Bereich nicht nur eine sehr gute Zusammenarbeit zu bemerken, sondern es war ein Vertrauensverhältnis, und das in fast allen Belangen. Auch die Ausbildung war - von lediglich einem mir noch bekannten "Schnitzer" abgesehen (Quintus weiß, was ich meine; Stichwort: Nasse Socken) - sehr sorgfältig.

Schneemann


RE: Bundeswehr – quo vadis? - aramiso - 30.11.2022

Ja, das Problem sind vermutlich die Entscheider in den höheren Rängen.

Ein Hauptstadtjournalist Christian Schweppe von "The Pioneer" erzählt auf Twitter seinen ersten Eindruck vom Munitionsgipfel:

Interna des „Munitionsgipfels“ am Montag im Kanzleramt: Sprachlos machte Teilnehmer der Industrie, dass die Regierung erst einmal nach den grundsätzlichen Kapazitäten der dt. Wehrindustrie fragen musste. „Das muss man doch wissen“, sagte uns einer

und in einem weiteren Tweet:

"Interna des „Munitionsgipfels“ am Montag im Kanzleramt: StS Zimmer (BMVg) musste eingestehen, dass man nicht einmal schnell bestellen könnte, wenn eine dt. Firma der #Bundeswehr 2023 kurzfristig eine erhöhte Kapazität von 40% anbieten könne."

Wie kann so etwas sein?


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Rudi - 30.11.2022

Wer ganz naiv davon ausgeht, unsere Regierung möchte eine "gute" Bw, also so wie wir alle hier das wohl verstehen, hohe Kampfkraft und Einsatzbereitschaft, wird dies alles natürlich nicht verstehen.

Das unsere Regierungen das nicht wollen, zeigen alle Entscheidungen der letzten Jahrzehnte. Und deswegen stand die Bw blank da, hat Ersatzteile für abgegebenes Material nicht geordert, füllt Munitionsbestände nicht zeitnah auf, weiß nicht mal, wer bspw. Gepardmunition herstellt und kennt auch nicht die Kapazitäten der Rüstungsindustrie.

Und deswegen wird auch nicht der fähigste Militär General, sondern der willfährigste Vollstrecker der Politik.

Man sollte sich der Realität stellen und nicht denken, die Regierungen entscheiden und handeln so aus Unfähigkeit.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - 26er - 30.11.2022

Hier geht General Bühler beim MDR auf die Munitionsbeschaffung bei ca. 27:20min ein.

https://www.youtube.com/watch?v=p4UtBFBgPcQ

Interessant finde ich bei 30:10min wie er auf die zwei Haushalte eingeht, dass der Haushalt für 2022 noch gar nicht feststand. Heißt für mich aber, das hat die Politik selbst in der Hand.

Zum Thema Munition noch die Anmerkung, warum sollte sich irgendeine Firma irgendwas auf Lager legen, wenn es dazu keine konkrete Bestellung gibt? Das zu glauben ist doch einfach nur naiv.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Rudi - 30.11.2022

Wer sonst, als die Politik, sollte das in der Hand haben ? Typische Nebelkerze.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Quintus Fabius - 30.11.2022

https://www.n-tv.de/politik/Lambrecht-bittet-Lindner-um-Geld-fuer-Munition-article23754882.html

Zitat:Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat bei Finanzminister Christian Lindner eindringlich Hilfe bei der Beschaffung von dringend benötigter Munition für die Bundeswehr eingefordert.

Laut Lambrecht hatten Industrievertreter bei einem Spitzengespräch im Kanzleramt angeboten, "erhebliche Mengen dringend benötigter Munition ad hoc liefern oder aber zumindest in kurzer bis mittlerer Frist herstellen zu können". Diese Ankündigungen müsse man "zugunsten der Bundeswehr sofort ausschöpfen".

