Forum-Sicherheitspolitik

Normale Version: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg
Du siehst gerade eine vereinfachte Darstellung unserer Inhalte. Normale Ansicht mit richtiger Formatierung.
Seiten: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
(05.10.2022, 22:52)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Das heißt es gibt anscheinend einen entsprechenden Bedarf möglichst weit zu schießen, also ist eine höhere Reichweite anscheinend per se eine Anforderung der Umstände. Dies sollte man im weiteren für die Auslegung der eigenen Artillerie beachten, dass höhere Reichweiten ein erheblicherer Vorteil zu sein scheinen, als dies ohnehin angenommen wird.

Vergiss dabei nicht, dass es in diesem speziellen Konflikt den Vorteil der mangelnden Präzision und Reichweite auf der Gegenseite gibt. Durch die Möglichkeit zur Vermeidung von Artilleriegegenfeuer bei festgefahrenen Verteidigungslinien, kann man hier die eigenen Verluste besonders stark minimieren, was gerade für die ukrainischen Truppen natürlich ein eklatant wichtiger Punkt ist. Zudem sind die nur sehr begrenzt vorhandenen Möglichkeiten zur Luftunterstützung etwas, das hier zusätzlich durch Artillerie ersetzt werden muss, wodurch die querschnittliche Schussweite zusätzlich erhöht wird.
Zweifelsohne, aber das würde für unsere Streitkräfte eben ganz genau so gelten und die Idee (welche ja beispielsweise Nightwatch vor allen anderen noch so vertritt), dass alles aus der Luft gelöst wird, teile ich so nicht. Es gibt eine ganze Reihe Problemstellungen, wie beispielsweise Kaliningrad, die wir so nicht schnell genug werden lösen können. Die aber mit entsprechender Vulcano Munition eventuell sogar ohne viel zusätzliche Raketenartillerie bearbeitbar wären.
Selbstverständlich liese sich Kaliningrad sehr schnell aus der Luft lösen. Zumindest schneller als irgendwelche Artillerie dort hinzukarren. Dodgy Smile
Ich muss dazu sagen, dass mir das Thema Kaliningrad schon länger etwas Bauchweh bereitet, v. a. wegen der dort stationierten Iskander-Raketen. Dies hatte ich auch schon in den Ukraine-Strang mehrfach geschrieben; man unterschätzt dieses Risiko deutlich, zumal wir hier bzw. bis zur deutschen Küstenlinie nur wenige Minuten Vorwarnzeit hätten, wenn diese, auch atomwaffenfähigen Raketen abgefeuert werden sollten. Abgesehen davon denke ich aber auch, dass man mit gezielten und überraschenden Luftschlägen diese Bedrohung ausschalten könnte.

Schneemann
(06.10.2022, 11:20)Schneemann schrieb: [ -> ]Ich muss dazu sagen, dass mir das Thema Kaliningrad schon länger etwas Bauchweh bereitet, v. a. wegen der dort stationierten Iskander-Raketen. Dies hatte ich auch schon in den Ukraine-Strang mehrfach geschrieben; man unterschätzt dieses Risiko deutlich, zumal wir hier bzw. bis zur deutschen Küstenlinie nur wenige Minuten Vorwarnzeit hätten, wenn diese, auch atomwaffenfähigen Raketen abgefeuert werden sollten. Abgesehen davon denke ich aber auch, dass man mit gezielten und überraschenden Luftschlägen diese Bedrohung ausschalten könnte.

Schneemann



Meine Frage dazu:


Was wäre denn wenn man Atomwaffen aus der Luft zerstört, würde das nicht einer Atombombenexplosion gleichkommen oder bin ich auf der falschen Fährte?
Das kommt auf die Höhe an, in welcher der Flugkörper abgefangen werden kann. Bei Kurz- und Mittelstreckenraketen mit relativ geringer Flughöhe wie eine Iskander von Rotland wären die Auswirkungen eines Abfangmanövers verheerend. Da gibt's nichts zu verteidigen. Auch wenn es vlt. für manche nichts neues ist finde ich die Zusammenfassung des Bundesheeres zum Thema Nuklearwaffen und deren Wirkung (auch in der Höhe) sehr gelungen. https://m.youtube.com/watch?v=mfpo_zBwQ1k
Ich vermute, dass Galileo es anders gemeint hat: Also es ging wohl nicht darum - so verstehe ich es -, dass bereits fliegende Raketen abgefangen werden, sondern dass per Luftschlag noch am Boden befindliche Raketen zerstört werden.

