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Russland vs. Ukraine - Druckversion

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RE: Russland vs. Ukraine - KheibarShekan - 18.10.2022

(17.10.2022, 22:47)Schneemann schrieb: Dieses Regime hat einen verbrecherischen Krieg vom Zaun gebrochen mit dem Ziel, eine demokratisch gewählte Regierung zu stürzen. Alle weiteren Entwicklungen hat dieses Regime selbst zu verantworten.

Vielleicht bin ich nun ein absolut unfähiges "Produkt" der westlichen (aus deiner Sicht rückschrittlichen bzw. nicht bestehenden) Zivilisation: Aber ich hasse es, mich dauernd von einem degenerierten, autokratischen Regime mit Atomwaffen bedrohen zu lassen, selbst wenn ich es mir zehnmal erklären kann, wieso es so wäre oder nicht so ist.

Auch wenn die Ukraine eher einer Plutokratie ähnelt, als eine Demokratie, so ist das trotzdem ein sehr interessanter Punkt. Wenn Russland ein demokratischer Staat wäre und die Ukraine eine Diktatur, wäre ein Angriffskrieg dann legitim oder zumindest ein wenig "legitimer"?


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 18.10.2022

Natürlich nicht, wenn er westlichen Interessen widerspricht. Itzo lass mich lachen. Aber mal ernsthaft: die Frage der Legitimität ist entweder irrelevant, oder sie ist noch viel einfacher zu beantworten: Legitim ist alles was der eigenen Nation nützt, illegitim ist alles andere. So einfach ist das.

Von daher war der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der NATO, einschließlich dieser Bundesrepublik gegen Serbien wegen des Kosovo, und damit gegen eine demokratisch gewählte Regierung (!) nicht falsch weil Serbien eine Demokratie war, sondern weil er vor allem aus Inkompetenz und mangelnder Kenntnis der Verhältnisse heraus geführt wurde und darüber hinaus keinerlei Sinn und Nutzen hatte. Langfristig gesehen war die Abtrennung des serbischen Staatsgebietes durch die NATO per militärischer Eroberung für Serbien sogar nützlich, weil sie dort die inneren Probleme und Spannungen reduzierte. Serbien wäre heute viel schwächer, wenn es den Kosovo behalten hätte und damit als russischer Proxy auf dem Balkan weniger relevant.

Schneemann:

Ich weiß schon, dass ich mich in der letzten Zeit ein wenig wie ein Russenversteher anhöre, was eine ganz besondere Ironie ist, habe ich den Krieg gegen Russland bereits gepredigt als jeder hierzulande noch davon schwafelte, dass sich Russland nun in Richtung westliche Demokratie entwickelt und Putin ein lupenreiner Demokrat sei.

Russland ist ein Feind. Es ist daher notwendig Russland in jeder Weise zu bekämpfen. Und wenn es denn gehen würde, wäre ich der allererste der einen vollumfänglichen konventionellen Angriff auf Russland befürworten würde, und ebenso die Zerschlagung der Russischen Föderation in mehrere im weiteren bedeutungslose Einzelgebilde um diese Problemstellung sehr langfristig zu beseitigen. Es geht aber nicht. So einfach ist das.

Dazu noch zwei Punkte:

1. Um einen Feind zu besiegen muss man ihn sehr genau kennen und zugleich darf man ihn nie unterschätzen. Echter Krieg ist eine Angelegenheit von derart bedeutendem Ausmaß, dass man diesbezüglich äußerst vorsichtig agieren muss. Nicht zuletzt auch weil die Fernwirkungen des eigenen Handelns in einem echten Krieg nur sehr schwer kalkulierbar sind. Ein echter Krieg bedarf daher extrem ausgefeilter Pläne, die aber zugleich keine Vordisponierung sein dürfen, und der Aufbietung der maximal möglichen Intelligenz.

2. Man muss aus dieser Erkenntnis heraus zwingend wissen wo exakt die Grenzen des real praktisch sinnvollen sind. Wo es hinführt wenn man dies ignoriert kann man aktuell in der Ukraine sehr gut beobachten. Man konnte es auch im Irak 2003 beobachten, oder während des Krieges gegen Libyen 2011 oder in Afghanistan über 20 Jahre, aber das waren alles keine wirklich ernsthaften Geschehen.

Zitat:Vielleicht bin ich nun ein absolut unfähiges "Produkt" der westlichen Zivilisation: Aber ich hasse es, mich dauernd von einem degenerierten, autokratischen Regime mit Atomwaffen bedrohen zu lassen, selbst wenn ich es mir zehnmal erklären kann, wieso es so wäre oder nicht so ist.

