Forum-Sicherheitspolitik
Russland vs. Ukraine - Druckversion

+- Forum-Sicherheitspolitik (https://www.forum-sicherheitspolitik.org)
+-- Forum: Hintergründe (https://www.forum-sicherheitspolitik.org/forumdisplay.php?fid=97)
+--- Forum: Krisen, Konflikte und Kriege (https://www.forum-sicherheitspolitik.org/forumdisplay.php?fid=99)
+--- Thema: Russland vs. Ukraine (/showthread.php?tid=5210)



RE: Russland vs. Ukraine - KheibarShekan - 09.01.2023

Eine Reihe von NATO Staaten sind imho definitiv als Kriegspartei zu bezeichnen. Es werden u.a. Positionen russischer Einheiten aufgeklärt und an die Ukrainischen Streitkräfte als Zielkoordinaten übermittelt und Waffen explizit und ausdrücklich mit konkreter Zweckbestimmung in die Ukraine geliefert. Ein weiteres Indiz für das übersteigen rein kommerzieller Intention bei Waffendeals ist, wie stark damit eigene Reserve-Bestände belastet werden und dies unentgeltlich erfolgt. Es werden militärische Operationen gemeinsam mit NATO Beratern geplant. Worüber auch relativ wenig berichtet wird, ist das eine ganze Reihe von Waffensystemen ohne ausgebildetes Personal gar nicht betrieben werden können. Insofern sind mehrere hundert NATO Soldaten quasi direkt in Kriegshandlungen involviert. Darüber hinaus wird auch im Informationsraum ein Krieg mit Russland geführt. Man führt zweifelsohne einen Krieg an der Seite der Ukraine gegen Russland.


RE: Russland vs. Ukraine - Pmichael - 09.01.2023

Internationales Recht ist ein Sammelsurium an Gewohnheitsrecht und mit was man so davon kommt. Wenn Russland meint Deutschland und NATO sind eine aktive militärische Kriegspartei dann werden sie darauf entsprechend reagieren oder halt nicht weil sie keinen wirklichen Krieg mit der NATO haben wollen.

Davon abgesehen haben die Russen und Soviets damals all diese Dinge noch weiter auf die Spitze getrieben so wurde nicht nur Kriegsmaterial gesendet sondern Kampfflugzeuge wurden mit russischen Piloten geflogen.


RE: Russland vs. Ukraine - Schneemann - 09.01.2023

Man darf auch nicht übersehen, dass es gar keine Kriegserklärung gibt. D. h. es ist rein rechtlich betrachtet ein absolutes, graues Niemandsland. Irgendwie wird zwar geschossen, und irgendwie sterben wohl auch zehntausende Menschen, aber es gibt zumindest offiziell keinen Krieg. D. h. in letzter Konsequenz führen alle Protagonisten zwar eine Art von Konflikt miteinander in einer nicht näher definierten Konfrontationslage, aber sie führen eben keinen Krieg.

Und mit seiner verlogenen Darstellung bzw. mit der Umdeutung einer "full scale invasion" zu einer Spezialoperation und mit seiner UN-Blockade hat der Kreml sich zwar selbst ein strategisch-rechtliches Eigentor geschossen (und stolpert über seine eigene Definition des "hybriden Krieges"), aber zugleich allen direkt oder indirekt Beteiligten auch einen großen Gefallen getan. Denn: Weder die Weißrussen oder Iraner oder gar die Nordkoreaner (?) beteiligen sich formal an einem Krieg, und umgekehrt beteiligen sich auch die Westmächte inkl. Deutschland nicht an einem Krieg. Denn an etwas, das es nicht gibt, kann man sich auch nicht beteiligen; und gegenüber etwas, was es gar nicht gibt, kann man auch kein Neutralität erklären.

Somit sind ja alle fein raus...

