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Russland vs. Ukraine - Druckversion

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RE: Russland vs. Ukraine - Flugbahn - 05.05.2022

(05.05.2022, 13:46)Quintus Fabius schrieb: Das Risiko dass das dann in einem globalen Atomkrieg mündet ist meiner Ansicht nach viel zu groß. Es ist bereits jetzt erstaunlich was sich Russland hier seitens des Westens "gefallen" lässt.

"gefallen lässt"?? Steile These :-)
Gegenfrage: was sollten sie denn dagegen tun können? Antwort: genauso wenig wie der Westen gegen das Einrücken der Russen in die Ukraine, nämlich relativ wenig (primär lautstarkes maulen) bis nix


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 05.05.2022

Flugbahn:

Der Westen tut keineswegs wenig bis nichts oder mault gar nur herum. Wir sind längst hochaktiv in diesen Krieg verwickelt in einem Ausmaß, dass historisch meiner Ansicht nach beispiellos ist.

Und entsprechend könnte auch Russland etlichen Schaden gegen uns anrichten, dafür gibt es genug indirekte Wege - die ich hier jetzt mal intentional nicht alle anführe. Im Vergleich dazu wie sehr wir Russland in der Ukraine aktiv schaden (keineswegs nur durch Waffenlieferungen!), ist der Schaden welchen Russland gegen uns aktiv anrichtet extrem gering im Vergleich zu den Möglichkeiten.

Ottone:

Diese scheinbaren Zahlenverhältnisse auf welche du dich da beziehst resultieren daraus, dass man einfach Großkampfverbände oder Bataillone zählt. Das heißt es dann bei Jomini auf der Karte, dass dort in einem Abschnitt 8 russische Kampftgruppen 4 ukrainischen Brigaden gegenüberstehen. Nur ist das Äpfel mit Birnen.

In der Realität sind die russischen Verbände völlig ausgeblutet, hatten schon bei Angriffsbeginn nicht den vollen Bestand laut ihrer TOE und haben seitdem - worauf Nightwatch ja völlig korrekt hinweist - immense Mengen an Fahrzeugen und Material verloren.

In Wahrheit sind die 8 russischen Verbände nur noch das Äquivalent von allenfalls 2 - und die ukrainischen haben immer noch das Äquivalent von 3 - oder kurz und einfach: die Ukrainer sind inzwischen zahlenmässig überlegen.

Natürlich darf und wird diese Information im von den USA orchestrierten Informationskrieg nicht in Europa bzw. im Westen verbreitet werden, denn wie sähe das dann aus ?!

Werter Nightwatch:

Kann dir hier mal vollumfänglich zustimmen.

Meine Fragestellung aber war und ist, ob eine richtige Kriegserklärung eine vollständige Generalmobilmachung die Lage noch verändern könnten - oder nicht ?
Deiner Ansicht nach nein, meiner Ansicht nach hängt das von verschiedenen Umständen ab, manche Experten gehen davon aus, dass dies die Lage kippen könnte, andere wiederum gehen mir dir analog.

Gerade wegen dieser Unbestimmtheit meine Fragestellung.


RE: Russland vs. Ukraine - lime - 05.05.2022

(05.05.2022, 20:42)Quintus Fabius schrieb: Flugbahn:

Der Westen tut keineswegs wenig bis nichts oder mault gar nur herum. Wir sind längst hochaktiv in diesen Krieg verwickelt in einem Ausmaß, dass historisch meiner Ansicht nach beispiellos ist.

Und entsprechend könnte auch Russland etlichen Schaden gegen uns anrichten, dafür gibt es genug indirekte Wege - die ich hier jetzt mal intentional nicht alle anführe. Im Vergleich dazu wie sehr wir Russland in der Ukraine aktiv schaden (keineswegs nur durch Waffenlieferungen!), ist der Schaden welchen Russland gegen uns aktiv anrichtet extrem gering im Vergleich zu den Möglichkeiten.

Im Westen nimmt man nicht wahr, dass gewichtige politische Kräfte in Rußland sogar froh über den Gesamtverlauf sind. Der Rückzug der westlichen Wirtschaft und damit einhergehend auch der Rückzug westlicher Ideen aus der russischen Gesellschaft wäre direkt weder von Putins Parteienstruktur noch von anderen einflußreichen Kräften in Rußland so niemals erreicht worden ohne einen Großteil des Volkes gegen sich aufzubringen. Anders verhält es sich jetzt wo dies quasi als Strafmaßnahme vom Westen selbst initiiert wurde. Einen größeren Gefallen hätte man den strikt antiwestlichen Strukturen in Rußland kaum machen können. Vor allem weil dieser Kurs wohl nun auf lange Sicht unumkehrbar sein wird.


RE: Russland vs. Ukraine - Facilier - 05.05.2022

(05.05.2022, 21:25)lime schrieb: Im Westen nimmt man nicht wahr, dass gewichtige politische Kräfte in Rußland sogar froh über den Gesamtverlauf sind. Der Rückzug der westlichen Wirtschaft und damit einhergehend auch der Rückzug westlicher Ideen aus der russischen Gesellschaft wäre direkt weder von Putins Parteienstruktur noch von anderen einflußreichen Kräften in Rußland so niemals erreicht worden ohne einen Großteil des Volkes gegen sich aufzubringen. Anders verhält es sich jetzt wo dies quasi als Strafmaßnahme vom Westen selbst initiiert wurde. Einen größeren Gefallen hätte man den strikt antiwestlichen Strukturen in Rußland kaum machen können. Vor allem weil dieser Kurs wohl nun auf lange Sicht unumkehrbar sein wird.

Allerdings gilt dies nur für die ländliche Bevölkerung. Die junge und urbane Bevölkerung weiss durchaus, was ein VPN ist und konsumiert westliche Medien. So wie in der DDR das "Westfernsehen" ja auch nicht unbekannt war.

