Werter hunter1:
Zitat: Es gibt noch (oder wieder) Situationen, wo der Westen zum Zweihänder greift. Europa hat sich gerade eine unglaubliche Ladung Respekt eingeheimst.
Nein haben wir nicht. Bedenklichen Sondermüll (Strela) nun kostenlos in der Ukraine zu entsorgen ist eigentlich der Gipfel der Heuchelei.
Broensen:
Zitat:Vor einem Krieg wirken Waffenlieferungen zwar abschreckend, aber auch provokativ. Die Abwägung, was davon schwerer wiegt, ist halt diplomatisches Geschick und Gespür. Ich halte die Kombination, dass bspw. GB abgeschreckt, wir aber nicht provoziert haben, für sinnvoll gewählt.
Es wurden ja eben nicht ernsthaft Waffen geliefert. Die paar Panzerfäuste aus GB oder ein paar alte Haubitzen oder unsere Farce mit den Helmen erzeugen eben keine Abschreckung. Man hätte ernsthafte substanzielle Waffenlieferungen durchführen müssen.
Wir haben also VOR dem Krieg in keinster Weise abgeschreckt, auch nicht durch konkrete Aussagen was im Kriegsfall dann geschehen wird. Man hätte ja vorher schon ganz klar und sehr eindeutig schriftlich festlegen können was passiert wenn angegriffen wird. Das ist Abschreckung. Wir haben aber gerade eben nicht abgeschreckt.
Sondern: wir haben vorher den Eindruck erweckt, dass unsere Reaktionen nicht so drastisch ausfallen werden, und jetzt fallen sie völlig konträr zu diesem Eindruck den wir vorher vermittelt haben drastisch aus (intenional?!)
Schneemann:
Zitat:nach der offenkundigen Invasion und dem Völkerrechtsbruch durch den russischen Despoten
Dazu sollte man noch betonen, dass Putin eben kein absoluter Alleinherrscher ist. Sondern dass hier die Invasion durch eine Gruppe beschlossen wurde, deren Sprecher, Primus Inter Pares etc Putin ist, die er aber nicht nach Belieben kontrolliert, sondern ganz im Gegenteil. Deshalb schreibe ich auch immer von einem System Putin.
Zitat:nun habe ich das Gefühl, wir haben hier eine argumentative Achterbahnfahrt, wo man sich dies raussucht, was gerade in die Argumentationskette passt.
Da hast du recht, dass ist auch eine Folge der Begrenztheit des vorliegenden Kommunikationsmittels (Forum).
Um es mal klar und eindeutig und einfach in zwei Sätzen darzulegen:
1. VOR dem Kriegsbeginn hätte man in erheblichem Umfang Waffen liefern sollen, und zwar Systeme die substanziell etwas ändern. Ich schrieb beispielsweise dass wir sämtliche Panzerminen, sämtlichen militärischen Sprengstoff und alle verfügbaren Fliegerfäuste VOR Kriegsbeginn hätten liefern sollen.
2. NACH Kriegsausbruch halte ich OFFEN angekündigte Waffenlieferungen für hochproblematisch, weil sie uns zur Kriegspartei machen. Es geht mir da mehr um die Form als um die tatsächliche Handlung. Indem man ganz offen mit Ankündigung Waffen liefert, verbaut man sich Möglichkeiten und schadet der Ukraine mehr als das man ihr nützt weil es zwingend die Lage eskalieren muss.
Zitat:nimmt (ausgerechnet) eine rot-grün-liberale Regierung den vermutlich größten Kurswechsel in der deutschen Außenpolitik seit Adenauer vor, rüstet auf und liefert Waffen - und nun ist es wiederum nicht recht bzw. gibt Anlass zum Draufhauen.
Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun. Der Kurswechsel in Bezug auf die Bundeswehr ist herausragend, und ein historisches Verdienst dieser Regierung, aber dass ist eine Sache und die Ungeschicklichkeit im außenpolitischen Umgang mit diesem Krieg ist wiederum eine ganz andere Sache.
Zitat:Während sich die russischen Kolonnen stauen oder die Fahrzeuge ihrer Kriegsmaschine festrennen, können infanteristische Kampfgruppen mit leichten, tragbaren Werfern hier immensen Schaden anrichten.
Meiner Ansicht nach behindern sich die Russen primär selbst. Die endlosen Staus und Stockungen resultieren weniger aus dem tatsächlichen ukrainischen Widerstand, als aus zunehmender Desorganisation der Russen vor Ort und dass diese an der Spitze ihrer jeweiligen Kolonnen nicht voran kommen, weil Treibstoff, Ersatzteile und Wirkmittel nicht nach vorne kommen.
