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Russland vs. Ukraine - Druckversion

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RE: Russland vs. Ukraine - Schneemann - 12.08.2023

@Nightwatch

Danke, eine interessante Liste/Übersicht. Aber bitte: Was heißt MIA - doch sicher nicht "Missing in Action"?

Schneemann


RE: Russland vs. Ukraine - Nightwatch - 12.08.2023

Shy was sonst
Das sind Einheiten die ich nicht lokalisieren konnte und wahrscheinlich nicht im Einsatz sind.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 13.08.2023

Ein Hörstück von Kofmann über die Offensive - wobei mir besonders die weiter greifende und ganzheitliche Betrachtung gefällt:

https://warontherocks.com/2023/08/zooming-out-on-ukraines-offensive/

Er spricht auch mal wieder sehr gut die Frage der eigentlich untragbar hohen Verluste auf beiden Seiten an. Das Problem ist dabei eben nicht nur die Quantität, sondern vor allem auch wieviel Qualität da verloren gegangen ist. Die Ukraine hat ja beispielsweise bei Bakhmut sehr viele erfahrene und fähige Soldaten verloren und auch sonst senken die ständigen Verluste die Qualität der ukrainischen Streitkräfte immer weiter und weiter und genau das zieht die Ukrainer zunehmend auf das niedrige Niveau der Russen herunter, die wiederum zwar auch an Qualität verloren haben, aber entsprechend ihrem schon vorher viel niedrigerem Niveau im Verhältnis gesehen eben sehr viel weniger.

Je härter und länger der Krieg andauert, desto mehr wird Russland aus diesem Mechanismus Vorteile erlangen.


RE: Russland vs. Ukraine - Nightwatch - 14.08.2023

(11.08.2023, 15:14)Nightwatch schrieb: Wie man sieht hat die AUF mittlerweile einen guten Teil der Reserven an die Front geschoben. Wobei bei der Listung naturgemäß sehr viel Unsicherheit mitschwingt; letztlich muss das ein oder andere aufgetauchte Video nicht heißen, dass dort dann tatsächlich die jewelige Brigade komplett im Einsatz steht.

dazu auch:


@noclador schrieb:No - Ukraine hasn't committed it's second and third echelon forces yet.

Ukraine pulled some FPV drone units and artillery batteries out of the brigades waiting in the rear to increase the fires raining down on the russians and to give those units combat experience. That's all.
https://twitter.com/noclador/status/1691081183839322113


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 14.08.2023

Es ist verblüffend wie perfekt ausbalanciert die ganze Lage ist so dass keine Seite mehr mit irgendwas voran kommt, dass ist kriegsgeschichtlich in derart extremen Ausmaß gar nicht so häufig vorgekommen:

Von Norden nach Süden aus allen möglichen Quellen zusammen geschrieben:

Die Ukrainer behaupten, der russische Vorstoß in Richtung Kupjansk sei abgewehrt worden. Gestern sollen die Russen dort wieder angegriffen haben, ein erster Stoß in die Gegend von Andrivka sei aber ebenfalls hängen geblieben. Aktuell flammen die Kämpfe dort ab. Grundsätzlich sind die Ukrainer westlich von Sawtowe eher in der Defensive, die Russen in der Offensive, wobei sie ihre Kräfte in vielen kleinen Angreifen mit unzureichenden Kräften verschleißen.

Bei Kremina herrscht eine unklare Lage, angeblich drängen die Russen da wieder westwärts, kommen aber nicht voran. Bei Bakhmut steht aktuell alles, da laufen die Geländegewinne der Ukrainer im Bereich von 100 m oder weniger pro Tag. Auch ein paar russische Gegenangriffe gewannen Gelände gerade mal im Bereich von 50m bis 100m zurück. Oder einfach gesagt: da rührt sich gar nichts mehr.

Südlich von Bakhmut soll es russische Angriffe in Richtung Kostjantjnivka gegeben haben, die von den Ukrainern abgeschlagen wurden. Direkt nördlich von Donzek gab es einen russischen Angriff auf Avdivka, dass von den Ukrainer schwer befestigt wurde. Der Angriff wurde erfolgreich abgewehrt. Die Truppen in und um Avdivka hängen an einer Eisenbahnlinie welche da im Bogen von Nordwesten her kommend hin führt. Diese wollen die Russen kappen, durch Beschuss zerstören usw. ohne jeden Erfolg.