Was wir in Russland sehen ist im Grunde das, was Hiter 1933-1945 versucht hat, nur in erbärmlicherer Weise.
Der Versuch, ein untergeganges Reich und eine untergegangene Zeit, auf Basis von Lügen und Gewalt widerherzustellen. Und zwar ohne Rücksicht auf Verluste in selbstmörderischer Manier.

Das mag eine Zeit gutgehen, aber egal wie dieser Krieg ausgehen wird, er wird damit scheitern auf kurz oder lang. Spezialisten (IT etc.) wandern ja jetzt schon aus in größerer Zahl. Es gab einen Grund, warum die DDR eine Mauer gebaut hat. Was will Russland tun?

Ich habe Putin lange Zeit für einen halbwegs rationalen Typ gehalten - bis zu dem Moment, wo ich las, dass er den Untergang der Sowjetunion immer für eine Katastrophe hielt und nie als Chance gesehen hat (auch wenn die Chance in den Sand gesetzt und schlecht gemanangt wurde). Da sind bei mir die Alarm-Glocken angegangen.

https://twitter.com/DAlperovitch/status/1521803362152374274

Zitat:I am going to go out on a limb here and make a prediction that Putin will not do a full mobilization call on May 9th or anytime in the near future

I could be wrong and I don’t have as much confidence in this call as I did in my invasion prediction back in December 👇 but… 🧵

Macht Sinn meiner Meinung nach.

Nachtrag:
https://twitter.com/kamilkazani/status/1521850468313579520

Auch Kamil Galeev glaubt nicht an die totale Mobilmachung.

Zitat:May 9, the Victory Day is a crucial symbolic date. We should expect the Victory Parade and Putin's speech to the nation on that day. What is he gonna say? Many are pondering whether he will:

1. Declare war on Ukraine
2. Declare mass mobilisation in Russia

Let's discuss both🧵



RE: Russland vs. Ukraine - Flugbahn - 05.05.2022

(05.05.2022, 20:42)Quintus Fabius schrieb: Flugbahn:

Der Westen tut keineswegs wenig bis nichts oder mault gar nur herum. Wir sind längst hochaktiv in diesen Krieg verwickelt in einem Ausmaß, dass historisch meiner Ansicht nach beispiellos ist.

Und entsprechend könnte auch Russland etlichen Schaden gegen uns anrichten, dafür gibt es genug indirekte Wege - die ich hier jetzt mal intentional nicht alle anführe. Im Vergleich dazu wie sehr wir Russland in der Ukraine aktiv schaden (keineswegs nur durch Waffenlieferungen!), ist der Schaden welchen Russland gegen uns aktiv anrichtet extrem gering im Vergleich zu den Möglichkeiten.


Hallo Quintus Fabius

es ging bei der von mir zitierten Zeile um den Zusammenhang "globaler Atomkrieg" und das sich Russland hier viel vom Westen gefallen lässt und das man den Eindruck gewinnen kann, dass der Westen sich glücklich schätzen kann, dass das arme und vom Westen schlecht behandelte Russland nicht bereits die Atombome auf "den Westen" geworfen hat. Diesen Eindruck/Einschätzung teile ich nicht, da der Aggressor hier klar Russland ist (bei allen unklugen Entscheidungen, Worten etc. "des Westens" in den letzten Jahre und Jahrzehnten).

"Das Risiko dass das dann in einem globalen Atomkrieg mündet ist meiner Ansicht nach viel zu groß. Es ist bereits jetzt erstaunlich was sich Russland hier seitens des Westens "gefallen" lässt."

Der Westen hat gegen den Einmarsch im Februar relativ wenig getan war meine Aussage. Möglich wäre bspw. problemlos gewesen seit 2014 (=Kriegsbegin mit der Annektion der Krim ...) mit Waffen ohne Ende die Ukraine aufzurüsten.
Wenn die Ukraine über massenhaft Panzer, Flugzeuge, Luftabwehr, etc. modernster Art Anfang Februar verfügt hätte, dann wäre man in Russland vielleicht zu anderen Entscheidungen gekommen und nichts hätte man dem Westen vorwerfen können bzw. wäre daran falsch gewesen.

D.h. ich bezog mich auf den Zeitpunkt des Einmarschs. Danach wurde auf wirtschaftlicher Ebene einiges getan und auch Waffenlieferungen wurden, wenn auch zögerlich (durchaus auch teilweise nachvollziehbar) in Gang gebracht.
Aber auch daran ist nicht viel Verwerfliches und im Grunde seit Jahrzehnten der "normale Gang" (Koreakrieg 50er, Viatnam 70er, Afghanistan 80er ... von jeder Seite wurden immer Waffen geliefert. Also meiner Meinung nach historisch auch nicht beispiellos. Sondern im Kontext der jeweiligen Zeit der "normale Gang". Das heute auch mit anderen Mittel und auf anderen Wegen dem eigentlich unterlegenen und sich in einer Notlage befindlichen Land beigestanden wird, ist halt im Kontext der jeweiligen Zeit zu sehen.

Ich denke, Russland schont den Westen ganz sicher nicht. D.h. wenn Russland auf Möglichkeiten bisher verzichtet hat "dem Westen" zu schaden, dann ganz sicher nicht aufgrund von Menschenliebe, humanistischen Gedanken oder der Gleichen, sondern nur weil es kurz-, mittel- oder langfristig ihnen selber mehr schadet als "dem Westen" oder sie diese Gefahr zumindest sehen.

