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Armenien vs. Aserbaidschan - Druckversion

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RE: Armenien vs. Aserbaidschan - Quintus Fabius - 08.10.2020

Anscheinend Türkische F-16 in Azerbeidschan:

https://twitter.com/trbrtc/status/1313903827435892737

Wenn das Bild nicht von den gemeinsamen Manövern im Sommer ist, sondern aktuell, zeigt das klar wie weitgehend die Türkei hier den Krieg gegen die Armenier orchestriert und hinter den Kulissen unterstützend mitführt.

Um das allgemeine Kriegsbild mal wieder ein wenig zu visualisieren:

https://twitter.com/Unknown77991/status/1313934471843008513

Sieht nach weitgehendem Stellungskampf aus. Obwohl die Azeris allerlei Siegesnachrichten heraus hauen geht es in der Realität anscheinend recht langsam voran. Jahrelang ausgebaute Stellungssysteme und das gebirgige Terrain dürften der Hauptgrund sein, warum die große Übermacht der Azeris sich hier zwingendermaßen schwertut die armenische Infanterie zu werfen.

Umgekehrt sind die Verluste der Armenier an gepanzerten Fahrzeugen sehr hoch und es zeigt sich mal wieder dass in der Defensive solche Panzer nicht in jedem Fall vorteilhaft sind, und zwar vor allem aufgrund ihrer Signatur und der immer besseren Sensorik:

https://rusi.org/publication/rusi-defence-systems/key-armenia-tank-losses-sensors-not-shooters#.X31TvSRo6MI.twitter

Zitat:Amid a lively debate about the viability of the UK’s heavy armour, the loss of over 42 Armenian T-72s to Azerbaijani forces in Nagorno-Karabakh requires further analysis.

Despite the heavy Armenian armoured losses, the key lessons from the videos Azerbaijan has published online are not about armour. Rather, they reflect how the density of sensors on the modern battlefield is changing the balance in combined arms warfare.

Leichtere schnellere und geländegängigere (Rad) Panzer welche weniger auf Panzerung als vielmehr auf Tarnung, weitreichende Feuerkraft (NLOS) und Querfeldeinbeweglichkeit setzen könnten hier schon mittelfristig gesehen die einzige Lösung sein. Nicht nur um sich feindlichem Feuer zu entziehen - sondern vor allem auch um ausreichend schnell die zwangsweise verstreuten Einheiten wieder zusammen ziehen zu können. Insbesondere der letztgenannte Punkt wird hier gerade deutlich sichtbar:

Zitat:The lessons are far reaching. Heavy formations must likely disperse to avoid being engaged by area-of-effect munitions at reach. This makes protecting them from UAVs and air attack more challenging, requiring the integration of short-ranged air defences (SHORAD) across tactical units, along with EW – specifically electronic attack – capabilities.

Therefore, a broader shift in mindset is required as to how combined arms manoeuvre functions. Infliction of attrition against enemy ISTAR must be prioritised to degrade the enemy’s sensor picture to a point where they will struggle to distinguish decoys from real targets. Deception, saturating the electromagnetic spectrum, and other active rather than passive means will be needed to protect the force as it moves into direct contact. Once in contact many traditional tactics and capabilities will remain relevant.

A critical challenge to be worked out is how to transition from a dispersed approach to a concentrated attack, since at the forming-up point there will be a significant vulnerability to artillery, anti-tank guided weapons and other threats. This is a key area of focus in developing robust tactics.




Interessant finde ich, wie wenig wir eigentlich über das Kriegsgeschehen wissen. Dafür sind auf allen Seiten immense Mühen im Informationskrieg erkennbar. Nach dem Hoax über griechische Söldner in Armenien (siehe oben) war gestern über russische Söldner auf dem Weg nach Armenien zu lesen, mit der gleichen Glaubwürdigkeit:

https://www.bellingcat.com/news/uk-and-europe/2020/10/07/wagner-affiliated-channel-trolls-nagorno-karabakh-conflict-analysts/


RE: Armenien vs. Aserbaidschan - Pogu - 09.10.2020

Zitat:Leichtere schnellere und geländegängigere (Rad) Panzer welche weniger auf Panzerung als vielmehr auf Tarnung, weitreichende Feuerkraft (NLOS) und Querfeldeinbeweglichkeit setzen könnten hier schon mittelfristig gesehen die einzige Lösung sein. Nicht nur um sich feindlichem Feuer zu entziehen - sondern vor allem auch um ausreichend schnell die zwangsweise verstreuten Einheiten wieder zusammen ziehen zu können. Insbesondere der letztgenannte Punkt wird hier gerade deutlich sichtbar

Das war das ursprüngliche Konzept des Kürassier Jagdpanzers. Panzer unter Anführungszeichen, denn eigentlich ist es mehr Splitterschutz als Panzerung. Die Idee war sehr hohe Mobilität und leichte Tarnbarkeit auf Kosten träger Panzerhülle zu schaffen - bei (zumindest damals) aber vollwertiger Kanone.