Hass ist kein guter Leitfaden im Krieg. Wer Krieg aus Hass führt hat dadurch mal schlicht und einfach nur militärische Nachteile. Die kältest-mögliche maschinelle Ratio sollte der einzige Leitfaden sein. Natürlich sind die nuklearen Nötigungsversuche von Russland ein Problem. Sogar ein sehr viel größeres als das im Westen allgemein verstanden wird. Aber darauf emotional zu reagieren ist nicht nur exakt das was der Gegner damit erreichen will, und es behindert auch die Erkenntnis warum der Feind das überhaupt macht.

Es muss daher völlig emotionsfrei darauf reagiert werden (und reagieren muss man, aber eben richtig). Damit man den Feind dadurch leichter und nachhaltiger besiegen kann UND um eigene Fehler damit zu minimieren, den solche können wir uns in einer derartigen Situation nicht leisten. Denn sehr leicht kommt man zu Fehleinschätzungen die dann Prozesse in Gang setzen die man dann nicht mehr kontrollieren und nicht mehr einfangen kann.

Beschließend ist dieses degenerierte Regime dort für uns in Wahrheit nützlich. Kaum etwas oder jemand hat Russland mehr geschadet und Russland mehr geschwächt als das System Putin. Keine politische Maßnahme des Westens hätte Russland je so sehr schaden können wie Putin dies selbst getan hat. Genau genommen ist er ein Verräter an der russischen Nation.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 18.10.2022

Zur den iranischen Waffenlieferungen:

https://www.washingtonpost.com/national-security/2022/10/16/iran-russia-missiles-ukraine/

Meiner Einschätzung nach ist eine Zielsetzung der Iraner hierbei auch, wie sich ihre Systeme unter Echtbedingungen gegen westliche Waffensysteme schlagen, ob ihre Konzepte und Vorgehensweise aufgehen könnten, wie man die eigenen Systeme verbessern muss usw. Kurz und einfach: dass ist einfach auch ein umfangreicher Test für die iranischen Drohnen / Raketen, und damit für den Iran allein schon deshalb sehr wertvoll. Denn man kann ja in der Theorie alle möglichen Konzepte haben, aber ob sie dann gegen westliche Waffensysteme auch aufgehen und in wie weit ist für den Iran eine zweifelsohne extrem wertvolle Kenntniss.

KheibarShekan hatte ja auch schon irgendwo (glaube ich) darauf hingewiesen, dass es also vor allem auch um einen Test der eigenen Systeme geht.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 18.10.2022

https://www.welt.de/politik/ausland/article241647441/Ukraine-Krieg-Laut-Selenskyj-30-Prozent-aller-Elektrizitaetswerke-in-einer-Woche-zerstoert.html

Zitat:Laut Selenskyj 30 Prozent aller Elektrizitätswerke in einer Woche zerstört

Russland hat ukrainischen Angaben zufolge innerhalb einer Woche ein Drittel der Strom-Infrastruktur der Ukraine durch seine Angriffe zerstört. „Seit dem 10. Oktober wurden 30 Prozent der ukrainischen Elektrizitätswerke zerstört, was zu massiven Stromausfällen im ganzen Land geführt hat“, erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstag auf Twitter. Es gebe „keinen Raum mehr für Verhandlungen“ mit dem „Regime“ von Russlands Präsident Wladimir Putin, fügte Selenskyj hinzu.

Russische Angriffe auf die Energie-Infrastruktur der Ukraine führten am Dienstag zu Stromausfällen in mehreren Regionen des Landes. Auch in Teilen der Hauptstadt Kiew gab es Unterbrechungen der Strom- und Wasserversorgung, wie der örtliche Stromversorger DTEK mitteilte. Mehrere Ortschaften in der westlich von Kiew gelegenen Region Schytomyr sowie Teile der Stadt Dnipro in der zentralöstlichen Ukraine waren ebenfalls ohne Strom.

Bereits am Montag hatte Russland wichtige Infrastruktur in drei ukrainischen Regionen angegriffen. Dadurch fiel nach Angaben der ukrainischen Regierung in hunderten Städten und Dörfern der Strom aus.

Kann man natürlich aktuell durchaus noch immer wieder reparieren, aber wenn das mit der Intensität und Wirkung fortgeführt werden kann, dann wird das für die Ukraine kritisch.