In Summe versucht "der Westen" hier, wenn auch nicht immer perfekt, einen Weg zu finden, außerhalb der Teilnahme an diesem Krieg/den Kriegshandlungen (bspw. den ukrainischen Luftraum zu überwachen/frei zu kämpfen) dem Unterdrückten zu helfen und mit dem Aggressor so wenig wie möglich "Geschäfte" mehr zu machen. Für mich schließt dies jedoch Öl und Gas klar aus. (<-- spätestens hier startet dann gleich die "wilde" Diskussion :-))
Mehr kann/sollte man als Dritter wohl auch nicht tun, aber das was im Großen und Ganzen getan wird, sollte und muss man in gewisser weise auch

.. ist doch länger/mehr geworden als ich wollte ... ich schweige dann ab hier wieder und beschränke mich wieder primär aufs mitlesen. Danke an alle für die interessanten Beiträge


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 05.05.2022

Facilier:

Es gibt auch im tiefsten Sibirien sowohl Internet als auch VPN und keineswegs ist die Jugend dort vom Westen abgeschnitten. In Ulan Ude hatte ich schneller und schnelleres Internet in meiner Wohnung als dies in Deutschland möglich gewesen wäre. Der Unterschied ist vielmehr, dass dort ein wesentlich größerer Anteil der Jugend entweder einen Gangster-Lifestyle bewundert und sich die organisierte Kriminalität als Vorbild nimmt, oder extremsten rechtsradikalen Positionen anhängt. Die meisten wollen natürlich einfach ganz normal friedlich vor sich hin leben und vor allem anderen in Ruhe gelassen werden - aber der Anteil von Jugendlichen und jungen Erwachsenen die entweder ernsthaft die ganze kriminelle Kultur in Russland sich zum Vorbild nehmen in ihren Werten und Normen oder die schlicht und einfach echte Nationalsozialisten sind - oder in der russischen Form Nationalbolschewisten - ist wesentlich höher als in jedem anderen Land in dem ich mich auskenne.

Und die müssen gar keine Mehrheit sein um sich gesellschaftlich durchzusetzen. Dies gilt übrigens für die junge urbane Bevölkerung in Russland ganz genau so. Auch dort findet man wesentlich mehr Neonazis als sonstwo und keineswegs gibt es hier diesen im Westen immer so hoch gehaltenen und lediglich postulierten Unterschied zwischen Stadt und Land. Wer weiß denn im Westen, dass die radikalsten russischen Neonazis welche im Donbass in eigenen Einheiten extremste Kriegsverbrechen begingen größtenteils aus St. Petersburg kamen? Und das deren Führungsfiguren dann gezielt von der russischen Regierung ermordet wurden, weil man den damals rasant in Russland wachsenden Einfluss gerade im Bereich junge urbane Erwachsene fürchtete ?

Der Versuch russische Weltmachtgeltung mit Gewalt wiederherzustellen wird erst so richtig losgehen, wenn diese Kräfte in Russland die Macht übernehmen.

Zitat:Kamil Galeev

Ist übrigens ein Tatare und würde gerne das Khanat Kasan wiederherstellen u.a.. Muss man bei allem was er so schreibt immer berücksichtigen. Der Hasst und vor allem Verachtet die Russen aufgrund seiner Abstammung und Sozialisierung und will im Endeffekt ein freies Tatarstan.

Allgemein:

Es erstaunt mich immer, wie sehr viele sich auf den Standpunkt stellen, Russland sei durch die Sanktionen vor allem auch technologisch erledigt und werde nie wieder aufholen etc. Technologie ist auch kein Hexenwerk, sie kann gestohlen werden, von anderen zur Verfügung gestellt und kopiert werden und sie liegt in Russland nicht deshalb brach, weil die Russen nicht in der Lage wären theoretisch alles im eigenen Land problemlos selbst herzustellen, sondern weil das System Putin mit seiner Korruption diesen Bereich derart schwächt.

Ein reales Beispiel von einem Russen der jetzt nach Deutschland geflohen ist und hier Asyl beantragt hat. Er gehört zugleich zu den Anhängern Nawalnys und ist keineswegs liberal wie man sich das im Westen so vorstellt: Er schloss an der Universität einen technischen Studiengang ab und war de facto mit Abstand der beste darin. Aber man wollte ihm keinen Abschluss geben ohne Bestechung. Er schrieb trotzdem und anscheinend so herausragend gut, dass man ihm einen Preis verliehen hat. Daraufhin forderten die gleichen welche vorher eine Bestechung gefordert hatten einen Anteil des Preisgeldes. Vermutlich hatten sie spekuliert auf diese Weise zu Geld zu kommen und dass er dann mitziehen würde. Als er dies meldete, wurde er angezeigt, er hätte selbst seine Prüfer bestochen um eine so gute Note zu kriegen und entsprechend wurde ihm der Prozess gemacht. Auch dabei wurde ihm dann erklärt, er könne sich jederzeit da herauskaufen, müsse aber weil er solche Unannehmlichkeiten verursacht habe nun mehr bezahlen.

Nach der ganzen Misere versuchte er in einem russischen Rüstungsunternehmen zu arbeiten. Und wieder ging es los, dass seine technische Expertise überhaupt gar niemanden interessierte, und es nur darum ging wer wieviel von den für die militärisch-technologische Forschung herein kommenden Geldern stiehlt. Geforscht wurde de facto auch nichts, nur unterschlagen.

Diese Umstände sind der Grund warum Russland technisch zurück hängt. Das könnte sich aber auch wieder ändern. Wenn entsprechende Radikale die Gewalt ergreifen und diese Umstände - welche sie explizit als Hauptproblem begreifen - mit äußerster Gewalt angehen, dann könnte Russland durchaus innerhalb der nächsten Dekaden wieder zu einem erheblichen militärischen Problem werden. Und zu der dazu notwendigen äußersten Gewalt sind diese Leute vor allem anderen befähigt.

Denen geht es auch nicht um die Widererstehung der Sowjetunion, sondern um einen globalen Rassenkrieg und ein absolutes Primat der weißen Rasse über alles andere. Entsprechend sind sie auch mit solchen Kreisen in den USA und andernorten vernetzt, und auch mit entsprechenden Gruppen in der Ukraine so kontraintuitiv sich das anhören mag.

