Erich:
Zitat:Aber Du gibst es letztendlich auch selbst zu, selbst wenn das nur eine freud'sche Fehlleistung sein sollte:
Das war ein: Weder …. Noch - Satz. Weder ist die israelische Regierung ein Regime, noch herrscht in Israel Apartheid.
In diesem Kontext sollte man betonen, dass sowohl der Gazastreifen wie auch das Westjordanland nicht Teil Israels sind.
Man könnte also durchaus darüber diskutieren, ob man die Zustände im Westjordanland als eine Art Apartheid sehen kann. Aber das Westjordanland ist nicht Israel. Und das Westjordanland ist auch nicht der Libanon. Ebenso ist Gaza nicht der Libanon usw.
Zitat:Das Problem welches du meiner Meinung nach hast, ist dass Deine Wahrnehmung alleine auf die militärisch-soldatische Ebene beschränkt ist. Die emotional-menschliche Sicht auf die Betroffenen geht Dir völlig ab.
Absolut richtig, menschliches Leid berührt mich emotional sehr wenig oder gar nicht. Das hat aber auch seine Vorteile: beispielsweise hasse ich nicht, ich empfinde keine wirkliche Abscheu vor keiner der beiden Seiten und ich betrachte dass ganze rein mechanistisch, weshalb mich insbesondere die Frage interessiert, wie man dieses Problem technisch lösen kann. Die Frage der Funktionalität und inwieweit man dieses „kaputte“ System reparieren kann, sind hochinteressant. Und meine Zielsetzung wäre hier immer, vor allem für die Palästinenser einen besseren Status zu erlangen und die Rechte der einfachen normalen Palästinenser zu stärken und sicher zu stellen.
Wenn du meine Einträge über eine lange Zeit gelesen hättest, würdest du wissen, dass ich fortwährend eine Zwei-Staaten-Lösung gefordert habe, eine Evakuierung der Zivilisten aus Gaza, dass sich Israel um die Zivilisten kümmert und seiner Verantwortung für diese nachkommt und sogar, dass Israel einseitig und unilateral Palästina anerkennen sollte, sowie darüber hinaus durchgehend ein Zurückdrängen der Siedlungsaktivitäten im Westjordanland - welche ja erst durch Netanyahu dermaßen zugenommen haben. All dies - was stets der primäre Disput beispielsweise zwischen mir und Nightwatch ist - lässt du einfach weg und/oder ignorierst es völlig.
Die ganze Zeit - seit Monaten - ist der primäre Disput zwischen mir und Nightwatch, dass ich mehr Rechte für die Palästinenser will und dies für wesentlich halte, wenn man den Feind hier nachhaltig besiegen will.
Zitat:Die ist aber erforderlich, um die Ursachen von Konflikten zu erkennen und zu beseitigen.
Man kann aber die emotionalen Grundlagen von Konflikten auch aus einer distanzierten Perspektive betrachten und hat dann den Vorteil, dass man selbst nicht durch seine eigenen Emotionen in seiner Wahrnehmung getrübt wird. Nur weil ich gefühlskalt bin, heißt das nicht, dass ich deswegen die emotionalen Gründe und Ursachen von Konflikten nicht erkennen oder nicht verstehen würde. Das Gegenteil ist der Fall !
Zitat:Du erkennst nicht, dass der zwischenmenschliche Umgang primär emotional geprägt ist. Das lässt Dich nicht nur als gefühllos erscheinen. Es führt zu falschen Schlußfolgerungen, etwa derart, dass Gewalt ausreicht um Frieden zu schaffen.
Ich erscheine nicht nur so. Dessen ungeachtet: Seit Jahren schreibe ich über ganzheitliche Ansätze, seit Monaten darüber, dass Israel hier sich zu sehr auf die rein militärische Seite konzentriert. Während Nightwatch beispielsweise schreibt, dass gar nicht mehr möglich ist und alles darüber hinausgehend unrealistisch und politisch nicht durchsetzbar, schreibe ich explizit seit Monaten darüber, dass sehr viel mehr möglich wäre und vor allem notwendig wäre.
Als Anhänger der französischen Doktrin was COIN angeht - welche schlussendlich bevölkerungszentrisch ist - bin ich ohnehin der Überzeugung, dass man einen ganzheitlichen Ansatz weit über das militärische hinaus benötigt und dass dies exakt das ist, was Israel fehlt: eine ganzheitliche Bekämpfung der Hamas und anderer solcher Gegner weit über das militärische hinaus.
Das bloße Gewalt hier nicht ausreichend ist, ist der Kern der meisten Einträge von mir in diesem Forum zu diesem Thema. Seit Monaten. Warum ignorierst du dies dermaßen ?
