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(Allgemein) Bundeswehr – quo vadis? - Druckversion

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RE: Bundeswehr – quo vadis? - Broensen - 27.10.2022

(26.10.2022, 22:08)Quintus Fabius schrieb: Was stört dich konkret an Punkt 3 ?
Ich sagte: "diskussionswürdig".

(26.10.2022, 10:32)Quintus Fabius schrieb: 3. Man sollte die Polizeien in Deutschland weitgehend militarisieren, um sie für den Fall eines Krieges als eine Parallelstruktur dann als Kombattanten einsetzen zu können. Entsprechend sollte alle Polizei zu ihrer normalen Ausbildung eine vollumfängliche Ausbildung als leichte Infanterie erhalten, und entsprechende Bewaffnung vorgehalten werden.

Die sich daraus ergebende vollständige Auflösung der Trennung von Militär und Polizei halte ich weder für sinnvoll, noch für angemessen, noch für realistisch. Eine Militarisierung der Polizei führt automatisch zu einem deutlich reduzierten Rekrutierungspotential, zumindest in unserer von dir so häufig gescholtenen Gesellschaft. Wir hatten das gleiche Thema schon einmal hinsichtlich des Potentials, das sich aus einer Reduzierung der Sanitäts- zugunsten der Kampftruppen ergeben würde.
Es herrscht eh schon Mangel an geeigneten Polizeibewerbern, ein Problem, das durch den vorgenannten Effekt in Verbindung mit einer umfangreichen zusätzlichen Infanterieausbildung nochmal deutlich verstärkt werden würde, da noch weniger Polizisten deutlich mehr Ausbildung erhalten müssten. Zudem könnte es sogar so weit kommen, dass der Beruf des Polizisten den Vorzug erhält bei ansonsten auch für die Bundeswehr rekrutierfähigen Bewerbern.

Nun kann man natürlich durchaus davon ausgehen, dass Aufgaben wie bspw. die Verkehrsüberwachung u.ä. im Kriegsfall in den Hintergrund rücken dürften, so dass hier eine gewisse Zahl Sicherheitskräfte frei gesetzt werden könnte. Nur muss man das dann derart organisieren, dass nicht die frei werdenden Kräfte direkt für den Krieg herangezogen werden, sondern stattdessen andere, für den Kampfeinsatz besser geeignete Kräfte ersetzen. Also bspw. müssten bei den Landespolizeien die meist im Verkehrsdienst eingesetzten Kräfte verstärkt den zivilen Schutzdienst übernehmen, damit dessen Kräfte die Aufgaben der Bereitschaftspolizei übernehmen können, die als einzige für einen Einsatz im militärischen Umfeld geeignet ist. Und selbst dann müsste noch differenziert werden, für welche Aufgaben sich diese Kräfte tatsächlich eignen. Idealerweise sollten sich diese sogar weitestgehend mit der eigentlichen Profession der Polizei überschneiden, also z.B. Sicherungsaufgaben, Feldjägerdienst, Kriegsgefangenenbewachung und -vernehmung sowie der Einsatz gegen irreguläre Kräfte und ganz allgemein die Aspekte der hybriden Kriegsführung. Dafür ist aber keine "vollumfängliche Ausbildung als leichte Infanterie" erforderlich, sondern vor allem entsprechende Planungen und auch abgestimmte Übungen, bei denen die diversen BOS gemeinsame Einsätze trainieren.

Ein schwieriger Aspekt dabei ist auch, dass ausgerechnet die Bereitschaftspolizei zwar am besten für einen Kampfeinsatz geeignet wäre, gleichzeitig aber zum größten Teil aus den frisch ausgebildeten Nachwuchskräften besteht, die als Teil ihrer Laufbahn alle eine gewisse Zeit dort zum Einsatz kommen. Das hat den unangenehmen Nebeneffekt, dass eine militärische Verwendung dieser Kräfte sich automatisch auf nahezu jeden Polizisten in Deutschland beziehen würde. Die negativen Auswirkung auf das Rekrutierungspotential habe ich bereits ausgeführt. Deshalb halte ich es für angebracht, sehr bedacht vorzugehen, wenn man der zivilen Polizei militärische Aufgaben zuteilen möchte. Es könnte das Gegenteil von dem bewirken, was man beabsichtigt.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Quintus Fabius - 31.10.2022

Broensen:

Deine These, dass eine Re-Militarisierung der Polizei zu einem Rückgang von geeigneten Bewerbern bei der Bundeswehr führen sollte, kann ich so weder teilen noch nachvollziehen. Auch meiner Kenntnis nach fehlt es bei der Polizei an geeigneten Bewerbern, dieses Problem ist jedoch in weiten Teilen auch hausgemacht. Beispielsweise gibt es in etlichen Bundesländern nur noch den gehobenen Dienst und nirgends mehr den Einfachen Dienst.

