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RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Pogu - 15.11.2022 Ich glaube, daß Führung (im westlichen Sinne des Wortes) das Missing Link ist. Ohne Pannen, Wendungen und Verunmöglichungen wäre sowieso alles bloße Choreographie und würde Führung nicht benötigen, allenfalls Koordination. Auch (freilich relativ) gut ausgebildete Soldaten machen ohne adäquate Führung keinen schlanken Fuß am Gefechtsfeld. Es ist wie mit einem zugeworfenen Ö-Norm Ziegel: bei aller stets publikumswirksamer Wucht, treffen muß er ... zumindest in die Nähe (reicht erfahrungsgemäß als Aufmerksamkeitserreger). ☄️ Jede Mühe, die nicht gelenkt wird, ist vergeudet. Irgendwer muß die Leute ja schippenweise einteilen, sie schnappen und dann systematisch und konsequent führen um mit ihnen systematisch und konsequent einen Auftrag zu erfüllen. Dazu muß man geschult werden, das ist klar. Der Rest ist Detail ... des Scheiterns. RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Quintus Fabius - 15.11.2022 Zweifelsohne aber man sollte meiner Auffassung nach zugleich immer auch von einem gewissen Führungsversagen ausgehen, da die Führung wie alle Unterstützungsaufgaben ganz genau so nie praktisch real so funktioniert wie es rein theoretisch möglich wäre. Entsprechend sollte man alle Doktrin, Konzepte und Pläne so fassen, dass sie möglichst resistent gegen etwaiges Führungsversagen sind bzw. auch bei schlechterer oder zusammenbrechender Führung trotzdem weiter funktionieren. Ich sprach da früher immer von einer für den Krieg notwendigen Führungs-Resilienz. Der Begriff bezog sich dabei nicht nur auf die Führung selbst, sondern auch auf die Geführten. RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Pogu - 15.11.2022 Ich könnte nicht völliger beipflichten, sehr geschätzter @Quintus_Fabius! Wie Waffen, Ausrüstung und Einrichtungen, sollten auch Verfahren unbedingt nach ihren geringsten gezeigten Fähigkeiten bewertet werden, nicht nach ihren besten gezeigten. Der militärische Kampf ist geradezu gekennzeichnet von Unwägbarkeiten. Und gerade der Umgang mit Unwägbarkeiten unter permanent widrigen Bedingungen ist "die" militärische Anforderung auf sämtlichen Ebenen. Dinge funktionieren ... bis sie es nicht mehr tun. Das ist normal, muß sogar erwartet werden und darauf ist sich vorzubereiten. Die Appachen unter Geronimo und Cochise erschienen den "Bleichgesichtern" oftmals geisterhaft, weil sie wie vom Erdboden verschluckt waren, wo aber ein Entkommen gar nicht menschenmöglich war. Weil sie auf so unerklärliche Weise nicht zu fassen waren, setzte man am Ende 25 Prozent (!!!) der damaligen Kopfzahl der Armee ein .... gegen dann nur noch 37 (!!!) Apachen. In ihren Ausweichmanövern ritten die Apachen ihre Pferde mit Vorsatz zu Tode. Anschließend aßen sie diese und liefen (tatsächlich laufend) weiter. Deshalb hatten sie kniehohe Stiefel, im Grunde Mokassins mit Stulpen. Diese Stulpen wurden auf Knöchelhöhe abgerollt getragen, außer zu drei Gelegenheiten: Kälte, Ritt durch engen Bewuchs, Fußlauf. Das Pferd war ihnen überlebenswichtig, aber sie bereiteten sich auf deren Ausfall vor. Von Jugend an bestand etwa ein regelrechtes Training darin, mit Wasser im Mund zu laufen und erst am Ziel das Wasser auszuspucken. Eine Methode, die unverändert von verschiedenen Spetsnaz Einheiten der 60er Jahre übernommen wurde. Die Apachen haben sich also ausrüstungstechnisch und trainingstechnisch auf den Ausfall des "überlebenswichtigen" Pferdes vorbereitet. Warum? Weil Pferde ausfallen ... und weil die Apachen aber dennoch weiterkämpfen. Sie fliehen und stehlen oder rauben sich neue Pferde. Die reiten sie tot, essen sie, laufen zu Fuß gewaltige Strecken weiter ... Sie lebten, kämpften, stahlen, raubten und flohen in räumlicher und kultureller Enge zu den Rarámuri. Die Rarámuri sind ein sogenanntes Laufvolk. 