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Russland vs. Ukraine - Druckversion

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RE: Russland vs. Ukraine - Schneemann - 28.02.2022

@Quintus
Zitat:Was völlig normal ist und zu erwarten war. Auch ein moderner Krieg ist nicht so schnell wie das immer angenommen wird. Bisher sind die russischen Geländegewinne zumindest für mich ganz normal und im Rahmen des erwartbaren.
Ja bzgl. dem Umstand, dass solche eher gering anmutenden Geländegewinne in einem modernen Krieg mit durch unübersichtlichem Terrain durchaus logisch sind. Nein hinsichtlich der Truppenstärke von 50% "im Einsatz" (wenn die Zahl stimmt). Im Irak etwa dürften am Vormarsch der USA nur ca. 20% der zusammengezogenen Verbände beteiligt gewesen sein. Sicher mag die US-Logistik nochmal eine andere Kategorie sein, aber ich habe das Gefühl, dass die Russen mit einem schnellen Blitzerfolg gerechnet haben und annahmen, man würde den "Rest" schon bald nachziehen können.
Zitat:Eine verteidigte moderne Stadt kann man nicht so einfach en passant stürmen. Beispielsweise könnte man Kiew mit den Mitteln der Ukrainer welche sie real haben selbst gegen wesentlich ernsthaftere und massivere Angriffe auf jeden Fall mindestens mehrere Wochen halten, ohne Probleme!
Vielleicht mehrere Wochen nicht unbedingt, das hinge auch von der Brutalität ab, mit der man vorgeht. Aber generell ist eine moderne Stadt, in der ein zumindest halbwegs vorbereiteter Gegner sitzt, und der dazu noch bitter entschlossen ist, eine taktische Herausforderung für jede Armee, wenn ich nicht zehntausende Zivilisten umbringen will. Wenn die Russen in Kiew so wie in Grosny vorgegangen wären, gesetzt den Fall, sie wöllten und könnten es, würde sich die Stadt wohl nicht allzu lange halten - aber die Folgen wären absolut verheerend gewesen.

Interessant ist auch, dass man, wenn man vorbeiziehende russische Kolonnen sieht, zwar Panzer, IFV, MRAPs und Lastwagen sieht (aber diese auch weniger), aber recht wenige Haubitzen oder Werfer. Vor einigen Tagen hieß es drohend, dass der berüchtigte TOS-1 nach vorne geschickt wird. Bislang sieht man davon nichts. Aber vielleicht sind das auch nur Momentbeobachtungen von mir.
Zitat:Es ist einfach völlig illusorisch zu glauben, man könne ein Land wie die Ukraine einfach ad hoc überrennen, und die Städte einfach so auf der Stelle nehmen.
Das ist absolut richtig, aber ich vermute, dass man das auf russischer Seite tatsächlich vorhatte. Möglicherweise, weil mancher Kommandeur die eigene Propaganda-Geschichten wirklich geglaubt hat, dass die meisten Ukrainer einen eh mit offenen Armen empfangen? Insgesamt betrachtet läuft die Sache aber dennoch unausgegoren, ja beinahe wirr ab. Sicherlich, der Gegner ist auch da, aber der ganze Aufmarsch wirkt unvollständig, überhastet.

Es wird sowieso sehr interessant bleiben.

Angenommen, man einigt sich auf einen Waffenstillstand, was für Ukrainer wie Russen (und auch für den Planeten) humanistisch betrachtet eminent wichtig und wünschenswert wäre, so ist die Frage, was dann innenpolitisch in Russland geschieht?

Putin ist, arg weit nach vorne gelehnt, mit Lügen und irrationalem Verhalten nach vorne geprescht, die Armee wurde kurzsichtig und durch Unfähigkeit in eine ziemlich verfahrene Lage gebracht, es gibt tausende Tote (und tausende Verhaftete in Russland selbst), hunderte abgeschossene Fahrzeuge, die Wirtschaft geht den Bach runter, auch infolge der massiven Sanktionen des Westens, Deutschland (bislang ein wichtiger Handelspartner bzw. wohl der wichtigste Partner in Europa) rüstet massiv auf und macht seine Energiegeschäfte mit anderen, und wenn dann am Ende herauskommt, dass man dafür nur ein paar Enklaven und vielleicht eine Art DMZ (so wie zwischen Nord- und Südkorea) um die Separatistengebiete im Donbass bekommt, könnte ich mir vorstellen, dass es in Moskau zu einem Umsturz kommt.