Ein Sprecher Lindners sagte dem Magazin, dem Bundesfinanzminister und der gesamten Bundesregierung sei die Ertüchtigung der Bundeswehr "ein wichtiges Anliegen". Wenn das Ressort von Lambrecht "konkrete Bedarfe für bestimmte Aufgaben" ermittele, werde man darüber reden.

Um besser reden zu können würde ich die Gründung eines speziellen Arbeitskreises und eines weiteren hochkarätig besetzten Sonderstabes vorschlagen ..... dann redet man erst mal.....und dann redet man mehr.....und dann redet man weiter.

Statt zu handeln.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Kos - 30.11.2022

Das ist nur noch lächerlich was da abgeht. Ich persönlich kann nicht mehr anders und unterstelle Frau Lambrecht und der SPD Bösartigkeit.

Man will ganz offensichtlich vom eigenen Versagen ablenken und es anderen in die Schuhe schieben. Sei es die Industrie, die FDP und mal sehen was sonst noch alles kommt.

Man erschlägt dabei gleich mehrere Fliegen (aus Sicht der SPD) mit einer Klappe. Man will noch mehr Schulden machen. Dabei kann man dann gleich der FDP noch einen einschenken, denn deren Wähler sind wg. der Schulden schon sauer.

Man fragt sich echt wozu die 100 Mrd. Sondervermögen eigentlich da sind. Für die Kampfbereitschaft ist das drängendste Problem die Munition, da alle Panzer, Eurofighter , usw. ohne die nicht kämpfen können. Nur für Schiffe hat 600 RAM 2B bestellen können, aber keine Haubitzenmunition. Ich sag es nochmal, für mich sieht das mittlerweile nach Absicht aus...


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Quintus Fabius - 01.12.2022

Helios:

Zitat:Warum sollte man beispielsweise (und das ist wirklich rein fiktiv) keine Luftwaffe aus schweren Kampfflugzeugen ohne entsprechende leichte Mehrzweckmuster betreiben können? Oder warum keine Marine aus Zerstörern ohne eine größere Zahl an Fregatten oder Korvetten? Jetzt bitte keine inhaltliche Diskussion über diese Beispiele (die ich nur aus plakativen Gründen gewählt habe), mir geht es bei der Erwähnung nur um die prinzipielle Möglichkeit.

Betreiben kann man das zweifelsohne. Aber es macht keinen Sinn und ergibt für sich keine kriegsfähige Struktur. Und wenn die realen praktischen Grenzen dergestalt sind, dass wir uns nicht alles leisten können, dann muss man von unten her die Struktur so aufbauen, dass sie trotz dieser Lücken kriegsfähig ist. Entsprechend braucht man bei beschränkteren Mitteln dann neue andere Wege der Kriegsführung, ein komplett anderes strategisches Konzept, eine neue andere Kampfweise.

Um ein bewusst übertriebenes / besonders plakatives Beispiel zu bemühen: eine Bundeswehr nur aus Kampfflugzeugen und Sanitätern ist sinnfrei. Sie kann die Sicherheit der Nation allenfalls indirekt über die Unterstützung anderer mitleisten. Eine Bundeswehr nur aus Jägern könnte hingegen dem verfassungsgemäßen Auftrag sogar eher nachkommen als das was ist. Nun könnte man die Frage aufwerfen, welches dieser beiden (lediglich als Illustration angeführten) Beispiele für ein Militärbündnis mehr bringt und das Argument bringen, dass eine Bundeswehr nur aus Jägern in einem Bündnis weniger sinnvoll ist.

Meiner Wahrnehmung nach schätzen wir den Aspekt der Bündnisverteidigung sehr verschieden ein und resultieren unsere diametral unterschiedlichen Ansichten hier vor allem auch aus einer fundamental verschiedenen Bewertung und Sichtweise derselben.

Zitat:Wir sind es, die seit Jahrzehnten unsere Sicherheitskosten auf andere Staaten, vornehmlich aber nicht nur den USA, abwälzen.