Sehr viele Aufgaben bei der Polizei entsprechen jedoch nicht ansatzweise dem Qualifizierungs- und Besoldungsniveau. Da schreiben dann Oberkommissare Strafzettel, und entstempeln Hauptkommissare dann Kennzeichen weil die Versicherung abgelaufen ist. Das Humankapital könnte kaum ineffizienter und sinnloser vergeudet werden. Entsprechend könnte man durch eine intelligentere und gestaffelte Verteilung der Aufgaben hier immense Mengen an Person dazu gewinnen.

Noch darüber hinaus wird auch sonst bei den Polizeien aufgrund gewisser bürokratischer Mechanismen in schier unfassbaren Umfang Arbeitskraft verschwendet. Einige wenige gesetzliche Änderungen und schon könnte man interne Prozesse bei der Polizei anders gestalten und schon hätte man kein Personalproblem mehr.

Ein Musterbeispiel (neben vielen anderen) wäre eine einfache Halterhaftung bei allen Parkverstößen etc, welche die jetzt für die Fahrerermittlungen abgestellten Polizeibeamten auf der Stelle für andere Aufgaben frei machen würde. Aber das ist ja ein komplett eigenes Thema und führt jetzt hier zu weit weg.

Die Personal und Rekrutierungsprobleme wären also problemlos lösbar. Und wenn du nun im weiteren anführst, dass eine zusätzliche militärische Ausbildung über diesen Punkt hinaus noch weitere Probleme nach sich ziehen soll erstaunt es mich doch einigermaßen, wie dass den früher in der Bundesrepublik dann funktioniert hat, wo nicht nur der Bundesgrenzschutz vollumfänglich militärisch ausgebildet wurde und einen Kombattantenstatus hatte, sondern auch die Polizeien der Länder nicht nur zusätzliche militärische Ausbildung erhielten, sondern auch gurtgefütterte Maschinengewehre, Gewehrgranaten, Bechergranatwerfer, Handgranaten und leichte Radpanzer hatten.

Es ist den Leuten heute irgendwie nicht mehr klar, dass die Polizeien früher sehr viel stärker bewaffnet waren als dies heute der Fall ist. Da lernten die Polizisten noch wie man mit einem FN FAL und Handgranten Gebäude stürmt. Es gab sogar noch in der frühen Bundesrepublik mit dem sogenannten Polizeikampf eine eigene COIN Doktrin, was ebenfalls heute de facto völlig verschüttet wurde und selbst in der Polizei kaum noch bekannt ist.

Als die Bundeswehr anfing sich aufgrund Afghanistan mit COIN zu beschäftigen, wurden die früheren deutschen Ansätze dazu, welche aus der Weimarer Republik stammen einfach ignoriert, zum einen aus Unkenntnis, zum anderen (dort wo beispielsweise meine Wenigkeit damals mal etwas über den Polizeikampf als Doktrin vortrug) aus Ignoranz.

Was gleich zum nächsten Punkt führt: der Frage wofür man dann die re-militarisierte Polizei einsetzt. Keineswegs wollte ich hier auf einen Einsatz „an der Front“ hinaus. Sondern darauf, damit für die Bundeswehr bestimmte Aufgaben zu übernehmen, welche ansonsten deren Personal dort binden würden. Das reicht vom Objektschutz über die Aufgaben der Feldjäger hin zur Bekämpfung von Saboteuren, Agenten, fünften Kolonnen im Land, hybriden Bedrohungen und feindlichen Sondereinheiten.

Und dafür ist meiner Ansicht nach, im Gegensatz zu deinen Aussagen dazu, durchaus eine vollumfängliche infanteristische Ausbildung notwendig. Bloße gemeinsame Übungen sind hier völlig unzureichend. Solche Übungen fanden ja in den letzten Jahren bereits statt. Dabei wurde nicht einfache eine Aufrufhundertschaft aus normalen Polizeibeamten verwendet, sondern eine Auslege der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten, teilweise unterstützt von polizeilichen Sondereinheiten.

