Forum-Sicherheitspolitik
Russland vs. Ukraine - Druckversion

+- Forum-Sicherheitspolitik (https://www.forum-sicherheitspolitik.org)
+-- Forum: Hintergründe (https://www.forum-sicherheitspolitik.org/forumdisplay.php?fid=97)
+--- Forum: Krisen, Konflikte und Kriege (https://www.forum-sicherheitspolitik.org/forumdisplay.php?fid=99)
+--- Thema: Russland vs. Ukraine (/showthread.php?tid=5210)



RE: Russland vs. Ukraine - Nightwatch - 13.03.2022

(13.03.2022, 22:07)lime schrieb: Das könnte man dann aber wesentlich einfacher haben in dem die Ukraine einfach fallen gelassen würde.
Un das beendet dann den Krieg wie genau?

Und: 'Man' hat doch überhaupt kein Interesse daran. Vielmehr hat man jetzt endlich Europa und Russland genau da wo so viele im tiefen Westen sie immer haben wollten. Da wird man sich nicht irgendwie arrangieren und die Beziehungen wieder normalisieren. Wenn diese Politik fortzuführen heißt, das irgendwann vielleicht mal ein paar Gefechtsköpfe im tiefen Osteuropa auf irgendwelchen Äckern odern in irgendwelchen Wäldern detonieren wir das keine schlaflosen Nächte bereiten.


RE: Russland vs. Ukraine - Schneemann - 14.03.2022

@Quintus
Zitat:Im russischen Fernsehen wird der Ton derweilen immer radikaler: es wird ganz offen über den Einsatz von Nuklearwaffen gesprochen - gegen den Westen - weil dieser sich derart in die Sonderoperation einmischt und deshalb die Gefahr bestünde, dass diese zu einem richtigen Krieg gegen das ukrainische Volk wird, und damit zu einem Krieg gegen die russische Nation (gebt euch mal eine solche Argumentation!). Ebenso wird darüber geredet, dass die Einmischung des Westens zwingend dazu führen wird, dass man an den Grenzen der Ukraine nicht Halt machen wird, sondern weiter marschiert.
In gewisser Weise, auch wenn ich den Ukrainern ihre Abwehrerfolge gönne (auch angesichts der russischen Unzulänglichkeiten), ist dies ein Umstand, der mir etwas Sorgen macht.

Bedeutet: Die in den Augen vieler prorussischer Nationalisten große russische Nation will dem "bösen" Westen endlich mal zeigen, wo die rote Linie ist. Und man will deshalb die Ukraine kurzerhand überrennen und wieder "eingliedern". Planung: Blitzaktion, kurzer Krieg, zwei Wochen oder so. Das geht ziemlich schief.

Die Truppen sind "bogged down", nach zweieinhalb Wochen hat man grob 15% der Ukraine erobert, aber vermutlich zählt man bald fünfstellige Verluste, die Moral der von der eigenen Propaganda angelogenen Soldaten ist am Boden, es zeigen sich gröbste taktische Fehler (und auch einige strategische Führungsfehler, s. Schlammphase), man versinkt in einem blutigen Häuser- und Kleinkrieg, die als gefürchtet verkaufte Luftwaffe scheint keine Lust zu haben, die Wirtschaft bricht zusammen, hunderttausende Russen flüchten ins Ausland - und man wird nicht nur international zum Paria, sondern blamiert sich vor dem Rest der Welt, weil ersichtlich wird, mit welchen schlicht unzureichenden Kräften - und weil man quasi alles unterschätzt hat (von der Landesgröße, über dessen Topographie, bis hin zur westlichen Reaktion und dem Widerstandswillen der Ukrainer) - man eine Drohkulisse aufgebauscht hat, die sich mehr und mehr als Gespinst herausstellt.

Und wenn das noch einige Wochen so weitergeht, ist gut möglich, dass der Ton in Moskau schriller wird und mancher Hitzkopf mit "der Bombe" liebäugelt. Hoffen wir mal, dass rechtzeitig die Militärs diesen Hasardeuren im Kreml in den Arm fallen, was gut sein kann, wenn jetzt schon erste Säuberungen in Moskau geschehen...