120 km Läufe in einem durch, mehr oder weniger, sind nicht etwa individuelle Leistungen innerhalb dieses Volkes, sondern für einen großen Anteil üblich. Die Appachen hatten also ebenso ihre Unwägbarkeiten und Wägbarkeiten, aber sie haben sich systematisch und konsequent (schon wieder diese Begriffe) darauf vorbereitet. Mustergültig sogar. Waren sie resilient? Nochmal gesagt: mustergültig sogar. RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Quintus Fabius - 28.11.2022 Stephen Biddle ist ein vor mir seit vielen Jahren sehr geschätzter Autor in kriegswissenschaftlichen Fragen. Umso erfreuter bin ich einen Artikel von ihm in Bezug auf die Schlussfolgerungen aus dem Ukrainekrieg hier vernetzen zu können: https://warontherocks.com/2022/11/ukraine-and-the-future-of-offensive-maneuver/ Zitat:Editor’s note: This is the first installment of a two-part series on the contemporary challenges to offensive maneuver based on observations from the war in Ukraine, and the implications for the U.S. Army. Den zweiten Teil sobald er erscheint. In diesem Kontext eine Buchempfehlung, welche mich seit ihrem Erscheinen eigentlich durchgehend begleitet und mein militärisches Denken nicht unerheblich beeinflusst hat: https://www.amazon.de/Military-Power-Explaining-Victory-Defeat/dp/0691128022 RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - voyageur - 28.11.2022 DIE RUSSISCHE VERTEIDIGUNGSINDUSTRIE ZWISCHEN ENTSCHEIDUNGEN UND RÜCKSCHLÄGEN! Blblachar (französisch) Die russische Landwaffenindustrie, deren Leistungen nach wie vor schwer einzuschätzen und zu quantifizieren sind, scheint dennoch weiterhin Geräte zu produzieren und neue Entwicklungen für bestehende Panzer zu entwickeln. Diese relative Verwirrung wird durch die von mehreren Medien verbreiteten Informationen über bestimmte Programme und Geräte aufrechterhalten. In der Praxis leidet das russische Material weiterhin unter erheblichen technischen Mängeln, die zur Zerstörung oder zum Rückzug aus dem Kampfgebiet führen. [Bild: https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEia4ExtwVfqRve-vZuGdcsugd-Eni3EVKNDPEeZ2Vw_6P9tEXjEGoXJuMs585f7JTdfrzYmK9Fa-BeMXmPk0Pf8kkLMxRgW5t5kPIccob_8pcAAWRMegWy-bEC8V1LJxAzTTS0vtVMt5Qp5o__hscSTQ4iduWK0YmRnc7GfnWiuc0H3wE-M6fybimOg/w200-h113/T-14.jpg] Am 11. November kündigte die Moscow Times (eine unabhängige Tageszeitung, deren Journalisten nach dem Gesetz über "Fake News" im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine nach Armenien umgesiedelt wurden) die Einstellung des T-14-Panzerprogramms an und titelte "20 Billionen in den Müll. Größtes staatliches Waffenproduktionsprogramm in der Geschichte Russlands aufgrund von Fehlschlägen in der Ukraine eingestellt". Laut dem russischen Medium soll Wladimir Putin Anfang November die Anweisung erteilt haben, die Beschaffungsstandards der Armee zu überarbeiten und sie bis zum 14. November "mit dem tatsächlichen Bedarf" der Armeen in Einklang zu bringen. Das vom russischen Präsidenten herausgegebene Dokument, das die früheren Anweisungen zur Regelung der