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- Erich - 08.06.2009

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Zitat:Regierungskoalition gewinnt bei Parlamentswahl
Pro-westliches Lager triumphiert im Libanon

Bei der Parlamentswahl im Libanon hat das pro-westliche Lager über die israelfeindliche Hisbollah triumphiert.
...

Das pro-westliche Lager kam demnach auf 71 der insgesamt 128 Parlamentssitze. Die pro-syrischen und -iranischen Kräfte - darunter die Hisbollah - errangen 57 Sitze. Damit spiegelt das Ergebnis die Kräftverhältnisse von 2005 mit 72 zu 56 Sitzen fast exakt wider. Die Wahlbeteiligung war den Angaben zufolge mit mehr als 54 Prozent die höchste in den vergangenen 20 Jahren im Libanon.

"Der einzige Gewinner ist die Demokratie"
...

Stand: 08.06.2009 19:52 Uhr



- Schneemann - 09.06.2009

Zitat:Kommentar zur Wahl im Libanon

Hisbollah-Schlappe stabilisiert den Nahen Osten

Das Ergebnis der Parlamentswahl im Libanon ist eine große Überraschung. Das vom Westen unterstützte Bündnis "14. März" hat gegen Hisbollah und ihre Partner, die Allianz "8. März", gewonnen - und zwar sehr deutlich. Dies hatte so kein einziger Meinungsforscher vorhergesagt.
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Schneemann.


- Shahab3 - 09.06.2009

Als Verlierer ist die Hizbollah sicher nicht aus der Wahl gegangen. Ihre Stimmanteile waren ja stabil, sogar leicht verbessert gegenüber der letzten Parlamentswahl. Der Block der Wahlsieger hat marginal Sitze verloren. Ich glaube auch nicht, dass es den politischen Prozessen zuträglich gewesen wäre, wenn Aoun und Nasrallah dieses Mal schon gewonnen hätten. Der außenpolitische Druck war vor und während der Wahl enorm groß. Die Reaktionen in Saudi Arabien, Ägypten, Israel und den USA wären zu aggresiv gewesen, als das ein Sieg einem der beiden wirklich geholfen hätte. Hizbollah ist aber mehr denn je am politischen Geschehen im Libanon beteiligt und hat nun die Gelegenheit sich in dieser Rolle zu beweisen.


- Schneemann - 09.06.2009

Zitat:[...]Ich glaube auch nicht, dass es den politischen Prozessen zuträglich gewesen wäre, wenn Aoun und Nasrallah dieses Mal schon gewonnen hätten.[...]
Fragt sich, ob es gut wäre, wenn sie überhaupt jemals gewinnen. Das Land würde dann rasch, auch wenn hier oder da es „soziale Projekte“ gibt, in einen neun Krieg rutschen. Ganz große Klasse...

Schneemann.


- ThomasWach - 10.06.2009

Zweifelhaft, mindestens ungewiss.
Von meinem Standpunkt aus kannst du nicht vom heutigen Status Quo ausgehen und bloß nur solch eine politische Entwicklung hinzuaddieren.
So oder so ist die politische Entwicklung kontingent, auch ein Krieg ist bei einem eventuellen, späteren Sieg von Nasrallah und Aoun keine Zwangsläufigkeit.
Keiner weiß, was bis zu solch einem Ereignis sich im Libanon und im gesamten Nahen Osten getan hat, keiner weiß, wie sich die Hizbullah bis dahin entwickelt hat und keiner weiß, welche Politik sie zusammen mit ihren schiitischen Verbündeten und ihren christlichen Verbündeten dann machen würde.
Denn so oder so, bei aller Feindschaft zwischen den politischen Lagern: Der Libanon, auch deren Bevölkerung, ist auf Moderation und Zurückhaltung beider Lager angewiesen und will sie auch, das gilt für Nasrallahs Lager wie für Sinioras/Hariris. Auch jetzt ist die Hizbullah schon als politische Kraft sehr wichtig und dabei wird auch bleiben.


- Shahab3 - 10.06.2009

Die Israelis werden immer Gründe finden um im Libanon zu intervenieren. So, oder so. Tatsächlich könnte das gleich morgen früh schon sein, dass irgendwelche IAF Jets irgendwelche Ziele in Beirut oder sonstwo bombardieren. Ich halte es aus libanesischer Sicht für sehr schlau, sich dessen jederzeit bewusst zu sein. Davon muss man sich aber auch nicht verrückt machen und schikanieren lassen. Es ändert also nichts daran, dass die Libanesen ihr Land regieren und reformieren müssen.