Am Boden befindliche Raketen mit Atomsprengkopf können im Regelfall relativ leicht zerstört werden, da sie noch nicht scharf geschaltet sind bzw. zentrale Komponenten noch nicht eingesetzt sind. D. h. eine Atomexplosion ist wenig wahrscheinlich, allerdings besteht das Risiko, dass radioaktives Material bei einem direkten Treffer großflächig (Quadratkilometer-Bereich) verteilt wird - was quasi eine Art kleine "schmutzige Bombe" bedeuten würde.

Schneemann
(06.10.2022, 12:57)Galileo schrieb: [ -> ]Meine Frage dazu:
Was wäre denn wenn man Atomwaffen aus der Luft zerstört, würde das nicht einer Atombombenexplosion gleichkommen oder bin ich auf der falschen Fährte?
Eine Kernwaffe detoniert nur dann, wenn der Zündungsmechanismus die notwendige kritische Masse aus U235 oder Plutonium erzeugt.

Die russischen taktischen Kernwaffen sollten alle Implosionsbomben sein, d.h. die spaltbare Material wird mit sehr genau abgestimmten Explosionen konventioneller Sprengstoffe komprimiert um eine kritische Masse zu erzeugen.
Die Toleranzen sind sehr gering und selbst wenn ein Abfangevent den Zündvorgang auslösen würde käme es aufgrund der Beschädigungen des Gefechtskopfes nicht mehr zur Kritikalität.
Nightwatch:

Die Artillerie sollte als eindeutiges Signal entsprechend natürlich vorher dort schon bereit stehen. Wenn sich ein solcher Konflikt langsam aufschaukelt, werden auch die Russen entsprechend im Vorab Gegenmaßnahmen gegen die sicher erfolgenden Luftangriffe ergreifen. Entsprechend könnte (rein theoretisch) deren Wirkung durch solche Vorbereitungen deutlich gemindert werden. Einen Massenangriff mit Artillerie kann man hingegen viel weniger begegnen und:

Das man zusätzlich noch aus der Luft ebenfalls angreift ist selbstverständlich. Das hatte ich vielleicht nicht genug betont bzw. missverständlich formuliert: die Artillerie soll hier die Luftangriffe ergänzen (oder umgekehrt diese die Artillerie), weil nur so meiner Meinung nach eine ausreichende Feuerdichte und Ausdauer erzielt werden kann um das Problem schnell genug zu beseitigen. Mir geht es da vor allem um die Geschwindigkeit und dass man das erreichen des Ziels absolut sicher stellt. Und diese absolute Sicherheit sehe ich bei reinen Luftangriffen da eben nicht.

Und auch wenn jeder aufgrund aktueller Ereignisse aktuell die russische Luftraumverteidigung gering achtet, ich würde sie trotzdem niemals unterschätzen.
Ich denke, es wird nicht unbedingt die russische Luftabwehr unterschätzt, sondern eher die russische Luftwaffe, die in der Ukraine nicht wirklich überzeugen konnte; die russische Luftabwehr wurde aber eher nur wenig gefordert, hier sollte man i. d. T. keine vorschnellen Schlüsse ziehen. Die russische Luftabwehr hat durchaus und immer noch einige sehr ernstzunehmende und leistungsstarke Systeme in ihren Sortiment (natürlich immer den Fall vorausgesetzt, dass diese Systeme gewartet und einsatzbereit sind und nicht irgendwelche wichtigen Bauteile irgendwohin verscherbelt wurden).