Schneemann


RE: Russland vs. Ukraine - Helios - 14.03.2022

Ich mache mir wegen dem immer radikaler werdenden Ton keine größeren Sorgen hinsichtlich eines Atomwaffeneinsatzes gegen die NATO, letztlich war eine solche Reaktion bei einem Erfolg der westlichen Maßnahmen (egal ob nun Sanktionen oder Waffenlieferungen die Ursache sind) zu erwarten. Russland muss schon allein deshalb den Druck erhöhen, weil die die Destabilisierung der Unterstützung für die Ukraine in den und durch die westlichen Gesellschaften die einzige Hoffnung auf Rücknahme dieser Maßnahmen ist, und man so zudem einer weiteren Verschärfung vorbeugen kann.
Was hingegen Sorgen bereiten sollte ist, dass Russland sich so auch hinsichtlich einer blutigeren Linie in der Ukraine absichert. Sei es über nicht-nukleare Massenvernichtungswaffen, Angriffe auf Atomkraftwerke, Flächeneinsätze gegen Zivilisten, bis hin zu taktischen Atomwaffen. Es wäre vielleicht nicht verkehrt, dies zu kontern, in dem etwa tatsächlich über Flugverbotszonen öffentlich nachgedacht wird, für den Fall, dass es so einer Eskalation gegen die Zivilbevölkerung kommt. Parallel dazu müsste man natürlich entsprechende Einheiten bereitstellen.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 14.03.2022

Du machst dir ernsthaft keine Sorgen über einen Nuklearkrieg und schreibst im nächsten Atemzug, dass man über eine Flugverbotszone öffentlich nachdenken sollte?! Eine solche würde meiner Überzeugung nach die höchste Wahrscheinlichkeit für einen Nuklearkrieg bedeuten seit es diese Waffen gibt. Die RF wird sich unter gar keinen wie auch immer gearteten Umständen eine Flugverbotszone über der Ukraine gefallen lassen, dass wäre auch intern der sofortige Untergang der Regierung Putin und dessen persönliches Ende.

Solange wir den Status Quo so fortführen (ohne direktes Eingreifen), besteht bereits die Gefahr einer erheblichen Eskalation in der Ukraine selbst, um genau diesen syrischen Morast zu verhindern, der sich da abzeichnet. Wenn es so weitergeht halte ich den Einsatz von taktischen Nuklearwaffen in der Ukraine für höchst wahrscheinlich.

Das russische Regime hat sich durch seine historische Fehlentscheidung sondergleichen in eine unhaltbare und inzwischen auch für die Machthaber persönlich extrem gefährliche Situation gebracht. Da verlieren gerade zu viele zu reiche und zu mächtige Leute viel zu viel von ihrem Vermögen und ihren persönlichen Vorteilen. Meiner Meinung nach ist das System Putin am Ende und wird der russsiche Staat so nicht weiter bestehen wie bis jetzt, weil er so nicht weiter bestehen kann.

Entweder gelingt es dem Regime dann sich mit Gewalt nach allen Seiten am Leben zu erhalten, dass wird dann aber in Richtung einer reinrassigen Militärdiktatur gehen, oder die Regierung geht über dieser Frage unter. Gar keine Frage welche Option Putin selbst hier anstreben wird. Das ginge dann also in die Richtung die hier Nightwatch schon mal angerissen hat (Bellingcat). Rein persönlich aber halte ich das auch nicht für realistisch, von daher ist ein interner Umsturz zu erwarten, wenn die russische Führung den Krieg nicht zeitnah beendet kriegt. Und das geht nur durch eine erhebliche Eskalation.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 14.03.2022

Noch eine Einzelwahrnehmung im kleinen:

Bei den vielen ukrainischen (Propaganda) Filmchen sieht man weit überproportional die folgende Waffe:

ein ukrainisches Bullpup Sturmgewehr:

https://modernfirearms.net/en/assault-rifles/malyuk/

https://www.thefirearmblog.com/blog/tag/malyuk/

Das wird aber überwiegend bei ukrainischen Spezialeinheiten und einigen wenigen Eliteverbänden geführt und ist sonst in der Truppe eher rar. Dazu passt auch die sonst sehr gute Ausrüstung der gezeigten Soldaten, die entsprechende Schlußfolgerung kann man sich selber ziehen.

Scheint sich im Kampfeinsatz durch sehr hohe Zuverlässigkeit und Robustheit zu bewähren und überhitzt anscheinend weniger als andere vergleichbare Waffen. Bleibt auch sehr schön im Ziel stehen. Hier noch ein Film mit vielen Details (zerlegte Waffe, Verhalten beim Schuss etc) dazu:

https://www.youtube.com/watch?v=lphRaA01xAk

Besonders auffällig finde ich auch das hohe Ausmaß an Optiken bei den Ukrainern und das geradezu verblüffende Fehlen moderner Optiken bei vielen russischen Einheiten.