Aktivitäten der Staatsindustrie außer Kraft setzt, hätte also zur Folge, dass die Entwicklung des T-14 gestoppt würde, da sie als unvereinbar mit der Neufestlegung der Prioritäten im Zusammenhang mit den Operationen in der Ukraine angesehen wird. Dies würde die von Wally Ademeyo, Unterstaatssekretär im US-Finanzministerium, beschriebene Situation bestätigen, wonach der russische militärisch-industrielle Komplex nicht mehr in der Lage ist, kritische Ausrüstung für die Operationen in der Ukraine zu produzieren und zu warten. Diese Schwierigkeiten würden durch die Auswirkungen der westlichen Sanktionen verstärkt, die der Industrie High-Tech-Komponenten, insbesondere im Bereich der Mikroelektronik, entziehen. Wie ein Dementi zu den Aussagen von W Ademeyo zeigte ein auf Twitter verbreitetes Video einen T-14 (offensichtlich ohne Stabilisierung der Hauptbewaffnung), der sich neben russischen Soldaten bewegte. Auch wenn nicht bekannt ist, wann die Aufnahmen entstanden sind, lässt sich anhand der Bilder erkennen, dass der T-14 von einer operativen Indienststellung noch weit entfernt zu sein scheint. Wie auf den ersten Bildern, die im Oktober letzten Jahres veröffentlicht wurden, scheint der Klang des Auspuffs des T-14 eher dem einer Turbine als dem eines Dieselmotors zu entsprechen, mit dem der T-14 normalerweise ausgestattet ist. Uralvagonzavod sollte noch in diesem Jahr mit der Serienproduktion des T-14 beginnen, wobei die ersten Lieferungen im nächsten Jahr erwartet wurden. Im Gegensatz zu diesen Meldungen nähren die russischen Medien weiterhin Zweifel am Potenzial der Rüstungsindustrie des Landes. Bei Dimitri Medwedews letztem Besuch in einer Waffenfabrik wurde eine neue Version eines bekannten Fahrzeugs, des T-72, vorgestellt. Das neue "Objekt 2022", das auf den von einem treuen Leser, dem Blablachars für seinen Beitrag dankt, zur Verfügung gestellten Aufnahmen zu sehen ist, erhielt den Namen T-72B3M YBX. Der T-72B3M ist dem T-72B3M recht ähnlich, doch wurden an diesem neuen Fahrzeug mehrere äußere Veränderungen vorgenommen, die vor allem den Schutz betreffen. Die traditionellen Kotflügel, mit denen die verschiedenen Versionen des Panzers ausgestattet waren, wurden durch gepanzerte Schutzelemente ersetzt. Diese Ergänzung ermöglicht den vorderen Schutz des Fahrwerks und insbesondere der Spannrolle. Der Turm profitiert von einer Neuordnung der Panzerungselemente sowie von zusätzlichen Panzerungselementen im Bereich der Kanonenmaske, einem Bereich, der bei früheren Versionen des Panzers nur schwach geschützt war. Während der T-72B3M von den Lehren aus den Einsätzen in Syrien profitierte, ist es wahrscheinlich, dass das Objekt 2022 das Ergebnis der Lehren ist, die seit dem Beginn der "Sonderoperation" in der Ukraine am 24. Februar dieses Jahres gezogen wurden. [Bild: https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhaMi-EIMWArqxr1-uaFU6m9MmQp0O0eDQheQr1yp8rjU1OdGdSfBGHousH-3XvOIMi6YwDdZ77O_roHNiFfmCXFxJm133qxDz9PPmeGqZz1bWtTYmGrOR97NsKXyNwJHXBwyA6rQW0hesoQUY-ntI8ZqHyT2lpxaSkqIdq15_EHPMluOLWWC2fSCzY/w640-h360/Objekt%202022%202.jpg] Der T-72B3M YBX [Bild: https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiGghtxOdosFmgVJ8d6oImmgpZ9uqwgNvONREh2FbtVUEfegnANL0ZPHeqwNZI0coMCl_Cag4EHDZnoppqpR5kTe-83A34hjL4Mh3lbzSL9Vz0wDXjifS8A0ejGsgXNXfbLg71ETnaCndR-AEQWPk0QyHLAR2-6X8BFS0zAawdidnPIA53ePdeCiTuF/w640-h426/Objekt%202022.jpg] D. MEDVEDEV bei einem Besuch an einer Produktionslinie. Eine weitere Enttäuschung