Meiner Einschätzung nach (die ich ja sogar schon vor Wochen hier gepostet hatte) haben die Russen mit Absicht die Tauperiode für den Angriff angesetzt, weil sie dann mit überlegener Feuerkraft frontal durchbrechen können und die Ukrainer sie nicht ernsthaft flankieren können. Damit sichert der Schlamm sozusagen die Flanken mit ab und reduziert die Flankenfurcht. Das habe ich hier ja explizit schon vor Kriegsbeginn geschrieben und postuliert, dass man es absichtlich so macht.
Anscheinend aber hat man sich organisatorisch damit überfordert und ist vor allem auch die Moral der russischen Soldaten vor Ort verblüffend schlecht. Man hat irgendwie keine rechte Lust, keinen Vorwärtsdrang, führt alles mehr oder weniger widerwillig aus und steht im Stau den man organisatorisch nicht in den Griff bekommt.
Helios:
Zitat:im gleichen Atemzug uns zu Sybariten erklärt und die Heuchelei beklagt?
Ich habe mit Heuchelei für sich selbst gar kein Problem, sondern mit heuchelnden Sybariten. Es geht um die Kombination aus beidem.
Zitat:Das gleiche gilt aber eben auch für das Unterlassen, und darauf basierte ja meine Frage: welches mögliche Risiko ist durch das Unterlassen entsprechender Lieferungen mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen?
Mir geht es vor allem darum dass diese Lieferungen OFFEN angekündigt werden und wir uns vollumfänglich zu diesen bekennen. Das verbaut Möglichkeiten und überspringt Eskalationsstufen und man sollte nie in einem solchen Geschehen unnötig Eskalationsstufen überspringen. Aber um konkreter auf deine Frage zu antworten:
Eine Eskalation des Krieges hin zu einem vollumfänglichen Krieg der RF gegen den Westen. Vor allem aber:
Eine nukleare Eskalation (und sei sie auf die Ukraine beschränkt).
Das Problem ist meiner Meinung nach, dass wir in Europa eben keinen Zweihänder haben - um das Bild von hunter1 zu verwenden - und dass weder unsere Gesellschaften noch unsere Armeen einen Angriff wie er aktuell auf die Ukraine stattfindet auch nur aushalten würden. Und dass man jetzt aufgrund des Geschehens in der Ukraine anfängt sowohl Russland selbst als auch die Eskalationsmöglichkeiten zu unterschätzen.
Zitat:Was du also bisher als Risiken genannt hast ist doch genau das, was immer wieder und auch von dir gefordert wurde.
Risikoaffinität und Hasardeurtum sind verschiedene Dinge. Der Unterschied zwischen beiden mag subtil sein, aber er ist vorhanden. Ab wann wird das Eingehen von Risiken zu einem Hasardspiel ?
Ich habe überhaupt nichts dagegen diesen Krieg dazu zu benutzen die Russen so weit wie möglich bluten zu lassen. Aber das kann man auch anders und geschickter und eleganter bewerkstelligen als durch diese offenen Ankündigungen. Und zugleich sollte man ausreichend Geheimdiplomatie in Richtung Russland betreiben um völlig konträr zu den verdeckten realen Handlungen Russland eine gewisse Handlungssicherheit zu geben, denn die Alternative die meiner Meinung nach jetzt tatsächlich ernsthaft im Raum steht ist:
Eine nukleare Eskalation. Das wird gerade in den Medien hierzulande viel zu wenig beachtet und ist meiner Ansicht nach jetzt im weiteren ein reales Risiko.
Zitat:es gibt klare Bekenntnisse
Klare Bekenntnisse sind Festlegungen. Festlegungen verbauen Möglichkeiten. Weniger Möglichkeiten bedeutet eine Einschränkung der Reaktionsmöglichkeiten und der Handlungsmöglichkeiten. Man schränkt sich also selbst ein für was? Auch ohne klare Bekenntnisse kann man eine spezifische konkrete politische / strategische Zielsetzung verfolgen.
Es sind daher gerade eben diese klaren Bekentnissse welche mich stören. Weil sie im günstigsten Fall sinnlos sind, und in etlichen anderen möglichen Entwicklungen einfach nur ein Schaden, und weil sie das Risiko nicht mehr einholbarer und nicht mehr unter Kontrolle zu kriegender Eskalationen erhöhen. Man kann auch exakt das gleiche tun ohne das Risiko dadurch derart zu erhöhen.
Es ist glaube ich vielen hierzulande (auch in der Politik etc) nicht klar, dass eine wesentlich extremere Eskalation in den russischen Eliten meiner Einschätzung nach tatsächlich als ernsthafte Option betrachtet wird, je nach den Umständen. Das muss man daher so frühzeitig wie möglich einbremsen.