Bekannte von mir die bei der Polizei sind berichteten mir nun ausführlich von diesen Übungen und fragten diesbezüglich nach meinen Ansichten, weil sie selbst massivste Zweifel an dem hatten, was sie da sahen. Und nachdem ich ihnen ihre Zweifel vollumfänglich bestätigen konnte, bin ich der Ansicht, dass das Können bei der Polizei für diese Art von Aufgaben einfach völlig unzureichend ist. Es fehlt da nicht nur am grundlegendsten Verständnis, es fehlt auch an der notwendigen Einstellung, der inneren Kultur und Verfasstheit um solche Tätigkeiten überhaupt erfolgreich übernehmen zu können. Kurz und einfach: der Polizei fehlt hier die Militarisierung. Eine solche kann man aber nur durch entsprechende Ausbildung von Anfang an erreichen.

Man sollte hier den Einsatz aber keineswegs nur auf die Hundertschaften der Bereitschaftspolizeien beschränkt betrachten, sondern auch aus den normalen Polizeieinheiten könnten eine ganze Reihe von Aufrufhundertschaften gebildet werden, zunächst aus Freiwilligen. Das vorhanden sein solcher Strukturen ist bereits im Friedensbetrieb meiner Meinung nach auch so ein erheblicher Vorteil.

Entsprechende Polizeibeamte werden dann besonders weiter geschult und erhalten fortwährende militärische Ausbildung – auch nachdem sie aus den Bereitschaftspolizeien heraus sind. Damit dienen sie dann zugleich als Multiplikatoren in der Polizei selbst und verbreiten diese Kenntnisse und die dazu gehörende Einstellung innerhalb der Polizeieinheiten weiter.

Beschließend sollte man noch einmal betonen, dass diese Zustände und Konzepte welche ich hier beschreibe keineswegs neu sind, sondern lediglich eine Rückkehr zu den realen Verhältnissen der frühen Bundesrepublik darstellen. Wer weiß heute noch, dass man bis in die späten 70er Jahre hinein seinen Wehrdienst sogar bei der Bereitschaftspolizei ableisten konnte, und nicht nur beim Bundesegrenzschutz, wobei die sogenannte Grenzschutzdienstpflicht sogar rein rechtlich bis heute weiter besteht und nur ausgesetzt ist.

Vor allem anderen aber müsste man völkerrechtlich den Polizeien in Deutschland erneut / wieder sehr weitgehend den Kombattantenstatus verleihen. Allein daran würde und wird in der real existierenden Bundesrepublik natürlich jede solche Weiterentwicklung der Polizeikräfte bereits scheitern. Auch wenn sie militärisch noch so sinnvoll wäre.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Vanitas - 05.11.2022

Im September wurde hier über die geplante Heeresstruktur, insbesondere die Artillerie diskutiert. Mittlerweile wurde eine verbindliche Planung für die Zielstruktur der Artillerie veröffentlicht:

Zitat:DAG

1x Stabs Versorgung Batterie
2x Rohrartillerie mit 3 Zügen mit jeweils 3 Geschützen, also 18 Rohre im Btl
1x Raketenbatterie mit 4 Zügen mit jeweils 4 Werfern, also 16 RakWrf im Btl
1x Aufklärende Artillerie Batterie
1x vollgekaderte Batterie als Verstärkungskräfte, dort alles abgebildet (9 Rohre und 4 Werfer)
1x Feldersatz (vollgekadert)

BAG

1x Stabs Versorgung Batterie
2x Rohrartillerie mit 3 Zügen mit jeweils 3 Geschützen, also 18 Rohre im Btl
1x Beobachter Batterie
1x vollgekaderte Rohr Batterie als Verstärkungskräfte, (9 Rohre)
1x Feldersatz (vollgekadert)

Die Division 2025 soll am Ende noch weitere Systeme und Personal bekommen, sodass die gekaderten Einheiten umgewandelt werden können.
Quelle: Forodir auf whq-Forum - Artillerie in der Bundeswehr - Beitrag #1822

Weiterhin interessant: Die Flugabwehr soll als eigenständiges Btl der Division unterstellt werden, die Planung mit den einzelnen Batterien bei der Artillerie ist also schon wieder überholt.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Broensen - 05.11.2022

Erfreulich daran sind mMn die Feldersatzbatterien und der Ansatz, vorerst gekaderte Einheiten aufzustellen, die später regulär aktiviert werden sollen. Der Aufwuchs wurde mit geplant, ohne einen dysfunktionalen Zwischenschritt zu schaffen.