Abgesehen davon ist es zur Zeit in der Ukraine sehr in Mode sich mit erbeuteten AK-12 auszurüsten, nicht nur weil diese ein Statussymbol sind (belegte Frontpräsenz), sondern auch weil sie sich anscheinend ebenfalls besonders durch außergewöhnliche Zuverlässigkeit und man höre und staune: Präzision auszeichnen. Die Ukrainer basteln da dann meist recht schnell Optiken drauf.


RE: Russland vs. Ukraine - Helios - 14.03.2022

(14.03.2022, 11:49)Quintus Fabius schrieb: Du machst dir ernsthaft keine Sorgen über einen Nuklearkrieg und schreibst im nächsten Atemzug, dass man über eine Flugverbotszone öffentlich nachdenken sollte?!

Ja, aber du darfst den Nachsatz nicht unterschlagen: diese öffentliche Diskussion muss unmittelbar als Reaktion auf eine mögliche Verschärfung der Handlungsweise Russlands kommuniziert werden, mit klaren roten Linien, die nicht überschritten werden dürfen, bspw. eines der von mir im vorherigen Beitrag genannten Szenarien.

Zitat:Eine solche würde meiner Überzeugung nach die höchste Wahrscheinlichkeit für einen Nuklearkrieg bedeuten seit es diese Waffen gibt.

Das sehe ich anders. Putin oder Russland (oder wie man "Rot" nun bezeichnen will) will genauso wenig einen ausgewachsenen Atomkrieg wie wir, gerade darin liegt aber die Gefahr, die weit über den Ukrainekrieg hinaus geht, weil dieser irgendwie gelöst werden muss. Wenn man eine echte Niederlage kategorisch ausschließt (dies wäre das Ende des aktuellen russischen Regimes) und ein konventioneller Sieg aussichtslos erscheint, bleibt nur ein Verhandlungsfrieden, für den man die besten Voraussetzungen schaffen muss. Und dazu können dann auch unkonventionelle Methoden sein.

Die einfache Frage lautet, was machen wir, wenn Rot chemische oder biologische Waffen in der Ukraine einsetzt, oder ein Atomkraftwerk sprengt, oder sogar einen taktischen Atomwaffeneinsatz befiehlt?

Wenn wir nicht mehr unternehmen als das, was aktuell bereits passiert, besitzt Rot die innere Legitimation, genauso weiter vorzugehen. Das Instrument der Abschreckung funktioniert dann nicht mehr. Falls wir für die Ukraine keinen Atomkrieg riskieren, würden wir einen solchen für Finnland riskieren? Oder für das Baltikum?

Wir brauchen also eine Eskalationsoption, die Rot bewusst ist, die klare Grenzen besitzt, und die keine Gefahr für Russland als staatliches Konstrukt darstellt. Eine Flugverbotszone wäre eine solche Eskalationsoption, die natürlich zu einem Atomkrieg führen könnte, aber gerade deswegen nicht dazu führen wird. Denn geht Rot tatsächlich davon aus, dass wir im Falle einer weiteren groben Eskalation selbst bereit sind weiter zu eskalieren, schreckt das ab und verhindert damit die Eskalation, die eintreten kann, wenn wir nicht bereit sind, sie eintreten zu lassen.
Die Flugverbotszone ist dabei natürlich nur ein Platzhalter, weil sie jetzt überall diskutiert wird. Sie kann beliebig ausgetauscht werden gegen eine andere, realisierbare Eskalationsoption, die trotzdem keinen totalen Krieg bedeutet.


RE: Russland vs. Ukraine - Ottone - 14.03.2022

Überlegung: In Mariupol wäre der Einsatz von Chemiewaffen für Rot durchaus verlockend. Trotzdem hoffe und glaube ich, daß sie diese Grenze nicht überschreiten werden.


RE: Russland vs. Ukraine - Schneemann - 14.03.2022

Mal eine etwas lokale Perspektive von mir - quasi bei mir um die Ecke -; bei den Panzern handelt es sich um Abrams aus dem Mannheimer Coleman-Standort der US-Streitkräfte, die nach Polen verlegt werden.