Du wirst aber wohl gewiss nicht behaupten wollen, dass dies meine Zielsetzung wäre. Ganz im Gegenteil wäre es ja zuvorderst mein Ziel die nationale militärische Schlagkraft so weitgehend wie möglich zu erhöhen, weil meinem Verständnis heraus auch nur so eine echte militärische Leistung für die Bündnispartner erbracht werden kann und eben nicht durch ein Stuckwerk an Systemen der Hochtechnologie.

Zitat:die eigene unabhängige Kriegsfähigkeit ist ein überflüssiger Narzismus, eine Fokussierung darauf wird uns weder militärisch noch politisch nutzen und uns auch hinsichtlich einer souveränen europäischen Sicherheitspolitik keinen Schritt weiter bringen.

Da haben wir einen vollständigen Dissens. Meiner Überzeugung nach können wir in einer souveränen europäischen Sicherheitspolitik nur dann voran kommen, wenn Deutschland ernsthaft und massiv militärisch aufrüstet und aus einer solchen nationalen militärischen Stärke heraus einen ersten Kondensationskeim für eine europäische Streitmacht bildet. Zuerst braucht es sozusagen eine gewisse Schwerkraft, für diese eine gewisse „Masse“, dem folgend erst werden die anderen sich Stückweise dieser wachsenden europäischen Sicherheitsstruktur anpassen. Ein Staat muss hier voran gehen, wir könnten dies, wollen es aber offenkundig nicht.

Zitat:Absurderweise ist meiner Ansicht nach damit zu rechnen, dass wir diese unabhängige Kriegsfähigkeit in einem kleineren Kontext eher erreichen, wenn wir darauf verzichten, sie auf fundamentaler Ebene in einem größeren Kontext erreichen zu wollen.

Vorausgesetzt ich verstehe deine Aussage hier richtig, ist das im Prinzip meine Aussage in diesem Kontext.
Wir sind völlig abhängig, und werden es auch weiterhin bleiben, wenn wir darauf verzichten uns in Europa gemeinschaftlich weiterzuentwickeln.

Da stimmen wir ja völlig überein, nur die Frage wie man diese gemeinsame Europäische Armee erreichen soll ist die in welcher wir einen derartigen Dissens haben. Meiner Ansicht nach wird es nie eine gemeinschaftliche europäische Sicherheitspolitik geben, wenn nicht ein Staat hier voran geht, der EU auf seine eigenen Kosten erhebliche militärische Fähigkeiten zur Verfügung stellt (dafür müssen diese für sich selbst kriegsfähig sein) und damit also ein Opfer für die Gemeinschaft erbringt, indem er überproportionale Lasten dafür auf sich nimmt. Das nenne ich dann immer einen Kondensationskeim. Aus diesem heraus wächst dann die europäische Armee.

Den Versuch in gemeinsamer Kooperation auf Augenhöhe, ohne besondere nationale Opfer und durch eine gleichmässige und „gerechte“ Beteiligung aller „Partner“ eine solche Armee aufzubauen kann meiner Auffassung aber nur scheitern. Besonders schlicht und plakativ gesagt: viele Köche verderben den Brei, das hat viel zu viel Raum für Friktionen, versucht viel zu viele höchstgradig divergierende Einzelinteressen zu vereinen und ist viel zu komplex, zu kompliziert und schlussendlich nicht steuerbar, also nicht ausreichend koordinierbar.

Wir brauchen zunächst EINE kriegsfähige Armee, von dieser ausgehend kann dann alles weitere organisch von unten nach oben wachsen. Stuckwerk der Hochtechnologie, gleichgültig wie nützlich es militärisch sein mag, kann keinen solchen Kondensationskeim bilden.

Zitat:Ich habe hier kein Konzept vorgestellt, sondern nur dargelegt, warum ich es für einen Irrweg halte, jetzt alle zukunftsweisenden Hochtechnologieprojekte nach hinten zu schieben um militärisch fundamentale Fähigkeiten aufzubauen.