Direkt westlich von Donezk versuchen die Russen weiterhin Marinka frontal zu stürmen. Und bleiben dort wieder und wieder in den ukrainischen Stellungen hängen, mit hohen Verlusten.

Südwestlich von Donezk haben sich die Russen aus dem lange umkämpften Ort, ich meine Trümmerfeld von Urozhaine zurück gezogen. Die Ukrainer haben es entsprechend gestürmt, hängen aber nun der nächsten russischen Stellung in Starumlynivka fest.

Westlich davon ist Robotyne immer noch umkämpft. Auch da rührt sich wenig. Die Russen versuchen sich immer wieder in verlustreichen und sinnlosen Gegenangriffen, die Ukrainer kommen nicht voran. Das Artillerieduell in diesem Raum geht weiterhin zugunsten der Ukraine voran, insgesamt tauschen die Ukrainer weiterhin ungefähr 1 zu 3 zu ihren Gunsten ab. Das klingt auf den ersten Moment gut, aber die Frage ist, wie weit die Ukraine das überhaupt durchhalten kann. Auch hier zeigt sich eindeutig wie unzureichend die westlichen Waffenlieferungen waren und sind. Bei allem Heldenmut der Ukrainer welche hier unmittelbar vor bzw. in der russischen Hauptverteidigungslinie feststecken fehlen da einfach die Mittel um voran zu kommen. Und anscheinend auch das Können.

Und wieder westlich davon am Fluss steht ebenfalls alles still. Auch hier scheinen vor allem russische Mörser und Minen jedwedes voran kommen erheblich zu behindern.

Insgesamt ist von russischen und sonstigen Telegramkanälen der Eindruck, dass die Kampfmoral der Russen zunimmt (weiterhin niedrig, aber steigend), und dass die Russen sich - sehr langsam aber beharrlich und fortwährend den Ukrainern immer besser anpassen. Umgekehrt erwecken die Ukrainer den Eindruck, dass sie mit den Kriegsgeschehen überfordert sind, aus welchen Gründen im Detail auch immer und es fehlen einfach offenkundig Waffen und andere Systeme für die Ukraine. Die Lieferungen des Westens sind so perfekt balanciert wie ich es mal ganz am Anfang des Krieges als rein theoretisches Modell beschrieben hatte. Exakt so viel, dass sowohl die Russen wie auch die Ukrainer zugleich nicht die Hoffnung verlieren noch irgendwie gewinnen zu können, so dass dieses Unentschieden einfach immer weiter läuft.

Am Anfang des Krieges war das noch ein theoretisches Konstrukt von mir und ich schrieb, dass eine solche Balance extrem schwierig herstellbar sei und es sogar kaum möglich sein wird, die Lieferungen genau so einzustellen, aber nun ist es die Realität in der Ukraine geworden (ohne Bewertung ob das nun gut oder schlecht ist). Anfangs dachte ich dass diese Strategie am sinnvollsten sei und anscheinend / offenkundig dachten das auch die entscheidenden Köpfe in den USA, entsprechend wurde die Sache entwickelt. Inzwischen aber bin ich der Ansicht, dass Nightwatch recht hatte und der Versuch eines solchen extrem langsamen Ausblutens auf Kosten der Ukrainer ein Fehler ist. Und die Ukraine daher immens viel mehr Waffen benötigt und zwar schnell.

Die Sache muss zu einem Abschluss gebracht werden und man kann Russland erst dann die Hand erfolgreich reichen und ihnen ein Angebot machen dass sie annehmen werden weil sie es annehmen müssen, wenn Russland einen schnellen, entscheidenden und massiven Schlag erleidet. Bleibt es hingegen beim Ausbluten in Zeitlupe, wird die Sache langfristig gesehen eher zuungunsten der Ukraine ausgehen und Russland daraus seine Schlüsse ziehen die dann für uns negativ sind.


RE: Russland vs. Ukraine - Nightwatch - 15.08.2023

Bei Robotyne sind ein Stryker und Marder gesichtet worden.