PS: Ich glaube auch nicht daran, dass es am 9 Mai zur Generalmobilmachung kommen wird. Stattdessen wird man an diesem Tag den Prozess einleiten die sogenannten Volksrepubliken per Abstimmung in die RF aufzunehmen.

Dem folgend ! wird man dann abwarten was die Ukraine tut und je nachdem ob sie ihre Angriffe fortsetzt oder nicht ab Mitte oder Ende Mai die Mobilmachung anordnen, da dann der Krieg der Ukrainer ja ein "Angriffskrieg auf das Gebiet der RF" geworden ist. Am 09 selbst wird man stattdessen den Sieg erklären, als dass man die sogenannten Volksrepubliken gesichert und gerettet hat. Die Aufnahme dieser Gebiete in die RF muss zuerst erfolgen, erst dann kann eine Mobilmachung die Folge der "Angriffe" der Ukraine auf dieses Gebiet sein.

Ganz ursprünglich (ich räume das gerne unumwunden ein) nahm ich übrigens an, dass dies ohnehin der russische Plan sei: aus dem Manöver heraus Mitte Februar die Volksrepubliken ganz offen mit russischem Militär besetzen - Abstimmung - Aufnahme in die RF - und dem folgend ein inszenierter Angriff der Ukraine auf dieses Gebiet - Kriegserklärung - Mobilmachung. Als sie dann gleich versuchten sofort einen Regimechange durchzuführen und überall in die Ukraine selbst einfielen, war ich sehr überrascht. Mal sehen ob ich mich erneut täusche.


RE: Russland vs. Ukraine - Pogu - 06.05.2022

Sehr geschätzter @Nightwatch,

ich möchte hier einiges einwenden und mir liegt dabei nur daran die auffällig vielen Vorannahmen zu adressieren. Keine Kritik an Dich, aber echte Spitzen gegen die bloßen Annahmen, die wie Substanzielles daherkommen:

Zitat:... ich sehe seit Tag 1 dieses Krieges wie das russische ‚Potential‘ vor dem ukrainischen Widerstand zergeht wie Eis in der Sonne.

Denselben Satz kannst Du auch über das ukrainische Potential sagen und er wäre immer noch wahr. Seit dem Tag 1 siehst Du wie jeder andere auch nur, was Du sehen sollst.

Zitat:Russland ist mit erheblicher personeller und technischer Überlegenheit angetreten

Das Gegenteil ist richtig. Es wird immer noch gerätselt, warum die russ. Seite derart fahrlässig unterbemannt angesetzt hat.

Zitat:Nun sehe ich einen erstarkenden Widerstand mit zunehmender qualitativer Überlegenheit und potentiell enormen personellen Reserven auf der einen Seite ...

Ja, jetzt siehst Du das. Man zeigt es Dir ja so.

Zitat:Mobilisierung heißt, dass irgendwelche jungen Wehrpflichtigen oder Reservisten mit jahrelang zurückliegender Ausbildung herangezogen werden.

Für die übliche Vorgehensweise der russ. Seite ist das ein passabler Startpunkt. Welchen Sinn hat das Wort "irgendwelche" in dem Satz?

Zitat:Selbstredend werden diese keine höhere taktische Kompetenz an den Tag legen können

Doch, darin liegt doch der Vorteil. Nicht von sich aus, aber nach einer kurzen Vorbereitung. Unterhalb eines Zugskommandanten werden dort ohnehin keine taktischen Problemstellungen diskutiert.

Zitat:Eigentlich wäre es nötig die Reservisten einem umfangreichen Trainingsprogramm zuzuführen.

Oh ja! Hier sind wir völlig einer Meinung. Aber wäre das dann noch "the russian way of life"?

Zitat:... resultiert nicht darin, dass in ‚drei Monaten nach Mobilisierung‘ die Ukraine untergeht.

Hast Du aus meinen Zeilen wirklich den Untergang der Ukraine rausgelesen?

Zitat:Mobilisierung heißt, dass eingemottetes Wehrmaterial herangezogen werden muss.

Klar, auch das. Und natürlich ist auch das ein Zeitfresser, kein Zweifel.

Zitat:Ich gehe da mittlerweile eher davon aus, dass der absolute Großteil des seit Sowjetzeiten eingemotteten Materials entweder nicht mehr vorhanden oder zumindest nicht mehr militärisch verwendungsfähig ist.

Du gehst halt davon aus. Die Ukrainer hoffen's, gehen aber nicht davon aus. Die bereiten sich auf einen gefährlicheren Gegner vor, nicht auf einen ungefährlicheren. Im Übrigen haben die Russen nach der Sowjetära nicht aufgehört zu produzieren und einzumotten.

Zitat:Ich würde mich da eher wundern, wenn man durch Mobilisierungen groß mehr erreichen könnte, als die Schlagkraft zu regenerieren mit der man in die Ukraine gezogen ist.

Meinst Du damit, daß es Dich wundern würde, wenn sie nach einer Großmobilmachung eine größere Truppenzahl zusammenbekämen als sie Februar schon hatten?

Zitat:Unterm Strich stehen dann reichlich motivationslose und schlechter ausgebildete Truppen die mit in Teilen antiquarischen Material dort antreten sollen, wo die erste Garde bereits gescheitert ist.

Keine Motivation, geringere Ausbildung, teilweise antiquarisch ausgerüstet ... Wie gesagt, das magst Du wohl annehmen. Die Ukrainer werden sich bestimmt nicht darauf verlassen. Das ist meine Annahme.

Zitat:Dir scheint da vorzuschweben, dass das alles keine größere Rolle spielt weil der Russe den Feind halt zwangsläufig durch schiere Masse erdrücken wird.

Das ist deren "ausgewiesene" Doktrin, lieber Nightwatch!! Ich würde nur gerne das letzte Wort austauschen. Schreib "will", nicht "wird".

Zitat:Dem halte ich entgegen, dass es eben auch zweifelhaft ist, ob auch bei Mobilisierung die kolportierten Massen generiert werden kann

Was macht es denn so zweifelhaft, daß Du es mir entgegenhältst?