Und ich schrieb nicht davon ALLE zukunftsweisenden Hochtechnologieprojekte nach hinten zu verschieben, sondern nur ganz bestimmte, während man Schwerpunkte bei den anderen bildet.

Wir versuchen da zu viele Baustellen zugleich zu bearbeiten. Wir müssen uns beschränken, davon bin ich fest überzeugt, und daraus resultiert eben meine Fragestellung, welche dieser Hochtechnologieprojekte tatsächlich unabdingbar notwendig sind, welche wie substituiert werden könnten und wie man durch eine Beschränkung dieser Mittel frei machen kann für eine sofort verfügbare EU Streitmacht, welche zunächst aus einem nationalen Projekt und nationaler militärischer Stärke heraus erwächst.

Zitat:Finanzielle und koordinatorische Probleme werden aktuell gerade bei den Großprojekten immer wieder in den Vordergrund gerückt, und sicherlich besteht hier Potenzial zur Reduzierung von Entwicklungszeiten. Der überwiegende Teil der Laufzeit ergibt sich aber aus der Grundlagenforschung, die sich auch mit größerem Finanzeinsatz nur bedingt beschleunigen lässt (das sind exponentielle Abhängigkeiten). Zudem lässt diese Grundlagenforschung keine Schwerpunktbildungen zu, weil Hochtechnologie ganzheitlich betrachtet werden muss, sofern man nicht nur ein einziges, technologisch und zeitlich eng beschränktes Ziel erreichen will. Bei der Umsetzung wiederum gibt es bereits jetzt Schwerpunkte, wenn man alle theoretischen Entwicklungsmöglichkeiten betrachtet.

Diese Schwerpunkte bei der Umsetzung der Grundlagenforschung in reale praktische militärische Fähigkeiten könnte und sollten jedoch noch enger umrissen und konzentrierter gefasst werden. Während man bei der Grundlagenforschung sicherlich einen ganzheitlicheren Ansatz benötigt, so kommt diese ja nicht nur dem militärischen Sektor zugute und sollte daher nicht begrenzt auf diesen betrachtet werden. Umgekehrt aber muss man die real praktische Umsetzung dieser Forschung in militärische Systeme durchaus begrenzen, auf das was unabdingbar notwendig ist. Um die Mittel frei zu machen, welche für das Militär selbst notwendig sind um kriegsfähige Strukturen vorzuhalten. Den Hochtechnologie bzw. Technologie an sich ist nur ein Aspekt, nur ein Teil des größeren Ganzen hier.

Wenn man die Technologie zu sehr anstelle der anderen Teile gewichtet, ihr einen zu großen Raum einräumt, dann kann dies genau den gegenteiligen Effekt erzeugen den man damit eigentlich anstrebt. Dann ist man technologisch weit überlegen und verliert trotzdem jeden Krieg selbst gegen technologisch weit unterlegene Gegner. Diese Gefahr der Übertechnisierung der Streitkräfte besteht also vor allem darin, dass die Kampffähigkeit in allen anderen Aspekten reduziert und auf dem Altar der Hochtechnologie geopfert wird, weil man diese als kriegsentscheidend bzw. wesentlich bedeutender wahrnimmt als sie es ist.

Da ich aber keineswegs bestreiten kann, dass Hochtechnologie zwar nicht der primäre und alles dominierende, aber doch ein durchaus wesentlicher Faktor ist, deshalb muss man meiner Überzeugung nach zwar in der Grundlagenforschung durchaus ganzheitlich vorgehen, in der praktischen realen Umsetzung dieser Grundlagenforschung aber die Schwerpunkte so setzen, dass möglichst viel mit möglichst wenigen Systemen abgedeckt wird und darüber hinaus diese Rüstung so effizient wie möglich ist und dadurch eben nicht die militärischen Grundlagen beeinträchtigt werden, also trotz der teureren / aufwendigeren Systeme der Hochtechnologie weiterhin eine kriegsfähige nationale Armee besteht.