Bei dieser Wahl und dem Bündnis von Aoun und Nasrallah geht es auch um sehr viel grundsätzlichere Fragestellungen. Die von der Hizbollah angeführte Opposition hatte bei diesen Parlamentswahlen ca. 180.000 Stimmen mehr als die "Wahlsieger", die nun die Parlamentsmehrheit stellen. Ist das nicht konfus? Ja, das ist der Libanon und sein komplizierter Religiöser/Ethnischer-Wahlschlüssel.

Höchst unterhaltsam mal wieder die Kommentare der Vorzeigedemokraten: Welch "Wahlschlappe für die Opposition" (Tagesschau). Ja, lasst sie uns noch ein wenig verhöhnen. :lol: :8

Während nun alle westlichen Demokratien, Saudis, Ägypter und Israelis aufatmen, dass der Supergau (ein demokratischer Sturz ihres preudo-demokratischen Hariri-Leuchtturms im Nahen Osten) gerade noch verhindert werden konnte, ärgert sich die Bevölkerungsmehrheit des Libanon weiter. Das werden sie wohl auch noch eine Weile tun müssen, bis das Klima für einen Wandel besser ist.

Und so lange bleiben Wahlen und Regierungen im Libanon eine reine Witzveranstaltung und höflichem Applaus der Europäer. Großes Kino.


- Schneemann - 10.06.2009

Zitat: Die Israelis werden immer Gründe finden um im Libanon zu intervenieren...
Tja, dann darf man ihnen die „Gründe“ eben nicht immer liefern.
Zitat:Tatsächlich könnte das gleich morgen früh schon sein, dass irgendwelche IAF Jets irgendwelche Ziele in Beirut oder sonstwo bombardieren. Ich halte es aus libanesischer Sicht für sehr schlau, sich dessen jederzeit bewusst zu sein...
Das hat aber nichts mit dem Abstimmungsverhalten zu tun, auch wenn du dies suggerierst. Man sollte vielleicht mal auch daran denken, dass viele Libanesen die Ermordung Hariris durch die Hisbollah 2005 (zumindest sagt dies der derzeitige Ermittlungsstand) nicht vergessen haben und deshalb die Hisbollah schlicht nicht wählen wollen.
Zitat:... ärgert sich die Bevölkerungsmehrheit des Libanon weiter.
Die Schiiten vielleicht, der Rest sicher nicht.
Zitat: Das werden sie wohl auch noch eine Weile tun müssen, bis das Klima für einen Wandel besser ist.
Hmm, jaja, schon klar was du meinst. Laß’ mich raten: Paar Israelis kidnappen, rüberschießen bis die IDF wieder mal breit und stupide angewalzt kommt, dann schnell bei paar Kamerateams in Stellung bringen neben vermeintlich bombardierten Kindergarten-Krankenhäuser-Medizinfabrik-Altenheim-Moscheen, dann schnell ein paar schlimme Bilder ins TV spielen und die Bevölkerung so lange mit Israel-Hass, Angst und (syrisch-iranischen) Bonbons füttern bis sie zustimmt. Tolle Idee! Und wenn dann die Extremisten gewinnen, kann man ja immer noch sagen, es war alles schön demokratisch, nur der böse Westen erkenne das nicht an. Aber so einfach ist die Sache eben doch nicht...

Schneemann.


- Erich - 10.06.2009

@Schneemann: für "Israel-Hass und Angst" sorgen die Israeli schon selber - da brauchts keine Provokation im Stil von "paar Israeli kidnappen" sondern nur offene Augen in den besetzten Gebieten.


- Schneemann - 10.06.2009

Aha, d. h. also, dass die Israelis selbst Schuld sind?! Logisch, kann ja auch nicht anders sein. Ich habe ja (leider) fast schon wieder erwartet, dass sowas kommt. Aber ganz so einfach ist es eben nicht. Zwar entstand die Hisbollah auch durch den Libanon-Krieg Israels in den 80ern - der aber ohne die Massaker an Israelis Ende der 70er durch die PLO übrigens auch nicht einfach stattgefunden hätte -, aber der letzte 2006 hätte ohne die Hisbollah nicht stattgefunden.

Schneemann.


- Erich - 10.06.2009

Schneemann, ich verlass mich da auf unmittelbare Augenzeugenberichte etwa von Kollegen, die in Israel längere Zeit gelebt haben und sowohl die israelische wie auch die palästinensiche Seite kennen.