Zitat:... die Ukrainer noch mehr als genug Gelände gegen Blut tauschen können

Nun ....

Zitat:... die Ukrainer anders als Wehrmacht anno 1943 dazu auch bereit sind

Nun ....

Zitat:Russland die Verluste die mit diesem Vorgehen einhergehen nicht tragen kann.

Nach russ. Rechnung werden die Verluste mit einem adäquaten Personal- und Materialansatz abnehmen. Nach russ. Lehre gibt es sehr wohl so etwas wie "akzeptable Verluste". Wir können nicht wissen, wer was wovon in welchem Ausmaß tragen kann. Und die bekannte Leidensfähigkeit des Russen macht es noch unsicherer.


RE: Russland vs. Ukraine - Nightwatch - 06.05.2022

@Pogu

Wir äußern uns hier in einer diffusen Lage über die Auswirkungen eines Prozesses, für den es so kaum bis keine Analogien gibt. Jede Spekulation über zukünftige Entwicklungen muss sich dabei zwangsläufig auf Vorannahmen stützen, die innerhalb einer Diskussion natürlich angegriffen werden können. Ich erhebe nicht den Anspruch in die Zukunft sehen zu können, sondern biete lediglich meine Einschätzung an. Diese Einschätzung kann angesichts der Informationslage nur falsch sein, bzw. nur eine Annäherung an die realen Verhältnisse darstellen.

Um den Quote-War etwas einzuschränken:

Zweifelsohne verzerrt unsere westliche Blase das Kriegsgeschehen dahingehend, dass wir nur wenig von ukrainischen Verlusten mitbekommen. Allerdings teile ich die These, dass das ‚ukrainische Potential‘ im ähnlichen Maße schwindet wie das russische so nicht. Wir können da gerne tiefer einsteigen, aber nach meinem Dafürhalten ist die ukrainische Kampfkraft seit Invasionsbeginn eher gestiegen als gesunken. Zumindest global gesehen.

Die These das Russland mit erheblicher personeller und technischer Überlegenheit angetreten ist schließt nicht aus, das die Kräfte gemessen an den verfolgten Kriegszielen unzureichend gewesen sind. Ich rücke davon auch nicht ab. Plakativ: Die russischen Streitkräfte hatten vor Kriegsbeginn allein in der Region Belgorod stärkere mechanisierte Kräfte zusammengezogen als der Ukraine im Osten des Landes überhaupt zu Verfügung standen. Die Massierung der russischen Kräfte jetzt dahingehen umzudeuten, dass das ja eh nie gereicht hätte, negiert die Zähigkeit des ukrainischen Widerstands, die Effektivität der westlichen Waffen und den Umstand, dass eine kompetentere Armee mit soliderer militärischer Planung mit den zu Verfügung stehenden Mitteln wesentlich mehr hätte erreichen können. Auch zu diesen Punkt können wir tiefer einsteigen, aber wie gesagt – unzureichende Kräfte gemessen an den kolportierten Kriegszielen ja, gleichwohl erhebliche materielle und personelle Überlegenheit gegenüber den Verteidigern bei Kriegsbeginn.

Hinsichtlich Mobilisierung – es ist eben dahingehend kein ‚passabler Startpunkt‘ für die russische Seite, Wehrpflichtige oder Reservisten in den Kampf zu werfen, dass es sich nicht um einen der üblichen Konflikte handelt in denen sich Russland für gewöhnlich involviert. Will heißen, dieser Krieg fordert Verluste, die jetzt schon weit über alles hinausgehen, dass die russische Föderation seit ihrem Bestehen erlitten hat. Jetzt mit Reservisten und Wehrpflichtigen die Ukraine niederringen zu wollen heißt Verluste in Kauf nehmen zu wollen die für Russland nicht tragbar sind. Da hilft auf kein Verweis auf Sowjetrussische Zeiten oder einen kolportierten ‚Russian way of life‘ – Russland heute ist ein anderes Land als die Sowietunion 1941 und die Aussicht, potentiell Hundertausende Familienväter oder die noch verbleibenden wenigen Söhne in einem besseren Grenzkonflikt zu verheizen, ist auch in Russland nicht mehr vermittelbar und politisch nicht Durchhaltefähig. Wenn du das anders siehst –> ‚Söhne und Weltmacht‘ als Grundstudium. Freilich ist die russische Gesellschaft dahingehend leidensfähiger als die westlicher Länder, aber alles hat seine Grenzen. Putin&Co wissen das auch sehr genau. Wie schon geschrieben, dass er so medienöffentlich empfindlich auf Meldungen reagiert hat, russische Wehrpflichtige würden in der Ukraine kämpfen kommt nicht von ungefähr.
Und nein, wie gesagt, diese Reservisten und Wehrpflichtige werden keine höhere taktische Kompetenz an den Tag legen können als Berufssoldaten. Auch nicht mit ‚kurzer Vorbereitung‘. Ich weiß nicht wie man überhaupt zu dieser Annahme kommen kann? Das mutet mir geradezu absurd an. Plakativ: Nach ‚kurzer Vorbereitung‘ kann man froh sein, wenn diese ausgehobenen Reserven unter Beschuss das Ak47 gerade halten können. Die Idee – Zitat - ‚in höchsten drei Monaten nach einer Mobilmachung der ukrainischen Widerstand zu ersticken‘ wird nicht so in einem russischen Sieg, sondern angesichts der Realität des modernen Schlachtfeldes in einem Gemetzel epischen Ausmaßes enden.
Wenn Mobilisierung effektiv sein soll heißt das Training, Training, Training. Individuell, am Gerät und in der Einheit. Die russische Armee hat kein Reservesystem im westlichen Sinne, dass ihnen jetzt ermöglichen würde gefechtsfähige Reserveeinheiten rasch in den Einsatz zu bringen. Zwar sind die humanen Reserven potentiell gewaltig, Mobilisierungsstrukturen wie wir sie aus Israel, Finnland, den Vereinigten Staaten oder auch aus früher aus der Bundesrepublik kennen existieren nicht. Und das fällt ihnen jetzt halt auf die Füße, wenn dieses rohe Potential mit minimaler Vorbereitung in den Kampf geworfen werden soll.