Vom 08.03.:
Zitat:Panzer-Transporte auf A6 bei Hockenheim unterwegs

Auf der A6 bei Hockenheim und Sinsheim sind am Montag mehrere Schwertransporte der Bundeswehr mit Panzern gesichtet worden. Ob es einen Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg gibt, ist unklar.

Zeugen berichten, dass auf der A6 bei Hockenheim sowie Sinsheim (Rhein-Neckar-Kreis) zahlreiche Schwertransporte der Bundeswehr mit geladenen Panzern gesichtet wurden. Darunter befanden sich offenbar auch Kampfpanzer. Insgesamt soll es sich um mindestens 20 solcher Transporte handeln. [...]

Keine Bilder mehr von deutschen Autobahnen

Die Verkehrskameras an deutschen Autobahnen liefern bundesweit keine Bilder mehr. Ein Sprecher des baden-württembergischen Verkehrsministeriums sagte dem SWR, die Kameras seien nicht abgeschaltet worden, man veröffentliche nur keine Bilder mehr im Internet.

"Es gibt vermehrt Aktivitäten von sicherheitspolitisch relevanten Akteuren im Straßenraum." (Sprecher Verkehrsministerium Baden-Württemberg)
https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/mannheim/bundeswehr-schwertransporte-panzer-autobahn-hockenheim-sinsheim-100.html

Dass die Kameras auf den Autobahnen abgeschaltet wurden, war mir zumindest bislang nicht bekannt...

Schneemann


RE: Russland vs. Ukraine - Ottone - 14.03.2022

Das ging schon vor ca. 1-2 Wochen rum mit dem gestoppten Internetzugriff auf Autobahnkameras.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 14.03.2022

Helios:

Um mal den Kern deiner These heraus zu arbeiten:

Zitat:Das Instrument der Abschreckung funktioniert dann nicht mehr. Falls wir für die Ukraine keinen Atomkrieg riskieren, würden wir einen solchen für Finnland riskieren?

WARUM sollten wir für die Ukraine einen Atomkrieg riskieren? Wenn ich dich richtig verstanden habe nur deshalb, um dadurch die Abschreckung in Bezug auf unseren eigenen Staat bzw. das eigene Bündnis aufrecht zu erhalten. Aber: deine Überlegung geht davon aus, dass die russsiche Führung hier so denkt und die gleichen Kausalketten verfolgt wie du es hier tust.

Und das ist meiner Einschätzung nach nicht der Fall, aber das bedeutet natürlich auch nicht viel. Gesichert aber kann man in jedem Fall sagen, dass es als mindestes fragwürdig ist, ob der Gegner hier die gleiche Logik verfolgen kann, und allein schon dieser Fakt, dass es fragwürdig ist macht eine solche politische Strategie völlig inakzeptabel vom Risiko her.

Bestätigt fühle ich mich in meiner Auffassung dazu vor allem auch dadurch, dass selbst die USA zuvorderst immer wieder und wieder versichern, es werde kein direktes Eingreifen der NATO in der Ukraine geben.

Wenn also deine Grundthese, dass ein solches Eingreifen in der Ukraine die Abschreckung in Bezug auf einen selbst stärken soll höchstwahrscheinlich nicht richtig ist und nicht aufgehen würde, stellt sich erneut, nun aus rein praktischen Gründen, die Frage, warum man für die Ukraine einen Atomkrieg riskieren sollte.

Und dann gibt es keine praktischen Gründe dafür. Denn: es wäre viel besser für uns, wenn der Krieg in der Ukraine als Guerillakrieg möglichst lange weiter andauern würde. Daher möchte ich deinem Hasardeurtum mal meine These entgegen setzen, dass ein konventioneller Sieg der Russen diese mit zu vielen ihrer Streitkräfte in der Ukraine festsetzt und der dort dann tobende Guerillakrieg leicht indirekt und die Beteiligung leugnend so unterstützt werden kann, dass Russland damit keinerlei weitere konventionelle Aggression auf andere Länder mehr wird durchführen können, und zwar für geraume Zeit. Der parallel dazu laufende Wirtschaftskrieg und die Verluste und die ständige Abnutzung in der Ukraine auf meiner Einschätzung nach mindestens eine Dekade hinaus werden dann zum völligen Sturz der aktuellen russischen Regierung führen.