PS: Der Kürassier ist ein Kettenfahrzeug.


RE: Armenien vs. Aserbaidschan - hunter1 - 10.10.2020

Ab heute Mittag gilt eine Feuerpause, v.a. um tote Soldaten zu bergen, zudem werden Friedensgespräche aufgenommen.

Wenn Aserbaidschan zu solchen Verhandlungen bereit ist, scheint es doch nicht so gut zu laufen, wie ich das bislang angenommen habe. Es sei denn, man nutzt die Feuerpause wirklich nur zur Bergung der Toten und macht dann gleich wieder weiter.


RE: Armenien vs. Aserbaidschan - Quintus Fabius - 10.10.2020

Ständig neue Waffenstillstände sind heute ein wesentlicher Teil der Kriegsführung. Sie nützen militärisch und Syrien hat klar gezeigt wie man einen Feind in einer endlosen Kette von kurzen regional begrenzten Schlägen und Waffenstillständen um die Gewinne zu konsolidieren niederkämpfen kann und die sogenannte internationale Gemeinschaft dann mit der kindlich-naiven Hoffnung auf Frieden auf jeden noch so lächerlichen Pseudo-Waffenstillstand anspringt.

Wenn dieser Waffenstillstand tatsächlich von diesem Muster abweichen und nicht allein ein Mittel zum Zweck sein sollte, dann kann das eigentlich nur an einer russischen Intervention hinter den Kulissen liegen und entsprechendem russischen Druck. Wir werden es in Kürze sehen.


RE: Armenien vs. Aserbaidschan - Mondgesicht - 11.10.2020

Vergiss bei deiner durchweg korrekten Darstellung nicht, das Russland allein deshalb schon ein riesiges Interesse an Verhandlungen hat, weil es sich als Frieden schaffender Vermittler darstellen kann.

Je häufiger es gebrochene Waffenstillstände (neu) verhandel kann, desto häufiger wird in den Nachrichten Lawrow gezeigt und es verfestigt sich evtl. der Eindruck, dass Russland ja eigentlich ein friedliebendes Land ist. RolleyesAngel


RE: Armenien vs. Aserbaidschan - Pogu - 11.10.2020

Zitat:... das Russland allein deshalb schon ein riesiges Interesse an Verhandlungen hat, weil es sich als Frieden schaffender Vermittler darstellen kann.

Daran stimmt nur ein Wort nicht: riesig.
Wenngleich dieses Interesse der Russen durchaus angenommen werden kann, dann aber nicht kolossalen Ausmaßes. Im Unternehmertum würde man von einer PR Maßnahme sprechen, und das ist nichts wonach Russland eifrig strebt.

Was könnte für Russland also "riesig" wichtig sein? Militärische Dominanz direkt vor ihrer Haustüre. Denn jede instabile Region saugt geradezu regionsfremde Truppen an. Und die bleiben dann gerne.


RE: Armenien vs. Aserbaidschan - Schneemann - 11.10.2020

Russland hat sicher - in diesem Fall - ein Interesse, dass der Konflikt nicht ewig sich hinzieht, da dies wiederum bedeuten kann, dass sich nach und nach allerlei kriegslustige Gruppierungen aus aller Welt dort einfinden könnten. Besonders was Pogu hier geschrieben hatte bzgl. regionsfremder Truppen, hat einen wahren bzw. sehr sensiblen Kern.