Bei den drei Zügen je drei Rohre bin ich etwas unsicher, was ich davon halten soll. Sollte man hier einen Aufwuchs auf vier Rohre planen, ergäbe es für mich Sinn.

Mich irritiert auch die recht große Raketenbatterie. Spart zwar ein paar DP in der Batterieführung (was ja prinzipiell wünschenswert ist), aber kann bei einem so weitreichenden System durch die gebotene Dislozierung zu einem stark überdehnten Batterieeinsatzraum führen und dadurch die Führung und Versorgung erschweren. Da hätte ich es für sinnvoller erachtet, zwei Batterien aufzustellen mit je einem gekaderten Zug, dafür aber keine Werfer in der vollgekaderten Aufwuchs-Batterie.
Wenig Verständnis habe ich auch für den nur sehr geringen Aufwuchs der Raketenartillerie insgesamt. Da die vorhandenen M270 nicht ausreichen können für die dargestellte Struktur, muss auf jeden Fall ein neues System kommen. Und dann hätte man hier auch gleich etwas ambitionierter heran gehen können. Zumal gerade bei den MLRS die Zahl der Werfer nicht der große Kostentreiber sein wird.

Das mit der separaten Flugabwehr ist sehr schade und wie die Quelle auch schon kundtat, wird es dort eine ziemlich komplexe Organisation mit Durchmischung von Heeres- und Luftwaffenkräften in den Einsatzverbänden geben. Aber vermutlich ist genau das der Grund, warum diese nicht zur Artillerie kommt. Eine eigenständige Truppengattung mit eigenen Bataillonen ist für TSK-übergreifende Koordination natürlich besser geeignet.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - aramiso - 15.11.2022

Aus Soldat und Technik:
"Deutschland wird auch 2023 zugesagtes 2-Prozent-Ziel verfehlen"

https://soldat-und-technik.de/2022/11/streitkraefte/33325/kommentar-deutschland-wird-auch-2023-zugesagtes-2-prozent-ziel-verfehlen/

Aus dem Artikel:

"Somit wird klar, dass die aktuelle Regierung und die Haushälter der Ampelkoalition nicht nur ihre Zusagen brechen werden, sondern auch die kaputtgesparte Truppe weiter im Regen stehen lassen. Und dabei steht diese heute schlechter da, als vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine, nachdem sie einen Teil ihrer Ausrüstung und Munitionsreserven an die Ukraine abgegeben hat."


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Ottone - 15.11.2022

Grüße von der Energiekrise, und auch der Ukrainehilfe.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - 26er - 16.11.2022

"Ein frommer Wunsch« – FDP, Grüne und Union zerpflücken Lambrechts Pläne

Der vom SPIEGEL bekannt gemachte Strategiewechsel der Bundeswehr stößt auf Kritik in der Ampel und der Opposition. Deutschland könne sich nicht einfach aus dem internationalen Krisenmanagement abmelden."

Der Rest ist leider hinter der Paywall.

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-ein-frommer-wunsch-fdp-gruene-und-union-zerpfluecken-lambrechts-plaene-a-d69d2d53-78ae-4bb8-8c12-c9732b1fa7fe

Hier noch ein zweiter Artikel:

https://www.fnp.de/politik/litauen-bundeswehr-krieg-russland-nato-ostflanke-angriff-deutschland-estland-lettland-zr-91917977.html


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Broensen - 17.11.2022

Die Lektüre dieses Interviews mit dem Inspekteur des Heeres lässt mich tatsächlich neu auf das "Zielbild Einsatzkräfte Heer" blicken.
Zitat:Da baut sich eine Auftragspyramide auf, mit der wir uns jetzt auseinandersetzen müssen. Das führt natürlich zu strukturellen Anpassungsmaßnahmen.

Folgt man den Erläuterungen von Alfons Mais, stellt man fest, dass die komplette Struktur der beiden Panzerdivisionen sich auf nur zwei Aspekte zurückführen lässt:

1. Es sollen Brigaden mittlerer Kräfte eingeführt werden.
2. Die zugesagten schweren Beiträge für eFP/eVA/NFM müssen erbracht werden.