Was das eingemottete Gerät angeht – die These das Russland nach der Sowjetära substantielle/relevante (?) Reserven generiert hätte halte ich gelinde gesagt für hanebüchen. Tatsache ist doch vielmehr, dass Russland den Bestand eingemotteter Fahrzeuge aus Sowjetzeiten kontinuierlich und erheblich verringert hat. Die letzten belastbaren Zahlen liegen da mittlerweile deutlich unter 10k noch physisch vorhandenen Panzern. Ebenso unbestreitbar ist doch, dass Russland nicht die nötigen Mittel aufwendet um den noch bestehenden Reservefuhrpark vollumfänglich gefechtsfähig zu halten. Die Frage ist insofern zuallererst, in welchen Umfang eingemottetes Gerät ohne *monatelange* Instandsetzung gefechtsfähig ist. Ich vermute – basierend auf dem allgemeinen Zustand des aktiven russischen Geräts, die strukturelle Unterfinanzierung der Reserve und an der galoppierende Korruption in der russischen Gesellschaft – das die schnell verfügbaren Reserven kaum ausreichen werden, die bereits erlittenen Verluste in der Ukraine auszugleichen. Längerfristig gesehen dürfe sich mit nicht unerheblicher Kraftanstrengung noch mehr Schlagkraft regenerieren lassen, da sprechen wir dann aber über Zeiträume deutlich jenseits des Sommers.

Grundsätzlich scheint es mir als würdest du in deinen Vorstellungen noch zu sehr in der alten Sowjetunion verhaftet sein. Es ist etwa mitnichten die ‚ausgewiesene Doktrin‘ der russischen Armee den Feind mit schierer Masse erdrücken zu wollen. Das war meinetwegen mal der Sowjetische Ansatz jenseits der nuklearen Gefechtsführung im Kalten Krieg, die Armee der russischen Föderation hat sich davon in den letzten drei Jahrzehnten doch deutlich emanzipiert. Mit dem Resultat dieser Emanzipation scheiterte man freilich in der Ukraine was nun sicherlich dazu führt, sich vermehrt an Altbewährten Konzepten zu orientieren. Was mangels Masse und Opferbereitschaft nur schiefgehen kann.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 06.05.2022

Zitat:Mobilisierung heißt, dass irgendwelche jungen Wehrpflichtigen oder Reservisten mit jahrelang zurückliegender Ausbildung herangezogen werden.

Zitat:Selbstredend werden diese keine höhere taktische Kompetenz an den Tag legen können

Spezifisch dazu muss ich noch etwas ergänzen: Die russische Doktrin sieht eine solche taktische Kompetenz gar nicht vor. Deshalb spielt es in Russland auch viel weniger eine Rolle wie lange deine Ausbildung her ist.

Das sieht man auf allen Ebenen, von der Frage wie man ein Bataillon einsetzt bis hinunter zur einfachsten Infanteriegruppe. Alles ist auf derart einfache taktisch nicht-anspruchsvolle Vorgehensweisen hin ausgelegt, dass selbst Leute ohne jede militärische Vorausbildung dies auf der Stelle können.

Das ist intentional weil die Idee der Sowjetunion (wie der russischen Armee heute in deren Nachfolge) es gerade eben war (und ist), Wehrpflichtige mit möglichts wenig können trotzdem militärisch einsetzen zu können. Deshalb gehen beispielsweise russische Infanteriegruppen völlig anders vor als westliche, sind die Waffen anders konzipiert und werden anders eingesetzt.

Das hat erhebliche Nachteile und Vorteile. Zum einen sind so hohe Verluste de facto vorprogrammiert. Zum anderen kann man so aus dem Stand immense Mengen an Truppen mobilisieren und tatsächlich einsetzen und sind diese Truppen im Vergleich zu Untrainierten westlichen Soldaten (westliche Reservisten deren Ausbildung lange zurück liegt, mangelhaft ausgebildete Neuaushebungen) leistungsfähiger.

Das ganze russische System ist im Prinzip darauf hin ausgerichtet, möglichst viel aus untrainierten oder unzureichend trainierten Truppen heraus zu holen. Dann ist es ernsthaft die Auffassung, dass die Fähigen sich schon durchsetzen werden und der Tod der Unfähigen irrelevant ist.

Strelkov hat schon vor Jahren bitterlich über diese Doktrin geklagt und gesagt, dass sie einfach völlig aus der Zeit gefallen ist. Er versuchte ja immer als er die Truppen im Donbass führte (2014) eigene Verluste so niedrig wie möglich zu halten und zog sich deshalb beispielsweise zurück als seine Stellungen bei Slavyansk bedroht waren. Daraufhin warf man ihm in russischen Medien und vor allem seitens der russischen Armee vor ein Feigling zu sein und sich unrussisch zu verhalten. In einer Diskussion sagte er damals: dass, wenn er dort verblieben wäre er mindestens 50% Verluste gehabt hätte und die Höhe der Verluste es sehr fragwürdig gemacht hätte die Stellung zu halten. Daraufhin erklärte man ihm (ernsthaft) dass 50% Verluste nichts seien und er trotzdem hätte versuchen sollen die Stellung zu halten. Denn eventuell hätte es ja geklappt, und falls nicht, wäre es das gleiche wie jetzt auch. Sein Versuch zu erwiedern, dass man dann aber ja 50% der Männer verloren hätte und dies für zukünftige Operationen relevant sei wurde mit höhnischem Gelächter bedacht. Für zukünftige Operationen hätte man ja dann neue andere Soldaten verwenden können.

