(04.10.2024, 07:50)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Worauf ich aber hinaus will ist, dass die ganzen Umfragen welche eine breite Zustimmung für die Hamas zeigen sollten, so nicht stimmten und nie gestimmt haben. Deine Aussage ist nun, dass dies nur jetzt der Fall sei, dies aber vor dem Krieg anders gewesen sei und dass es gerade eben der Krieg sei, welcher hier die Einstellung geändert habe.
Meine These ist hingegen, dass die Zustimmung für die Hamas schon vor dem Krieg überwiegend eine erzwungene war und diese Umfragen weitreichend nicht stimmten und nie gestimmt haben. Der Krieg legt jetzt allenfalls offen, dass die Hamas nie eine breite Mehrheit für sich hatte und nun können es viele überhaupt zum ersten Mal öffentlich zeigen (was vorher sofort Folter und Verschwindenlassen zur Folge gehabt hätte).
Der Krieg ändert also meiner These nach hier und jetzt nicht so viel an der Einstellung der Mehrheit wie du das hier meinst. Es wird stattdessen nur überhaupt möglich anderer Ansicht zu sein, was vorher seitens der Hamas mit brutalsten Methoden verhindert wurde.
Deine Idee, dass der Krieg und die Niederlage hier eine signifikante Wirkung hätten - mit dem Verweis auf Deutschland - teile ich daher nicht vollumfänglich. Natürlich hat das auch einen Effekt, aber er ist meiner Auffassung nicht der vorherrschende bzw. allein bestimmende.
Dein letzter Absatz hier ist der springende Punkt. Es gibt selten den einen Grund für Stimmungsentwicklungen. Ich würde da garnicht in Abrede stellen wollen, dass die schwindende Macht der Hamas auch den Effekt hat, dass sich mancher traut sich offener gegen die Hamas zu positionieren.
Wo wir auseinandergehen ist da schlicht die Frage, welche Ursache die größere Wirkung auf den Stimmungsumschwung hat.
So wie ich das sehe ist die Hamas weiterhin an der Macht und terrorisiert die eigene Bevölkerung ziemlich ungehindert. Erst die Tage ging wieder Videomaterial von öffentlichen Folterungen und Hinrichtungen um. Durch die Kontrolle der Nahrungsmittellieferungen durch die Hamas sind dann eigentlich noch ganz neue Abhängigkeiten entstanden. Ich sehe daher jetzt nicht so wirklich, dass Ahmed oder Fatima sich plötzlich so viel freier fühlen könnten in sehr anonymen Setting sich negativ über die Hamas äußern zu können.
Dagegen meine ich halt schon, dass die dort alle in der Lage sind ihre Situation jetzt mit ihrer Situation vorher zu vergleichen und zu erkennen, dass sie für wenig sehr viel haben bezahlen müssen und auf diese Weise nie gewinnen können werden. Dieser Effekt wird sich nur noch verstärken, wenn die Gesamtsituation auch nach einem Ende der Kämpfe weiter schlecht bleibt und ihnen eben niemand über Nacht den Vorkriegszustand wieder herstellt.
Die Frage ist da für mich eher, ob man diese Erkenntnis ob des eigenen Stolzes an die Große hängt oder das eher für behält.
Ein weiterer Faktor der va halt auch in diesem Kulturkreis dazukommen sollte: Niemand hält gerne zum Verlierer und schreibt sich dessen Niederlage zu. Es ist ganz natürlich, dass es hier Absetzbewegungen gibt, nachdem die Hamas nach ihrem spektakulären Anfangserfolg nichts mehr auf die Kette bekommen hat.
Welche Faktoren welchen Effekt genau haben lässt sich kaum objektiv beziffern, kann man insofern auch anders gewichten.
Quintus Fabius schrieb:Und der israelischen Mehrheit wäre es egal gewesen, wie der Krieg geführt wird. Denn sie informierte sich nicht über die Verhältnisse in Gaza und blendet das was dort real geschieht weitgehend aus.
Krieg ja, aber Krieg ist eben nicht gleich Krieg. Man hätte anders vorgehen können und man hätte meiner Überzeugung nach anders vorgehen müssen. Und der Mehrheit der Israelis wäre auch dies recht gewesen.
Denke ich so nicht. Meine Wahrnehmung ist es nicht, dass sich die israelische Gesellschaft nicht dafür interessiert wie der Krieg in Gaza geführt wird. Das man Gaza so sehen will wie es in die jeweils eigene Weltsicht passt ist klar. Aber so denke ich wäre zu jedem Zeitpunkt eine Fixierung auf Hearts&Minds auf scharfen Widerstand gestoßen, vor allem von der Basis der Regierungskoalition. Und innerhalb der Regierung natürlich auch. Die wollen, so meine Beobachtungen, bis sehr weit in die Mitte hinein vieles, aber sicher nicht die Palästinenser irgendwie für sich zu gewinnen, ihnen aus der Patsche helfen, ihnen entgegenkommen, sie befreien oder sonstwas in der Richtung.
Ganz bestimmt - und das ist der Knackpunkt der in der israelischen Gesellschaft wahrscheinlich ziemlich weitgehend unumstritten ist - will man keine langfristige Besatzung oder gar eine Militärregierung für die Zivilbevölkerung dort. Man will mit denen nichts, bzw. nach den Massakern nichts mehr mit denen zu tun haben. Man will nicht eine Generation der eigenen Söhne und Töchter nach Gaza schicken, dort den Kopf hinhalten und sich von der Weltgemeinschaft sonstwas anhören nur damit am Ende daraus ein Westjordanland entsteht und sich die Siedlerbewegung auch noch dort breit macht.