Schneemann


RE: Russland vs. Ukraine - Delta - 09.01.2023

(09.01.2023, 08:47)Schneemann schrieb: Man darf auch nicht übersehen, dass es gar keine Kriegserklärung gibt. D. h. es ist rein rechtlich betrachtet ein absolutes, graues Niemandsland. Irgendwie wird zwar geschossen, und irgendwie sterben wohl auch zehntausende Menschen, aber es gibt zumindest offiziell keinen Krieg. [...]

Das ist so nicht richtig. Stichwort: „konkludentes Handeln“

Simples Beispiel: Bei ALDI lege ich meine Ware auf das Band, murmel eine der Tageszeit angebrachte Begrüßungsformel, bezahle und verlasse den Laden.
Ich erkläre gegenüber der Verkäuferin nicht "Ich möchte diese Ware käuflich erwerben".
Durch das "auf das Band legen" entsteht eine stillschweigende, durch schlüssiges Verhalten zum Ausdruck gebrachte Willenserklärung.

Es benötigt keine Kriegserklärung um sich in einem Krieg zu befinden!


RE: Russland vs. Ukraine - KheibarShekan - 09.01.2023

(09.01.2023, 08:47)Schneemann schrieb: Somit sind ja alle fein raus...

Wo raus?


RE: Russland vs. Ukraine - Delta - 09.01.2023

Raus aus diesem "Wird zur Kriegspartei" Bullshit.


RE: Russland vs. Ukraine - Ottone - 09.01.2023

(09.01.2023, 08:47)Schneemann schrieb: es gibt zumindest offiziell keinen Krieg
Wohlgemerkt aus russischer Sicht, die den geistigen Spagat hinzufügt dass man sich "eigentlich" mit der NATO im Krieg befände, diesen aber auf jeden Fall vermeiden will. Die Ukraine sieht das ganz anders, es herrscht unzweideutig Krieg. Kriegserklärungen gibt es schon sehr lange nicht mehr.
(09.01.2023, 06:28)KheibarShekan schrieb: Worüber auch relativ wenig berichtet wird, ist das eine ganze Reihe von Waffensystemen ohne ausgebildetes Personal gar nicht betrieben werden können. Insofern sind mehrere hundert NATO Soldaten quasi direkt in Kriegshandlungen involviert.
Come again? Industrielle Wartung und Instandsetzung sind - zumal im Ausland durchgeführt - keine Kriegsteilnahme. Hinzu kommt, dass die Formulierung "quasi direkt" ein Widerspruch in sich ist.


RE: Russland vs. Ukraine - Broensen - 09.01.2023

Ich sehe das -abseits jeder Definition- folgendermaßen:

Sobald eine dritte Partei den Verlauf in irgendeiner Weise beeinflusst, wird sie zur Konfliktpartei. Das trifft z.B. auf jedes Land zu, das einem der beiden Akteure militärisches Material liefert. Bei beidseitiger Belieferung könnte man theoretisch sogar Konfliktpartei auf beiden Seiten werden.
Zu einer Kriegspartei wird jedoch mMn nur, wer sich dabei derart an den Auseinandersetzungen beteiligt, wie es im Friedenszustand nicht möglich wäre. Sprich: Ausbilder in der Ukraine, Lieferungen jeglicher Art, Daten- und Informationsaustausch, selbst Unterstützung in der Bedienung von Waffensystemen sind möglich, ohne zur Kriegspartei zu werden. Dafür muss die dritte Partei selbst aktiv die Schwelle zur unmittelbaren Teilnahme an Kampfhandlungen überschreiten oder den Krieg erklären. Um es ganz runter zu brechen: Steht ein US-Artillerist neben der Haubitze, berät ihr Personal und überwacht ihren Einsatz, dann ist das keine Kriegsteilnahme. Erst, wenn er selbst feuert, ist die Grenze überschritten, denn alles andere hätte er im Friedenszustand auch machen dürfen, sogar Zielkoordinaten eingeben. Nur weil die Ukraine von Russland angegriffen wurden, kann ja nicht jemand drittes zur Kriegspartei erklärt werden, nur weil er das gleiche tut, was er vorher auch hätte tun dürfen oder sogar getan hat.