Und das war's. Keinerlei weitergehende Vision oder strukturelle Idee dahinter. Selbst der Ansatz, die schweren Brigaden konsequent mit vier Kampfbataillonen auszustatten, hängt nur an der Rotation für eFP/eVA. Es werden die schweren Truppen im für eFP/eVA/NFM erforderlichen Umfang beibehalten, auf den letzten Drücker einsatzfähig gemacht und dann der verbliebene Rest zu mittleren Kräften zusammengefasst, die den schweren Kräften vorausgeschickt werden können und ansonsten für IKM verwendbar sind. Dazu wird die Gebirgsjägerbrigade herausgenommen und "gerupft", um die erforderlichen DP zu erhalten.
Somit ist die neue (nicht ganz schlechte) Struktur der DSK das einzige, was man freiwillig zu Stande bringt. Alles andere ist aus der Not geboren.


Diese Erkenntnis macht es für mich nicht besser, die Ambitionslosigkeit ist fatal.
Aber es erklärt zumindest, wieso die Struktur so aussieht, wie sie es tut. Und sie ergibt so tatsächlich einen Sinn, wenn auch nur für die genannten Umstände. Diese Struktur stellt die einfachste Lösung dafür dar, die Einsatzverpflichtungen zu erfüllen und trotzdem den eigenen Irrweg bei den mittleren Kräften nicht verlassen zu müssen.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Quintus Fabius - 18.11.2022

Hatte hier irgend jemand ernsthaft anderes erwartet ? Bei einem Gespräch mit jungen Offizieren vor kurzem wurde meine Ansicht dass man jetzt radikale Änderungen durchdrücken sollte sogar damit abgetan, dass Russland ja so schwach sei, dass es keinerlei Gefahr mehr darstelle und deshalb auch keine Änderungen notwendig seien. Darüber hinaus sei die Bundeswehr bereits hervorragend so wie sie ist, und werde die militärische Führung in Europa übernehmen, während die anderen Nationen die Kampftruppen für diese "Führungs- und Sanitätswehr" stellen werden. Wozu eigene Kampftruppe wenn doch die eigentliche Aufgabe das Führen ist ?! Sinn und Zweck der weltweit allerüberlegensten Führungsakademie ist es ja die weltbesten höheren Offiziere hervor zu bringen. Also kann doch alles was selbige verkünden nur ebenfalls das beste sein,nicht wahr.

Es ist halt unser Zitat: historisches Task als Teil der Strategic Community (neuer Begriff den ich da erst gehört / gelernt habe) die Truppen der anderen zu führen.

Zitat:Auftragspyramide

Auch eine lässige Worthülse !


RE: Bundeswehr – quo vadis? - ObiBiber - 18.11.2022

(17.11.2022, 15:11)Broensen schrieb: Die Lektüre dieses Interviews mit dem Inspekteur des Heeres lässt mich tatsächlich neu auf das "Zielbild Einsatzkräfte Heer" blicken.

Folgt man den Erläuterungen von Alfons Mais, stellt man fest, dass die komplette Struktur der beiden Panzerdivisionen sich auf nur zwei Aspekte zurückführen lässt:

1. Es sollen Brigaden mittlerer Kräfte eingeführt werden.
2. Die zugesagten schweren Beiträge für eFP/eVA/NFM müssen erbracht werden.

Und das war's. Keinerlei weitergehende Vision oder strukturelle Idee dahinter. Selbst der Ansatz, die schweren Brigaden konsequent mit vier Kampfbataillonen auszustatten, hängt nur an der Rotation für eFP/eVA. Es werden die schweren Truppen im für eFP/eVA/NFM erforderlichen Umfang beibehalten, auf den letzten Drücker einsatzfähig gemacht und dann der verbliebene Rest zu mittleren Kräften zusammengefasst, die den schweren Kräften vorausgeschickt werden können und ansonsten für IKM verwendbar sind. Dazu wird die Gebirgsjägerbrigade herausgenommen und "gerupft", um die erforderlichen DP zu erhalten.
Somit ist die neue (nicht ganz schlechte) Struktur der DSK das einzige, was man freiwillig zu Stande bringt. Alles andere ist aus der Not geboren.