Eine bloße Unterstützungstruppe aus einer größeren Bandbreite von Systemen der Hochtechnologie, erzeugt nicht nur eine kaum größere Quantität an diesen Systemen insgesamt, da die Bandbreite dann trotz der Vernachlässigung der Kriegsfähigkeit der Streitkraft selbst die Zahl der Systeme aufgrund von Kosten / Aufwand beschränkt und es kostet wie schon geschrieben die Einsatzfähigkeit der Armee.

Dies ist nicht nur politisch-strategische eine meiner Ansicht nach zu risikoreiche Ausrichtung, weil sie wie schon beschrieben Abhängigkeiten von anderen erzeugt, sie leistet auch (so meine These) eben weniger für die Integration der nationalen Streitkräfte der EU Staaten in eine EU Armee, weil eine solche nicht aus einer gemeinsamen simultanen Kooperation auf Augenhöhe heraus entstehen kann, sondern nur aus einer organisch wachsenden Ergänzung eines Gravitationszentrums um von diesem angezogene Elemente. Man braucht einen wirklich großen, kriegsfähigen Block einer real einsatzfähigen Streitkraft, an diese können dann geringere Unterstützungskräfte von anderen angehängt werden.

Eine bloße Unterstützungsstruktur (Rahmennationenkonzept) bei der ein solcher Block fehlt, die also darauf setzt dass andere die Basis bilden und wir uns auf Führung, Santitätswesen, Kampfflugzeuge usw konzentrieren erzeugt meiner Meinung nach zu viele Friktionspunkte um funktional zu sein. Sie ist nicht koordinierbar und daher nicht schnell genug implementierbar. Und wenn diese sicherheitspolitische Strategie dann scheitert, steht man alleine ohne kriegsfähige Streitmacht dar.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Helios - 01.12.2022

(01.12.2022, 10:59)Quintus Fabius schrieb: Betreiben kann man das zweifelsohne. Aber es macht keinen Sinn und ergibt für sich keine kriegsfähige Struktur. Und wenn die realen praktischen Grenzen dergestalt sind, dass wir uns nicht alles leisten können, dann muss man von unten her die Struktur so aufbauen, dass sie trotz dieser Lücken kriegsfähig ist. (...)
Um ein bewusst übertriebenes / besonders plakatives Beispiel zu bemühen: eine Bundeswehr nur aus Kampfflugzeugen und Sanitätern ist sinnfrei. Sie kann die Sicherheit der Nation allenfalls indirekt über die Unterstützung anderer mitleisten. Eine Bundeswehr nur aus Jägern könnte hingegen dem verfassungsgemäßen Auftrag sogar eher nachkommen als das was ist.

Du sprichst immer wieder von Kriegsfähigkeit, aber mit keinem Wort davon, was für einen Krieg wir überhaupt führen könnten. Um jetzt mal bei den übertriebenen / besonders plakativen Beispielen zu bleiben, wenn Russland beschließt, unsere Wirtschaft mit Abstandswaffen und Schutt und Asche legen zu wollen, und unsere Bündnispartner in NATO und EU wegschauen, nützen dir deine Jäger wenig. Der verfassungsmäßige Auftrag muss immer im Kontext der erwarteten Bedrohungen gesehen werden. Ich halte die Wahrscheinlichkeit, dass wir alleine einen großen, klassischen Landkrieg führen (ähnlich jenem, der jetzt in der Ukraine stattfindet) für verschwindend gering, insofern ist die Ausrichtung auf Basisfähigkeiten in erster Linie die Ausrichtung auf einen Bündniskonflikt. Und an der Stelle fehlt mir die Kohärenz in deiner Argumentation. Auf der einen Seite kritisiert du die Ergänzung von militärischen Grundfähigkeiten anderer Staaten durch deutsche Zusatzfähigkeiten als Auslagerung der Verteidigungskosten anderer auf den deutschen Steuerzahler. Auf der anderen Seite forderst du starke deutsche Basisfähigkeiten als Keim einer europäischen Armee, die primär diesem genannten Szenario der Bündnisverteidigung dient, was letztlich hinsichtlich der Finanzierung nichts anderes ist. Beides bedeutet, dass wir unsere Sicherheit im Bündnis erkaufen, beides bedeutet, dass wir unsere militärischen Fähigkeiten ausbauen, es ist lediglich ein anderer Schwerpunkt.