Zitat:Dieser Ansatz ist falsch, wie etwa die Kolonialkriege von Algerien bis Vietnam gezeigt haben.
Der Algerienkrieg wurde militärisch gewonnen, und allein an der „Heimatfront“ politisch verloren. Und Vietnam wurde was die Frage der Bekämpfung des Vietcong angeht absolut gewonnen. Süd-Vietnam wurde nach der erfolgreichen und nachhaltigen Zerschlagung des Vietcong von ganz konventionellen Truppen in einem ganz konventionellen Krieg geschlagen und erobert. Im übrigen wurde im Vietnamkrieg im Vergleich zum aktuellen Vorgehen der Israelis beispielsweise sehr viel mehr über das rein militärische hinaus getan und geleistet. Das gleiche in Algerien. Das sind beides allein schon deshalb schlechte Vergleichsfälle. Würde Israel in Gaza jetzt so agieren, wie Frankreich in Algerien, könnte man in Gaza tatsächlich nachhaltig Frieden schaffen.
Verbleiben wir noch bei der Aussage: Kolonialkriege. Spezifisch in Bezug auf Gaza ist dieser Begriff schon nicht geeignet, weil Israel hier eben keinen Kolonialkrieg führt. Denn Gaza soll ja explizit nicht besetzt und nicht gehalten werden. Es handelt sich also um eine Post-Koloniale COIN Aktion. Diese hat folgendes Primärproblem: Die Israelis werden über kurz oder lang wieder gehen, und die Hamas dann immer noch überall da sein. Und entsprechend werden die Palästinenser ihre Mathematik machen und daher dazu gezwungen sein, sich auch in Zukunft wieder der Hamas zu unterstellen. Womit das Sicherheitsproblem für Israel weiter besteht. Weshalb Israel den Gazastreifen weiterhin in ein abgeriegeltes Freiluftgefängnis verwandeln muss. Womit der Konflikt immer weiter geht und damit als Aufhänger auch weiter um sich greift. usw.
Gerade eben weil Israel diesen Krieg in Gaza nicht als Kolonialkrieg führt, gerade eben deshalb verliert Israel dort.
Zitat:Und entsprechend kannst Du auch nicht bewusst wahrnehmen, dass die palästinensische Bevölkerung im israelischen Herrschaftsgebiet objektiv eine Bevölkerung ohne gesicherten Rechtsstatus ist, die von der Siedlerbewegung und den - diese Bewegung unterstützenden - Staatsorganen drangsaliert und schikaniert wird.
In Israel selbst gibt es diesen Mechanismus mit der Siedlerbewegung nicht. Dort sind 20% der Bevölkerung, der israelischen Staatsangehörigen schlicht und einfach selbst Palästinenser.
Dir ist anscheinend nicht mal klar, dass jeder fünfte israelische Soldat der da in Gaza kämpft selbst Palästinenser ist und dass bei den israelischen Spezialeinheiten, Verbänden des Geheimdienstes usw. muslimische Araber sogar überrepräsentiert sind !
Desweiteren gibt es in Gaza keine Siedler und auch keine Siedlerbewegung.
Und das Westjordanland als weiterer gesonderter Fall ist nicht israelisches Staatsgebiet.
Nun schreibst du hier geschickt von israelischem Herrschaftsgebiet und ja, Israel beherrscht das Westjordanland. Deshalb könnte man das Geschehen dort durchaus als eine Art kolonialen Krieg einstufen. Ironischerweise ist Israel genau deshalb dort viel erfolgreicher als in Gaza und kann dort die Kontrolle (noch) aufrecht erhalten. Noch, weil Israel dort in Bezug auf COIN teilweise sehr schlecht und inkompetent agiert, und damit die Gefahr besteht, dass das Westjordanland zu einem Hamasistan 2.0 wird, mit einem vollumfänglichen Aufstand aller nicht-jüdischen Gruppen dort. Aktuell glaubt Israel stark genug zu sein, um auch damit fertig zu werden und es ist meine Vermutung, dass die aktuelle israelische Regierung sogar exakt darauf hinaus will, um die Palästinenserfrage genau dadurch zum Nachteil der Palästinenser zu lösen, da eine vollumfängliche Intifada entsprechende Vertreibungen, Fluchtbewegungen und die Verweigerung die Rückkehr der Flüchtlinge zu erlauben für Israel legalisieren könnte.