Das muss kein Putsch sein oder gar Bürgerkrieg - wie Helios schrieb -, eher vielleicht eine Kremlintrige; und solche gab es in der Vergangenheit schon zur Genüge, von Chruschtschow bis Gorbi. Die Schuld für dieses Desaster wird sehr wahrscheinlich ihm angelastet werden. Er wirkt gesundheitlich angezählt, geht auf die 70 zu, wirkt unberechenbar, droht quasi jedem (pseudo-)missliebigen Nachbarn mit Krieg und sogar indirekt mit Atomwaffen, hat quasi das slawische Brudervolk der Ukraine angegriffen, einen Keil zwischen alles und jeden getrieben, das Land ruiniert und international zum isolierten Paria gemacht - und am Ende könnte es sogar sein, dass sein aggressiv-paranoid verfolgtes Ziel, irgendwie die NATO mit Gewalt fernzuhalten oder zu schwächen, dazu führt, dass sie nun militärisch gestärkt wird und umso näher an den Grenzen Russlands steht.

Ob er dies politisch überlebt, wage ich zu bezweifeln.

Und die Frage, die wir uns dann stellen müssen, ist, was folgt auf ihn? Ein rechtsextremer Diktator, der umso massiver mit der Atomkeule droht? Quasi ein isoliertes "Obervolta mit Atomwaffen" (Helmut Schmidt) und einem neofaschistischen General am Ruder? Oder eine Art Gorbatschow, der auf Ausgleich und Deeskalation setzt? Zweiter Fall wäre der wünschenswerte, wenn ersterer eintritt, ist es gut, dass wir jetzt aufrüsten...

Schneemann


RE: Russland vs. Ukraine - Helios - 28.02.2022

(28.02.2022, 15:54)Schneemann schrieb: Das muss kein Putsch sein oder gar Bürgerkrieg - wie Helios schrieb -, eher vielleicht eine Kremlintrige;

Mit "Führungswechsel" habe ich bewusst einen Begriff gewählt, der viele Interpretationen offen lässt, von einer rein internen Aktion bis hin zu einem ausgewachsenen Bürgerkrieg mit all den Variationen dazwischen halte ich prinzipiell alles für möglich - wie wahrscheinlich das dann jeweils ist sollen andere beurteilen.


RE: Russland vs. Ukraine - GermanMilitaryPower - 28.02.2022

Wenn man diesem Verhör Glauben schenken darf, wurden die russischen Soldaten seitens der Führung belogen, geschweige denn dass der Großteil überhaupt über Kampfmoral verfügt. Das würde diesen schleppenden Vormarsch auch untermauern.

https://www.youtube.com/watch?v=nifxKIhFSuw


RE: Russland vs. Ukraine - lime - 28.02.2022

(28.02.2022, 10:37)Schneemann schrieb: 4.) Es wird von Nachschubschwierigkeiten berichtet. Inwieweit dies zutrifft, ist schwer zu sagen. Anhaltspunkt könnte allenfalls der langsame Fortschritt sein. Fakt ist sicherlich auch, dass das Areal dort den Hinterhalt begünstigt und bislang sieht man zwar Vorstöße, aber ich habe das Gefühl, dass der Flankenschutz wenig ausgeprägt ist. Und das macht Attacken auf Nachschubkonvois recht wahrscheinlich.