Hätte Russland von Beginn an so agiert, sähe die Gesamtlage ebenfalls ganz anders aus. Es ist eine ziemliche Ironie, dass die russische Zurückhaltung in den ersten Kriegswochen derart negative Folgen für das russische Militär nach sich gezogen hat.

Die strategische Luftkriegsführung könnte zudem noch mit vielen weiteren Methoden der strategischen unkonventionellen Kriegsführung ergänzt werden:

Mal als Beispiel und rein theoretisch: wenn ich die Russen wäre würde ich bei starkem Wind von Osten Saporischschja in die Luft jagen und behaupten die Ukrainer seien das durch Beschuss gewesen. Das wäre zugleich ein erhebliches politisches Signal, ohne dass man sich überhaupt dazu bekennen müsste.

Nur ein Beispiel von ganz vielen, dass könnte von der systematischen unkontrollierten Verminung der ukrainischen Küste und insbesondere der Küste vor Odessa reichen, wobei dass dann erneut leugnen könnte wenn man es geschickt anstellt und keine normalen nachverfolgbaren militärischen Minen dafür verwendet, bis hin zu Giftanschlägen auf die Trinkwasserversorgung, beispielsweise mit vor Ort hergestelltem Botulinus Toxin was man dann ebenfalls leugnet usw. usw usw usf

Die russische Armee, bzw. vor allem die russischen Geheimdienste haben eigentlich eine lange und weitreichende Tradition unkonventioneller Kriegsführung. Völlig konträr dazu ist dass was man davon bisher in der Ukraine sieht seitens der Russen sehr wenig, sehr schwach und sehr stümperhaft gemacht.

Und gerade mit solchen Mitteln der unkonventionellen strategischen Kriegsführung wäre hier immens viel mehr machbar. Deshalb finde ich es erstaunlich, dass dies nicht geschieht. Angesichts des Faktes, dass die ganze Sache für Russland insgesamt sehr schlecht läuft, und die Spitzen der russisschen Regierung dadurch zunehmend in den Bereich kommen, wo dies erhebliche persönliche Konsequenzen für sie haben könnte, wäre zu erwarten, dass das russische Regime deutlich risikoreicher agiert, denn die Risiken würden sich in der aktuellen Situation mehr lohnen und zudem entspricht das auch typisch menschlichen Verhaltensweisen. Aber vielleicht kommt das jetzt alles noch im Winter wenn dieser richtig ausgebrochen ist und es entsprechend kalt wurde. Dann wäre auch die Wirksamkeit am höchsten.


RE: Russland vs. Ukraine - Ottone - 18.10.2022

(18.10.2022, 00:29)KheibarShekan schrieb: Wenn Russland ein demokratischer Staat wäre und die Ukraine eine Diktatur, wäre ein Angriffskrieg dann legitim oder zumindest ein wenig "legitimer"?
Dann wäre der Angriff nicht erfolgt.


RE: Russland vs. Ukraine - Schneemann - 18.10.2022

Richtig.

Anmerkung: Da dieser Hintergrund ausufern könnte und den hiesigen Strang zu sehr entführen würde, erinnere ich an einen recht passenden, älteren Strang. Gerne hier weiterführen: https://www.forum-sicherheitspolitik.org/showthread.php?tid=1723&highlight=Kulturen+im+Konflikt

Schneemann


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 18.10.2022

In der Süddeutschen Zeitung ist heute auf Seite 6 ein meiner Meinung nach sehr guter und sehr realistischer Artikel über die Verhältnisse und die Einstellung der Bevölkerung in den von der Ukraine zurück eroberten Geieten. Spezifisch über die Ortschaft Kupjansk, bei Charkiw.

Eine interessante Anekdote aus dem Artikel zeigt mal wieder auf, wie sehr das Verhalten der russischen Soldaten von den jeweiligen Offizieren und ihren direkten Befehlen abhängt. Einhellig wurde berichtet, dass in Kupjansk die russischen Soldaten sich durchgehend vorbildlich benommen hätten. Es sei nicht einmal jemand beleidigt worden. Stattdessen habe sich die russische Armee um Strom, Lebensmittel, Fernsehen usw. gekümmert. Entsprechend ist die Bevölkerung dort auch jetzt nach der Rückeroberung eher prorussisch, oder zumindest tief gespalten, weil die Ukrainische Armee hier schlechter auftritt als die Russen vor ihr.