Das deckt sich mit Gerüchten, dass jetzt auch die 47. Mechanisierte Brigade die Tage rotiert und dafür die 46. Luftmobile Brigade nach vorne geschoben wurde. Könnte basierend auf dem Equipment aber auch die 82. Luftsturmbrigade sein, von der gab es zuletzt auch schon ein Drohnenvideo.


RE: Russland vs. Ukraine - Nightwatch - 15.08.2023

Minenfeld nach Sonnenuntergang -> Minenräumung mit Drohnen:
https://twitter.com/astraiaintel/status/1691508962590388224/photo/1


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 15.08.2023

Das mit der Rotation bei den Ukrainern ist auch so ein Punkt der zu wenig Beachtung findet in seinen Auswirkungen: durch die ständige und regelmässige Rotation von Einheiten verlangsamt sich der ukrainische Vormarsch erheblich, weil viel Zeit auf das Herauslösen der Einheiten und das Einnehmen von deren Stellungen drauf geht. Das ist angesichts der feindlichen Einwirkungen wirklich anspruchsvoll und eine der Stärken der Ukrainer (war schon in Bakhmut so). Das ist mal wirklich gutes Kriegshandwerk, dass so unter feindlicher Einwirkung hinzukriegen. Es hält zudem die Truppen vergleichsweise ausgeruht so dass sie viel länger durchhalten, während umgekehrt die Russen ihre Truppen einfach bedenkenlos verschleißen und viel zu lange im Einsatz stehen lassen nur um sie dann einfach sinnfrei zu opfern.

Aber es verlangsamt halt auch jedwedes Vorgehen noch weiter.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 16.08.2023

Der Druck im Norden nimmt zur Zeit anscheinend so zu, dass die Ukraine dort Reserven hin verlegen muss. Aktuell stoßen die Russen erneut (sinnfrei, dumm, unerklärlich) in Richtung Kubjansk vor und holen sich dort weiter blutige Nasen. Selbst wenn sie Kupjansk erobern sollten führt das nirgendwo hin. Das Argument, dass sie damit ukrainsche Reserven in den Norden ziehen und damit den Süden entlasten zieht für mich auch nicht so. Da gäbe es andere Ziele / Bereiche an der Front wo man sehr viel besser ansetzen könnte.

Die einzig logische Erklärung wäre für mich, dass man mit dem Naturpark im Süden und dem Oskil-Fluss im Westen (bis dieser dann im Norden an der russischen Grenze erneut in einen Nationalpark mündet) sich natürliche Verteidigungslinien (Sumpf, Wald, Fluss, Sumpf) schaffen will, für die man dann weniger Einheiten benötigt um sie zu halten.

Und angeblich (Gerüchte, Gerüchte, Telegram) ziehen die Russen ihre Truppen stückchenweise aus Robotyne ab. Entweder rotieren sie ihre bis zum geht nicht mehr erschöpften und ausgebluteten Einheiten dort nun doch endlich (wobei die Frage ist, ob sie dafür überhaupt die Befähigung vor Ort haben), oder sie lassen sich dort jetzt auf die Hauptverteidigungslinie zurück fallen, die ja erst südlich von Robotyne überhaupt erst beginnt.


RE: Russland vs. Ukraine - Schneemann - 16.08.2023

Zu der Situation im Norden:
Zitat:Russian Offensive Campaign Assessment, August 15, 2023

Ukrainian forces conducted counteroffensive operations on at least three sectors of the front on August 15 and reportedly advanced in Luhansk Oblast and western Zaporizhia Oblast. The Ukrainian General Staff reported that Ukrainian forces continued counteroffensive operations in the Bakhmut, Melitopol (western Zaporizhia Oblast), and Berdyansk (western Donetsk-eastern Zaporizhia Oblast) directions.