Diese Erkenntnis macht es für mich nicht besser, die Ambitionslosigkeit ist fatal.
Aber es erklärt zumindest, wieso die Struktur so aussieht, wie sie es tut. Und sie ergibt so tatsächlich einen Sinn, wenn auch nur für die genannten Umstände. Diese Struktur stellt die einfachste Lösung dafür dar, die Einsatzverpflichtungen zu erfüllen und trotzdem den eigenen Irrweg bei den mittleren Kräften nicht verlassen zu müssen.

Die Erläuterungen bringen wenigstens ein bisschen mehr Leben in die Kästchenkunde der Zielstruktur.

Kurzes Fazit.
Man reagiert statt zu agieren.
Bedeutet... man versucht mit den "vorhandenen Mitteln" (also Material und Personalumfang) + Ziel Vollausstattung für diese Verbände... auf die neuen Krisen und Herausforderungen zu reagieren...
Die Lücken in Ausstattung und Flexibilität sollen durch die "mittleren Kräfte" gestopft werden...
wobei hierfür noch kein endgültiges Konzept, oder gar Beschaffungen von Material konkret geplant (25 Mio Vorlage) sind.
Ein grundlegender Neuaufbau der Bundeswehr kann aufgrund Zeit und Geldmangel nicht stattfinden...
dazu hätte man vor 10 Jahren viel Geld gebraucht... und in diesem Zeitraum keine großen Einsätze!

letztendlich ist die Aussage aber auch richtig, dass Russland als größte Bedrohung für Kontinental Europa massive Verluste erlitten hat... und in den nächsten Jahren keine große konventionelle Bedrohung für die gesamte NATO darstellt... für einzelne Länder ggf aber doch.
Außerdem verlässt man sich weiterhin massiv auf die Unterstützung aus den USA... kleiner reminder... da sind in 2 Jahren auch wieder Wahlen... was passiert wenn sich alle US Streitkräfte aus Europa zurückziehen?

unter den gegeben Voraussetzungen und Rahmenbedingungen ist der Ansatz der Heeresumgliederung schon OK... zumindest unter folgenden Voraussetzungen.
+ Vollausstattung persönliche Ausrüstung (bis 2025)
+ Vollausstattung Material (bis 2027)
-> 2. Los Puma muss kommen
-> viele Boxer in vielen Varianten für die mittleren Kräfte
-> die mittleren Kräfte sollten als mittlere Unterstützungskräfte ausgelegt werden... mit Schwerpunkt Artillerie und SHORAD
+ massiver Ausbau der Flugabwehr in allen Bereichen (Kurz-, Mittel- Lang-)
+ massiver Ausbau der Artillerie
+ volle Munitionsdepots (bis 2025)
+ Implementierung von neuen technischen Möglichkeiten (Loitering Munition, Aufklärung in allen Bereichen)
+ Digitalisierung

aber um all das zu erreichen muss man JETZT in den nächsten 2-3 Monaten viel Geld (20-30 Mrd fürs Heer) in die Hand nehmen und endlich Aufträge erteilen!


RE: Bundeswehr – quo vadis? - FJ730 - 18.11.2022

(18.11.2022, 11:43)ObiBiber schrieb: Außerdem verlässt man sich weiterhin massiv auf die Unterstützung aus den USA... kleiner reminder... da sind in 2 Jahren auch wieder Wahlen... was passiert wenn sich alle US Streitkräfte aus Europa zurückziehen?

Stimme Deinem Fazit und der Problematik die aus Abhängikeiten entstehen vollumfänglich zu .Nur diese aus allen Richtungen immer wiederkehrende Besorgnis halte ich für unbegründet. Die Geostrategischen Interessen an Europa sind zu groß. Ein Rückzug würde natürlich bedeuten, dass Amerika nahezu seinen kompletten Einfluss verlieren würde, der aber eben maßgeblich auf dieser Abhängikeit beruht. Das hat man vermutlich auch Trump erklärt und die Truppen in Deutschland entgegen seiner Ankündigen sogar leicht erhöht. Amerika ist im Gegensatz zu vielen europäischen Regierungen absolut Stabil was seine Interessen angeht und es ist nicht zu erwarten dass sich das absehbar unter welcher Regierung auch immer ändern wird. In Frankreich ist das leider Gottes wegen den Nationalisten nicht so eindeutig, weshalb ja u.a. auch die Aussage von AKK kam, dass es in Europa keine Sicherheit ohne Amerika geben wird. Letztendlich besiegelt durch unsere "kapitale Eselei" von 1970 . Diese Abhängigkeit ist in Europa also durch seine eigene politische Instabilität ( von links und rechts) selbst begründet und wird durch Amerika soweit bestärkt, dass es zwar Frieden und Stabilität, aber keine wirkliche militärische Einigung geben wird. Die Bücher vom ehemaligen amerikanischen Chefstrategen Zbigniew Brznezinski zu diesem Thema sind wirklich sehr erhellend und absolut lesenswert.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Ottone - 18.11.2022