Solche extrem krassen Unterschiede im Verhalten der russischen Soldaten sind kein Einzelfall! Das gab es jetzt schon öfters. Unterschiede wie Tag und Nacht, je nachdem welcher Offizier und welche Einheit genau da operierte.

Und sie zeigen umso mehr die im Falle Russlands deutlich höhere Verantwortung der militärischen Führung für Kriegsverbrechen und Greueltaten der Truppe auf.


RE: Russland vs. Ukraine - Nurso - 18.10.2022

@Quintus Fabius :
Nur ein Beispiel von ganz vielen, dass könnte von der systematischen unkontrollierten Verminung der ukrainischen Küste und insbesondere der Küste vor Odessa reichen, wobei dass dann erneut leugnen könnte wenn man es geschickt anstellt und keine normalen nachverfolgbaren militärischen Minen dafür verwendet, bis hin zu Giftanschlägen auf die Trinkwasserversorgung, beispielsweise mit vor Ort hergestelltem Botulinus Toxin was man dann ebenfalls leugnet usw. usw usw usf.

Zwei kurze Fragen :
1.) Und was sagen die Mütter der dabei getöteten russischen Soldaten?
2.) Wer glaubt denn wirklich, dass sowas nicht aufzuklären ist?
Und dann wäre "Polen offen". Sprich : Die Ukraine würde zurück schlagen.
Moskau hat 15 Mio Einwohner, und der Kreml schützt nicht vor einem atomaren Gau.


RE: Russland vs. Ukraine - Rudi - 18.10.2022

(18.10.2022, 12:27)Quintus Fabius schrieb: https://www.welt.de/politik/ausland/article241647441/Ukraine-Krieg-Laut-Selenskyj-30-Prozent-aller-Elektrizitaetswerke-in-einer-Woche-zerstoert.html



Hätte Russland von Beginn an so agiert, sähe die Gesamtlage ebenfalls ganz anders aus. Es ist eine ziemliche Ironie, dass die russische Zurückhaltung in den ersten Kriegswochen derart negative Folgen für das russische Militär nach sich gezogen hat.

Die strategische Luftkriegsführung könnte zudem noch mit vielen weiteren Methoden der strategischen unkonventionellen Kriegsführung ergänzt werden:

Mal als Beispiel und rein theoretisch: wenn ich die Russen wäre würde ich bei starkem Wind von Osten Saporischschja in die Luft jagen und behaupten die Ukrainer seien das durch Beschuss gewesen. Das wäre zugleich ein erhebliches politisches Signal, ohne dass man sich überhaupt dazu bekennen müsste.



Und gerade mit solchen Mitteln der unkonventionellen strategischen Kriegsführung wäre hier immens viel mehr machbar. Deshalb finde ich es erstaunlich, dass dies nicht geschieht. Angesichts des Faktes, dass die ganze Sache für Russland insgesamt sehr schlecht läuft, und die Spitzen der russisschen Regierung dadurch zunehmend in den Bereich kommen, wo dies erhebliche persönliche Konsequenzen für sie haben könnte, wäre zu erwarten, dass das russische Regime deutlich risikoreicher agiert, denn die Risiken würden sich in der aktuellen Situation mehr lohnen und zudem entspricht das auch typisch menschlichen Verhaltensweisen. Aber vielleicht kommt das jetzt alles noch im Winter wenn dieser richtig ausgebrochen ist und es entsprechend kalt wurde. Dann wäre auch die Wirksamkeit am höchsten.

Ich denke, die "Zurückhaltung" anfangs hatte ja Gründe, und zwar eine massive Fehleinschätzung. Man dachte ja anscheinend wirklich, die Ukraine mehr oder weniger kampflos in kurzer Zeit zu nehmen. Und wenn ich dieser Fehleinschätzung unterliege, macht es eben keinen Sinn die Infrastruktur massiv zu zerstören, da es nach meiner Einschätzung den Sieg nicht beschleunigt und ich hinterher alles wieder aufbauen muß.

Und ein KKW zu zerstören und zu behaupten, dies sei durch feindlichen Beschuß geschehen, kann sicherlich widerlegt werden. Und unkonventionelle Kriegsführung können die Ukrainer auch. Sollte ich einen atomaren Fall-out produziert haben, werden die USA das nicht unbeantwortet lassen, auf die eine oder andere Art. Ich denke, Putin überlegt sich ganz genau, ob er sich noch mehr Probleme aufhalst.

