Hallo Thomas, jetzt hab ich kurz Zeit Dir zu antworten:
ThomasWach schrieb:@ Erich
Es läßt sich leicht aus der sicheren Entfernung behaupten, dass das georgische Vorgehen ein Hasardeurspiel war. Ich verneine nicht die Risikobeladenheit und die (letztlich sich erwiesene) Törichtheit des Vorgehens. Aber aus dem sicheren Bayern kann man im Nachhinein leichter solche Bewertungen fällen
dazu hab ich ja schon geantwortet
ThomasWach schrieb:... als in direkter Nachbarschaft zu russischen Truppen und mit hundertausenden Flüchtlingen im eigenen Land und einer konfliktreichen Geschichte gegenüber Russland, die vor allem aus Kampf und Krieg besteht. Da erscheinen mir einseitige Schuldzuweisungen als etwas zu simpel.
ich bin auf den neuen Spiegel gespannt, da wird auch darüber berichtet, ob Saakaschwilli den Westen belogen hat
ThomasWach schrieb:Schließlich sind in Georgien 200.000 Georgier aus Abchasien, die in folge der russ. Intervention vertrieben worden, und als Randbemerkung, das war gut die Hälfte der Bevölkerung in Abchasien (wobei dem auch blutige Kämpfe vorgegangen sind).
momentan hab ich eher den Eindruck, dass die russische Intervention erst erfolgte, nachdem Abchasien im Bürgerkrieg versank - und da hat die "Georgisierungspolitik" und das Ausschreiten georgischer Nationalisten nach der Unabhängigkeit Georgiens sicher einen guten Teil dazu beigetragen.
Fakt ist allerdings auch, dass die Abchasen nach der Unabhängigkeit Georgiens eine Minderheit in der eigenen Region waren, und inzwischen (auch "dank" des letzten Krieges, der sehr viele zurück gekehrte Georgier wieder zu Flüchtlingen gemacht hat) der georgische Bevölkerungsteil ziemlich stark zurück gegangen ist.
ThomasWach schrieb:Das ist und war ein lange schwelender Konflikt. Mir erscheint es dabei als nicht passend, eine Seite da als allein schuldig anzusehen. Wie PSL für den Balkan sagte: Es gibt nunmal keine good guys und keine bad guys, nur zwei Seiten im Konflikt.
im Grundsatz widerspreche ich Dir nicht - nur in der Aussage, dass der letzte August-Krieg letztlich von Georgien ausgelöst wurde, da bin ich unerbittlich.
ThomasWach schrieb:Russland hat genügend für den Ausbruch dieses Konfliktes getan, politisch, rhetorisch und militärisch. Ob das nun eine Falle war oder nicht, kann ich nicht entscheiden. Aber das russ. Vorgehen als bloße legitime Polizeiaktion darzustellen, ist mir ziemlich suspekt, weil ich grundsätzlich Russlands Legitimität und Funktion als Polizist in diesem Konflikt anzweifeln würde, schließlich ist und war Russland hier für seine eigenen Ziele aktiv.
Du übersiehst, dass Russland in einer Vereinbarung mit Georgien dort (leicht bewaffnete) "Friedenssoldaten" stationiert hatte, deren Aufgabe es war, die Einhaltung des Waffenstillstands zwischen georgischem Militär / Milizen einerseits und abchasischen und südossetischen Milizen andererseits zu kontrollieren und ggf. durchzusetzen.
Russland hat sich auch - zumindest die ersten Jahre - durchaus bemüht. Ein Wechsel in der Politik Russlands war erst festzustellen, als wir einerseits den Kosovo anerkannt haben und andererseits der Konflikt im Nordkaukasus (Tschetschenen) "eingefroren" werden konnte.
Das ändert aber nichts an der vertraglichen Basis zur Stationierung der russichen Truppen - und vor allem an meine Aussage, dass Russland es in keinem Fall hinnehmen konnte, dass diese Truppen von georgischen Streitkräften massiv attackiert wurden.
ThomasWach schrieb:Wenn Russland nun überall wo es ihm paßt, weiter Pässe verteilt und auch dort immer seine Bürger aktiv und aggressiv schützen will, dann könnte Russland mit solch einem unilateralen Vorgehen leicht halb Osteuropa in solch eine Polizeiaktion verwickeln.
die Verteilung von russischen Pässen in Gebieten mit russischer Bevölkerung erachte ich auch nicht unbedingt als deeskalierend - vor allem, wenn man bedenkt, dass sich Russland (wie übrigends auch die USA) - das Recht heraus nimmt, seine Staatsangehörigen "überall auf der Welt" auch militärisch zu schützen.