Insofern, vielleicht ist es eine gangbare Möglichkeit, vielleicht nicht. Ich persönlich habe arge Zweifel, dass man mit einer Besatzung nachhaltig was erreichen könnte. Vor allem Dinge weil eine israelische Militärverwaltung dort unter dem Mikroskop der internationalen Gemeinschaft stehen würde und man dann keinesfalls so agieren könnte wie es nötig wäre um den Widerstand dort unter Kontrolle zu bekommen.
Aber das sind sowieso nur Theorien, weil die politische Voraussetzungen in Israel soetwas nicht zulassen werden. Auch übrigens nicht unter irgendeinen weniger rechten Ministerpräsidenten.
Quintus Fabius schrieb:Ja das hatten wir schon mehrfach und ausführlich. Aber Fakt ist, die IDF hat weite Teile von Gaza bereits jetzt unter einer de facto Besatzung. Von da ausgehend den Rest zu sichern und dann sinnvoll damit zu verfahren, wäre eben kein großer Mehraufwand.
Das sehe ich so überhaupt nicht. Eher: Die IDF hat ist in weiten Teilen von Gaza mal unter Panzerschutz durch die Gassen gegangen und ist dann sehr schnell (viel zu schnell) wieder aus der Fläche verschwunden. Man sitzt jetzt in gesäuberten und gesicherten Räumen und Korridoren und kann wenn man denn möchte jederzeit überall mit beliebig starken Kräften reingehen.
Macht man aber nicht, oder zumindest nicht ansatzweise in der Größenordnung die nötig wäre um der Hamas die Kontrolle über die Bevölkerung zu entziehen. Wenn die IDF einrückt weichen die zivilverwaltenden Gestalten aus. Die IDF tut was sie tut, kappelt sich mit irgendwelchen Fanatikern die zu dumm sind stillzuhalten, hebt ein paar Waffenverstecke und Infrastruktur aus und ist nach spätestens ein paar Wochen wieder weg. Und am nächsten Tag stehen die Hamasleute wieder mit der AK auf der Straße und dirigieren die Hilfskonvois.
Um das zu ändern müsste man in Gaza durch alle Häuser um aufzuräumen und dann fast buchstäblich an jede zweite Ecke einen Infanteristen stellen.
Ein immenser Mehraufwand, Kräfteansatz wenn man es richtig machen will sechs, sieben, acht Brigaden. Hieße das komplette Feldheer nach Gaza, plus regelmäßige Rotation der Reservisten. Auf 20 Jahre. Vergiss es, gibt keine Mehrheiten dafür. Auch nicht mit Bennett, Liebermann und Lapid. Bzw. mit denen erst recht nicht.
Quintus Fabius schrieb:Ein primäres Problem ist meiner Wahrnehmung auch, dass die Israelische Bevölkerung sich sehr wenig mit dem beschäftigt was den Palästinensischen Zivilisten geschieht. Man reduziert die Wahrnehmung auf die reinen Kämpfe, Hamas Kämpfer und die Geiseln und das wars. Die unschuldigen palästinensischen Zivilisten kommen praktisch nicht vor, man verdrängt sie. Man will es auch gar nicht wissen, dass habe ich sogar selbst schon mehrfach bei Diskussionen mit Israelis festgestellt.
Das ist so und ist auch ein völlig normales Verhalten.
Quintus Fabius schrieb:Das sind also wie von mir bereits propagiert Eliteeinheiten und keineswegs irgendwelche drittklassigen Reserven etc. Sondern die Elite der israelischen Streitkräfte überhaupt.
Leichte Infanterie ist leichte Infanterie und sollte dort meines Erachtens aus den dargelegten Gründen nicht so operieren.
Und neben 35. Fallschirmjägerbrigade oder der 89. Kommandobrigade turnen da halt auch Fallschirmjägerreservisten herum und zuletzt auch Etzioni, die Reservebrigade der 36. Division. Das sind sicher auch keine drittklassigen Reservisten sondern nach allen Einsätzen in Gaza in den langen Trainingszeiten eher ganz passabel bis sehr gut, aber es bleibt Infanterie, die so dort nichts zu suchen hat.
Hinzu kommt, dass diese Operationen so sinnlos sind, alles was man dort an Fähigkeiten zerstört kann die Hezbollah schon in wenigen Monaten im wesentlichen wieder herstellen. Entsprechend meine Forderung nach raumgreifenderen Operationen mit viel höherer Feuerkraft und nachhaltigeres Säubern des Operationsgebietes durch schlichte Zerstörung der genutzten Infrastruktur.
Man kämpft sich doch auch nicht in eine feindliche Bunkerstellung nur um dann einige durch den ausweichenden Feind zurückgelassene MGS und Papiere einzusammeln und wieder abzuziehen. Der Bunker muss nachhaltig unschädlich gemacht werden. Nicht anders ist es hier.
In israelischen Medien hieß es gestern übrigens, das die Offensive maximal wenige Wochen dauern und sich auf die Grenzregion beschränken wird. Sprich also es wird also wohl genauso weitergehen, man säubert minimalinvasiv ein paar Grenzdörfer, ruft den Sieg aus unter hinterher ist bald alles wieder so wie es vorher gewesen ist. Das hier irgendetwas größeres Vorbereitet wird kann ich nicht erkennen.
Und ich halte diese These auch für Unfug. Wie vorgestern geschrieben, da muss nichts groß aufgeklärt werden, es muss mit mechanisierten Kräften unter massiven eigenen Feuer Raum genommen und eingeschlossene Ortschaften / Festungskomplexe nach Evakuierungsmöglichkeiten zerstört werden.