Coordinates published by a Russian milblogger on August 15 indicate that Ukrainian forces have advanced south of Dibrova (7km southwest of Kreminna). Geolocated footage posted on August 14 indicates that Ukrainian forces advanced into Robotyne, and further Russian and Ukrainian reporting published on August 15 suggests that Ukrainian forces have committed additional counteroffensive brigades to the western Zaporizhia oblast area. Ukrainian Colonel Petro Chernyk stated that the Ukrainian counteroffensive is advancing slowly in southern Ukraine because Ukrainian forces must overcome a three-echeloned Russian defensive line. Chernyk stated that the Russian line of defense includes a first line of minefields stretching several kilometers wide; a second line with artillery, equipment, and personnel concentrations; and a third line of rear positions meant to preserve resources. Chernyk noted that Ukrainian counterbattery measures are especially important in order to prevent Russian artillery from targeting Ukrainian mine-clearing equipment. Chernyk’s statements are in line with ISW’s previous assessments that Russia’s doctrinally sound elastic defense is slowing Ukrainian forces’ advances in southern Ukraine.
https://www.understandingwar.org/

So richtig verstehe ich die Absichten auch nicht, welche sich hinter den Vorstößen der Russen im Norden verbergen könnten. Für eine direkte Offensive wirken die Vorstöße zu gering dimensioniert; für eine Ablenkung könnten sie herhalten, aber dann gäbe es sicher bessere Orte; und nur um ukrainische Reserven abzulenken - nun ja, dafür die doch erheblichen Verluste (so wie man es mitbekommt) in Kauf zu nehmen, ergibt auch keinen großen Sinn. Entweder ist es also ein genialer, für uns nicht zu durchschauender russischer Plan oder aber einfach nur Nonsens.

Sonstiges et. al. - ukrainische Geländegewinne:
Zitat:++ Ukraine meldet Rückeroberung von Uroschajne ++

Stand: 16.08.2023 09:35 Uhr

Die ukrainische Armee hat nach eigenen Angaben das umkämpfte Dorf Uroschajne unter ihre Kontrolle gebracht. [...] "Uroschajne ist befreit", schrieb Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar im sozialen Netzwerk Telegram. Die ukrainischen Soldaten befestigten demnach ihre Stellungen am Ortsrand. Der Generalstab in Kiew teilte in seinem Morgenbericht mit, russische Gegenvorstöße auf den Ort seien abgewehrt worden. Militärische Angaben zu Veränderungen an der Front lassen sich oft nicht sofort bestätigen; Experten analysieren die Bewegungen aber mit Hilfe von Fotos oder Videos aus dem Kampfgebiet.
https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-ukraine-mittwoch-272.html

Unten geht es etwas vorwärts, oben etwas zurück, und hier und da ein Gegenangriff - erinnert mich an die Karikatur aus dem Daily Mail von 1942 (western desert roundabout), als sich Briten und Deutsche in Nordafrika wechselseitig herumgejagt haben...

Schneemann


RE: Russland vs. Ukraine - Nightwatch - 17.08.2023

Thorsten Heinrich mit einer recht treffenden (den Punkt Wahlkampf sehe ich anders) Zusammenfassung der Großlage:
Wollen die USA (und der Westen) eigentlich überhaupt einen ukrainischen Sieg?
https://www.youtube.com/watch?v=MGnGI__0eoc

Wie ich es schon letzten Sommer so als Befürchtung formuliert habe - der Westen hat das strategische Fenster des ersten Kriegsjahres verpasst, auch und gerade weil es wesentliche Teile der entscheidungstragenden Kreise genau so wollten und wollen. Und eine Intensivierung der Unterstützung ist nicht in Sicht, im Gegenteil.


RE: Russland vs. Ukraine - Schneemann - 18.08.2023

Zitat:Wie ich es schon letzten Sommer so als Befürchtung formuliert habe - der Westen hat das strategische Fenster des ersten Kriegsjahres verpasst, auch und gerade weil es wesentliche Teile der entscheidungstragenden Kreise genau so wollten und wollen. Und eine Intensivierung der Unterstützung ist nicht in Sicht, im Gegenteil.
Naja, Lieferungen brauchen auch Zeit, einerseits. Aber andererseits darf man nicht vergessen, dass beinahe alle letztes Jahr sehr überrascht waren, wie gut die Ukrainer und wie schlecht die Russen abschnitten. Als dann die Ukrainer im Spätsommer sogar noch zu einer überraschend effektiven Gegenoffensive ansetzten, waren eigentlich alle fest davon überzeugt, dass der Krieg beinahe schon gelaufen sei.