Schneemann

Mit welchem Fortschritt hat man denn gerechnet? Vielleicht hat man tatsächlich gehofft dass Charkow und Mariupol gleich kapitulieren. Aber besonders wahrscheinlich war das eigentlich nicht. Krupjansk,Berdjansk und ein paar kleinere Orte sind ja gestern ohne große Kämpfe an die russische Armee gefallen. Von größeren Fortschritten als solchen pro Tag kann man eigentlich kaum ausgehen.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 01.03.2022

Schneemann:

Zitat:Nein hinsichtlich der Truppenstärke von 50% "im Einsatz" (wenn die Zahl stimmt).

Welche Anteile da jetzt real im Einsatz sind ist eigentlich aktuell nicht beantwortbar. Das sind reine Phantasiezahlen, es könnten genau so gut 20% sein.

Zitat:Im Irak etwa dürften am Vormarsch der USA nur ca. 20% der zusammengezogenen Verbände beteiligt gewesen sein.

Und in diesem Kontext muss man eben die Kräfteverhältnisse beachten. Der Kräfteunterschied zwischen den USA und ihren Verbündeten und dem Irak war wesentlich größer als jetzt zwischen der Ukraine und Russland. Die Truppenstärke der USA lag bei etwa 300.000 Mann. Bei einer Annahme von 20% eingesetzten Truppen kommt man so auf 60.000 Mann "an der Front". Die Stärke der Russen lag entlang der Grenze bei um die 150.000 Mann. Und kurz vor Beginn der Invasion wurde mehrfach berichtet, dass ungefähr ein Drittel der Truppen jetzt vorgehen würde. Dass wären 50.000 Mann "an der Front".

Nun nimm noch die Verhältnisse in der Luft dazu, wieviel Kampfflugzeuge mit wie vielen Einsätzen pro Flugzeug pro Tag hier in den beiden jeweiligen Kriegen unterwegs waren / sind, und sofort relativiert sich das von dir gezeichnete Bild.

Zitat:Sicher mag die US-Logistik nochmal eine andere Kategorie sein, aber ich habe das Gefühl, dass die Russen mit einem schnellen Blitzerfolg gerechnet haben und annahmen, man würde den "Rest" schon bald nachziehen können.

Kann sein, kann auch nicht sein. Es ist auch gut möglich, dass man den Gegner erstmal abtastet, erstmal feststellt wie der Westen reagiert, wie der Gegner reagiert, diesen erstmal austestet, und man benötigt ja ohnehin erstmal einige Zeit für SEAD / DEAD, da ein mechanisierter Vorstoß ohne ausreichende Luftnahunterstützung sinnfrei ist.

Deshalb ist es meine rein private Einschätzung, dass die russische Führung eben nicht mit einem Blitzkrieg gerechnet hat, sondern dass man den Krieg erstmal Stückchen für Stückchen eskalieren und entwickeln will. So vermeidet man auch zu extreme Reaktionen des Westens welche das Risiko einer größeren Eskalation mit sich bringen. Man eskaliert daher stückweise, gewöhnt dadurch alle an die Umstände und kann die Situation damit viel klarer definieren und dadurch kontrollieren. Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen ob meine oder deine Einschätzung hier richtig waren.

Zitat:Vielleicht mehrere Wochen nicht unbedingt, das hinge auch von der Brutalität ab, mit der man vorgeht. ......Wenn die Russen in Kiew so wie in Grosny vorgegangen wären, gesetzt den Fall, sie wöllten und könnten es, würde sich die Stadt wohl nicht allzu lange halten - aber die Folgen wären absolut verheerend gewesen.

Dir ist aber schon klar, dass die erste Schlacht um Grozny 2 Monate dauerte (und das obwohl man de facto nach belieben auf Zivilisten gefeuert hat), und dass auch die zweite Schlacht um Grozny von Anfang Dezember 1999 bis zum 02 Februar 2000 dauerte (und das obwohl man dabei dann noch krasser gegen Zivilisten vorging und die Stadt dabei im Endeffekt dem Erdboden gleichmachte). In beiden Fällen gelang es den Tschetschenen Grozny mehrere Wochen zu halten.

Obwohl die Kräfteverhältnisse komplett andere waren und die Russen ihre gesamten Streitkräfte auf die Stadt konzentrierten und dort derart reinschlugen, dass Grozny danach die am stärksten zerstörte Stadt weltweit war.