Auf gar keinen Fall aber sollte man aus irgendwelcher Humanitätsduselei in der Ukraine eingreifen, nur weil dort ein Massenmord stattfindet, sollte man nicht eine kaum mehr einfangbare Eskalationsspirale in Gang setzen. Stattdessen sollte man den Krieg bewusst auf einer niedrigeren Temperatur weiter köcheln lassen. Wir benötigen sozusagen ein Niedertemperaturschmoren, statt offenem Eingreifen und Eskalation, um möglichst frühzeitig eine Bremse reinzuhauen, damit die Sache nicht aus dem Ruder läuft. Und das könnte sie bei einer Flugverbotszone meiner Einschätzung nach sehr leicht.

Zitat: Denn geht Rot tatsächlich davon aus, dass wir im Falle einer weiteren groben Eskalation selbst bereit sind weiter zu eskalieren, schreckt das ab und verhindert damit die Eskalation, die eintreten kann, wenn wir nicht bereit sind, sie eintreten zu lassen.

Mit einem Wort: Nein. Und zwar weil die Führung von Rot viel weniger Optionen hat und die Lage für die Führung von Rot bereits längst viel kritischer ist als es für die von dir vorgeschlagene Strategie nötig wäre. Rot hat unter bestimmten Umständen gar keine Wahl mehr, weil es dort längst um das eigene physische Überleben geht. Deshalb wird Rot diese deine Logik nicht mitgehen und ist deine Kausalkette falsch.

Wir schrecken Rot dadurch also nicht ab, wir zwingend es zum Angriff, weil wir durch diese Eskalation Rot nur noch zwei Optionen lassen: Angriff oder Tot. Damit verhindern wir also die Eskalation nicht, sondern wir vernichten die Abschreckung. Den Rot kann dann nicht mehr abgeschreckt werden, weil es im Fall einer "erfolgreichen" Abschreckung alles verlieren würde.


RE: Russland vs. Ukraine - Nightwatch - 14.03.2022

(14.03.2022, 11:49)Quintus Fabius schrieb: Du machst dir ernsthaft keine Sorgen über einen Nuklearkrieg und schreibst im nächsten Atemzug, dass man über eine Flugverbotszone öffentlich nachdenken sollte?! Eine solche würde meiner Überzeugung nach die höchste Wahrscheinlichkeit für einen Nuklearkrieg bedeuten seit es diese Waffen gibt. Die RF wird sich unter gar keinen wie auch immer gearteten Umständen eine Flugverbotszone über der Ukraine gefallen lassen, dass wäre auch intern der sofortige Untergang der Regierung Putin und dessen persönliches Ende.

Ein Eingreifen der Nato könnte sogar ein Ausweg für Putin aus einem ansonsten festgefahrenen Konflikt mit der Ukraine sein. Es liese sich leichter verkaufen, dass er den Konflikt aufgrund des Eingreifens des übermächtigen Westens hat beenden müssen als zuzugeben, dass die glorreiche russische Armee nicht mal mit ein paar Nazis in der Ukraine fertig wird.

Davon ab:
Eine nukleare Eskalation in einem Konflikt mit der Nato um die Ukraine macht nur dann tiefergehenden Sinn, wenn sich dadurch ein militärischer Vorteil ergibt. Ich sehe das nicht. Putin kann einen Krieg mit der Nato nicht gewinnen, egal ob er zu Atomwaffen greift oder nicht. Der Einsatz von Atomwaffen würde nur den Preis des Konflikts auf beiden Seiten erhöhen.
Wenn wir Putin unterstellen, dass er auf jeden Fall Russland als Nation erhalten möchte, führen ihn Atomschläge doch nur in eine Sackgasse.
In der maximalen Esklationsstufe müsste er sich entscheiden zwischen einem velorenen Abenteuer in der Ukraine und der Vernichtung Russlands und der westlichen Welt. Für Putin mag die Ukraine wichtig sein, aber ich bin mir sehr sicher, dass ihm das Fortbestehen Russlands noch wichtiger ist.

In diesem Zusammenhang lohnt es sich vielleicht auch einen Blick in die Geschichte zu riskieren. Der Deutsche Gernegroß hat bis zuletzt darauf verzichtet Giftgas einzusetzen. Selbst dann noch als er alles verloren gegeben und mit der Deutschen Nation und dem Deutschen Volk abgeschlossen hatte. Natürlich lag das in weiten Teilen auch an Hitlers persönlichen Erfahrungen mit Giftas im 1. Weltkrieg, aber es ist schon ein Beispiel das zeigt, dass ein Krieg wahnhaft bis zum bitteren Ende ausgefochten werden kann, ohne das allerletzte Register zu ziehen.
Und bei allen Memes, Putin und erst Recht sein Umfeld und die militärische Befehlskette sind sehr weit von Führerbunker 1945 entfernt.