Der Kaukasus wird in Moskau gerne als eigener Vorhof angesehen (hinzu kommt noch die traditionelle Unterstützung für die Armenier) und die Konflikte der 1990er Jahre - und teils auch danach - mit verschiedenen islamistischen Gruppen, man denke an Tschetschenien und Dagestan, sind in Russland noch gut in Erinnerung. Langfristig gesehen würde man es im Kreml in jedem Fall verhindern wollen, dass sich über aserbaidschanisches Terrain hinweg somit ein rechtsfreier Raum dort bildet, quasi eine Art "kaukasisches tribal area" in Bergkarabach, von wo aus islamistische Kräfte aus aller Welt agieren, mit tatkräftiger direkter und indirekter Rückendeckung eines halbautokratischen, islamisch-konservativen Regierungsapparats in Ankara, der aktuell teils recht unverhohlen einem verklärenden osmanischen Traditionalismus frönt.

Um zu vermeiden, dass sich eine solche Konstellation weiter herausbildet und eine neuerliche Gefährdung für den "grünen Unterleib Russlands" überhaupt entsteht, könnte es durchaus Sinn ergeben, wenn Russland nun, ausnahmsweise mal in ehrlicher Absicht, auf eine rasche Beendigung der Kämpfe drängt.

Schneemann.


RE: Armenien vs. Aserbaidschan - Quintus Fabius - 12.10.2020

Im folgenden Artikel versteckt sich eine ganz amüsante Finte der Azeris: angeblich unterhielten die Azeris eine gefälschte Netzseite auf welcher sie scheinbar Spenden für Armenien sammelten, nur dass diese dann nach Azerbeidschan gingen. Ein hübsches Beispiel für unkonventionelle Kriegsführung:

https://greekcitytimes.com/2020/10/13/pontian-greek-society-in-the-usa-donates-100000-for-armenian-brothers/

Zitat:A fake website created by Azerbaijan to steal money from well intended people wanting to support Armenia was brought down by hackers belonging to Anonymous Greece, as reported by Greek City Times.



RE: Armenien vs. Aserbaidschan - lime - 13.10.2020

(10.10.2020, 21:24)Quintus Fabius schrieb: Ständig neue Waffenstillstände sind heute ein wesentlicher Teil der Kriegsführung. Sie nützen militärisch und Syrien hat klar gezeigt wie man einen Feind in einer endlosen Kette von kurzen regional begrenzten Schlägen und Waffenstillständen um die Gewinne zu konsolidieren niederkämpfen kann und die sogenannte internationale Gemeinschaft dann mit der kindlich-naiven Hoffnung auf Frieden auf jeden noch so lächerlichen Pseudo-Waffenstillstand anspringt.

Wenn dieser Waffenstillstand tatsächlich von diesem Muster abweichen und nicht allein ein Mittel zum Zweck sein sollte, dann kann das eigentlich nur an einer russischen Intervention hinter den Kulissen liegen und entsprechendem russischen Druck. Wir werden es in Kürze sehen.

Das hat nichts mit der heutigen Zeit zu tun, sondern mit der Mentalität in diesen Staaten bzw. eher Stammesregionen.


RE: Armenien vs. Aserbaidschan - Quintus Fabius - 17.10.2020

Sporadische gegenseitige Raketenangriffe:

https://twitter.com/AFP/status/1317325213261058049/photo/1

und die Fortführung des Propagandakrieges:

https://twitter.com/Jake_Hanrahan/status/1316762077848104968

zeigen meiner Meinung nach auf, dass der Konflikt noch geraume Zeit so weiterköcheln wird.


RE: Armenien vs. Aserbaidschan - lime - 17.10.2020

(17.10.2020, 18:24)Quintus Fabius schrieb: Sporadische gegenseitige Raketenangriffe:

https://twitter.com/AFP/status/1317325213261058049/photo/1

und die Fortführung des Propagandakrieges:

https://twitter.com/Jake_Hanrahan/status/1316762077848104968

zeigen meiner Meinung nach auf, dass der Konflikt noch geraume Zeit so weiterköcheln wird.

Etwa 5-10% von Berg Karabach dürften inzwischen von Aserbaidschan besetzt sein. Wie schnell es weitergeht wird man sehen.


RE: Armenien vs. Aserbaidschan - hunter1 - 17.10.2020

Neuer Waffenstillstand:
Zitat:BAKU/YEREVAN (Reuters) - Armenia and Azerbaijan said they had agreed on Saturday to a new humanitarian ceasefire from midnight (2000 GMT) in fighting over Azerbaijan's ethnic Armenian-controlled enclave of Nagorno-Karabakh.