für die russischen Streitkräfte könnte der überstürzte Abzug der BMP-T Terminator aus dem Einsatzgebiet nach ihrer Ankunft sein. Mehreren Berichten zufolge wurde die Entscheidung nach dem ersten Einsatz des Unterstützungsfahrzeugs an der Seite von Panzern der 90. Panzerdivision in der Region Luhansk getroffen, wo sie im Mai gesichtet worden waren. Der Terminator soll zahlreiche Zuverlässigkeitsprobleme gehabt haben und auch unter seiner schlechten Beweglichkeit und der geringen Reichweite seiner Kanonen gelitten haben, was ihn für Langstreckeneinsätze ungeeignet machte. Obwohl die Informationen nicht offiziell bestätigt wurden, wurden mehrere dieser Maschinen angeblich gezwungen, die Kampfzone zu verlassen, nachdem sie von der ukrainischen Artillerie ins Visier genommen worden waren. Der überstürzte Rückzug und die Entflechtung der BMP-T Terminator könnte das Ende der Einsatzkarriere dieses außergewöhnlichen Geräts einläuten, von dem die russischen Streitkräfte viel erwartet hatten. [Bild: https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhjuaw2rNha4m3Q67GfdpMfBaLaZhQAiJbzqEiAq2YsIOyVRst1S61HX5uYRkM1ovcN0MBuDKqChl_uQE-59tXtDgQ5ueUyWeOOHzZ5PePviqdwiucUozD-q-zfwwAdLv6dOaT_ZbC_wYIH9jpJGD1RUXoE3m5apgn24fJvsaxPN2Kp7792LMvOAF2j/w640-h412/BMPT%20au%20combat%202.jpg] Zwei BMP-T zur Unterstützung Der Konflikt in der Ukraine, der gestern in seinen neunten Monat eintrat, hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Funktionsweise einer Reihe von staatlichen Einrichtungen, die bislang als von den Unwägbarkeiten der russischen Politik unberührt galten. Abgesehen von den menschlichen und moralischen Folgen der Verluste für die russische Armee beeinträchtigen diese auch die Regenerationsfähigkeit der Rüstungsindustrie und ihre Glaubwürdigkeit auf den Exportmärkten, die durch die Unfähigkeit, laufende Aufträge zu erfüllen und leistungsschwache Ausrüstungen zu vermarkten, ernsthaft gefährdet ist. RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Nicht_Peter - 30.11.2022 Gewohnt herausragend analysierter, sehr umfangreicher Bericht des RUSI: https://static.rusi.org/359-SR-Ukraine-Preliminary-Lessons-Feb-July-2022-web-final.pdf RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Quintus Fabius - 21.12.2022 Zum Luftkrieg in der Ukraine: https://www.atlanticcouncil.org/programs/scowcroft-center-for-strategy-and-security/forward-defense/airpower-after-ukraine/ Zum Cyberkrieg: https://www.lawfareblog.com/cyberwar-ukraine-what-you-see-not-whats-really-there Und zum Landkrieg von mir noch eine rein persönliche Wahrnehmung: Auch wenn von außen immer der Eindruck entsteht, in der Ukraine seien Fronten welche dicht mit Soldaten besetzt sind und daher sei das von mir seit Jahren propagierte Kriegsbild eines Truppenleeren Raumes falsch, ein genauerer Blick zeigt meiner Meinung nach immer mehr, dass selbst an der Front wo die größte Truppendichte per Raumeinheit steht diese in Wahrheit verblüffend gering ist. Teilweise halten Züge einen ganzen Kilometer. Stark ausgeblutete Bataillone sollen 5 km oder mehr halten. Und dahinter nichts oder irgendwann mal Kilometer entfernt eine Kompanie als Reserve. Und hinter dieser wieder nichts. Beide Seiten versuchen krampfhaft so viel Gelände wie möglich zu halten. Selbst wo heftig gekämpft wird, selbst in Bakhmut, steht eigentlich nicht so viel wie man klassischerweise für so eine Schlacht bzw. so einen Raum annehmen würde. Gerade deshalb sinkt die Truppendichte