Ich sehe darin aber auch ein Zeichen der Schwäche; Russland verliert sich in einem gigantischen Staatsgebiet - nur dürfte die Verteilung von Reisepässen in Mikroregionen mit winzigen Einwohnerzahlen kaum geeignet sein, um den dramtischen demgraphischen Entwicklungen in Russland zu begegnen (- 500.000 p.a. nach Schätzungen des WHO).
Nun müssen wir aber mit dem "Passargument" sehr vorsichtig sein.
Auch in Deutschland gilt das "Abstammungsprinzip" zum Staatsangehörigkeitsrecht, und die vielen "Spätaussiedler" aus Wladiwostok oder Kasachstan haben von uns auch deutsche Pässe und den Schutz der deutschen Botschaft erhalten.
ThomasWach schrieb:Zudem erscheint es mir auch recht suspekt, wenn die "Entwaffnung" Georgiens hier verteidigt wird. Russland hat einfach nur seine Macht ausgespielt und demonstriert. Dass Georgien auf seinem Territorium eine ihm aufgezwängte Friedensregelung nicht akzeptiert und im Rahmen einer durch beide Seiten sich aufputschenden Eskalation gegen diese fremde Präsenz vorgeht, sollte gerade in Moskau, aber auch sonst gut verständlich sein.
Russland hat nach Jahren der Demütigung ein Signal gesetzt: "bis hierher und nicht weiter".
Es wäre den Georgieren im Übrigen auch möglich gewesen, die vertragliche Regelung, die Russlands "Friedenstruppen" in Südossetien erlaubten, zu beenden. Dieser Vertrag war (und ist) aber ungekündigt, d.h. dass sich die russischen Truppen MIT ERLAUBNIS der georgischen Regierung in der Region aufgehalten haben. Diese leicht bewaffneten Einheiten massiv anzugreifen - das war eine Aktion, die Russland schon aus Selbstachtung nicht hinnehmen konnte.
Mir ist es sehr suspekt, wenn man diese Aktion auch noch verteidigt.
Diese Friedensregelung war im Übrigen nicht aufgezwängt - sie hat aber einen Bürgerkrieg beendet, der auch von georgischen Nationalisten ausgelöst worden war.
Und Russland zeigt auch jetzt noch Mäßigung. Es wäre den Russen wohl ein leichtes gewesen, den EU-Friedensplan scheitern zu lassen und nach Tiflis vorzustoßen. Nein, die Russen beschränken sich auf die Zerstörung der militärischen "Hardware" (und sogar recht präzise, nicht mit Bombardements sondern - z.B. bei der Marine nach einer entsprechenden Attacke auf die russischen Landungstruppen - mit sehr gezielten Sprengungen).
ThomasWach schrieb:Georgien hat nicht Russland angegriffen de jure, sondern "nur" eine unverhältnismäßige Militäraktion auf seinem Territorium durchgeführt, wobei russ. Truppen involviert worden, weil sie selbst nicht neutral, sondern selbst Konfliktpartei waren, sind und sein werden.
nein:
Georgien hat einen Waffenstillstandsvertrag gebrochen, und sowohl Südossetien wie Abchasien sind völkerrechtlich in einem Zwischenstadium, das eben nicht mehr die uneingeschränkte militärische Hoheit Georgiens zum Inhalt hat.
und nochmal nein:
Konfliktpartei ist zunächst einmal jeder, der dort involviert ist - das ist zwangsläufig. Und die Russen war mit georgischem Einverständnis da - schließlich haben russische Truppen mit geholfen, einen Bürgerkrieg zu beenden, in dem sich georgische, ossetische und abchasische Milizen gegenseitig zerfleischt haben.
Fraglich ist allenfalls, ob und inwieweit es einer solchen Konfliktpartei an der notwendigen Objektivität und Neutralität fehlt.
Georgien hat einen Waffenstillstandsvertrag gebrochen und die mit georgischem Einverständnis zur Sicherung des Waffenstillstands im Land befindlichen russischen Truppen massiv angegriffen.