Und ich würde bei einem Luftschlagszenario natürlich auch nicht annehmen, dass Typhoons über der Stadt nun Kreise fliegen, sondern gehe z. B. eher davon aus, dass es zunächst einen Schlag mit Luft-Boden-Marschflugkörpern gibt, etwa Taurus etc.

Schneemann
@Quintus

1. 'Gegenmaßnahmen' die gegen Luftschläge wirken vermindern jenseits der Stärkung der Luftabwehr auch die Effektivität der Artillerie. Wahrschienlich sogar im höheren Maße.
2. Unsere Doktirn und Kräftestruktur lassen 'Massenangriffe mit Artillerie' zur Erzielung von 'ausreichende Feuerdichte und Ausdauer' überhaupt nicht zu.
3. Es ist wahrscheinlich nicht die allerbeste Idee, die Artillerie vor Beginn der Feindseligkeiten gegenüber Kaliningrad aufs Feld zu stellen.
4. Die russische Luftabwehr ist mit HIMARS und HARM in homöopathischen Dosen überfordert. Die Nato könnte aus der Luft so unendlich mal mehr gegen Kaliningradf aufbieten, das lässt sich nicht mal mehr vergleichen.
Werter Nightwatch:

zu:

1. Was ja explizit gewünscht und Zielsetzung wäre. Allein die entsprechende Bedrohung aus der Luft würde den Gegner bereits also einschränken. Einschränken heißt aber eben nicht vollständig ausschalten und angesichts der völligen Skrupellosigkeit der russischen Militärführung sehe ich hier noch etliche Möglichkeiten für die Russen.

2. Deshalb ja Vulcano Munition, und Präzisioinsangriffe mit dieser statt einem Massenangriff. Meine Aussage, dass wir viel mehr solcher Präzisionsmunition mit hoher Reichweite benötigen bezog sich ja außerdem explizit genau darauf, dass unsere Kräftestruktur Massenangriffe der Artillerie nicht zulässt. Gerade eben deshalb meine Forderunge nach viel mehr Vulcano Munition.

3. Wo sollten Panzerhaubitzen im Falle eines kurz bevor stehenden Krieges sonst stehen, wenn nicht in Polen / Osteuropa? Dazu kommt noch die (geplante) erhebliche polnische Panzerartillerie. Entsprechend den Polen dann Vulcano Munition zuführen zu können erhöht die Überlebenswahrscheinlichkeit wie auch die Wirksamkeit der polnischen Artillerie in Nord-Ost-Polen erheblich. Gerade eben weil man nicht zu nahe ran sollte, und die Artillerie nicht direkt gegenüber Kaliningrad aufs Feld stellen sollte, gerade eben deshalb viel mehr Vuilcano Munition.

4. So scheint es jetzt in der Ukraine zu sein. Aber ich wäre trotzdem vorsichtig und würde trotzdem nie davon ausgehen, dass wir derart überlegen sind, wie es jetzt aktuell erscheinen mag.
In der industriellen Ukraine retten geniale Tüftler ihre Armee.
Ouest France (französisch)
Hier eine ausgezeichnete Reportage von Kollegen der AFP (Text von Joris Fioriti, Foto von Genya Savilov, Video von Igor Tkachov). Der Beitrag wurde in Krywyj Rig, einem Industrie- und Stahlzentrum und Heimatstadt des ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelensky, gedreht.

[Bild: 2722440916.jpg]

Ein schweres Maschinengewehr wartet darauf, auf einen Militär-Pickup montiert zu werden, um ein selbstgebautes Anti-Drohnen-System zu werden. In der Industriestadt Krywyj Rig im Süden der Ukraine werden Kreativität und Know-how vereint, um die ukrainische Armee bestmöglich zu unterstützen. Der Prototyp, der auf einem Bock thront, wird der AFP in der Werkstatt eines Zivilisten gezeigt. Er wurde von einem Metallarbeiter aus der Gegend angefertigt, der für einen kleinen Lohn seine Fähigkeiten in den Dienst der nationalen Sache stellt, um den russischen Feind zu besiegen.