Hinzu kommt, dass auch bei uns im Forum wir uns nicht so richtig einig waren, was die beste Strategie wäre. Einmal: Massive Lieferungen, um den Krieg schnell zu beenden. Dann wieder: Lieferungen auf Sparflamme, um den Krieg zu verlängern und Russland längerfristig zu schaden und lange zu binden. Beides passt eben nicht so ganz zusammen. Und als dann ersichtlich wurde, dass der Krieg eben doch länger dauert, hat man sich zur Panzerlieferung entschlossen, was aber auch wiederum Zeit gekostet hat. (Über die "Begeisterung" [gerade auch die polnische Haltung, s. Ringtausch] mancher NATO-Partner und das - ausnahmsweise ungerechtfertigte - Gelästere über Berlin über solche Lieferungen hänge ich lieber den Mantel des Schweigens.)

Ein alter Bekannter scheint wohl wieder aufgetaucht zu sein:
Zitat:In Mariupol aufgerieben

Asow-Einheit ist zurück an der Front [...]

Während der Schlacht um die Stadt wird die Einheit vollständig aufgerieben. Neu aufgestellt und zu einer Brigade vergrößert, meldet sich der Verband nun zurück.

Die Asow-Brigade der ukrainischen Nationalgarde führt nach Angaben Kiews Militäroperation an der Ostffront durch. Das sagte Oberst Mykola Urschalowitsch, Offizier der Nationalgarde, während einer Pressekonferenz. "Die Spezialeinsatzbrigade 'Asow' hat sich erholt und beginnt mit der Durchführung von Kampfeinsätzen im Gebiet des Serebrjanskyj-Waldes."
https://www.n-tv.de/politik/Asow-Einheit-ist-zurueck-an-der-Front-article24333372.html

Schneemann


RE: Russland vs. Ukraine - Nightwatch - 18.08.2023

Man wird immer irgendwelche billigen Ausreden finden können.
Was die Politik und wmgl auch einige hier nicht verstanden haben: Einen großen Krieg mit angezogener Handbremse nicht mal führen sondern managen zu wollen kann nur schief gehen. Die Friktionen sind nicht überschau- und beherrschbar genug, als das man es sich leisten sollte, den Krieg nicht hart an der Grenze des geostrategisch Möglichen zu unterstützen.

Die Quittung sehen wir jetzt. Es gab Fehleinschätzungen und (ukrainische operative) Fehler. Oh Wunder. Der Gegner hat nicht nur ein Wörtchen mitzureden, sondern tut sein Möglichstes um das Ruder in seinem Sinne herumzureißen. Schockschwerenot! Ja nein, der Feind lernt gar dazu und es verhält sich nicht so, wie unsere klügsten Köpfe meinten das es zu sein habe. Wie konnte man das nur ahnen!

So ist das nun mal im Krieg. Möglichkeiten, Gelegenheiten kommen und gehen, strategische Fenster öffnen und schließen sich. Und wenn man meint die Dinge ganz genau zu durchschauen (als fachfremder Politiker no less!) und genau zu wissen, mit welchem minimalen Aufwand man möglichst ohne größeren strategischen Fußabdruck und politischen Risiko ‚die Ukraine nicht verlieren lassen‘ kann, dann wird man früher oder später damit gehörig auf die Schnauze fallen.

Deshalb kann für jeden großen Krieg nur gelten (merke: kein reichlich sinnfreier Stabilisierungseinsatz irgendwo im geopolitischen Nirgendwo): Lass das dilettieren in einem Vorgang, der nicht völlig überblickbar, geschweige denn beherrschbar ist, sondern geh ins geostrategisch mögliche Maximum. Klar, in diesem spezifischen Fall steht die Frage der nuklearen Eskalation im Raum und das muss beachtet werden – diesseits irgendwelcher dahingehenden Befürchtungen kann und darf es aber kein Zuviel an Unterstützung geben!
Nichts wäre schief gelaufen wenn man den Ukrainern *1000 Kampfpanzer* hingestellt und sich am Ende herausgestellt hätte, das es *500 Kampfpanzer* auch getan hätten.