- ThomasWach - 11.06.2009

Ich glaube auch, dass die Formulierung "selbst Schuld" etwas zu einfach ist. Allerdings meint Erich letztlich hier auch etwas anderes, wie ich finde: Nämlich, dass die Israelis selbst durch ihre aggressive Politik beitragen und beigetragen haben zu einer insgesamt heißen und konfliktträchtigen Lage in Nah Ost, dass infolge Jahrzehnte voller Gewalt und Krieg eine gewisse Abschreckung einerseits, aber auch andererseits eine breite und weitreichende Palette negativer Erfahrungen von und durch Israel ausgeht. Man kennt die Reichweite israelischer Macht und auch die Entschlossenheit immer wieder einzusetzen. Es geht also um die akteursspezifische Sicht der Libanesen auf die Israelis und da kann man Erich nur Recht geben, dass die Israelis im kollektiven Gedächtnis der Araber, wie auch speziell der Libanesen sich eingebrandt haben.
Du dagegen hast auf eine strukturelle, "objektive" Bewertung umgeleitet und beide Sachen sind eben etwas anderes. Die Sicht der Libanesen, vieler anderer infolge realer Erfahrungen (ungeachtet ihrer Verursachung) ist eben etwas anderes als eine allgemeine Bewertung.
Wobei, deine Kausalkette ist wie jede Kausalkette unvollständig und könnte beinah beliebig und unendlich fortgesetzt werden können: Es hätte die Operation Peace for Galiläa nicht gegeben, wenn die PLO nicht angegriffen hätte, wenn die PLO nicht aus Jordanien vertrieben worden wäre, wenn es keinen 6-tage-Krieg gegeben hätte inklusive Besetzung, usw und so fort. Man könnte und müsste diese Kette eben unendlich fortsetzen, verdichten zu einem komplexen Geflecht, eben weil nur das umfassende Zusammenspiel aller Akteure das Geschehen produziert hat. Ergo bleibt nur die Frage, wer wann wieviel "beigetragen" hat. Eine absolute Schuld oder ähnliche Fragen finde ich da wenig hilfreich.
Aber wie geschrieben, Erich wollte in meinen Augen mehr auf den subjektiven Eindruck hinaus, der durch Gaza-Krieg und Co das Bild und die Abschreckungskraft Israels kennzeichnet.


- Shahab3 - 11.06.2009

Schneemann schrieb:Das hat aber nichts mit dem Abstimmungsverhalten zu tun, auch wenn du dies suggerierst. Man sollte vielleicht mal auch daran denken, dass viele Libanesen die Ermordung Hariris durch die Hisbollah 2005 (zumindest sagt dies der derzeitige Ermittlungsstand) nicht vergessen haben und deshalb die Hisbollah schlicht nicht wählen wollen.

Das Wahlergebnis war für die Hizbollah marginal besser als beim letzten Mal. Sie hat ausnahmslos jeden Kandidaten auf den Wahllisten ins Parlament gebracht. Das Wahlverhalten würde ich daher nicht als das Problem der Hizbollah herausarbeiten.

Der Oppositionsblock hatte auch insgesamt gut 10% mehr Stimmen, als die "Wahlsieger". Aufgrund der libanesischen Verfassung wirken sich die Stimmen verschiedener Volksgruppen unterschiedlich auf die Sitzverteilung im Parlament aus. Das hat den Effekt, dass nun die Minderheit der libanesischen Wahlstimmen, über eine Mehrheit im Parlament verfügt.

Aber wo Du den Fall Hariri schon aufrollst....

Es war doch höchst interessant, dass unmittelbar vor der Parlamentswahl plötzlich Hinweise zugespielt werden, die eine Verstrickung der Hizbollah am Mord Hariris nahelegen. Nachdem es schon gelungen ist, mit diesem Fall die Syrer zu diskreditieren und zum Abzug zu bewegen. So..und unmittelbar vor der Wahl tauchen nun neue delikate Erkenntnisse auf und das Thema landet in der Presse? hmm.. :roll:.

Der Mordanschlag hat einigen sehr geholfen. Die Motive der Syrer oder Hizbollah waren eigentlich viel zu banal, um Hariri derart spektakulär wegzupusten. Dass sein Sohn gestärkt die Nachfolge antreten würde, war sonnenklar. Den Konsequenzen einer solchen Tat müssten sie sich eigentlich bewusst gewesen zu sein. Daher fehlt das überzeugende Motiv für diesen politischen Mord. Mit sowas schafft man sich normalerweise Feinde aus dem Weg, aber man stärkt sie nicht.