Dadurch wurden die Russen endgültig zur Konfliktpartei auf der Gegenseite.
ThomasWach schrieb:Daraus folgend hat Moskau klug, stark und aggressiv seinen Vorteil gezogen.
ja
aber daraus alleine kann ich - besonders bei der Art und Weise, wie Russland seine Aktionen beendet, keinen großen Vorwurf machen.
Wenn ich mir zum Vergleich das Vorgehen der USA im Irak anschaue, oder in Afghanistan, dann sehe ich, dass bei den USA keine Beschränkung im Vorgehen erfolgte, sondern auch der Regierungswechsel und die völlige Zerschlagung der bestehenden Strukturen durchgeführt wurde.
Die USA haben sich etwa nicht darauf beschränkt, Saddams Truppen zu entwaffnen ....
ThomasWach schrieb:Man muss nicht anfangen, das halbdemokratische, halbstabile, halb fragile Georgien hochzujubeln oder da Dinge zu beschönigen.
Wieso aber hier Aktionen einer autoritären und sich aggresiv gebärenden alten Großmacht mit all ihren revanchistischen Tönen so positiv dargestellt wird, dafür fehlt mir das Verständnis und wird mir auch immer fehlen.
mir fehlt das Veständnis dafür, dass man die Aktionen der georgischen Streitkräfte und der georgischen Regierung so verteidigt - die Georgier haben bewusst und massiv eine Waffenstillstandsvereinbarung gebrochen, und damit letztendlich die russische Reaktion erst ausgelöst.
Dass das Vorgehen der georgischen Regierung selbst im eigenen Land nicht auf Gegenliebe stößt macht jetzt auch "DIE ZEIT" deutlich:
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.zeit.de/online/2008/37/georgische-oppositionspartei-fordert-saakaschwilis-ruecktritt">http://www.zeit.de/online/2008/37/georg ... ruecktritt</a><!-- m -->
Zitat:Georgien
Opposition fordert Saakaschwilis Rücktritt
© ZEIT ONLINE 9.9.2008 - 15:33 Uhr
Ende des Burgfriedens in Georgien: Teile der Opposition machen den Präsidenten für den verlorenen Kaukasuskrieg verantwortlich und verlangen vorgezogene Neuwahlen
Saakaschwili habe "ohne Vernunft, eigenmächtig und verantwortungslos die Entscheidung zur Bombardierung Zchinwalis", der Hauptstadt Südossetiens, getroffen, sagte Oppositionsführer David Gamkrelidse, der Chef der einflussreichen konservativen Partei Neue Rechte. Der Präsident trage damit die Verantwortung für die "schwierige Situation" im Land. Ihm sei auch anzulasten, dass Georgien den Einfluss in seinen abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien komplett verloren habe. Vor dem Krieg hatte Georgien noch Teile der Provinzen kontrolliert.
....
ThomasWach schrieb:Man sollte letztlich vielleicht einmal überlegen, bei allem Gerede der "Demütigung Russland in den letzten Jahren durch den Westen" wieviele Jahrzehnte, wieviele Jahrhunderte Russland andere Völker und Staaten demütigte und unterdrückte. Dies produziert auch in diesen Staaten einen gewissen nationalen/nationalistischen Handlungsdruck.
das erinnert mich an die blösinnige "deutsch-französische Erbfeindschaft"; auch die konnte überwunden werden.
Russland ist nicht attraktiv genug, um andere Staaten an sich zu binden. Es hat seine Chance genutzt um zu zeigen, dass es "immer noch da ist", Russland ist "zurück auf der Weltbhne" - das wars dann aber auch.
Die EU hat wesentlich mehr Attraktivität - durch Direktinvestitionen kann sehr viel mehr Loyalität erworben werden als durch militärische Eingriffe. So - und nicht mit Raketenschutzschilden - kann Einfluss gewonnen oder begrenzt werden.
Und auch das werfe ich Saakaschwilli vor: mit europäischer Unterstützung (Georgien ist gerade als Verkehrsachse von immenser Bedeutung für Europa) hätten Georgiens "seperatistische Regionen" mit Georgien an den Westen herangeführt werden können.
Mit seiner unüberlegten und hasardartigen Militäraktion hat er diesen Weg erschwert und zusätzliche Gräben aufgerissen.