(16.02.2025, 00:16)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Das ist kein schlechtes Argument. Aber wohin wir im Rahmen einer echten Sicherheitsarchitektur in Europa müssten wäre eine gewisse Aufgabenteilung und Spezialisierung. Denn nicht nur Kriegsschiffe sind immens teuer, ebenso die notwendige Weltrauminfrastruktur, Kampfflugzeuge der nächsten Generation, Mittelstreckenraketen, Luftraumverteidigung und EloKa auf dem Stand des technisch machbaren in großer Quantität usw usw usf
Gerade aufgrund der großen Quantität halte ich es für falsch, zu sehr auf nationale Spezialisierungen zu setzen in dem Sinne, dass bestimmte Aufgabenfelder ausschließlich von einzelnen Nationen geleistet werden, während andere sich daran gar nicht beteiligen. Dafür bräuchte es eine vollendete Verteidigungsunion, die nicht absehbar ist.
Stattdessen sehe ich die Notwendigkeit zur gemeinsamen Beschaffung und dem Betrieb solcher Schlüsselfähigkeiten durch mehrere europäische Rahmennationen, aber eben schon derart, dass diese Fähigkeiten sich dann auch auf deren Streitkräfte verteilen. Der vollständige Verzicht einer der größeren EU-Nationen auf einen kompletten Fähigkeitsbereich, halte ich für unrealistisch und auch anhand des gegebenen geringen europäischen Integrationsmaßes für nicht sinnvoll.
Das steht aber nicht gewissen Spezialisierungen entgegen, wie bspw. einer Schwerpunktauslegung der Marinen auf unterschiedliche Einsatzräume, solange jeder auch grundsätzlich in der Lage ist, die anderen in ihren spezialisierten Einsatzräumen zu unterstützen. Also bspw. können die Franzosen sich gerne auf Afrika und den Indopazifik konzentrieren, während wir uns auf kältere Regionen ausrichten, sofern beide einander im Bedarfsfall verstärken können.
Zitat:Größte Volkswirtschaft hin oder her, wir haben in der Realität nicht die Mittel, eine leistungsfähige Blue Water Navy und zugleich die anderen hier genannten, ebenso wesentlichen oder sogar wesentlicheren Systeme in ausreichender Quantität bereit zu stellen.
Wir müssen diese Mittel aufbringen. Zumal ich bereits angeführt habe, es ja gar nicht zwingend so viel mehr Finanzmittel braucht, sondern die nicht-monetären Schwierigkeiten deutlich größer sind, deren Lösung sich auf alle Bereiche positiv auswirken würde.
Zitat:Und wie schon oft geschrieben muss man Streitkräfte von Grund auf, vom Fundament, von den Notwendigkeiten her aufbauen, Stück für Stück. Und es gibt wichtigeres als eine Hochseemarine
Das gilt nur dann, wenn du sowohl deine Streitkräfte, als auch deine Heimatfront ohne internationalen Seeverkehr versorgen kannst. Und das ist ganz sicher keine deutsche Stärke.
Zitat:Ich verstehe eure Grundidee ja, aber ihr umgekehrt nicht, dass ein Schwerpunkt bei der Marine jetzt der Weg in die zeitnahe strategische Niederlage ist.
Von einem Schwerpunkt bei der Marine sprichst allein du. Wir sprechen nur über deren Ausrichtung.
Zitat:Und man müsste einen Schwerpunkt bei der Marine legen um eure Pläne real werden zu lassen.
Was ich bestreite.
(16.02.2025, 00:38)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Wir haben hier verschiedene Bereiche welche darnieder liegen, wir haben eine begrenzte Menge Zeit und eine begrenzte Menge an Mitteln. Und nichts auf der Welt, auch kein noch so hoher Wehretat, ändert etwas daran, dass diese eine Frage, die Frage der strategischen Ausrichtung eine zeitkritische ist.
Warum sollte die Frage der Zeit einer Verteilung der Mittel im Weg stehen? Um effizient derart kurzfristig zu beschaffen, müssen eh die bisherigen langfristigen Verfahren umgangen werden. Der Flaschenhals wäre also keiner. Bleiben Konzeption, Personal und Geld. Zur Entwicklung einer Konzeption hat kaum eine Armee mehr Kapazitäten im Verhältnis zu ihrer Schlagkraft als wir, außerdem würden die diesbezüglichen Kapazitäten der Marine nur wenig nutzen beim Aufbau der Luftwaffe. Geld darf keine Hürde sein, sonst macht es von vornherein keinen Sinn. Personal wird der Knackpunkt, allerdings sind gerade Marine und Luftwaffe weniger personalintensiv als das Heer.
Zitat:Weil wir diese Kapazitäten auf einem Schiff sehr schnell an kritische Stellen verlegen können und sie nicht ständig dort vorhalten müssen und weil sie an Land in einem begrenzten Kriegsraum keinen Raum hinter sich haben in welchen sie sich zurückziehen können. Gerade in Bezug auf das Baltikum sind bodengestützte Systeme der Luftraumverteidigung sehr schnell an die Küste gedrängt und ins Meer geworfen.
Du siehst das zu sehr auf einen Einsatz im Baltikum bezogen. Für mich ist eher Polen das Haupteinsatzgebiet. Und dort haben wir den Rücken frei.
Zitat:Darüber hinaus kann man auf dem Wasser hier mehr Abstand halten und hat einen größeren Raum in welchem der Gegner einen erstmal auftreiben und dann angesichts der eigenen Abwehrfähigkeiten mehrerer solcher Schiffe zusammen auch erstmal wirklich treffen muss.
Ich würde ein großes Schiff auf offener See jetzt nicht unbedingt gegenüber den Deckungs- und Dislozierungsmöglichkeiten von Lkws in Polen vorziehen.