Das gleiche übrigens in Gaza: ich bin der Überzeugung, dass die aktuelle israelische Nicht-Strategie auf eine Aufrechterhaltung des Konfliktes wie des Kriegszustandes abzielt und Frieden daher gar nicht das Ziel ist. Man will den Konflikt auch in Zukunft und man will das Weiterbestehen der Hamas, gerade eben damit die Palästinenser nicht zu ihrem Recht kommen können.
Ich halte das rein persönlich für einen langfristig gesehen schweren Fehler und bin auch der Meinung, dass Israel seine Möglichkeiten aktuell überschätzt. Gerade aus einer pro-israelischen Position heraus halte ich daher das aktuelle Vorgehen im Westjordanland für falsch, bin der Meinung dass man hier und jetzt in Gaza historische Chancen verspielt (aus Hybris, Selbstüberschätzung, Ignoranz und einer anderen geheimen Agenda anstelle der öffentlich verkündeten). Aber wie andere es hier schon anführten: das sind alles getrennte Fälle. Und beide haben in Wahrheit nichts mit dem Libanon zu tun, dass wird alles nur vorgeschoben und benutzt.
Du verwechselst meiner Meinung nach daher die offizielle Agenda aller Beteiligten mit deren tatsächlichen Zielsetzungen. Das gilt für Israel gleichermaßen wie für die Hamas oder die Hisbollah.
Also getrennt voneinander:
1 Im Westjordanland wird aktuell schlussendlich ein Kolonialkrieg geführt. Die COIN Maßnahmen der Israelis zielen aber meiner Meinung nach nicht auf eine langfristige Beherrschung der Palästinenser dort ab, sondern auf deren Ersetzung durch eine andere Bevölkerung, also in letzter Konsequenz auf eine ethnische Säuberung durch Vertreibung / Flucht usw. Entsprechend verfolgt hier Israel eine geheime Agenda und sollen die COIN Maßnahmen langfristig gesehen Umstände produzieren, welche man dann zur Umsetzung dieser Agenda und deren Rechtfertigung und Legalisierung benötigt.
2 in Gaza - völlig getrennt davon - betreibt man einen Post-Kolonialen Krieg. Dort soll die Hamas an der Macht bleiben, aus genau der gleichen unter 1 genannten Zielsetzung. Beide Fälle hängen insofern zusammen, als dass man hier langfristig auf eine Ein-Staaten-Lösung zu Lasten der Palästinenser heraus will. Ich halte dies für einen Fehler, weil ich es für zu ehrgeizig halte und deshalb beschuldige ich Israel hier vor allem anderen der Hybris / Selbstüberschätzung.
Einschub: Abgesehen von moralisch-ethischen Fragen und rein funktional denke ich, dass der Schaden dieses Geschehens den Nutzen für Israel mit der Zeit weiter übersteigen wird.
3 Der Krieg im Libanon ist davon in Wahrheit völlig unabhängig und muß getrennt betrachtet werden. Auch hier ist der Krieg ein rein post-kolonialer und zudem nicht mal im Bereich von COIN zu sehen, sondern dass ist ein ganz regulärer Krieg mit dem Kriegsziel eine rasant wachsende militärische Bedrohung an der Nordflanke präventiv auszuschalten, bevor diese unbeherrschbar stark wird. Das ist also ein reiner Präventivkrieg, ganz klassisch und sehr weitgehend konventionell, auch wenn er asymmetrisch ist. Dieser Krieg dient also allenfalls der „Flankensicherung“ für die beiden anderen voneinander getrennten Konflikträume. Er hängt mit diesen also allenfalls als eine Art Absicherung zusammen, kann aber auch völlig getrennt von diesen beiden anderen Räumen betrachtet werden.
Beschließend bin ich weiterhin der Überzeugung, dass die aktuelle israelische Regierung hier in Bezug auf Gaza wie auch das Westjordanland langfristig gesehen einen erheblichen strategischen Fehler begeht und die Schäden und die negativen Fernwirkungen für Israel jeden Nutzen weiter übersteigen werden. Davon getrennt und völlig unabhängig, ist der Krieg gegen die Hisbollah absolut notwendig, überfällig und wird für Israel mehr Nützen als Schaden. Es gibt also nicht die eine Lösung für alles, sondern in den jeweils verschiedenen Fällen muss jeweils unterschiedlich gehandelt werden.
Während an einer Stelle (Hisbollah) massive militärische Gewalt unumgänglich notwendig ist, müsste man anderer Stelle (Gaza, Westjordanland) ganz anders vorgehen.
Das Handeln Israels ist also an einer Stelle richtig, und an einer anderen Stelle falsch. Auf gar keinen Fall aber ist es so einfach und unterkomplex wie du es hier oft darstellst, indem du einfach alles miteinander vermengst.