In Krywyj Rig, einer Industriestadt einige Dutzend Kilometer von der Südfront entfernt, "haben wir die Fähigkeiten und das Material, und es mangelt uns nicht an Ideen", sagt Sergej Bondarenko, ein örtlicher leitender Angestellter der ukrainischen Territorialverteidigung, der hinter dem Projekt steht. Unter seiner Leitung wurde ein großes Maschinengewehr an einen Metallrahmen geschweißt, der bald auf einem schrägen Träger an der Rückseite des Pick-ups montiert werden sollte. Das Ganze wird mit Stoßdämpfern ausgestattet, die für mehr Stabilität und Präzision sorgen.

Nichts Revolutionäres, aber auch nichts Vergleichbares gab es bisher im ukrainischen Waffenarsenal, das weitgehend aus der Sowjetzeit stammt, als Drohnen noch Science-Fiction waren, sagt er. "Uns sind Probleme passiert, mit denen wir nicht gerechnet haben", erzählt der athletische Sergej Bondarenko, 39, mit langem schwarzen Bart, der nach eigenen Angaben seit 2014 gegen die russischen Truppen kämpft. So stürzen seit mehreren Wochen von Russland eingesetzte iranische Kamikaze-Drohnen in den wichtigsten Städten des Südens, insbesondere in Krywyj Rig, vor allem nachts oder in den frühen Morgenstunden ab und versetzen die Bevölkerung in Angst und Schrecken.

[Bild: 2059187095.jpg]


"Handgemacht"
"Der Commander der Brigade sagte zu mir: +Wir brauchen eine Lösung. Es gibt Maschinengewehre. Das ist alles+", lächelte Herr Bondarenko, ein ehemaliger Ingenieur. Da das schwere Maschinengewehr Ziele in sechs Kilometern Entfernung treffen kann, was weit über der Flughöhe der Drohnen liegt, hofft er, dass es die teuren Drohnenabwehrgewehre, Störsender und andere Luftabwehrsysteme ersetzen wird, über die seine Einheit nicht verfügt.

Die Ukraine ist "sehr scharf auf Handgemachtes", schimpft der Tüftler. "Wir können Motanka (Lumpenpuppen) oder Maschinengewehre herstellen. Wir können Vyshyvankas (Stickereien) herstellen und schöne Lieder singen. Und (...) Hunderte von Russen töten". Ievgen, Codename "Barsouk" (Dachs), fährt einen mindestens 30 Jahre alten geländegängigen Mercedes-Lkw, auf den ein selbstgebautes Mehrfachraketenwerfersystem aufgesetzt wurde. Die vier Rohre dieser Waffe stammen von russischen "Grad"-Raketen, die von der ukrainischen Armee zerstört wurden. Ein Balken dient als Turm. Die Raketen stammen je nach Lieferung mal aus Tschechien, mal aus Italien.

System D

"Wir machen mit dem, was wir haben", versichert Barsouk, ein zwei Meter großer Koloss, der an der Herstellung beteiligt war. Er lobt das System D, das in der ukrainischen Armee zur Regel geworden ist. "Wenn wir uns nicht (zuerst) auf uns selbst verlassen, wird uns niemand helfen."

Seit der russischen Invasion am 24. Februar hat sich die gesamte Ukraine hinter ihren "Verteidigern" versammelt. Privatpersonen spenden ihre Autos und Gehälter, einige Unternehmen ihre Gewinne und ihre Lastwagen, die dann in einer Tarnlackierung wieder auftauchen und manchmal militarisiert werden.

Die "ukrainischen Do-it-yourself-Fahrzeuge" haben keinen "entscheidenden Einfluss" auf den Konflikt, aber sie ermöglichen es, "die Russen zu belästigen", was wichtig ist, meint Pierre Grasser, assoziierter Forscher am Sirice-Sorbonne-Labor in Paris. Sie "ziehen Sympathien an, sie zeigen die Mobilisierung eines ganzen Landes".
[Bild: 4280786998.jpg]


Vitalii Brizgalov begann mit dem Bau von Buggys für die Armee. In seiner kleinen Garage bauen ein Dutzend Arbeiter eifrig Rohrrahmen zusammen, schneiden, schrauben, fräsen... Dreißig der hier hergestellten Buggys sind bereits im Einsatz. Ein weiteres Dutzend befindet sich in der Endfertigung.