Ich kann deinem Argument, dass sich kein Bündnispartner auf eine engere Verbindung und damit der Bildung einer echten europäischen Armee einlassen wird, wenn wir selbst nicht unsere Kampfkraft deutlich erhöhen, ja durchaus folgen. Ich sehe es genauso und sah es nie anders. Ich bin aber der Meinung, dass diese Kampfkraft nicht nur auf Basisfähigkeiten aufbauen muss, die bereits jetzt prinzipiell in großer Zahl in Europa vorhanden sind, und dass wir durchaus auch durch andere Fähigkeiten eine entsprechende Stärke generieren können, die andere Nationen zur Zusammenarbeit bewegt. Natürlich braucht es trotzdem einen Kern an Basisfähigkeiten, und natürlich muss politisch und finanziell konsequent die Einsatzfähigkeit der aktuellen Einheiten der Bundeswehr hergestellt werden. Beides habe ich nicht in Abrede gestellt, beides erachte ich als notwendig, aber dies darf nicht gegenüber einer Langzeitentwicklung gegengerechnet werden. Und zu dieser gehört für mich eben nicht der Ausbau der vorhandenen Basisfähigkeiten. Ich bin sogar der Meinung, und lustigerweise waren wir uns hierbei noch vor wenigen Wochen sogar einig, dass mittelfristig sogar eine Reduktion des Heeres und ein Ausbau von Zusatzfähigkeiten ein sinnvoller Weg sein könnte, wenn er entsprechend durch politische und finanzielle Verpflichtungen und Kooperationen gestützt wird.

Zitat:Da haben wir einen vollständigen Dissens. Meiner Überzeugung nach können wir in einer souveränen europäischen Sicherheitspolitik nur dann voran kommen, wenn Deutschland ernsthaft und massiv militärisch aufrüstet und aus einer solchen nationalen militärischen Stärke heraus einen ersten Kondensationskeim für eine europäische Streitmacht bildet.

Da gibt es keinen Dissens. Der Dissens liegt darin, wie diese militärische Stärke aussehen sollte. Wenn man mal von nationale politische Interessen (wie im Fall Polens) absieht, warum geht von den USA eine derartige sicherheitspolitische Strahlkraft aus, dass europäische Nationen eher an einer transatlantischen als an einer paneuropäischen Zusammenarbeit interessiert sind? Es geht dabei vermutlich in der Reihenfolge sogar um die politischen Rahmenbedingungen, um die nukleare Abschreckung, und durchaus auch um konventionelle militärische Stärke. Aber bei letzterer sind es doch nicht militärische Basisfähigkeiten, die hier eine besondere Rolle spielen, sondern exakt jene militärische "Zusatzfähigkeiten", die uns in Europa fehlen. Und der technologische Vorsprung der aktuellen Technik.