Die Ukrainer sind hier und heute nun militärisch viel stärker als es die Tschetschenen waren. Meine Aussage, dass man Kiew beispielsweise problemlos und in jedem Fall mehrere Wochen halten kann, und zwar ungeachtet der Umstände und der Vorgehensweise des Gegners ist daher keineswegs unrealistisch und gerade Grozny zeigt auf wie.

Zitat:Insgesamt betrachtet läuft die Sache aber dennoch unausgegoren, ja beinahe wirr ab. Sicherlich, der Gegner ist auch da, aber der ganze Aufmarsch wirkt unvollständig, überhastet.

Ein großer konventioneller Krieg ist eigentlich immer wirr, wirkt immer unvollständig und CHAOS ist das elementarste Element jedes ernsthaften Krieges. Wir sind durch unsere übergelenkten, durchkontrollierten und von analytischer Befehlstaktik übersteuerten Klein-Klein Einsätze das Ausmaß des Chaos im Krieg halt nicht mehr gewöhnt. Die Komplexität und die Dynamik eines solchen Geschehens sind einfach zu groß und der Nebel des Krieges ist da wie eh und je. Hier und jetzt ist es zwar auch mein Eindruck, dass die Russen sich bisher zurückhalten und deutlich weniger zeigen und einsetzen als möglich wäre, die Gründe dafür aber können auch andere sein als die von dir (und anderen) hier vermuteten. Was der Grund für das aktuelle russische Verhalten ist, wird sich erst noch in den nächsten Tagen heraus stellen. Das könnte alles daher auch intentional sein.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 01.03.2022

Aktuelle Karte:

https://twitter.com/remilitari/status/1498297402129801221/photo/1


Die TB2 aasen derweilen gemütlich weiter:

https://nitter.net/UAWeapons/status/1498371944055455753#m

https://twitter.com/azyakancokkacan/status/1498307759481233413/photo/1

https://nitter.net/Archer83Able/status/1498392424854568967#m

Und die Türken sperren jetzt den Bosporus:

https://www.tagesschau.de/ausland/ukraine-russland-tuerkei-bosporus-dardanellen-101.html?utm_medium=referral&utm_source=upday


Allgemeiner Blick ins Kaleidoskop:

https://www.understandingwar.org/backgrounder/russian-offensive-campaign-assessment-february-28-2022

https://www.reuters.com/world/europe/russias-missiles-see-mixed-results-ukraine-war-world-watches-2022-02-28/

https://rusi.org/explore-our-research/publications/commentary/mysterious-case-missing-russian-air-force

Und für Freunde von bewegten Aufnahmen:

https://www.youtube.com/funker/videos


RE: Russland vs. Ukraine - Schneemann - 01.03.2022

@Quintus
Zitat:Welche Anteile da jetzt real im Einsatz sind ist eigentlich aktuell nicht beantwortbar. Das sind reine Phantasiezahlen, es könnten genau so gut 20% sein.
Das sind auch nur Vermutungen von mir, die auf den aktuellen Meldungen basieren, wonach irgendwo zwischen 1/3 und 2/3 der russischen Verbände in der Ukraine stehen sollen.
Zitat:Nun nimm noch die Verhältnisse in der Luft dazu, wieviel Kampfflugzeuge mit wie vielen Einsätzen pro Flugzeug pro Tag hier in den beiden jeweiligen Kriegen unterwegs waren / sind, und sofort relativiert sich das von dir gezeichnete Bild.
Generell dürfte die Luftunterstützung bzw. dürften allg. Luftschläge im Irak 2003 aber deutlich intensiver gewesen sein als derzeit die russischen in der Ukraine, alleine wenn man sich die Zahl der abgeschossenen Tomahawks anschaut. Aber egal, ich komme vom Thema ab...
Zitat:Deshalb ist es meine rein private Einschätzung, dass die russische Führung eben nicht mit einem Blitzkrieg gerechnet hat, sondern dass man den Krieg erstmal Stückchen für Stückchen eskalieren und entwickeln will. So vermeidet man auch zu extreme Reaktionen des Westens welche das Risiko einer größeren Eskalation mit sich bringen. Man eskaliert daher stückweise, gewöhnt dadurch alle an die Umstände und kann die Situation damit viel klarer definieren und dadurch kontrollieren. Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen ob meine oder deine Einschätzung hier richtig waren.
Ach, eigentlich ist es mir egal, wer richtig liegt oder nicht. Am liebsten wäre es mir, wenn die Streithähne sich irgendwie auf einen Waffenstillstand einigen, aber gestern haben sie ja die erste Runde der Verhandlungen abgebrochen. Hinsichtlich der "stückweisen" Eskalation: Es ist halt die Frage, ob einem dies nicht zum Nachteil gereicht, d. h. ich probiere hier was aus, dann da was, und flugs ist eine Woche herum, während die wichtigsten Industriestaaten des Planeten meinem Gegner Waffen liefern oder liefern wollen und der Druck von Tag zu Tag zunimmt. Insofern würde ich mir da nicht allzu lange Zeit lassen mit dem "stückchenweisen" Vorgehen.
Zitat:Dir ist aber schon klar, dass die erste Schlacht um Grozny 2 Monate dauerte (und das obwohl man de facto nach belieben auf Zivilisten gefeuert hat), und dass auch die zweite Schlacht um Grozny von Anfang Dezember 1999 bis zum 02 Februar 2000 dauerte (und das obwohl man dabei dann noch krasser gegen Zivilisten vorging und die Stadt dabei im Endeffekt dem Erdboden gleichmachte). In beiden Fällen gelang es den Tschetschenen Grozny mehrere Wochen zu halten.
Du hast recht, ich hatte das irgendwie viel kürzer im Gedächtnis. Okay, sinnloser Vergleich meinerseits.
Zitat:Ein großer konventioneller Krieg ist eigentlich immer wirr, wirkt immer unvollständig und CHAOS ist das elementarste Element jedes ernsthaften Krieges. Wir sind durch unsere übergelenkten, durchkontrollierten und von analytischer Befehlstaktik übersteuerten Klein-Klein Einsätze das Ausmaß des Chaos im Krieg halt nicht mehr gewöhnt. Die Komplexität und die Dynamik eines solchen Geschehens sind einfach zu groß und der Nebel des Krieges ist da wie eh und je. Hier und jetzt ist es zwar auch mein Eindruck, dass die Russen sich bisher zurückhalten und deutlich weniger zeigen und einsetzen als möglich wäre, die Gründe dafür aber können auch andere sein als die von dir (und anderen) hier vermuteten. Was der Grund für das aktuelle russische Verhalten ist, wird sich erst noch in den nächsten Tagen heraus stellen. Das könnte alles daher auch intentional sein.
Bin ich mir nicht sicher. Ich sehe z. B. diese Kolonne von angeblich 60 Kilometern Länge, die irgendwo bis zu 30 Kilometer nördlich von Kiew stehen soll. Und wo Fahrzeuge teils dicht an dicht und zu dritt nebeneinander stehen. Das widerspricht allen taktischen Vorgehensweisen. Entweder ist man sich überaus sicher, z. B. dass keinerlei Luftbedrohung möglich ist, oder hier herrscht einfach Unvermögen vor. Man stelle sich mal vor, in 50 Kilometer Entfernung stehen PzH 2000 gut getarnt und verteilt und mit Vulcano-Munition?

Darüber hinaus ist ein "großer Krieg" sicher nicht immer wirr oder unvollständig. Solche großen Verbände könnte man gar nicht zielführend einsetzen, wenn man so vorgehen würde, was ja bei mir den Verdacht generiert hat, dass die Russen eben chaotisch vorgehen und dass es keinen richtigen Plan gibt. Es mag sicher im kleineren Rahmen, Ortskampf etc., zu Wirrnissen kommen, aber generell müssen derartige Bewegungen quasi minutiös abgestimmt sein, weil sonst schreien die Einheiten hinten, dass sie vorne blockierte Straßen haben, während die Einheiten vorne schreien, dass sie Sprit brauchen...