Und die USA haben ihn gewarnt, sollte atomarer Fall-Out NATO-Gebiet erreichen, würden sie das als Angriff auffassen.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 18.10.2022

Es ist nicht alles zeitnah genug aufklärbar, auch wenn dies dass Narrativ der Gegenwart ist. Noch darüber hinaus ist ein ukrainischer Gegenschlag auf russisches Gebiet hierbei sogar eine explizit erwünschte Folge, da dies wiederum ebenfalls Spielraum für einen selbst öffnet. Eskalation und die Menschen entschiedener gegeneinander zu positionieren sind explizit primäre Ziele der unkonventionellen Kriegsführung.

Um mal Putin vor vielen Jahren zu zitieren: wenn man aus irgend etwas keinen Ausweg befindet, dann sollte man tiefer hinein gehen. In diesem Satz steckt so einiges für das Verständnis der aktuellen Situation und meiner Meinung nach auch für etwaige zukünftige Geschehnisse.


RE: Russland vs. Ukraine - lime - 19.10.2022

(18.10.2022, 12:27)Quintus Fabius schrieb: https://www.welt.de/politik/ausland/article241647441/Ukraine-Krieg-Laut-Selenskyj-30-Prozent-aller-Elektrizitaetswerke-in-einer-Woche-zerstoert.html


Kann man natürlich aktuell durchaus noch immer wieder reparieren, aber wenn das mit der Intensität und Wirkung fortgeführt werden kann, dann wird das für die Ukraine kritisch.

Auf mich wirkt die Zahl recht zweifelhaft. Per Definition fallen auch Umspannwerke unter den Begriff Elektrizitätswerk. Davon dürfte es auch in der Ukraine eine vierstellige Anzahl geben. Aber selbst wenn man nur annimmt dass 100-200 getroffen worden wären, dann hätte Rußland damit einen empfindlichen Schlag ausgeführt und vermutlich auch das Potential fast alle außer Gefecht zu setzen.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 19.10.2022

Rudi:

Willkommen im Forum !

Zitat:Ich denke, die "Zurückhaltung" anfangs hatte ja Gründe, und zwar eine massive Fehleinschätzung. Man dachte ja anscheinend wirklich, die Ukraine mehr oder weniger kampflos in kurzer Zeit zu nehmen. Und wenn ich dieser Fehleinschätzung unterliege, macht es eben keinen Sinn die Infrastruktur massiv zu zerstören, da es nach meiner Einschätzung den Sieg nicht beschleunigt und ich hinterher alles wieder aufbauen muß.

Dem kann ich voll und ganz zustimmen. Auch meiner Ansicht nach war das der Grund, warum man diese Option anfangs nicht wahrgenommen hat.

Zitat:Und die USA haben ihn gewarnt, sollte atomarer Fall-Out NATO-Gebiet erreichen, würden sie das als Angriff auffassen.

Diese Aussagen sind genau so wertlos wie Putins aktuelle nukleare Drohungen. Wenn nicht belegbar ist, wodurch der GAU verursacht wurde, wird die NATO in keinster Weise Russland angreifen. Ich halte es sogar für höchst problematisch solche "roten Linien" zu ziehen, weil man sich damit zu sehr festlegt und dies vom Feind exploriert werden kann. Man verliert dann in jedem Fall.

Zitat:Und ein KKW zu zerstören und zu behaupten, dies sei durch feindlichen Beschuß geschehen, kann sicherlich widerlegt werden.

Das AKW wird seit Wochen regelmässig beschossen, wodurch es bereits dort zu Störfällen kam, die viel kritischer waren als dies gemeinhin wahrgenommen wird. Und bis heute ist nicht belegbar welche Seite das AKW beschossen hat und wer dafür verantwortlich ist und die Russen und Ukrainer beschuldigen sich jeweils gegenseitig.

Es ist eben nicht so, dass man in jedem Fall dies feststellen können wird.

Außerdem "fliegt" ein AKW nicht einfach so "in die Luft", dass ist ein Prozess der einige Zeit in Anspruch nimmt und auch aus kleineren Ursachen heraus Stück für Stück stattfinden kann. Entsprechend könnte man dann sogar noch die eigenen Soldaten vor Ort evakuieren etc.

Und es wird nicht herausfindbar sein wer für den Beschuss verantwortlich ist, ganz genau so wie es auch jetzt aktuell nicht herausfindbar ist, wer für den zur Zeit stattfindenden Beschuss verantwortlich ist.

Aber ich will gar nicht so sehr auf diesem Einzelpunkt herum reiten. Er sollte nur ein illustrierendes Beispiel sein, was für eine Wirkung ad extremum durch unkonventionelle Kriegsführung erzielt werden kann.