Die Gesamtkosten des Fahrzeugs, dessen Motor aus alten Ladas stammt und durch sein geringes Gewicht besonders leistungsfähig ist, betragen 2.000 Euro, während ein neuer ziviler Buggy oft das Zehnfache kostet. Débrouille toujours, das Militär schweißt anschließend Raketenwerfer an die Geräte, zeigt Herr Brizgalov auf seinem Telefon.

"Ich tue alles, um unseren Leuten zu helfen, schneller zu gewinnen (...) Selbst wenn dabei Menschen sterben müssen" auf der russischen Seite. Der gebrechliche und zurückhaltende Mann fügt hinzu: "Seit Beginn des Krieges bin ich viel härter geworden".
Über die Verwendung ziviler Fahrzeuge im Krieg hatten wir ja schon etliche Diskussionen hier im Forum. Der wesentlichste Punkt ist dabei einfach die Quantität. Die Russen sind dann mit der Vielzahl der Ziele und Bewegungen und Wahrnehmungen überfordert und so erreichen diese selbstgebauten Technicals einen Kampfwert und eine Wert für die Kriegsführung insgesamt, der weit über ihren Kosten / dem Aufwand liegt. Economy of Force. Ich kann Grasser hier auch nicht zustimmen, dass diese Technicals keinen Einfluss auf den Krieg hätten. Selbst der propagandistische Einfluss, dass das ganze Volk an einem Strang zieht, dass die ganze Gesellschaft Krieg führt, also einen totalen Krieg der alle umfasst und alle mit einbezieht ist auf der strategischen Ebene von allerhöchstem Wert.

Wir betrachten im Westen TM Krieg viel zu sehr als eine bloße militärische Angelegenheit, und vernachlässigen bei allen militärischen Planungen die Zivilgesellschaft, die Wechselwirkungen mit der Kultur, der Wirtschaft, den Zivilisten, den verschiedenen Nicht-Militärischen Organisationen usw usw, kurz wir denken zu "militärisch" in dem Sinne, dass wir den Krieg zu sehr nur auf die Einheiten der Armee reduziert betrachten. Und wenn man dies kritisiert wird schnell empört mit dem Völkerrecht, dem Grundgesetz, rechtlichen Regelungen und Verordnungen und all diesem gewedelt.

Nur: das wird alles in einem ernsthaften Krieg rein gar nichts nützen, erst recht nicht gegen einen Gegner dem jedes Recht vollkommen egal ist.

Der überbordende Legalismus ist meiner Überzeugung nach eine der wesentlichen Ursachen der Ritualisierung der Kriegsführung im Westen TM, und noch vor allem anderen der Beschränktheit des militärischen Denkens in der real existierenden Bundeswehr!
@Quintus
Zitat:Wir betrachten im Westen TM Krieg viel zu sehr als eine bloße militärische Angelegenheit, und vernachlässigen bei allen militärischen Planungen die Zivilgesellschaft, die Wechselwirkungen mit der Kultur, der Wirtschaft, den Zivilisten, den verschiedenen Nicht-Militärischen Organisationen usw usw, kurz wir denken zu "militärisch" in dem Sinne, dass wir den Krieg zu sehr nur auf die Einheiten der Armee reduziert betrachten. Und wenn man dies kritisiert wird schnell empört mit dem Völkerrecht, dem Grundgesetz, rechtlichen Regelungen und Verordnungen und all diesem gewedelt.
Das ist leider immer eine zweischneidige Angelegenheit. Ich habe noch gut in Erinnerung, wie die deutsche Politiklandschaft wie die Katze um den heißen Brei herumgeschlichen ist, als es darum ging, ob man den deutschen Einsatz in Afghanistan als Krieg bezeichnen darf oder nicht. Dieses Verklausulieren hat man in erster Linie gemacht, weil man den Menschen im Lande es nicht zumuten wollte, dass Deutschland irgendwo Krieg führt (wenngleich auch auf niedrigem Niveau) und weil mancher Politiker auch Angst hatte, dass man ihm dies negativ auslegen könnte. Übrigens war es damals die Presse, auch die linksliberale, die dieses Herumlavieren böse kritisiert hat (so viel zum Thema "Systemmedien").