dann in anderen Räumen noch mehr ab, weil man die verfügbaren Truppen derart dünn als Linie quer übers Land verteilt. Um gröbstmöglich ein historisches Beispiel als Illustration zu setzen: In der Lineartaktik stellte man auch die Truppen in dünnen langgezogenen Linien auf. Diese Linien wurden dann von den geballten Haufen der Ära Napoleons nach belieben durchstoßen. Das würde dort auch passieren, hätte eine der beiden Seiten die Mittel dazu - noch darüber hinaus aber vor allem anderen das Konzept dafür. Stattdessen verkleckert man seine Verbände um nur ja möglichst alles gleichzeitig zu besetzen. Im Fall der Ukraine teilweise zwangsweise, im Falle der Russen aber meiner Überzeugung nach klar aus Unfähigkeit und als entscheidenden Fehler. Eine Konzentration der Truppen in bestimmten Schwerpunkten unter bewusster Zulassung von Lücken zwischen diesen (Truppeninseln in Räumen geringster Truppendichte) würde es gerade den Russen ermöglichen wieder Bewegung in die Sache zu bringen. Dazu fehlt aber anscheinend das handwerkliche Können, die Führung und auch die Kommunikationsmöglichkeiten um dann sich koordinieren zu können. Das ganze ist also ein Resultat von Führungs- und Organisationsproblemen. Quantiativ stärkere mechaniserte Verbände die zusammen bleiben könnten aktuell in der Ukraine eigentlich fast nach Belieben dort durch die Linien stoßen und das ganze Hinterland dann zum Einsturz bringen. Da würde an vielen Stellen einfach schon ein komplettes Panzer-Bataillon reichen, stattdessen verkleckert man die Kampfpanzer auf Vorstöße im Zugrahmen, wenn überhaupt. RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Schneemann - 21.12.2022 Zitat:Teilweise halten Züge einen ganzen Kilometer. Stark ausgeblutete Bataillone sollen 5 km oder mehr halten. Und dahinter nichts oder irgendwann mal Kilometer entfernt eine Kompanie als Reserve. Und hinter dieser wieder nichts. Beide Seiten versuchen krampfhaft so viel Gelände wie möglich zu halten. Selbst wo heftig gekämpft wird, selbst in Bakhmut, steht eigentlich nicht so viel wie man klassischerweise für so eine Schlacht bzw. so einen Raum annehmen würde. [...]Diesen Eindruck hatte ich auch schon. Es ist sicherlich so, dass an Brennpunkten die Konzentration an Truppen höher liegt, aber dies ist nicht dem eigentlichen Ziel primär geschuldet, sondern einfach auch aus dem Umstand herleitbar, dass man eben Brennpunkte irgendwie, geradezu krampfhaft, bilden muss, um noch halbwegs eine Initiative zu bewahren (oder zumindest den Anschein zu erwecken). Das Wetter und den Schlamm etc. mal außen vor: Fakt dürfte sein, dass die Russen, wenn sie nun auf die Rote Armee treffen würden, die die Vorgehensweise der sog. "Tiefen Operation" noch beherrschen würde, hoffnungslos verloren wären. Vermutlich würden aber die Ukrainer auch nicht viel besser wegkommen, wenn ein entschlossener und taktisch gut aufgestellter Gegner zu einer Durchbruchsschlacht ansetzen würde. Dass dies nicht geschieht, liegt daran, dass wir es eben in der Ukraine mit zwei recht ausgepumpten Gegnern zu tun haben, die dazu derzeitig nicht in der Lage sind. Wir sehen derzeit also höchstens noch eine blutige Kaschemmenprügelei, wo sich zwei ineinander verschlungene Gegner versuchen mit Leberhaken zu traktieren... Schneemann RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Quintus Fabius - 21.12.2022 Eine weitere zwingende Schlussfolgerung daraus ist, das man länger und umfangreicher als der Feind eine