Zitat:unkonventionelle Kriegsführung können die Ukrainer auch

Betreiben sie ja schon. Es gibt in Russland zuhauf Aktionen der Ukrainer, von Angriffen auf Eisenbahnlinien über Angriffe auf Treibstoffdepots bis hin zu gezielten Morden.

Nurso:

Zitat:Wer glaubt denn wirklich, dass sowas nicht aufzuklären ist?
Und dann wäre "Polen offen". Sprich : Die Ukraine würde zurück schlagen.



Nun ein konkretes Szenario:

Als russischer Geheimdienst suche ich mir in Russland einen psychisch kranken Ukrainer den ich instrumentalisiere. Es leben jede Menge Ukrainer in Russland, darunter sich auch etliche Ultranationalisten und unter diesen sicher auch irgend jemand der psychisch krank ist und/oder entsprechend manipulierbar ist. An diesen trete ich jetzt heran und gebe mich ihm gegenüber als der ukrainische Geheimdienst aus. Ich lenke / manipuliere den Ukrainer dann im vermeintlichen Auftrag der Ukraine einen massiven Anschlag mit Botulinustoxin auf die Trinkwasserversorgung in St. Petersburg durchzuführen. Mehrere tausend Russen sterben.

Der Täter kann (quelle surprise) sogar lebend gefangen werden. Er glaubt selbst für den ukrainischen Geheimdienst gehandelt zu haben. Selbst wenn westliche Ermittler ihn vernehmen würden, käme nicht anderes heraus. Entsprechend deklariere ich einen Angriff der Ukraine auf Russland mit einer biologischen Massenvernichtungs-Waffe.

Und dann schlage ich zurück. Und setzte in legaler und legitimer Selbstverteidigung taktische Nuklearwaffen gegen die kritische Infrastruktur der Ukraine und deren Kommandozentren ein. Gleichzeitig setzte die ich gesamten Nuklearstreitkräfte auf die höchste Alarmstufe und rufe damit das Blatt der NATO auf. Wird nun die NATO Russland angreifen?

Dazu noch eine rechtliche Frage ! Auf welcher Rechtsgrundlage soll eigentlich so ein NATO Angriff auf russische Streitkräfte stattfinden ?! Ein Angriff der NATO auf Russland wäre ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg, es gäbe dafür keine völkerrechtliche Grundlage und man wäre erneut bei den Konstrukten des Kosovo Krieges, dass man ohne UN Mandat und ohne dass man selbst angegriffen wurde hier einfach einen anderen Staat angreift, so wie damals Serbien vollständig völkerrechtswidrig angegriffen wurde. Damit stärkt man das russische Narrativ weltweit, schiebt der NATO die Rolle des Agressors zu und kann die eigene Agression damit überdecken.

Wird nun die NATO einen globalen Nuklearkrieg führen, für einen scheinbaren Angriff der Ukraine mit eine biologischen Waffe auf Russland, nachdem Russland ja nur zurückschlägt ?! Da das russische Regime in einer Verlustsituation ist, die für die Spitzen dieses Regimes zunehmend lebensgefährlich ist, kann dieses Regime solche höheren Risiken viel eher eingehen als wird. Und ich bin mir sehr sicher, dass die NATO dann keinen vollumfänglichen Angriff auf die russischen Streitkräfte durchführen würde.

Und selbst wenn sie dann beispielsweise rein konventionell die russischen Streitkräfte in der Ukraine angreift, kann ich mich immer noch als Friedensengel gerieren, aus der Ukraine abziehen und die teilweise nuklearverseuchte Trümmerwüste als wortwörtlich vergiftetes Geschenk dem Westen überlassen, einschließlich der Folgekosten die das für den Westen verursacht. Dann stelle ich mich als den Guten und den Retter der Menschheit dar, die allein deshalb noch existiert weil ich nachgegeben habe. Somit kann ich in weiten Teilen der Welt dann das Narrativ etablieren, dass Russland die Menschheit gerettet hat, welche die NATO in höchst fahrlässiger Weise gefährdete. Und da der Ukrainekrieg ohnehin gescheitert ist, kann ich mir damit auch die hohen Wideraufbaukosten für die Zerstörungen dort sparen.

Und wie man es dreht und wendet: die Ukraine ist als Staat für sehr lange Zeiträume erledigt und fällt damit als Gefahr für mich aus, und das für den Preis von ein paar tausend russischen Zivilisten die ich alternativ zu mehreren zehntausenden weiteren russischen Soldaten geopfert habe.