Das ist aber nur meine auf Logik basierende eigene Auslegung. Und irrelevant ist es sowieso, da sich jeder -insbesondere Putin- eh seine eigene Auslegung bastelt.


RE: Russland vs. Ukraine - Nightwatch - 09.01.2023

Da würde ich doch widersprechen wollen. Wenn eine dritte Partei wie geschildert eigene militärische Kräfte in Kampfeinheiten einer Konfliktpartei einbettet und diese Kräfte dann im Kampfeinsatz 'beratend neben der Haubitze' stehen, überschreitet das deutlich die Schwelle zur Kriegspartei, auch wenn da dann noch ein Ukrainer an der Leine zieht.
Die Linie ist hier bei vorsätzlicher Teilnahme an aktiven Kampfhandlungen zu ziehen, d.h. Ausbildung auch im Land ok, sobald es jedoch in Richtung Front geht wäre Schluss, egal ob man den Freunden dann nur sagt wie sie das Rohr richten sollen, gleich die Granaten reicht oder (in der Not?) halt doch mal selber Hand anlegt.

Mit Informationsweitergabe und Beratungen eröffnet sich meines Erachtens auch schneller ein Graubereich als es mancher gerne sehen würde. Wenn Nato-Kräfte Informationen weitergeben, die im unmittelbaren Kampfgeschehen genutzt werden kann dies durchaus als Kriegsbeteiligung gewertet werden. Gibt die Nato etwa während russischer Angriffe mit Marschflugkörpern und Drohnen in Echtzeit AWACS-Daten weiter um den Ukrainern so Unterstützung bei der Bekämpfung zu geben, wäre das eine Kriegsbeteiligung der Nato.

Der Punkt ist halt, dass die Nato-Staaten ohne jede Einschränkung berechtigt sind, die Ukraine in ihrer Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg zu unterstützen und Russland daraus kein Recht erwächst, ihren völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf andere beteiligte Staaten auszuweiten.


RE: Russland vs. Ukraine - Ottone - 09.01.2023

(09.01.2023, 16:06)Nightwatch schrieb: Der Punkt ist halt, dass die Nato-Staaten ohne jede Einschränkung berechtigt sind
... wären wenn der VN Sicherheitsrat funktionierte. An diesem Punkt kommen meiner Meinung nach Auslegung und Reichweite des nationalen Rechtsempfindens ins Spiel und es wird etwas wackelig und grau. Am Ende kommt es darauf an was Regierung und Staat tun wollen.


RE: Russland vs. Ukraine - Nightwatch - 09.01.2023

Sind weil das individuelle und kollektive Recht auf Selbstverteidigung als inhärentes Recht souveräner Staaten nicht eingeschränkt werden kann.
Das greift auch Art. 51 der UN Charta auf, der ja gerade bei Handlungsunfähigkeit des UN Sicherheitsrates das uneingeschränkte Recht auf Selbstverteidigung betont.

An diesem Punkt kommt es dann zuvorderst auf den politischen Willen potentieller Kriegsteilnehmer an, die völkerrechtlichen Spielräume sind hier groß gneug das sich ziemlich alles rechtfertigen lässt. Und wenn sich westliche Staaten entscheiden würden auf der Seite der Ukraine in den Krieg mit Russland einzutreten, entscheidet der Sieger hinterher, dass das völkerrechtlich in Ordnung gewesen ist.


RE: Russland vs. Ukraine - spotz - 09.01.2023

Anstatt über die NATO könnte man auch mal über Weißrussland sprechen. Ist das Land noch neutral wenn russische Truppen von dort aus in die Ukraine vorrücken? Nachdem sich die Russen von Kiew zurückzogen, hätten diese Truppen nicht eigentlich interniert werden müssen von einem neutralen Weißrussland? Da das nicht geschah, hätten ukrainische Truppen doch eigentlich das Recht den russischen Truppen auf weißrussisches Gebiet zu folgen und zu bekämpfen? Weißrussland verteidigt nicht seine Neutralität und macht sich damit selbst zu einem möglichen Schlachtfeld zweier ausländischer Mächte. Das kann in diesem Jahr auch wieder ein Thema werden.