Diese Wegwerf-Mentalität zu begreifen ist absolut entscheidend wenn man die russische Doktrin verstehen will. Das zieht sich wie gesagt durch alle Ebenen, bis hin zu der Frage wie die Fahrzeuge und Panzer konstruiert sind.

Beispielsweise sind Kampfpanzer für die Russen nach offizieller eigener Doktrin Wegwerfware. Die schickt man vor, sie fallen aus, man schickt neue. Es ist explizit durch die Doktrin vorgesehen dass man viele Kampfpanzer verliert. Diese Kampfweise in Echelons / Wellen und die dazugehörige Doktrin der Wegwerf-Einheiten ist für einen nach westlichen Maßstäben agierenden Gegner katastrophal, setzt aber natürlich voraus, dass man auch real tatsächlich die dafür notwendige Quantität hat.

Die daraus entstehende beiderseitige Abnutzung führt dann dazu, dass beide Seiten über kurz oder lang nur noch mit de facto unzureichend ausgebildeten Einheiten dastehen und DANN haben die Russen definitiv durch ihre grundsätzlichen Auffassungen einen erheblichen Vorteil.

ABER: es stellt sich eben berechtigt die Frage (was Nightwatch ja hier anreißt), ob die Russische Armee überhaupt noch real die für ihre eigene Doktrin und Vorgehensweise notwendigen Mittel hat, ob sie also über die notwendige Quantität verfügt um diese Abnutzungsschlacht führen zu können ?!

Oder ob diese Quantität eben nicht mehr vorhanden ist.

Für die Beurteilung wie es also weitergeht ist in keinster Weise relevant ob die Russen in der Ukraine eine sehr große Zahl von Panzerfahrzeugen verloren haben, dass spielt dafür gar keine Rolle! Relevant ist die Frage, wie es "dahinter" aussieht, also ob eine Mobilmachung so erfolgen kann wie es die russische Doktrin vorsieht oder nicht. Das ist viel schwerer zu beurteilen.

Das bisherige Kampfgeschehen in der Ukraine ist demgegenüber nichtssagend. Und auch das Können der Berufssoldaten oder Eliteeinheiten (VDV) ist anscheinend wie früher nicht abweichend von dem was querschnittlich die ganz normalen Wehrpflichtigen / Reservisten so leisten können.

Das hat noch eine Implikation für die Frage der Mobilmachung: Russische Einheiten können wesentlich schneller mobilisiert werden als westliche Einheiten, weil sie viel eher einfach so ins Gefecht geworfen werden können, weil sie explizit darauf hin spezialisiert sind (nach theoretischer russischer Doktrin). Eine russische Mobilmachung würde also sehr viel schneller als man dies hier immer annimmt erhebliche Truppenmassen in Bewegung setzen, die brauchen dafür eben nicht so lange wie wir.

ABER: die Frage ist, ob das auf dem modernen Schlachtfeld eben überhaupt noch zeitgemäß ist. Ganz genau so wie man im Westen die reale tatsächliche Auswirkung von höherer Technologie auf den Kriegsverlauf überschätzt, so überschätzt man in Russland heillos die Auswirkung von höherer Quantität auf denselben!

Viel wesentlicher ist die Frage, wie man die Truppen einsetzt, ob sie nach einem modernen System kämpfen, wie die Kampfmoral und die Eigeninitiative sind, wie befähigt man handwerklich ist, wie befähigt man auf der taktischen und strategischen Ebene ist. Die Russen sind in der Kriegskunst unterlegen, völlig gleich ob sie Mobil machen oder nicht. Darauf kommt es an!


RE: Russland vs. Ukraine - Schneemann - 06.05.2022

@Quintus
Zitat:Viel wesentlicher ist die Frage, wie man die Truppen einsetzt, ob sie nach einem modernen System kämpfen, wie die Kampfmoral und die Eigeninitiative sind, wie befähigt man handwerklich ist, wie befähigt man auf der taktischen und strategischen Ebene ist. Die Russen sind in der Kriegskunst unterlegen, völlig gleich ob sie Mobil machen oder nicht. Darauf kommt es an!
Ich würde dem gerne noch eine Verfeinerung hinzufügen: Meiner Meinung nach ist die russische Kriegsführung derzeit nicht nur alleine in der Kriegskunst unterlegen, sondern sie unterliegt aktuell völlig den westlichen Befähigungen zur Informationskriegsführung. Damit meine ich nicht Hackerattacken oder dergleichen, hier könnte Russland durchaus (immer noch) bedeutenden Schaden anrichten, sondern die Informationen über das Schlachtfeld und den Gegner an sich.

Es hat den Eindruck, dass man in der NATO bzw. besonders in den USA genau und auf den Punkt präzise weiß, wo sich welche russischen Einheiten aufhalten, wie ihre Stärke ist und wo ggf. ihre Schwächen liegen und teils wohl sogar im Bilde ist, wer gerade mit wem redet. Die vergleichsweise hohe Anzahl an umgekommenen Führungsoffizieren und auch der Angriff auf die Moskwa (auch wenn hier das Pentagon dementiert, involviert gewesen zu sein) sind nur einige Beispiele. Kurzum: Die russischen Streitkräfte machen geradezu einen frappierend "gläsernen" Eindruck, quasi so, als wie wenn sie auf dem Präsentierteller stehen würden und man im Grunde nur noch mit dem Pointer Zielzuweisungen vornehmen müsste. Und dieser Umstand, gepaart mit taktischen, logistischen, austattungstechnischen und auch moralischen Unzulänglichkeiten, wird jede größere Unternehmung in einem Fiasko enden lassen. Ich sehe derzeit allerdings keine wirkliche Option für die russischen Streitkräfte, aus diesem Dilemma herauszukommen.