Schneemann


RE: Russland vs. Ukraine - lime - 01.03.2022

(01.03.2022, 10:40)Schneemann schrieb: Du hast recht, ich hatte das irgendwie viel kürzer im Gedächtnis. Okay, sinnloser Vergleich meinerseits.
Bin ich mir nicht sicher. Ich sehe z. B. diese Kolonne von angeblich 60 Kilometern Länge, die irgendwo bis zu 30 Kilometer nördlich von Kiew stehen soll. Und wo Fahrzeuge teils dicht an dicht und zu dritt nebeneinander stehen. Das widerspricht allen taktischen Vorgehensweisen. Entweder ist man sich überaus sicher, z. B. dass keinerlei Luftbedrohung möglich ist, oder hier herrscht einfach Unvermögen vor. Man stelle sich mal vor, in 50 Kilometer Entfernung stehen PzH 2000 gut getarnt und verteilt und mit Vulcano-Munition?

Gestern hatte Rußland doch bekannt gegeben dass sie die absolute Lufthoheit hätten. Ob das stimmt sei mal dahingestellt, aber scheinbar geht man aktuell davon aus. Würde im Endeffekt bedeuten dass keine ukrainische Drohne mehr angreifen kann. Wird sich zeigen ob das wirklich so ist.


RE: Russland vs. Ukraine - Schneemann - 01.03.2022

Einerseits sicherlich ja, in jedem Fall sind die Fahrzeuge extrem verwundbar aufgereiht. Bleibt auch die Frage, inwieweit diese Kolonne nun den "Großangriff" symbolisiert oder nicht. Teils stehen sie dicht an dich, teils sieht man aber auch 80 oder 100 Meter Abstand zwischen einzelnen Vehikeln, grob also 20 bis 100 Fahrzeuge im Schnitt pro Kilometer, also wohl an die 2.500+ Fahrzeuge. Ist recht viel, sicherlich, aber eine deutsche Panzerdivision - wenn man es denn wagen sollte, mit Panzern eine Großstadt anzugreifen (wovon ich abraten würde) - kam 1941 auf 250 Kilometer Länge (lt. Piekalkiewiczs "Krieg der Panzer"). Und ob eine Division reicht, eine Großstadt zu nehmen, stelle ich auch in Frage...

Anbei:
Zitat:World's largest plane destroyed in Ukraine

(CNN) — The world's largest aircraft, the Antonov AN-225, has been destroyed during the Russian invasion of Ukraine, according to Ukrainian officials, generating alarm and sadness among the aviation world in which it occupies almost cult status.

The enormous aircraft, named "Mriya," or "dream" in Ukrainian, was parked at an airfield near Kyiv when it was attacked by "Russian occupants," Ukrainian authorities said, adding that they would rebuild the plane. [...] In a later statement, the company said the airplane had been in on the ground near Kyiv on February 24 undergoing maintenance. [...] Satellite images from Maxar Technologies show significant damage to part of the hangar in which the AN-225 is stored.
https://us.cnn.com/travel/article/antonov-an-225-largest-plane-destroyed-ukraine-scli-intl/index.html

Schneemann


RE: Russland vs. Ukraine - lime - 01.03.2022

Politico meldet dass weißrussische Truppen in die Ukraine einrücken

https://twitter.com/POLITICOEurope/status/1498601326766342147


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 01.03.2022

Schneemann:

Zitat:Generell dürfte die Luftunterstützung bzw. dürften allg. Luftschläge im Irak 2003 aber deutlich intensiver gewesen sein als derzeit die russischen in der Ukraine

Die war derart viel intensive dass sich auch hier eigentlich jeder Vergleich verbietet. Die Russen operieren bisher entgegen ihrer üblichen Weise mit geradezu verblüffender Zurückhaltung, außergewöhnlicher Schonung der Zivilbevölkerung, es ist im Prinzip der sauberste chirurgischste Krieg den die Russen jemals geführt haben. Und exakt das ist meiner Meinung nach hier eines der Hauptprobleme der Russen. Das ist nicht ihre Art der Kriegsführung. Mal sehen ob und falls ja - wann sie umschwenken.

