ede144:
Zitat:Die Wehrpflicht war ein Bürgerrecht das sich die Bevölkerung erkämpft hat. Damit waren die Söldnerheere dem Einfluss der Fürsten zum Einsatz gegen die eigene Bevölkerung entzogen. Und nur weil ein afrikanischer Diktator dieses Recht in eine Sklaverei pervertiert, lassen wir uns dieses Bürgerrecht nehmen? Was für wie Geschichtsvergessensheit.
Das ist eine gelinde gesagt interessante Interpretation der Geschichte, die meiner Meinung nach zu stark von der ganzen Propaganda über die ach so großartige französische Revolution geprägt ist. Tatsächlich wurde die Wehrpflicht eingeführt um größere Armeen finanzierbar zu machen, die mangelnde Loyalität der Söldnerheere als Problem zu überwinden und die Bevölkerung besser unterdrücken zu können, weil sie im System der allgemeinen Wehrpflicht dem Staat stärker unterworfen wird. Zudem ermöglichte es die Wehrpflicht die Bevölkerung besser mit Propaganda und Hurra-Patriotismus zu manipulieren und eine entsprechende Einstellung zu produzieren welche es den Eliten ermöglichte die einfache Bevölkerung besser im Krieg zu benutzen. Erste Ansätze dazu gab es in Schweden schon während des Dreißigjährigen Krieges und wie auch später in jedem anderen folgenden Fall war der Mangel an Truppen für die weitere Kriegsführung der einzige und primäre Grund dafür.
Hier von einem Bürgerrecht zu sprechen ist daher meiner Ansicht vollkommen falsch. Im weiteren behielt sich der Adel auch nach Einführung der Wehrpflicht das Recht vor den Krieg zu führen, nur dass er halt dann zunehmend sich selbst weniger darin opferte, denn dafür hatte man ja nun die Wehrpflichtigen.
Zu keinem Zeitpunkt hat sich die Bevölkerung eines Landes eine Wehrpflicht erkämpft. Diese wurde von oben mit Zwang eingeführt. Und auch in der französischen Revolution wurde sie dann von der Republik von oben her mit Zwang eingeführt. Und auch hier war der Grund für das Levee en masse exakt der gleiche: die Truppenstärke war durch die ständigen Angriffskriege der Republik auf andere Länder zu stark abgesunken und die Qualität der Truppen war zu schlecht - weshalb man auf mehr Masse setzte um weiter andere angreifen zu können.
Nicht die Bevölkerung hat sich hier ein Recht erkämpft, Lazare Carnot brachte ein Gesetz ein damit die Republik den Ersten Koalitionskrieg gewinnt.
Dass sich die Wehrpflicht dann durchsetzen konnte lag vor allem an der erheblichen Steigerung in der Waffenproduktion im 19 Jahrhundert so dass man immer mehr und mehr Soldaten in kurzer Zeit mit Waffen ausrüsten konnte und auch die dann dafür notwendigen Munitionsmengen dafür beschaffen konnte. Die Verklärung der Wehrpflicht ist daher genau so fragwürdig wie die ganze verlogene Propaganda über die französische Revolution, und wie Wehrpflichtige die Ziele "ihrer" Revolution gegen die "alten" Mächte verteidigten. Natürlich benötigt der moderne Nationalstaat solche Propaganda um das Menschenmaterial für die Interessen der jeweils herrschenden Eliten und der Reichen besser einsetzen zu können. Entsprechend der eigentlich grenzenlos dumme wie zynische Satz von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit welche durch eine Wehrpflicht verteidigt werden und heute das schon Orwellsche Gefasel über eine freiwillige Wehrpflicht. Man sollte in diesem Kontext beispielsweise mal erwähnen, dass Wehrpflichtige früher nicht einmal ein Wahlrecht während ihres "Dienstes" hatten.
Im weiteren bestanden nicht alle Armeen vor der Wehrpflicht nur aus Söldnern. Der Typus des Soldaten war schon vor der Wehrpflicht existent und ebenso die Wehrpflicht schon vor der französischen Revolution.
Der Unterschied welcher durch das Levee en masse entstand war der einer allgemeinen Wehrpflicht. Denn vorher betraf die Wehrpflicht nur Teile der Bevölkerung, welche mit Zwang rekrutiert wurden (nach Bedarf) und dann als Soldaten (und eben nicht als Söldner dienten) und dem folgend kam die allgemeine Wehrpflicht so dass alle rekrutiert werden konnten. Das es dann ab der französischen Revolution überall eine allgemeine Wehrpflicht gab heißt aber eben nicht, dass nicht vorher schon Armeen aus Soldaten bestanden und dass diese mit einer Wehrpflicht rekrutiert wurden. Und wie später auch wurden sie mit Zwang rekrutiert, also einfach ausgehoben und dann als Soldaten verwendet.
Die Heere im Zeitalter des Absolutismus bestanden daher wenn man es genauer betrachtet mehrheitlich nicht aus Söldnern, sondern aus gepressten Soldaten. Die mit Gewalt und Zwang im Rahmen einer Wehrpflicht rekrutiert wurden, beispielsweise im britischen Empire durch die Recruiting Acts. Auch die Russen hat schon vor einer allgemeinen Wehrpflicht eine Wehrpflicht, nur dass davon dann halt nicht alle betroffen waren.
Lange Rede kurzer Sinn:
Wir sollten weg vom Gedanken einer Wehrpflicht als einer Bürgerpflicht und hin zu einem völlig neuen Verständnis - und zwar einem Wehrrecht. Jeder Bürger sollte das Recht haben in der Armee eine militärische Ausbildung zu erhalten wenn er dies verlangt. Und dieses Wehrrecht sollte dahingehend ausgeweitet werden, dass jeder Bürger auch einen Anspruch auf entsprechende Wehrübungen und Dienste hat. Und dieses Wehrrecht sollte ein Schritt von mehreren sein, welche schlussendlich auf ein Milizsystem wie in der Schweiz abzielen. Der Milizgedanke würde dann tatsächlich eine Einheit von Bürger und Staat bedeuten, während die Wehrpflicht in ihrer überkommenen Form nur weiter die Ausbeutung des Volkes für die Zwecke und Ziele des Staates ist, welche in vielen Fällen nicht die des Volkes sind.
Aber wie es in dieser Bundesrepublik stattdessen laufen wird ist natürlich vollkommen klar. Und vielleicht geben sich die "Eliten" hier ja der Illusion hin, dass sie tatsächlich über eine Wehrpflicht ihre Pfründe noch besser sichern können. Ihre Inkompetenz haben sie ja auch schon an anderer Stelle hinlänglich bewiesen.