Zitat:In diesem Kontext möchte ich mal darauf verweisen dass entsprechende Schiffe schon oft in solchen Szenarien entsprechend immens wertvolle Dienste geleistet haben.
Können sie ja auch tun. Wenn das Szenario passt, ist das ja auch legitim. Ich denke nur, dass diese Szenarien nicht so häufig sein dürften, dass es Sinn ergibt, die Schiffe dafür zu betreiben, sondern man sollte dafür dann im Bedarfsfall Schiffe hinzuziehen, die im Regelfall an anderer Stelle eingesetzt werden.
Zitat:Und die paar U-Boote die da übrig bleiben wird man anfangs so oder so nicht greifen können. Die wird man langsam und mühsam abarbeiten müssen, so oder so.
Da wäre ich mir nicht so sicher. Bei einem gut aufgestellten Nordmeer-ASW-Verbund halte ich es durchaus für wahrscheinlich, dass man bei Kriegsausbruch bereits relativ gut darüber Bescheid weiß, welche U-Boote wo unterwegs sind. Deshalb plädiere ich ja immer dafür, einen solchen Verbund dauerhaft zu etablieren und nicht nur einzelne Übungen dafür durchzuführen.
Zitat:Hierfür sollte man so wenig Mittel wie notwendig ansetzen, weil dies ansonsten gerade eben für die Russen einen Vorteil darstellt, wenn wir erhebliche Mittel für weniger erhebliche Ziele binden.
Dem Argument würde ich folgen und bin demzufolge auch nicht der Meinung, dass wir unsere Hoschseeflotte deutlich vergrößern müssen, wir sollten sie nur anders aufstellen und einsetzen sowie insbesondere mit der Ostsee anders verfahren.
Zitat:welche Enge? Gegen welchen Feind? Was exakt ist der Auftrag? Wie wird dieser exakt erfüllt? Was ist dafür notwendig?
Allgemeinplätze beantworten nicht die Frage...
Wir könnten nun jedes einzelne Szenario durchgehen, aber im Kern muss man doch erstmal festhalten, dass wir keine dieser Engstellen alleine verteidigen würden. Es geht dort immer um Einsatz im Bündnis. Das gilt für uns genauso wie für alle unsere europäischen Verbündeten.
Zitat:Einige Fregatten und Zerstörer reichen dafür bei einem ernsthaften Krieg gegen den Iran in keinster Weise.
Warum sollten wir den alleine führen? Als ob der Iran auf die Idee käme, ausschließlich Schiffe mit Bestimmungsort in Deutschland zu versenken, sobald sie sich dem Horn von Afrika nähern.
Das ist so als würdest du verlangen, dass das Deutsche Heer ganz alleine erfolgreich eine russische Invasion aufhalten können muss.
Zitat:Dann kannst du zwar ohne die USA das Rote Meer sichern, verlierst aber den Krieg gegen Russland.
Du kämpfst nicht gegen beide gleichzeitig. Die Seefahrtswege im Süden schützt du zu Friedenszeiten mit den selben Einheiten, die im Krieg an der Nordflanke den Angriff auf Murmansk decken. Die Zeit ist nämlich auch da ein Faktor. Die Seefahrtswege und auch die Unterwasserinfrastruktur sind eine Daueraufgabe zu Friedenszeiten, die in einen kurzen, aber harten offenen Kampf gegen Russland vorübergehend ausgesetzt werden müssen und können.
Zitat:Solche Ideen gefallen mir naturgemäß sehr gut.
Hab' ich mir schon gedacht. Ich bin auch selbst angetan von dem Gedanken.
Zitat:Ich würde eine solche Streitkraft aber nicht zwingend als eigene Teilstreitkraft sehen (so eine Art deutsches USMC), sondern man könnte sie auch als eine Art Joint Command aufstellen, das von den anderen Teilstreitkräften zusammen gestellt wird, spezifisch für den Krieg in Osteuropa.
Ich bin ja selbst -wie du weißt- kein Freund des Konzeptes der TSK, aber da wir sie nunmal haben, war meine Idee dahinter vor allem die, dass man aus dem Mindset der klassischen TSK ausbrechen kann und somit eben verhindert, dass zu sehr ein maritimer oder anders herum "terrestrischer" Blick auf die Küstenkriegsführung Einfluss nimmt.
Außerdem könnte so eine Neuaufstellung mMn vieles paradoxerweise sehr beschleunigen, weil man nichts erst aufbrechen und umbilden muss, man stellt es einfach direkt so auf, wie man es braucht.
(16.02.2025, 00:50)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]An anderer Stelle skizzierte ich beispielsweise mal vor ein paar Jahren einen Verband der von Nordnorwegen aus auf der Stelle Murmansk überrennt, da er nur ungefähr 150 km zurück legen muss bis dorthin. Auch für eine solche Operation benötigt man eine entsprechende maritime Flankierung.
Ein äußerst verlockender Gedanke. Ein Angriff über Murmansk nach Süden würde nicht nur die Nordflotte egalisieren, sondern auch eine kritische Flanke eröffnen, an der die europäische NATO über hochspezialisierte, kampfstarke Truppen verfügt, die von dort einem Angriff auf das Baltikum in den Rücken fallen könnten und dessen Abwehr große feindliche Kräfte binden würde, während ein Verlust Kareliens in der russischen Innendarstellung noch vergleichsweise einfach zu überspielen sein dürfte, um nicht in die nukleare Eskalation verfallen zu müssen.
Dieses Szenario in Ergänzung einer handstreichartigen Einnahme Königsbergs zeigt eigentlich sogar recht gut, wie man einem russischen Angriff auf das Baltikum mit Entschlossenheit und Schlagkraft begegnen müsste, um einen schleichenden und verlustreichen Kampf zu vermeiden.