Was dagegen abläuft ist schlicht wahnwitizg. Wir diskutieren in unserer Naotecke nach eineinhalb Jahren Krieg und angesichts einer stockenden und vor allen Dingen durch unsere Zurückhaltung und Zeitschinderei verbockten Offensive darüber, inwieweit es reicht, die Ukrainer dazu zu nötigen, mit einer Handvoll Marschflugkörper, die wir nach Großbritannien und Frankreich vielleicht doch auch liefern könnten wenn die USA auch mitmachen, kein russisches Territorium (und biiiiitte auch nicht diese dumme Brücke) anzugreifen, oder ob wie die Dinger nicht lieber gleich so kastrieren sollten, dass das erst garnicht möglich ist.
Andernorts geilt man sich derweil daran auf, dass die paarundacht Kampfpiloten der Ukrainer die vielleicht doch mal ein paar ausgeleierte F-16 mit Blockstand von vorgestern bekommen sollen eventuell nicht gut genug Englisch können und deswegen erst mal in einen Sprachkurs geschickt werden, weswegen sich die so schröcklich eskalative Lieferung leider bis in den Sommer verzögern wird…
Und in Übersee hat man es derweil aufgegeben überhaupt noch Begründungen zu suchen, warum ATACMS nicht geliefert werden können. Interessiert ja eh keinen mehr, 100 Bradley konnten schließlich nicht die Wende bringen und die 30 Abrams kommen leider und bedauerlicherweise erst jetzt, weil die Uranpanzerung aus den achtziger Jahren superdupergeheim ist. Weswegen es ja schlicht und einfach ganz und gar unmöglich ist, ein paar Kampfpanzer aus den Depots oder (schock!) dem aktiven Truppendienst rüberzuschieben. Man hat ja nur ein paar tausend, aber am Ende gewinnen die Ukrainer damit ja noch und das geht aus manigfaltigen Gründen ja ganz und garnicht.

Sorry aber es kotzt mich einfach nur an. Es gab und gibt kein rechtfertigendes Argument für das politische Mikromanagement, dass seit Tag 1 die Ukrainehilfe umwabert. Und erst recht nicht für dieses geradezu wahnwitzige und mittlerweile praktisch ritualisiere Ringen, dass noch um jedes Waffensystem aufgeführt werden muss. Von Fragen der Quantität ganz zu schweigen.

Jenseits der Tatsache, dass es eine moralische Bankrotterklärung ist, die Ukrainer in ihrem Opfergang auch noch im Regen stehen zu lassen stolpern wir hier sehenden Auges in eine absolut vermeidbare Gemengelage, die uns auf viele Jahrzehnte hinaus in Europa verdammt weh tun wird. Und das alles nur, weil im Washington ein seniler Tattergreis zwischen kaltblütigen Strategen und rückratlosen Diplomaten nicht weiß wo oben und unten ist während in Europa niemand genug **** in der Hose hat notfalls auch gegenüber manchen Amerikanern die Dinge beim Namen zu nennen und auf Sieg zu setzen. Am allerwenigsten natürlich dieser feige und wahrscheinlich kompromittierte Phlegmatiker einer wehrunfähigen Partei, der in Berlin aktuell als Kanzler firmiert.

Rant over


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 18.08.2023

Genau genommen aber ist es gelungen (ob nun tatsächlich gezielt gesteuert oder durch Zufall), die Waffenlieferungen exakt so perfekt auszubalancieren wie ich es anfangs mal auch als Strategie beschrieben hatte. Wir betreiben also durchaus ein sehr weitgehendes Mikromanagement dieses Krieges und die westliche Strategie wird bisher vollauf umgesetzt.

Ich finde es im Gegenteil sogar erstaunlich, wie weitgehend man das ganze genau ausbalancieren konnte, was ich anfangs als extrem schwierig angesehen habe und immer noch als sehr schwierig ansehe, aus genau den von dir angeführten Gründen.

Die Quittung die wir jetzt sehen ist, dass es exakt so läuft wie vorgesehen. Denn was hier geschieht, von der gescheiterten Offensive bis hin zu allen sonstigen "Fehlentwicklungen" ist ja im Sinne dieser Strategie eben gar keine Fehlentwicklung, sondern die richtige Entwicklung. Alles läuft genau so wie geplant, und zwar trotz aller Friktionen.