Nur ein Szenario von sehr vielen die denkbar sind und die vor allem anderen dem Denkschemata des aktuellen russischen Regime entsprechen.

Klingt zu finster ?! Klingt zu weit hergeholt ?!

Mal ein reales Beispiel:

1999 sprengte der FSB in Russland mehrere Wohnhäuser. Es starben 367 Russen und mehrere tausend Russen wurden verletzt. Durch diese Anschläge konnte die russische Bevölkerung für den zweiten Tschetschenienkrieg motiviert werden und Putin konnte sich im Amt als Präsident etablieren. Und bis heute gibt es nur Indizien dass es der FSB war, aber keine wirklichen Beweise und die ersten Indizien dazu tauchten erst auf, als der Tschetschenienkrieg schon vorbei war.

Dazu eine Buchempfehlung:

Darkness at Dawn: the Rise of the Russian Criminal State von Satter

Zitat:was sagen dann die Mütter der dabei getöteten russischen Soldaten?

Querschnittlich werden sie dann folgendes sagen: Dass man gegen die Ukraine mit allen Mitteln Krieg führen muss.


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 19.10.2022

https://www.washingtonpost.com/world/2022/10/13/ukraine-morale-war-soldiers-exhausted/?utm_campaign=ext_rweb&utm_medium=referral&utm_source=extension

https://www.tagesspiegel.de/politik/ukrainische-soldaten-unter-mentalem-druck-wir-wissen-nicht-wann-wer-wieder-nach-hause-zuruckkehren-8763721.html

Viele ukrainische Soldaten, die im Süden kämpfen sind erschöpft. Manche sind seit Februar ohne Unterbrechung im Einsatz.

Viele Männer, mit denen die „Washington Post“ in der umkämpften Region Cherson reden konnte, sollen seit Februar im Einsatz sein.

Die Ungewissheit mache etwas mit einem. „Wenn jemand weiß, dass er neun, zwölf oder 16 Monate dienen muss, kann er sich körperlich und geistig vorbereiten“, sagt Historian. Die Soldaten, mit denen die „Washington Post“ geredet hat, sollen teilweise ohne Fronturlaub ausharren. Sie seien von Frontabschnitt zu Frontabschnitt weitergereicht worden. Erst waren sie im Norden der Ukraine im Einsatz, dann im Donbass, jetzt im Süden.

Nun warten sie mit Spannung und Sorge auf das Ausmaß von Putins Teilmobilmachung in Russland. Ein Hauptfeldwebel mit dem Rufnamen Alimych will bereits einem Soldaten der jüngsten russischen Rekrutierungsbemühungen begegnet sein.

Einige Kameraden sind optimistisch gestimmt ob der unerfahrenen Kämpfer. Die Männer, die ohne Erfahrung oder Motivation zum Kämpfen in die Schlacht gestoßen würden, seien kein großes strategisches Problem.

Doch nicht alle sind so optimistisch eingestellt. Ein dritter Soldat im Zug, der den Rufnamen Zeus trägt, habe davor gewarnt, den Feind zu unterschätzen: „Sie könnten sich in einem Monat in Elitekämpfer verwandeln, wenn sie erst einmal etwas Erfahrung gesammelt haben. Wir wissen es nicht. Wir hatten alle keine Erfahrung, als wir anfingen.“

Die Mobilisierung von 300.000 Soldaten in Russland macht die Frontkämpfer unruhig. Wohlwissend, wie es um die eigenen Reihen bestellt ist. Seit Beginn des Angriffskrieges dürfen ukrainische Männer zwischen 18 und 60 Jahren das Land nicht mehr verlassen.

Die Soldaten an der Front machen sich Sorgen, wie gut die Nachrückenden ausgebildet wurden.

Relativierend sollte man anmerken, dass die Ukraine ihre Fronttruppen genau so wie die Russen einfach größtenteils im Kampf belässt um derweilen im Hinterland strategische Reserven aufzubauen. Im Gegensatz zu den Russen werden jedoch verdiente Kämpfer vereinzelt durchaus heraus gezogen (als Lohn ihrer Tapferkeit) und dann gezielt als Ausbilder nach hinten verbracht um diese strategische Reserve auszubilden. Dazu kommt noch die erhebliche Ausbildungsunterstützung durch westliche Staaten, sowohl in Europa selbst, wie auch in der Ukraine durch westliche Sondereinheiten wie den dort operierenden SAS.