Wenn man die derzeitigen Angriffe beispielsweise damit vergleicht wie sie in Grozny reingeprügelt haben, so sind das Welten. Bis dato sind gerade mal um die 350 Zivilisten umgekommen. Das ist angesichts der Größe des Geschehens so gut wie nichts. Zum Vergleich: die US Truppen haben allein im Jahr 2003 um die 40.000 Zivilisten im Irak vernichtet. Die Präzision der Russen und ihre Zurückhaltung gegenüber den Zivilisten ist daher ungefähr so wie die der USA im Irak oder in Afghanistan, also für russische Verhältnisse geradezu erstaunlich.

Zitat:eigentlich ist es mir egal, wer richtig liegt oder nicht. Am liebsten wäre es mir, wenn die Streithähne sich irgendwie auf einen Waffenstillstand einigen

Ganz im Gegenteil. Mal frei von ethisch-moralischen Überlegungen kann es nur in unserem Interesse sein, wenn dieser Krieg so lange wie möglich dauert und Russland so viel wie möglich kostet. Eine hintertriebene Politik wäre es daher einen Waffenstillstand so weit wie möglich zu behindern.

Zitat:Hinsichtlich der "stückweisen" Eskalation: Es ist halt die Frage, ob einem dies nicht zum Nachteil gereicht, d. h. ich probiere hier was aus, dann da was, und flugs ist eine Woche herum, während die wichtigsten Industriestaaten des Planeten meinem Gegner Waffen liefern oder liefern wollen und der Druck von Tag zu Tag zunimmt. Insofern würde ich mir da nicht allzu lange Zeit lassen mit dem "stückchenweisen" Vorgehen.

So ein Krieg dauert in jedem Fall. Dass dann andere das für ihre politischen Ziele explorieren, dass man selbst unter diesen Umständen erhebliche Nachteile daraus zieht und dass der Feind Waffen geliefert bekommt war alles vorherzusehen und es muss halt vorher bedacht werden. Spezifisch aber zu den Waffenlieferungen:

ein paar tausend Panzerabwehrhandwaffen sind einfach mal irrelevant. Und in Bezug auf die relevanten Waffensysteme (beispielsweise ernsthafte Flugabwehr etc) fehlt die Ausbildung und diese kann eben nicht einfach so ad hoc bereitgestellt werden. Dazu müssten sich schon NATO Soldaten direkt beteiligen. Da wir hier im Strang ja schon mal die Lieferung von Gepard FlaK-Pz hatten, man benötigt mindestens 6 Monate bis man mit diesem System ernsthaft in einen Krieg ziehen kann.

Relevant werden eventuell die Stinger in Bezug auf die Helis der Russen und relevant wären Unmengen von Minen, Massen von militärischem Sprengstoff und Zündern, aber genau davon liefert man wenig oder nichts. Die ganzen Panzerfaustlieferungen haben daher mehr einen Symbolcharakter.

Zitat:Darüber hinaus ist ein "großer Krieg" sicher nicht immer wirr


Doch, exakt das ist er - immer. Genau das zu erkennen und in exakt einem solchen Umfeld, unter solchen Umständen noch richtig agieren zu können, dass ist exakt die Kunst.

Zitat:weil sonst schreien die Einheiten hinten, dass sie vorne blockierte Straßen haben, während die Einheiten vorne schreien, dass sie Sprit brauchen...

Willkommen im Krieg. Den es gibt überhaupt keinen ernsthaften Krieg in dem exakt dies nicht genau so vorgekommen ist. Selbst die USA im Irak mit ihrer schier unfassbaren Logistikmaschinerie hatten vorübergehend exakt solche Probleme.