Was die Hochtechnologie angeht, ich sehe da nicht zu viele Baustellen, und ich halte gerade die Großprojekte für elementar wichtig sowohl auf nationaler wie internationaler Ebene. Und gerade aufgrund der Laufzeiten der Entwicklung, aber auch des Betriebs, würden wir hier mit einem Verzicht einzelner Aspekte Jahrzehnte verlieren, in denen sich die Abhängigkeit verstärkt und die europäische Zusammenarbeit erschwert wird. Eine EU-Armee ohne rüstungsindustrielle Souveränität ist ein Trugbild, dabei bleibe ich. Das bedeutet im Umkehrschluss natürlich nicht, dass es jeweils der maximale technologische Schritt sein muss. Aber es sollte definitiv eine entsprechende Fokussierung auf der generellen Weiterentwicklung in diesen Bereichen. Wir haben jetzt bereits Probleme, weil wir (Europäer) es in der Vergangenheit nicht geschafft haben, einen gemeinsamen Weg zu definieren. Diesen Fehler dürfen wir nicht immer und immer wiederholen, denn jedes Mal geht ein weiteres Stück technologischer Leistungsfähigkeit verloren, bis am Ende gar nichts mehr übrig bleibt.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Schneemann - 04.12.2022

Zu aktuellen Bestellungen, auch wenn es noch keine 155-mm-Munition ist und keine Flugkörper sind...
Zitat:305.000 Schutzwesten aus Fulda: Mehler Vario System erhält Bundeswehr-Großauftrag

Das Unternehmen Mehler Vario System hat einen Großauftrag erhalten: Es wird in Fulda 305.000 Schutzwesten für die Bundeswehr produzieren. Mit einem zweiten Werk und mit 240 neuen Mitarbeitern soll es gelingen, die bisherige Produktionsmenge zu verdoppeln.

Im April gab der Haushaltsausschuss des Bundestags 2,4 Milliarden Euro für persönliche Ausrüstung und Bekleidung der Bundeswehrsoldaten frei. Von dem Geld beschafft werden 122.000 Gefechtshelme, 150.000 Sätze Kampfbekleidung (wie Jacken und Hosen), 250.000 Rucksäcke – und nicht zuletzt 305.000 Schutzwesten. Diese Westen der „Modularen ballistischen Schutz- und Trageausstattung (Mobast)“ kommen aus Fulda. Ähnliche Schutzwesten hatte MVS bereits an die Bundeswehr geliefert – natürlich in viel geringerer Zahlen. Jetzt haben die Fuldaer das Modell noch weiter entwickelt.

Die Bundeswehr bestellt also ein Produkt, das sie schon gut kannte. Sämtliche Westen sollen bis Ende 2025 ausgeliefert sein.
https://www.fuldaerzeitung.de/fulda/thomas-homburg-ukraine-krieg-fulda-mehler-vario-system-auftrag-bundeswehr-schutzwesten-91943226.html

Ferner:
Zitat:Beschaffung von digitalen Funkgeräten und Puma-Munition gebilligt

Die Bundeswehr kann mit der Beschaffung von digitalen Hand- und Fahrzeugfunkgräten beginnen. Dafür machte der Haushaltsausschuss in seiner Sitzung am vergangenen Mittwoch den Weg frei. Darüber hinaus wurde der Rahmen für den Kauf von mehr als 600.000 Schuss Maschinenkanonenmunition im Kaliber 30×173 Millimeter für den Schützenpanzer Puma geschaffen. Dies geht aus einer Meldung des Verteidigungsministeriums hervor. [...] Bei den neuen Funkgeräten handelt es sich um softwaredefinierte Geräte der Baureihe E-Lynx des Herstellers Elbit Systems (ESuT berichtete). Als Handfunkgeräte werden die E-LynX Soldier Radios (PNR-1000) beschafft. [...]

Bezüglich der Beschaffung von 30-Millimeter-Munition für den Schützenpanzer Puma schreibt das Verteidigungsministerium, dass die ersten 25.000 Patronen noch in diesem Jahr aus dem Rahmenvertrag abgerufen werden sollen.
https://esut.de/2022/12/meldungen/38530/beschaffung-von-digitalen-funkgeraeten-und-puma-munition-gebilligt/

Schneemann


RE: Bundeswehr – quo vadis? - ObiBiber - 04.12.2022

Ich habe mal überschlagen was man so an komplexer Munition benötigt…
30 Tage Vorrat!
Wichtig ist dass man im Land ausreichen Produktions Kappa vorhält um schnell weiter produzieren zu können…
außerdem gemeinsame Bevorratung innerhalb der NATO!