Das alles ist ein Graubereich politischer Fragen, ob man das wirklich will. Krieg stellt immer den Rechtsbruch wenigstens eines Staates voraus, der aber von keinem Gericht verhindert werden kann.


RE: Russland vs. Ukraine - GermanMilitaryPower - 09.01.2023

(09.01.2023, 06:28)KheibarShekan schrieb: Eine Reihe von NATO Staaten sind imho definitiv als Kriegspartei zu bezeichnen. Es werden u.a. Positionen russischer Einheiten aufgeklärt und an die Ukrainischen Streitkräfte als Zielkoordinaten übermittelt und Waffen explizit und ausdrücklich mit konkreter Zweckbestimmung in die Ukraine geliefert. Ein weiteres Indiz für das übersteigen rein kommerzieller Intention bei Waffendeals ist, wie stark damit eigene Reserve-Bestände belastet werden und dies unentgeltlich erfolgt. Es werden militärische Operationen gemeinsam mit NATO Beratern geplant. Worüber auch relativ wenig berichtet wird, ist das eine ganze Reihe von Waffensystemen ohne ausgebildetes Personal gar nicht betrieben werden können. Insofern sind mehrere hundert NATO Soldaten quasi direkt in Kriegshandlungen involviert. Darüber hinaus wird auch im Informationsraum ein Krieg mit Russland geführt. Man führt zweifelsohne einen Krieg an der Seite der Ukraine gegen Russland.

Dem kann ich nur zustimmen. Nicht alle Mitglieder der Résistance haben damals aktiv gegen die Wehrmacht auf den Schlachtfeldern gekämpft. Hätte man diesen Leuten erzählt, sie haben nicht gegen Deutschland gekämpft, sondern nur in beratender Funktion gewirkt, hätte man sich zurecht eine Backpfeife eingefangen. Nichts desto trotz bleibt die Résistance in meinen Augen eine niederträchtige Organisation.


RE: Russland vs. Ukraine - Ottone - 10.01.2023

(09.01.2023, 16:48)Nightwatch schrieb: Sind weil das individuelle und kollektive Recht auf Selbstverteidigung als inhärentes Recht souveräner Staaten nicht eingeschränkt werden kann.
Aber jetzt ist niemand da der "sattelfest" den russischen Angriff als verbotenen Angriffskrieg brandmarken kann.

Belarus ist definitiv nicht neutral, es hat eine Verteidigungsgemeinschaft mit Russland, und von dort fliegt alles mögliche los. Es liegt derzeit nur nicht im Interesse der Ukraine, auch noch mit Belarus eine Fehde auszutragen, deshalb passiert nix auf belrussischem Boden.


RE: Russland vs. Ukraine - spotz - 10.01.2023

(10.01.2023, 02:33)Ottone schrieb: Belarus ist definitiv nicht neutral, es hat eine Verteidigungsgemeinschaft mit Russland, und von dort fliegt alles mögliche los. Es liegt derzeit nur nicht im Interesse der Ukraine, auch noch mit Belarus eine Fehde auszutragen, deshalb passiert nix auf belrussischem Boden.

Das kann sich dieses Jahr aber noch ändern. Im Falle einer auf eigenem Boden militärisch erfolgreichen Ukraine, könnte sie sich dazu entschließen den Kampf gegen russische Truppen nicht auf russisches Gebiet, sondern auf weißrussisches Gebiet zu tragen. Wenn man bedenkt wie hoch der Westen die politischen Hürden für Angriffe auf russisches Hoheitsgebiet gehängt hat, könnte das eine Alternative sein. Zumal Lukaschenko jedem im Westen ein Dorn im Auge ist und er in Weißrussland vielleicht auch nicht mehr so fest im Sattel sitzt.

Das halte ich persönlich für ein wahrscheinlicheres Szenario in 2023, als das Russland der NATO den Krieg erklärt.