strategische Reserve erhalten bzw. bilden muss. Weil diese dann entscheidend wird wenn der Krieg länger dauert. Auch meine alten Annahmen zur heute größeren Bedeutung der Auftaktschlacht haben sich bewahrheitet. Verliert man diese ist kaum noch eine zweite Chance drin. Beides hängt auch zusammen. Die extreme Schwierigkeit auch nur eine ausreichende strategische Reserve zu halten oder zu bilden erhöht noch die Bedeutung des ersten Schlag umso mehr. Man muss daher dem Krieg gleich mit dem allerersten Schlag in eine Richtung kippen die in eine unumkehrbar Abwärtsspirale für den Feind mündet. Ansonsten wird man seine Kriegsziele kaum noch erreichen können, selbst wenn der Krieg noch lange dauert. Entsprechend müssen die Streitkräfte für einen solchen entscheidenden ersten Schlag konzipiert sein. RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Quintus Fabius - 22.12.2022 Mal was ausgefallenes auf der untersten taktischen Ebene: https://www.youtube.com/watch?v=DANTP2n8x3c Ich stimme nicht allem zu was er so sagt, aber doch vielem. Die Differenzen ergeben sich aber einfach aus dem unterschiedlichen Kontext. Vielleicht für Leute ohne infanteristischen Hintergrund ganz amüsan / interessant. RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Quintus Fabius - 17.01.2023 Über Schützenpanzer im Kontext des Ukrainekriegs: Infantry Fighting Vehicles in Ukraine - losses, lessons & will Western IFVs matter? https://www.youtube.com/watch?v=UGZi-F3tz-o Zitat:While tanks and fighters tend to win public attention, the fighting in Ukraine has done a lot to remind us of the critical role played by the infantry. And to survive and thrive on the battlefield, the infantry in Ukraine rely on their armoured personnel carriers and infantry fighting vehicles to enable to enable movement and provide fire support. RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Rudi - 17.01.2023 Aber widerspricht sich das nicht, wenn er gleichzeitig sagt, daß die Schützenpanzer fürchterliche Verluste hatten ? Und liegt die Bedeutung der SPz nicht eher in der Tatsache begründet, daß die T-Modelle mittlerweile nur noch zweitklassig sind. Würde das Bild mit modernen Panzern nicht wahrscheinlich anders aussehen ? Könnte die Ukraine mit ausreichender Zahl moderner, also westlicher, Panzer nicht den Übergang zum Bewegungskrieg schaffen. Ich glaube mit dieser Art von Krieg, der schnelle Entscheidungen und Reaktionen erfordert, wären die Russen heillos überfordert. Dieser jetzige Stellungskrieg kommt ihnen dagegen sehr entgegen. RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Quintus Fabius - 18.01.2023 Krieg ist immer wiedersprüchlich. Beispielsweise könnte man in diesem Kontext anführen, dass die Bradley Schützenpanzer der USA im Irakkrieg mehr irakische Kampfpanzer zerstört haben als die M1 Kampfpanzer der USA obwohl diese explizit den Kampf mit den irakischen Kampfpanzern gesucht haben und diesen nochmals deutlich überlegener waren. Zu den hohen Verlusten an SPz: Das liegt zum einen daran, dass der Gros dieser SPz der BMP Serie angehören, der am meisten zerstörte Schützenpanzer ist beispielsweise der BMP-2. Dessen Gesamtschutz ist einfach völlig veraltet und so schlecht, dass die Truppen selbst im direkten Angriff lieber auf dem Fahrzeug sitzen als darin und dies selbst unter direktem Beschuss. Nehmen wir mal rein was das Schutzkonzept angeht einen PUMA und rüsten diesen noch mit einem Hardkillsystem neuester Art aus (Multihitfähig), dann