Ein insgesamt sehr cleveres System welches auch noch als Anreiz für die Soldaten an der Front dient (kämpfe tapfer und riskiere dein Leben und du wirst Ausbilder)

Umgekehrt haben die Russen einen massiven Ausbilder-Mangel und ziehen auch keine fronterfahrenen Kämpfer heraus. Die gehen davon aus, dass die Soldaten einfach im Echteinsatz das Kämpfen schon lernen werden. Oder um es mit den Worten eines russischen Regimentskommandeurs nach der Frage der Ausbildung zu beantworten: Das wird halt jetzt ein Learning by Dying.


RE: Russland vs. Ukraine - Schneemann - 19.10.2022

Als es kürzlich hieß, die Ukrainer hätten bei einem Gegenangriff auf der Krim Iraner (Drohnenoperateure?) getötet, wurde dies in Frage gestellt, da es auch unwahrscheinlich sei, dass Iraner angesichts der Reichweite der Drohnen sich dort überhaupt aufhalten müssten. Aber anscheinend sind sie wohl doch dort:
Zitat:Für Drohnen-Schulungen

Iranische Ausbilder sollen auf der Krim stationiert sein

Dass Russland mit Drohnen iranischer Bauart ukrainische Städte und Infrastruktur angreift, ist bekannt. Laut einem Medienbericht ist die Islamische Republik noch tiefer in den Konflikt verstrickt: Auf der Krim sollen demnach russische Soldaten von Ausbildern der iranischen Revolutionsgarden im Umgang mit den Waffen geschult werden.

Der Iran hat laut einem Bericht der "New York Times" Ausbilder auf die von Russland annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim geschickt, um Russen bei der Bedienung iranischer Drohnen zu schulen. Die Zeitung beruft sich auf aktuelle und ehemalige Beamte, die mit Geheimdienstinformationen vertraut sind. Die iranischen Ausbilder sollen den Russen demnach helfen, Probleme mit der aus Teheran erworbenen Drohnenflotte zu bewältigen. Dies sei ein weiteres Zeichen für die wachsende Nähe zwischen Iran und Russland seit dem Einmarsch Moskaus in die Ukraine vor acht Monaten. [...] Die Entsendung der iranischen Ausbilder scheine mit dem verstärkten Einsatz der Drohnen in der Ukraine zusammenzufallen und deute auf eine stärkere Beteiligung des Iran an dem Krieg hin, hieß es weiter. Die iranischen Ausbilder sind den Beamten zufolge weit von der Front entfernt und würden eingesetzt, um den Russen beizubringen, wie man die Drohnen fliegt. Es sei weder bekannt, wie viele Ausbilder entsandt worden seien noch ob sie die Drohnen selbst steuerten.
https://www.n-tv.de/politik/Iranische-Ausbilder-sollen-auf-der-Krim-stationiert-sein-article23659796.html

Weiterhin scheint sich um Cherson eine Entscheidung abzuzeichnen, zumindest deutet alles darauf hin, dass es dort alsbald zu größeren Kämpfen kommen könnte. Die Russen ziehen dort auch verstärkt Kräfte zusammen und der neue russische Befehlshaber in der Ukraine, Surowikin, spricht von "schwierigen Entscheidungen", die bei Cherson vielleicht bevorstehen könnten.
Zitat:Battle for Kherson 'about to begin' as civilians told to flee

The battle for Kherson is to begin "in the very near future" as Russia evacuates the occupied southern city. Authorities have been sending messages to civilians to leave immediately as Russian forces are at risk of being trapped.

Up to 60,000 people are to flee over the next six days, according to officials. "In the very near future, the battle for Kherson will begin," Kirill Stremousov, Moscow-installed deputy administrator for the region, said last night. [...] Russian forces in Kherson have been driven back by up to 20 miles in the past weeks and face being pinned against the right or western bank of the Dnipro river, which runs alongside the city. "I ask you to take my words seriously and take them to mean: the fastest possible evacuation," he added, urging civilians: "Move as fast as possible, please, to the left bank."
https://www.telegraph.co.uk/world-news/2022/10/19/ukraine-news-russia-war-latest-kyiv-putin-strikes-drones/

Schneemann


RE: Russland vs. Ukraine - Quintus Fabius - 19.10.2022

Wenn die Russen Kherson wirklich intelligent verteidigen, dann würde die Ukraine bei der Eroberung der Stadt extreme Verluste erleiden.