Das Ergebnis war, dass für die meisten Menschen in Deutschland - wenn es sie überhaupt interessierte - Afghanistan ein eher abstraktes Gebilde blieb, irgendwo in der weiten Ferne, wo unsere Soldaten eben irgendwie "bei den Amerikanern mithelfen". Mehr war aber auch nicht da, auch keine Identifizierung mit der Truppe oder dergleichen. Dies war ein Fehler, den man begangen hat - er war auch irgendwo verständlich, den man wollte Deutschland seitens der Politik aus dem Thema Krieg heraushalten (auch aus historischen Gründen).

Einerseits ist das durchaus nachvollziehbar, wenn man eine pazifistische Grundhaltung an den Tag legen will. Das ist auch zutiefst natürlich, denn niemand zieht gerne in den Krieg. Andererseits jedoch war es nicht immer - und das ist der Vorwurf meinerseits - rein dem Pazifismus (so pazifistisch ist Deutschland übrigens gar nicht) geschuldet, dass so gehandelt wurde, sondern es war (auch) der krampfhafte und durchaus eigennützige Versuch, Deutschland als eine "große Schweiz" darzustellen, die von allen irgendwie gemocht wird, es allen irgendwie recht macht und die deshalb zugleich von der Globalisierung wirtschaftlich profitieren kann. Und im Ergebnis wurde Deutschland nun 2022 teils von seiner eigenen Selbstbeweihräucherung, seinem Nicht-Erwachsen-Werden-Wollen und teils auch wirtschaftlichen Egozentrik eingeholt, besser gesagt: Von Herrn Putins Spinnereien vom hohen Ross geholt. Und jetzt ist es teils eben umso schwerer, die Menschen von der aktuellen Kriegslage zu über- oder eine Art von "Kampfbereitschaft" (wobei ich da bei solchen Begriffen auch immer zur Vorsicht rate, denn man kann sie auch böse missbrauchen) zu erzeugen. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass andere Länder teilweise von ähnlichen Sorgen umgetrieben werden.

In gewisser Weise hat also Putin Deutschland durch den Schulterwurf ins kalte Wasser gezwungen, "erwachsen" zu werden und Eigenverantwortung zu übernehmen und sich nicht immer hinter irgendwelchen Floskeln zu verstecken. Das ist insofern nicht schlecht, jetzt muss man das ganze Vorhaben allerdings nur noch verantwortungsbewusst kanalisieren und Deutschland zu einem Verantwortungsträger für sich selbst und für Europa formen (was übrigens unsere Verbündeten auch immer wieder gefordert hatten, sogar die Polen - und das will was heißen).
Zitat:Nur: das wird alles in einem ernsthaften Krieg rein gar nichts nützen, erst recht nicht gegen einen Gegner dem jedes Recht vollkommen egal ist.
Nicht unbedingt. Selbst dann, wenn ich einem Gegner gegenüberstehe, der sich nicht an gängiges Kriegs- oder Völkerrecht hält, heißt das nicht, dass ich mich ebenso verhalten muss wie er. Im Gegenteil - ich wäre gut beraten, wenn ich zeige, dass ich zwar entschlossen kämpfe, aber eben das Recht beachte. Denn: Wenn die gegnerischen Soldaten wissen, dass sie in der Gefangenschaft eben nicht misshandelt, sondern gut behandelt werden, so kann mir dies einen Sieg sogar erleichtern, da der Gegner eher zur Aufgabe bereit ist.

Schneemann
Seiten: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27