sähe die Lage sofort vollständig anders aus. Zur Bedeutung der SPz im Kontext der T-Modelle: Der Wert bzw. die Leistung von Schützenpanzern ergeben sich nicht daraus, wie modern die jeweiligen Kampfpanzer sind. Sondern aus ihren geringeren Kosten, ihrem geringeren Regieaufwand, ihrer viel größeren Zahl, ihrem anderen Bewaffnungskonzept und ihrer Möglichkeit zugleich Infanterie oder andere Mittel zu transportieren. Das Bild würde bei Verwendung moderner Kampfpanzer daher nicht anders aussehen und ganz allgemein sinkt der Wert von Kampfpanzern ab, weil die notwendigen Zahlen die man eigentlich für eine ernsthafte offensive mechanisierte Kriegsführung benötigen würde weder beschafft noch unterhalten werden können und der Gesamtaufwand pro Fahrzeug im Verhältnis zu seinem militärischen Wert zu groß geworden ist. Darüber hinaus benötigt dieser offensive Einsatz bestimmte Umstände die man erst generieren muss und dass dazu notwendige mechanisierte Gefecht der verbundenen Waffen mit Großkampfverbänden beherrschen wir hier und heute genau so wenig wie die Russen, wenn auch teilweise aus anderen Gründen. Zur Möglichkeit eines Bewegungskrieges in der Ukraine: Auch die Ukrainer wären mit einem solchen mechanisierten Bewegungskrieg überfordert und tatsächlich wären sie vom Material wie von der rein theoretischen Befähigung dazu damit sogar mehr überfordert als die Russen es waren (sind). Moderne westliche Kampfpanzer würden daran wenig ändern. Man betrachtet da zu sehr die Plattform, dass System selbst und viel zu wenig den Gesamtverbund. Dass ist heute meiner Meinung nach ganz typisch: man betrachtet zu sehr den Kampfpanzer für sich selbst und zu wenig was alles an diesem dran hängt und was alles dafür notwendig ist, damit er überhaupt wirklich Effekte erzielen kann die substanziell sind. Das reicht so weit, dass selbst die Konzipierung neuer Kampfpanzer dieses Gesamtbild meiner Überzeugung nach zu weitgehend außer Acht lässt. Im übrigen sind schwere Kampfpanzer heute keineswegs zwingend das Mittel für einen schnellen Bewegungskrieg, denn dafür sind sie aufgrund des Gesamtsystems oft zu schwerfällig und zu langsam. Man sah und sieht das auch in der Ukraine, wo der Gros der Kampfpanzer eher wie Sturmgeschützte bzw. wie Feldartillerie (Feldkanonen) agiert und eben nicht so, wie es eigentlich mal angedacht war oder in westlichen Kreisen angedacht wird. Das schiebt man allzu leicht auf die Unfähigkeit beider Seiten, dass niedrige militärische Niveau dort usw. diese Bewertung greift aber meiner Ansicht nach zu kurz. Es hat auch einfach reale praktische Gründe die sich aus den Umständen zwingend so ergeben, warum Kampfpanzer nicht so eingesetzt werden, wie man sich das vorstellt und auch westliche schwere moderne Kampfpanzer würden daran nichts ändern. Zur Frage wem der Stellungskrieg nützt: Aktuell nützt der Stellungskrieg der Ukraine deutlich mehr als den Russen. Eine Kriegsführung die auf schnelle Bewegung setzt würde den Russen zumindest theoretisch (!) die größeren Chancen bieten. Dass sie diese höchstwahrscheinlich praktisch nicht würden nutzen können ändert nichts daran, dass die Ukraine mit einer solchen offensiven schnellen und beweglichen Kriegsführung aktuell überfordert wäre und dass eine solche Risikoreicher ist und die Russen (rein theoretisch!) dafür besser aufgestellt sind. RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Quintus Fabius - 20.01.2023 Zwei interessante Aspekte aus dem