30mm a 1.000€ - 5 Mio Stück - 5 Mrd
155mm a 3.000€ - 1 Mio Stück - 3 Mrd
120mm a 3.000€ - 0,5 Mio Stück - 1,5 Mrd
GMRLS/GLSDB a 0,1 Mio € - 10.000 Stück - 1 Mrd
Iris-t a 400.000€ - 5.000 Stück - 2 Mrd
JDAM a 50.000€ - 10.000 Stück - 0,5 Mrd
Patriot a 2 Mio€ - 1.000 Stück - 1 Mrd
NSM a 1 Mio€ - 1.000 Stück - 1 Mrd
SM2/3/6 a 3-5 Mio€ - 200 Stück - 1 Mrd
RAM a 1 Mio€ - 600 Stück - 600 Mio

macht knapp 20 Mrd
alles unterhalb Kaliber 30mm ist nicht berücksichtigt


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Leuco - 04.12.2022

Die Liste ließe sich beliebig erweitern, es fehlen hier z.B. 127 mm, Mörser Granaten, 40 mm, RBS15 oder auch Taurus. So kann ich mir nicht vorstellen, dass in den oben genannten Größenordnungen z.B. die 30 mm beschafft werden. Vielmehr wird sich die Summe der Kalkulierten 20 Mrd in wesentlich mehr Posten zerlegen.

Ich denke es geht auch vor allem darum Produktionskapazitäten aufzubauen und vorzuhalten.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - DeltaR95 - 04.12.2022

(04.12.2022, 11:52)ObiBiber schrieb: Ich habe mal überschlagen was man so an komplexer Munition benötigt…
30 Tage Vorrat!
Wichtig ist dass man im Land ausreichen Produktions Kappa vorhält um schnell weiter produzieren zu können…
außerdem gemeinsame Bevorratung innerhalb der NATO!

30mm a 1.000€ - 5 Mio Stück - 5 Mrd
155mm a 3.000€ - 1 Mio Stück - 3 Mrd
120mm a 3.000€ - 0,5 Mio Stück - 1,5 Mrd
GMRLS/GLSDB a 0,1 Mio € - 10.000 Stück - 1 Mrd
Iris-t a 400.000€ - 5.000 Stück - 2 Mrd
JDAM a 50.000€ - 10.000 Stück - 0,5 Mrd
Patriot a 2 Mio€ - 1.000 Stück - 1 Mrd
NSM a 1 Mio€ - 1.000 Stück - 1 Mrd
SM2/3/6 a 3-5 Mio€ - 200 Stück - 1 Mrd
RAM a 1 Mio€ - 600 Stück - 600 Mio

macht knapp 20 Mrd
alles unterhalb Kaliber 30mm ist nicht berücksichtigt

Sorry, aber was bezweckst du mit so einer fehlerhaften Auflistung? Du unterschlägst den gesamten Kontext, u.a. wo man 1.000 NSM lagern soll - vom Rest ganz zu schweigen! Exakt so passieren politische Rüstungskatastrophen, siehe gerade F35 und fehlende Infrastruktur in Büchel...

Mal nebenbei: Eine NSM kostet im FY2021 2.194 Mio. USD pro Stück! Die 1.000 € für eine 30 mm gelten für Air Burst Munition! Nicht für APFSDS oder Vollmantel! Was soll die Marine mit SM-3 und SM-6? Kein Schiff hat die Radar und Feuerleitanlagen dafür!

Eine SM-3 kostet pro EA 11,83 Mio. USD FY2021, SM-6 US$4,318,632 (FY2021)! Überall noch +19 % VAT für den deutschen Kunden!