Ohne den Anschlag, wären nicht zehntausende auf die Straße gegangen, hätten die Syrer ihre Truppen nicht abgezogen, hätte Israel 2006 nicht in den Libanon einmarschieren können ohne im Krieg mit Syrien zu stehen.

Mir scheint, dass die Ermittlungen deshalb auch im Sande verlaufen, bzw je nach Nützlichkeit für den ein oder anderen Zweck mit "neuen Hinweisen" unterfüttert werden. Das werden ausländische Dienste noch eine Weile nutzen.

Zitat:
Zitat:... ärgert sich die Bevölkerungsmehrheit des Libanon weiter.
Die Schiiten vielleicht, der Rest sicher nicht.

Ein Teil der Christen ist mit den Schiiten aus diesem Grund ein strategisches Bündnis eingegangen.

Zitat:
Zitat: Das werden sie wohl auch noch eine Weile tun müssen, bis das Klima für einen Wandel besser ist.
Hmm, jaja, schon klar was du meinst. Laß’ mich raten: Paar Israelis kidnappen, rüberschießen bis die IDF wieder mal breit und stupide angewalzt kommt, dann schnell bei paar Kamerateams in Stellung bringen neben vermeintlich bombardierten Kindergarten-Krankenhäuser-Medizinfabrik-Altenheim-Moscheen, dann schnell ein paar schlimme Bilder ins TV spielen und die Bevölkerung so lange mit Israel-Hass, Angst und (syrisch-iranischen) Bonbons füttern bis sie zustimmt. Tolle Idee! Und wenn dann die Extremisten gewinnen, kann man ja immer noch sagen, es war alles schön demokratisch, nur der böse Westen erkenne das nicht an. Aber so einfach ist die Sache eben doch nicht...

Wichtig ist, was die Libanesen selbst wollen. Ganz unwichtig ist, was Israel will.


- Schneemann - 28.06.2009

Na, dann weiß man ja jetzt, was sie wollen...
Zitat:LIBANON

Pro-westlicher Politiker Hariri ist neuer Ministerpräsident

Im Libanon ist der pro-westliche Politiker Saad Hariri in die Fußstapfen seines ermordeten Vaters getreten. Nun ist er Ministerpräsident des Landes. Über fünf Jahre nach dem Tod seines Vaters Rafik Hariri soll der 39-Jährige Saad das Land aus der Krise führen.
Link: <!-- m --><a class="postlink" href="http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,633008,00.html">http://www.spiegel.de/politik/ausland/0 ... 08,00.html</a><!-- m -->

Schneemann.


- Shahab3 - 29.06.2009

Man weiß höchstens, dass Du das libanesische Wahlsystem nicht ganz verstanden hast Wink

Aus meinem Beitrag darüber:
Shahab3 schrieb:Der Oppositionsblock hatte auch insgesamt gut 10% mehr Stimmen, als die "Wahlsieger".



- ThomasWach - 29.06.2009

Zitat:Mr Berri was right about the referendum, but wrong about the election. Although some 54% of voters backed the opposition, they did so in places where more votes produced fewer MPs. Those who voted against the resistance tended to vote in districts with proportionally more weight.
...
Taking advantage of the imballance between the size of the constituencies and the number of their MPs, the alliance [Regierung] gained a critical advantage from the massive turnout by Sunni voters in Christian districts, reflecting both demographic shifts and the financial clout of the Sunni political machine.

Aus: The Economist June13th-19th 2009, Seite 43/44

Will heißen: Die Opposition hat mehr Stimmen bekommen, aber aufgrund der nach Religionsgruppen/Regionen strukturierten Vergabe von Parlamentsplätzen, die nicht proportional zur Bevölkerungsverteilung ist, konnte die Regierung gewinnen. Der Economist führt die Niederlage der Opposition vor allem auf das schlechte Abschneiden von Aoun zurück, aber wie aus dem Artikel hervergeht, haben sunnitische Libanesen vermehrt in den christl. Distrikten ihre Stimme abgegeben, in denen sehr viel weniger Stimmen sich in sehr viel mehr Abgeordnetenplätze transformierten, im Vergleich zu den im Parlament deutlich unterrepräsentierten schiitischen Distrikten.

PS: Da Schneemann doch auf die Herkunft der Quellen viel Wert legt, hoffe ich doch, dass the Economist trotz seiner antiimperialistischen und über jeden Zweifel erhabenen antikapitalistischen Ausrichtung hier als Quelle akzeptiert wird....Wink