Es gibt keinen Automatismus der unbegrenzten Eskalation, auch nicht im Atomkrieg.
Von kleinen taktischen Kernwaffen gegen militärische Hochwertziele zum unbegrenzten nuklearen Schlagabtausch ist es ein sehr weiter Weg. Bei Lichte betrachtet wäre der Einsatz taktischer Kernwaffen gegen militärische Ziele in Osteuropa sicherlich eine sehr unschöne Geschichte, aber nichts was irgendjemanden existentiell bedrohen würde.
Die Schäden wären gewaltig (und im Machtkalkül sinnlos wie oben geschrieben), aber sie wären ein Fliegenschiss in Vergleich zu dem Inferno das ein unbegrenzter Atomkrieg entfesseln würde. Und das wissen alle Beteiligten.

Quintus Fabius schrieb:WARUM sollten wir für die Ukraine einen Atomkrieg riskieren?
Pourquoi mourir pour Tallin? Why die for Visby? Warum für Lappeenranta sterben?

Wo ziehst du denn die Linie? Was ist am EU/NATO Grenzen so magisch anders, als das wir auf der einen Seite der Vernichtung der Staatlichkeit der Ukraine zusehen und gleichzeitig jeden Quadratzentimeter europäische Nato-Erde bis zum letzten Blutstropfen verteidigen wollen?
Was machen wir denn wenn Putin im Baltikum nicht so plump vorgeht wie in der Ukraine? Wenn er über Jahre die russischsprachige Bevölkerung dort anstachelt, Provokateure und Akteure einschleust und irgendwann einfach die kleinen grünen Männchen da sind und ganz bestimmt nur in den russisch geprägten Gebieten jetzt halt für Ordnung sorgen?
Oder robuster, was machen wir denn wenn irgendwann wieder aufgebaute VDV-Verbände einfach so auf Gotland landen und Putin demonstrativ eine Kernwaffe in der Ostsee zündet?

Helios hat das schon schön herausgearbeitet und mir erschließt sich auch nicht, wie wir Putin zukünftig abschrecken können werden, wenn wir ihn nach Belieben in der Ukraine rumtoben lassen. Warum sollte er annehmen, das unsere Drohungen glaubthaft sind, wenn wir demonstrieren, dass wie einen Atomkrieg bis zur Selbstverleugnug vermeiden wollen?

Wir laufen mit unserer Passivität Gefahr, das Putin die gleichen Fehlkalkulationen unterlaufen die schon den zweiten Weltkrieg mit ausgelöst haben.

Quintus Fabius schrieb:Mit einem Wort: Nein. Und zwar weil die Führung von Rot viel weniger Optionen hat und die Lage für die Führung von Rot bereits längst viel kritischer ist als es für die von dir vorgeschlagene Strategie nötig wäre. Rot hat unter bestimmten Umständen gar keine Wahl mehr, weil es dort längst um das eigene physische Überleben geht. Deshalb wird Rot diese deine Logik nicht mitgehen und ist deine Kausalkette falsch.
Diese Sichtweise verküzt aber wie oben schon angerissen die Kalkulation. Putin sieht in bestimmten Szenarien womöglich sein persönliches Ende. Schön und gut. Ein umfassender Atomkrieg wird dieses Ende in keinem Fall verhindern sondern im Gegenteil besiegeln. Gleichzeitig setzt er mit der nuklearen Eskalation im Maximum halt nicht nur sein persönliches Schicksal sondern das der ganzen russischen Nation aufs Spiel. Warum sollte er das wollen?
Putin weiß das Russland ihn überleben wird. Putin weiß das Russland einen velorenen Krieg in der Ukraine überleben wird. Wenn sein primärer Motivator die Größe Russlands seinsoll, warum sollte er Russland in extremis der Vernichtung preisgeben, nur weil sich sein Traum vom großrussischen Imperium nicht erfüllen wird? Das macht doch keinen Sinn.