Das kann man so leider nicht sagen: Mit republikanischen Isolationisten am Ruder wären die USA alles andere als aussenpolitisch stabil. Vor allem begreift Trump nicht, dass man nicht in der Sicherheitspolitik aus kurzfristigstem Bully-Kalkül heraus alle 3 Minuten wie ein Pferdehändler seine Postionen ändern kann. Die MAGA Truppe ist noch nicht einmal in der Lage zu begreifen, welchen kapitalen Schaden sie so - für sich selbst - anrichten kann. Schon die Brexiteers haben umsichgreifende Irraltionalitäten in der angelsächsischen Welt belegt.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - FJ730 - 18.11.2022

Die Frage ist halt immer was diese Schreihälse von sich geben und am Ende wirklich umsetzen (können). Im Fall von Trump wurden die Truppen am Ende sogar aufgestockt. Ich sehe diese Abhängigkeit wie gesagt auch kritisch. Daher ist FCAS aus meiner Sicht für die Souveränität Europas auch so wichtig ( vielmehr als Tempest) und würde eine NT innerhalb der EU für den taktischen Bereich vereinfachen.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - Quintus Fabius - 18.11.2022

Gerade eben weil es den USA nur um sich geht und America First nicht nur das Credo von Trump ist, sondern dass der USA seit jeher, gerade eben deshalb sind die USA kein vertrauenswürdiger Verbündeter und sind es nie gewesen. Die treten nur solange und nur so weit für uns ein, solange dies ihnen unmittelbar nützt. Das gilt auch für die Demokraten in den USA. Und das ist auch kein Vorwurf oder eine Verurteilung, natürlich müssen die USA so handeln.

Die Wahrheit ist, dass wir schlussendlich alleine dastehen, nur dass das niemand wahrhaben will. Man wird uns jederzeit sofort fallen lassen, wenn sich die Rechnung ändert. Eine starke Nation benötigt daher zwingend und in jedem Fall eigene, nationale und starke Streitkräfte. Wer meint sich dem verweigern zu können verspielt damit meiner Überzeugung nach auf Dauer alles. Diese Erkenntnis kann man aber in der real existierenden Bundesrepublik hier und heute nicht mehr mehrheitsfähig kriegen.


RE: Bundeswehr – quo vadis? - FJ730 - 18.11.2022

Ich schrieb ja auch explizit dass Amerika in seinen geopolitischen Interessen stabil ist. Unabhängig wer dort regiert, die grundlegende Sicherheits- Finanz - Wirtschafts- und allen voran Geopolitik ist ( im Gegensatz zu Europa) in beiden politischen Lagern nahezu identisch, obwohl es in einem 2 Parteien System natürlich die merkwürdigsten Strömungen gibt. Die Frage ist ja auch wie es weitergeht! Ich sehe nicht wie ein zerklüftetes Europa der Nationalstaaten langfristig tragfähig sein sollte. Und da wir unsere Sicherheit eh nach Übersee outgesourced haben, machen diese ganzen Mini Armeen ( einschließlich Bw) in ihrer jetzigen Konstellation aus meiner Sicht auch wenig Sinn. Gerade die Außen- und Verteidigungspolitik ließe sich innerhalb der EU wesentlich effizienter und vor allem günstiger gestalten. Nationalgarden in den den einzelnen Mitgliedsstaaten wären ja eine Möglichkeit um die territoriale Verteidigung zu stärken. Aber für alles andere reichen aus meiner Sicht 500.000 Profis zzgl. EU-Küstenwache aus. Ich jedenfalls könnte hierzulande gerade momentan auf ein eigenes Außen- und Verteidigungsresort gut und gerne verzichten und würde mich über einen polnischen oder französischen EU Verteidigungsminister freuen. Wie so eine Armee aussehen und finanziert werden könnte, wäre doch mal was für die Kästchenschieber. Der Politik fehlt hierfür ja noch die Phantasie.