RE: Russland vs. Ukraine - hunter1 - 01.03.2022

(01.03.2022, 15:30)Quintus Fabius schrieb: ein paar tausend Panzerabwehrhandwaffen sind einfach mal irrelevant.
...
Relevant werden eventuell die Stinger in Bezug auf die Helis der Russen und relevant wären Unmengen von Minen, Massen von militärischem Sprengstoff und Zündern, aber genau davon liefert man wenig oder nichts. Die ganzen Panzerfaustlieferungen haben daher mehr einen Symbolcharakter.
Kannst Du das mal erklären? Ich für meinen Teil nähme die Panzerfäuste mit Handkuss.

Darüber hinaus, punkto Wirrwarr im Krieg:
https://twitter.com/i/web/status/1498619309618503680
Angeblich soll die Kommunikation innerhalb der russischen Invasionsarmee schlichtweg katastrophal sein.


RE: Russland vs. Ukraine - lime - 01.03.2022

In Cherson treffen die russischen Truppen scheinbar nur auf geringen Widerstand. Warum ist für mich unklar, da die 300.000 Einwohner Stadt meines Erachtens strategisch wesentlich wichtiger ist als Mariupol oder Charkow, auch wenn letztere beide Städte vermutlich einen höheren Wert in Sachen Moral für die Ukraine haben.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 01.03.2022

Werter hunter1:

Zitat:
ein paar tausend Panzerabwehrhandwaffen sind einfach mal irrelevant.[/quote]
Kannst Du das mal erklären? Ich für meinen Teil nähme die Panzerfäuste mit Handkuss.[/quote]

Ich nähme sie genau so gerne und mit Handkuss, dass ist hier nicht die Frage. Zwischen keine Panzerfäuste - und mehrere tausend Panzerfäuste ist die Wahl vollkommen klar. Man muss sich aber auch der Grenzen von Panzerabwehr-Handwaffen bewusst sein, gerade in einem konventionellen großen Krieg.

Panzerfäuste gelten ja (aufgrund der Einsatzerfahrungen der letzten Dekaden) als Technologiekiller, werden gegen gepanzerte Fahrzeuge,wie gegnerische Stellungen, wie feindliche Infanterie eingesetzt. Die Vielseitigkeit, die Möglichkeit sie zu verbergen und das geringe Können (im Vergleich) dass sie erfordern sowie die geringen Kosten machten sie in den assymetrischen Guerilla-Kriegen wirksam. In einem großen konventionellen Krieg aber - selbst wenn dieser auch assyemtrisch ist, ist ihre Wirkung deutlich geringer. Man kann wenn der Gegner richtig vorgeht damit einen ernsthaften Vorstoß mechanisierter Truppen weder aufhalten noch diese substanziell schädigen. Das sind dann allenfalls Nadelstiche, entschieden wird der Kampf dann durch ganz andere Faktoren.

Eine gewisse Wirkung kann man damit allenfalls erzielen, wenn der Gegner erhebliche Fehler im Vorgehen macht (siehe Grozny im Ersten Tschetschenienkrieg) - wenn der Feind solche vermeidbaren Fehler aber vermeidet, dann bringen selbst die meisten PALR gegen einen ernsthaften mechanisierten Gegner nur wenig, selbst wenn man sie zu tausenden abfeuert (siehe Libanonkrieg), und Panzerfäuste liegen da noch mal Welten darunter. Nett für die Moral, sicher auch noch interessant wenn der konventionelle Part vorbei ist, aber solange dieser andauert ohne Belang für die Gesamtlage.


RE: Russland vs. Ukraine - slurm - 01.03.2022

Zitat:Eine gewisse Wirkung kann man damit allenfalls erzielen, wenn der Gegner erhebliche Fehler im Vorgehen macht

Völlig richtig, aber genau diese Fehler werden derzeit von den Russen ausreichend häufig begangen, das wird ja immer deutlicher. Natürlich helfen die Panzerabwehrwaffen nichts, wenn man mit Artillerie oder sonstigem beschossen wird. Nur ist die russische Luftwaffe bisher wenig in Erscheinung getreten und auch der Einsatz von MLRS war anfangs ungewöhnlich zurückhaltend. Solange die Russen als Zielscheiben durch die Gegend fahren, sind NLAW und Co absolut wichtig.