Quelle: https://www.swissinfo.ch/eng/reuters/armenia-and-azerbaijan-agree-new-nagorno-karabakh-ceasefire/46102904

Der soll ebenfalls ein "humanitärer Waffenstillstand" sein, also wie beim letzten Mal. D.h., man wird die Toten bergen, Gefangene austauschen und die eigenen Stellungen konsolidieren. Danach gehts wieder weiter. Warum Aserbaidschan überhaupt mitmacht, das verstehe wer will. In den letzten Tagen wurden im Süden von Bergkarabach einige Ortschaften durch die Aseris besetzt. Das einzige Mittel der Armenier scheinen zurzeit die Terrorangriffe auf aserbaidschanische Städte zu sein (z.B. Ganja gestern Nacht). Militärisch gehts nach allen Berichterstattungen nur in eine Richtung und es sieht nicht gut aus für die Armenier. Es fehlen allerdings verlässliche Angaben zu den aserbaidschanischen Verlusten, Baku hält sich dazu sehr bedeckt.


RE: Armenien vs. Aserbaidschan - lime - 18.10.2020

(17.10.2020, 23:06)hunter1 schrieb: Neuer Waffenstillstand:
Zitat:BAKU/YEREVAN (Reuters) - Armenia and Azerbaijan said they had agreed on Saturday to a new humanitarian ceasefire from midnight (2000 GMT) in fighting over Azerbaijan's ethnic Armenian-controlled enclave of Nagorno-Karabakh.

Quelle: https://www.swissinfo.ch/eng/reuters/armenia-and-azerbaijan-agree-new-nagorno-karabakh-ceasefire/46102904

Der soll ebenfalls ein "humanitärer Waffenstillstand" sein, also wie beim letzten Mal. D.h., man wird die Toten bergen, Gefangene austauschen und die eigenen Stellungen konsolidieren. Danach gehts wieder weiter. Warum Aserbaidschan überhaupt mitmacht, das verstehe wer will. In den letzten Tagen wurden im Süden von Bergkarabach einige Ortschaften durch die Aseris besetzt. Das einzige Mittel der Armenier scheinen zurzeit die Terrorangriffe auf aserbaidschanische Städte zu sein (z.B. Ganja gestern Nacht). Militärisch gehts nach allen Berichterstattungen nur in eine Richtung und es sieht nicht gut aus für die Armenier. Es fehlen allerdings verlässliche Angaben zu den aserbaidschanischen Verlusten, Baku hält sich dazu sehr bedeckt.

Es kommt ganz darauf an wie hoch die Verluste der Azeris werden und wie viele islamistische Kämpfer sie aus dem Ausland rekrutieren können. Wenn der Blutzoll hoch genug ist kann eine elastische Verteidigung der Armenier viel erreichen.


RE: Armenien vs. Aserbaidschan - Pogu - 18.10.2020

Strategisch ist im Vorteil - A. oder A. - je nachdem, durch:
Verbündete, Partner, Hilfen etc.

Operativ ist im Vorteil - A. oder A. - je nachdem, durch:
(in diesem speziellen Konflikt zu diesem konkreten Zeitpunkt) schnellere Logistik als der jeweils andere.

Taktisch ist im Vorteil - A. oder A. - je nachdem, durch:
Klassisches Soldatenhandwerk durch alle Ränge hindurch.

Dieser spezielle Konflikt ist meiner persönlichen Auffassung nach ausschließlich strategisch determiniert. Denn was immer dem Aggressor möglich ist, ist es ihm nur durch das Gewährenlassen anderer und virl gewichtigerer "Akteure".


RE: Armenien vs. Aserbaidschan - lime - 18.10.2020

(18.10.2020, 13:57)Pogu schrieb: Strategisch ist im Vorteil - A. oder A. - je nachdem, durch:
Verbündete, Partner, Hilfen etc.

Operativ ist im Vorteil - A. oder A. - je nachdem, durch:
(in diesem speziellen Konflikt zu diesem konkreten Zeitpunkt) schnellere Logistik als der jeweils andere.

Taktisch ist im Vorteil - A. oder A. - je nachdem, durch:
Klassisches Soldatenhandwerk durch alle Ränge hindurch.

Dieser spezielle Konflikt ist meiner persönlichen Auffassung nach ausschließlich strategisch determiniert. Denn was immer dem Aggressor möglich ist, ist es ihm nur durch das Gewährenlassen anderer und virl gewichtigerer "Akteure".

Aktuell 3:0 für die Azeris vermute ich.