Krieg sind die erstaunliche Überlebensfähigkeit gezogener Artillerie und wie extrem unterschiedlich verschiedene Generationen von Kampfpanzern vom Kampfwert her ausfallen. Zur gezogenen Artillerie: Einer der Gründe warum diese gerade auf Seiten der Ukrainer trotz weit überlegener russischer Artilleriekräfte nicht nur überlebt, sondern sogar erhebliche Effekte erzielt ist meiner Ansicht nach eine Frage der Munition. Wenn ich endphasengelenkte Präzisionsmunition benutze, dann benötige ich sehr viel weniger Schüsse um mein Ziel zu treffen, entsprechend muss ich nicht so lange in der Feuerstellung bleiben und genau das war ja (ist ja) das primäre Problem gezogener Artillerie gewesen, dass das Abziehen aus der Feuerstellung länger dauert als bei Panzerhaubitzen et al, und damit die Zeit in welcher geschossen werden kann sehr kurz ausfällt, sogar zu kurz wenn man ungelenkte konventionelle Munition nimmt, um dann ausreichende Effekte zu erzielen. Die höhere Reichweite moderner Munition und vor allem anderen ihre Präzision ermöglichen es gezogener Artillerie wieder mehr am Kampf teilzunehmen und sogar das Artilleriegefecht zu gewinnen. Da sie zugleich weniger aufwendig ist, den logistischen Fußabdruck senkt und deutlich günstiger ist, sollte man sie durchaus ernsthaft wieder in Betracht ziehen - wenn auch immer zwingend kombiniert mit moderner Hochleistungsmunition welche entsprechend gelenkt / reichweitengesteigert ist. Zu den Kampfpanzern: Hier mal erneut ein weiteres solches Beispiel aus der Ukraine - https://twitter.com/RALee85/status/1615812451206893590/photo/1 Zitat:From a Ukrainian tank company commander, "He was particularly realistic when it came to the T-90... 'This is where the quality of what we have is important,' he said. 'If you come across a T-90, you need three of ours to deal with it — or very good luck.'” Gerade ältere Panzermodelle werden daher auf beiden Seiten immer mehr wie eine Art Feldartillerie eingesetzt und Feuern indirekt auf von Drohnen aufgeklärte Ziele. Was wiederum dazu führt, dass der Munitionsvorrat schnell erschöpft ist, weil Kampfpanzer ja nicht auf einen solchen Munitionsverbrauch als Feldartillerie hin ausgelegt wurden. RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Nightwatch - 20.01.2023 (20.01.2023, 23:10)Quintus Fabius schrieb: Gerade ältere Panzermodelle werden daher auf beiden Seiten immer mehr wie eine Art Feldartillerie eingesetzt und Feuern indirekt auf von Drohnen aufgeklärte Ziele. Was wiederum dazu führt, dass der Munitionsvorrat schnell erschöpft ist, weil Kampfpanzer ja nicht auf einen solchen Munitionsverbrauch als Feldartillerie hin ausgelegt wurden.Soviel mehr Munition führt die Selbstfahrende Artillerie auch nicht mit. Die Einsatzart hat durchaus Potential wenn man kompromisslos auf gelenkte Geschosse setzt. So wäre es etwa eine Überlegung wert, mit der Einführung der M1299 den US HBCTs das Fires Battalion zu streichen und stattdessen ein weiteres Panzerbattalion für die indirekte Feuerunterstützung einzugliedern. Streicht einen Fahrzeugtyp samt Logistikkette direkt aus dem Fuhrpark und würde letztlich jede Panzerkompanie der gesamten Einheit zur indirekten Feuerunterstützung befähigen. Die M1299 würden sich eine Ebene höher in eigenständigen Artilleriebrigaden konzentrieren. Hier auf Divisionsebene liese sich dann ihre im Vergleich zu M109 erheblich höhere Wirkreichtweite wirkungsvoller ausspielen als im Ereignishorizont einer Panzerbrigade. |