Schneemann


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 06.05.2022

Was du da beschreibst ist aber nicht der Bereich der Informationskriegsführung, sondern eher der strategischen Aufklärung. Die Russen sind nun im Bereich der Aufklärung insgesamt durchaus gut, sie wissen auch jederzeit wo welche ukrainiscche Einheit in welcher Stärke herum springt, dazu benötigt man in einem Land in welchem alle gleich aussehen und sehr viele die gleichen Sprachen sprechen nicht einmal das technologische Zauberwerk der USA mit all ihren Möglichkeiten, welche hier aber für die Ukraine natürlich noch dazu kommen. Aber in der strategischen Aufklärung bieten die USA für die Ukraine natürlich weitergehende Fähigkeiten.

Speziell aber im Bereich der tatsächlichen Informationskriegsführung sind die Russen dem Westen - spezifischer den USA - heillos unterlegen. Der ganze Informationskrieg welchen die Ukraine hier scheinbar führt wird ja meiner Überzeugung nach von den USA orchestriert und weitgehend durchgeführt. Die Vorherrschaft der USA in Bezug auf alles was mit dem Weltnetz und dessen Manipulation und Nutzung zusammen hängt wirken sich hier einfach drastisch aus.

Beschließend zum Begriff der Kriegskunst: ich fasse unter diesem Begriff alles auf was nicht materieller Natur ist, also gehört die Informationskriegsführung zweifelsohne auch zur Kriegskunst und stellt einen Unterbereich derselben dar.


RE: Russland vs. Ukraine - Facilier - 06.05.2022

(06.05.2022, 12:47)Quintus Fabius schrieb: Speziell aber im Bereich der tatsächlichen Informationskriegsführung sind die Russen dem Westen - spezifischer den USA - heillos unterlegen. Der ganze Informationskrieg welchen die Ukraine hier scheinbar führt wird ja meiner Überzeugung nach von den USA orchestriert und weitgehend durchgeführt. Die Vorherrschaft der USA in Bezug auf alles was mit dem Weltnetz und dessen Manipulation und Nutzung zusammen hängt wirken sich hier einfach drastisch aus.

Ob da nun SO VIEL orchestriert ist, da wäre ich mir nicht mal sicher.

Ich verfolge ukrainische Social Media Accounts und klassische Medien seit Tag 1 dieses Krieges und da hat sich meiner Meinung nach nichts verändert, was auf irgendeine Schulung schließen lässt. Da vom Krieg die Meisten überrascht waren (incl. die Ukraine selbst, die ja auch erst im Nachhinein mobil gemacht hat und Grenzen vorher nicht vermint hatte etc.) glaube ich auch nicht wirklich an eine umfassende Schulung vorher.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 06.05.2022

Die Ukraine war schon vorher sehr weit was Digitalisierung und die Nutzung des Weltnetzes angeht (im Vergleich), dennoch haben die USA meiner Meinung nach recht sicher seit Jahren schon auch diesen Bereich gezielt beschult. Seit 2014 gab es eine durchgehende US Hilfe in allen möglichen Bereichen und waren beispielsweise über mehrere Jahre US Spezialisten aus Kalifornien im Land.

Anbei USA: das Pentagon vermeldet, die Russen hätten den Gros ihrer Truppen aus Mariupol abgezogen bzw. würden jetzt abziehen um diese Truppen nach Norden zu bewegen. Unter anderem hier:

https://www.usnews.com/news/world/articles/2022-05-05/live-updates-ukraine-11-attacks-repelled-in-donbas-region

Zusammenfassungen:

Militaryland Tag 71:

https://militaryland.net/ukraine/invasion-day-71-summary/

ISW:

https://twitter.com/TheStudyofWar/status/1522375138641072128/photo/1

https://twitter.com/TheStudyofWar/status/1522376571083919360/photo/1

Und noch ne Zusammenfassung:

https://twitter.com/nrg8000/status/1522202434692870144?s=21


Und da wir hier über russische Strategie und Doktrin sprachen, dem geneigten Leser zum lesen:

https://www.cna.org/archive/CNA_Files/pdf/russian-military-strategy-core-tenets-and-operational-concepts.pdf

Und noch was über die Informationskriegsführung der Russen:

https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2022/04/russian-propaganda-zelensky-information-war/629475/


RE: Russland vs. Ukraine - Facilier - 06.05.2022

(06.05.2022, 13:14)Quintus Fabius schrieb: Die Ukraine war schon vorher sehr weit was Digitalisierung und die Nutzung des Weltnetzes angeht (im Vergleich), dennoch haben die USA meiner Meinung nach recht sicher seit Jahren schon auch diesen Bereich gezielt beschult. Seit 2014 gab es eine durchgehende US Hilfe in allen möglichen Bereichen und waren beispielsweise über mehrere Jahre US Spezialisten aus Kalifornien im Land.

Möglich, ich sehe allerdings auch kein Hexenwerk von Seiten der Ukrainer. Also ich würde es "aus dem Buch heraus" ganz genauso machen:

- Eigene Erfolge stark präsentieren
- Misserfolge/eigene Schandtaten nur ungern zeigen (aber wer zeigt von sich aus gerne Misserfolge? Braucht man da eine Schulung, um das zu vermeiden?)
- Die Moral versuchen hochzuhalten
- Möglichst viel brauchbares dokumentieren und filmen, um Material zu haben (wobei das ja heute jeder Teenager bereits im Alltag macht, braucht es dazu eine Schulung?)

Kurz gesagt:
Die Ukraine macht eigentlich nur das, was jeder Teenager auf Instagram und co bereits mit seinem Alltagsleben macht: Sich gut präsentieren.


RE: Russland vs. Ukraine - PKr - 06.05.2022

(06.05.2022, 13:30)Facilier schrieb: Kurz gesagt:
Die Ukraine macht eigentlich nur das, was jeder Teenager auf Instagram und co bereits mit seinem Alltagsleben macht: Sich gut präsentieren.
Wobei diese Präsentation für westliche Augen einen seriösen Eindruck erweckt. Russland setzt da ganz andere Akzente.