Ob man mit der Strategie langfristig "auf die Schnauze fallen" wird, ist für die Frage ob diese Strategie hier und jetzt funktioniert gar nicht relevant. Hier und jetzt geht sie problemlos auf. Hier und jetzt verliert die Ukraine nicht, und dies zu geringstmöglichen Kosten, aus der Portokasse, ohne größeren strategischen Fußabdruck und ohne politisches Risiko.

Im Sinne dieser Strategie läuft also alles exakt so wie geplant. Ich bin mir recht sicher, dass niemand der Hintermänner dieser Strategie je eine erfolgreiche ukrainische Offensive im Süden wollte, denn dies hätte die Krim sofort direkt und unmittelbar bedroht und schließlich den Krieg erheblich abgekürzt. Man hat daher diese Offensive eventuell sogar weitergehender sabotiert als nur durch den Mangel an Lieferungen. Ich hatte schon öfter den Eindruck, dass der westliche (US) Einfluss auf die Ukraine nicht immer zu deren bestmöglichen Vorteil genutzt wird, sondern die Ukraine intentional in Sachen manövriert wird die ihren Sieg verhindern.

Ein dilettieren ist das nicht, im Gegenteil ist es die viel anspruchsvollere und schwierigere Strategie. Mit einem Übermaß an Systemen und Quantität den Gegner schnell niederzuschlagen ist demgegenüber viel einfacher.

Und ja, im Krieg funktioniert das einfache eher. Aber man kann nicht behaupten, dass die westliche Strategie auf die Schnauze fallen wird, dass ist hier kein Axiom. Die Zielsetzung dieser Strategie ist ein erstarrter und eingeschlafener Konflikt ala Süd- und Nordkorea. Und wenn es so weitergeht, wird es aller Wahrscheinlichkeit genau dazu kommen.

Bedauerlich ist allenfalls, wie weitgehend es den USA damit zugleich gelungen ist Deutschland als Konkurrent zu schädigen und wie unfähig sich dieser strategische Kreisverkehr ohne Ausfahrten von Kanzler dabei erwiesen hat.


RE: Russland vs. Ukraine - Nightwatch - 18.08.2023

Zitat:Genau genommen aber ist es gelungen (ob nun tatsächlich gezielt gesteuert oder durch Zufall), die Waffenlieferungen exakt so perfekt auszubalancieren wie ich es anfangs mal auch als Strategie beschrieben hatte.

Durch Zufall… Inkompetenz, Unvermögen, Unwillen, Widerwillen, Sturheit, Missmut, Missgunst, Kompromittierung, Leugnung, Verweigerung, Trägheit, Bequemlichkeit, Feigheit, Verbohrtheit… kann da weitermachen.

Ja, natürlich gibt es Entscheidungsträger, die tatsächlich die in den Raum gestellte Balancierung der Kräfte genau so gewollt haben. Offen gestanden halte ich aber weite Teile der politischen Entscheidungsträger dies- und jenseits des Atlantiks für nicht für kompetent genug eine so ausgeklügelte Strategie umzusetzen. Wie schon öfters formuliert sehe ich die in Teilen erbärmliche westlichen Unterstützung als Resultat des politischen Patts zweier Lager in den USA: Diejenigen die Russland ausbluten und als Geopolitischen Player neutralisieren wollen und diejenigen die einen Kollaps des Putinsregimes mehr fürchten als alles andere.

Beide Seiten übersehen dabei, dass das sich daraus kristallisierende Ergebnis für Europa sehr unschön aussehen wird und damit auch die USA für Jahrzehnte Europa fesselt während man sich doch unbedingt auf den Pazifischen raum fokussieren müsste. Mir stellt sich da die Frage, ob die westliche Welt insgesamt dieses Spannungsverhältnis aushalten können wird. Von den eher mittelfristigen politischen Fallout (*die unfähigen westlichen Eliten haben ein weiteren Krieg verloren*) ganz zu schweigen. Ich fürchte das all die schlauen Köpfe es noch bitter bereuen werden, in der Ukraine nicht ab dem Frühsommer 22 kompromisslos auf Sieg gesetzt zu haben.