RE: Russland vs. Ukraine - Ottone - 14.03.2022

(14.03.2022, 18:12)Quintus Fabius schrieb: Rot hat unter bestimmten Umständen gar keine Wahl mehr, weil es dort längst um das eigene physische Überleben geht.
Ich kann nicht folgen: Ein verlorener (oder präziser: nicht gewonnener) Krieg in der Ukraine bedroht genau wie genau das physische Überleben aller Russen in Rußland? Viele Russen mögen sich diese Geschichte zwar selbst erzählen, wahr und logisch wird sie dadurch jedoch nicht.


RE: Russland vs. Ukraine - Helios - 14.03.2022

@Quintus:

Zunächst einmal ist es unsinnig, eine fiktive Kausalkette als falsch zu bezeichnen, da das voraussetzen würde, dass du weißt, was passieren wird - und das kannst du genauso wie jeder andere nicht. Wir können Annahmen machen, diese argumentativ stärken oder schwächen, nicht mehr.

Davon abgesehen versuche ich nicht, eine bestimmte Kausalkette aufzubauen, sondern ich schaue mir die Optionen an. Dazu habe ich ein mögliches und meines Erachtens nicht unwahrscheinliches (im nicht-mathematischen Sinne) Szenario als Basis vorausgesetzt, weil sich dieses jetzt schon abzeichnet: Rot muss erkennen, dass es den Krieg auf konventionelle Weise nicht gewinnen kann. Die sich daraus ergebenen Handlungsmöglichkeiten habe ich dargelegt, habe ich etwas übersehen oder vergessen?

Natürlich wäre es für uns militärisch und geopolitisch (nicht unbedingt wirtschaftlich, aber das können andere besser einschätzen) besser, wenn sich der Krieg in der Ukraine langfristig als Guerillakrieg halten würde, und losgelöst von moralischen Betrachtungen könnte man daraus sogar ableiten, dass dies unser Ziel sein sollte. Das wäre aber nicht im Interesse von Russland, warum sollten die sich also auf ein solches langgezogenes Ausbluten einlassen, wenn es andere realistische Optionen gibt?

Und jede andere Option ist dann realistisch, wenn sie keine tiefergehenden Konsequenzen negativer Art mit sich bringt. Deshalb kulminiert meine Betrachtung in der Frage, welche Handlungsmöglichkeiten wir haben, wenn Rot die Situation sehr deutlich weiter eskalieren lässt (nehmen wir einfach als Extremfall die Verwendung von taktischen Atomwaffen, um die Ukraine zu einem Verhandlungsfrieden zu eigenen Konditionen zu bomben)?

Die Notwendigkeit, einen Atomkrieg für die Ukraine zu riskieren, ergibt sich nicht aus irgendeiner moralischen Verpflichtung, sondern aus der Notwendigkeit eine klare Grenze der real einsetzbaren Mittel aufzuzeigen. Letztlich ist das nichts anderes, als Rot es aktuell umgekehrt macht, in dem es eine militärische Intervention als möglichen Auslöser eines Atomkrieges stilisiert und dies durch eigenes Handeln untermauert.

Die Kombination aus Handlungsoptionen mit direkt verknüpften Bedingungen, also klare "Rote Linien" und eine nachdrückliche Willenserklärung, diese zu halten, verschließt keine Alternativen für Putin, es schränkt lediglich den Verhandlungsrahmen für politische Lösungen ein. Insofern läuft es keineswegs auf Sieg oder Tod hinaus, und kommunizierbar gegenüber dem eigenen Volk wäre es durchaus.

Natürlich ist das nur eine, meine, singuläre Betrachtung, die sich ohne weiteres als unzutreffend herausstellen kann. Ich kann genauso wenig in die Zukunft sehen, und viele Variablen sind nur sehr bedingt vorherseh- oder auch nur kalkulierbar. Aber darum diskutieren wir doch hier, oder?


RE: Russland vs. Ukraine - lime - 14.03.2022

Meines Erachtens wird die russische Mentalität entweder falsch eingeschätzt oder bei dem Blick in die Glaskugel nicht beachtet. Putin würde sicher nicht eher klein beigeben als die NATO wenn es zu einer atomaren Eskalation käme. Da würde ich durchaus vorhersagen dass er und sein Stab lieber "All In" gehen.


RE: Russland vs. Ukraine - Helios - 14.03.2022

Meines Erachtens ist das Beschwören irgendwelcher "Mentalitäten" nichts anderes als die Verallgemeinerung von Stereotypen, ich kann dem wie in so vielen anderen Fällen nichts abgewinnen. Schon gar nicht, wenn sie das bisherige Propagandanarrativ unterstützen (schwacher Westen, starkes Russland).