Ich fang mal damit an:
Ambassador schrieb:Ich schreibe nun zu dem Thema nichts weiter, da es ohnehin schon ein paar Beiträge lang eher in die Kategorie Spekulation bzw. Diskussion gehört und durchaus eine Interessante Diskussion ist.
Schade, wenn jetzt nichts mehr dazu geschrieben wird. Und natürlich wird spekuliert, wir versuchen doch, unsere Vorstellungen für die (zukünftige) Organisation Afghanistans darzulegen. Aber es ist eben nicht nur Spekulation, sondern auch gegenseitige Überzeugungsarbeit.
Ambassador schrieb:Meine Sicht dazu ist jedoch, das man es langfristig nur dann hinbekommt, wenn es von der Bevölkerung mitgetragen und auch verstanden wird und das ist in Afghanistan noch nicht der Fall und ja - ich würde tatsächlich warten, bis auch die Taliban etc. in meinetwegen 200 Jahren begriffen haben, das es besser ist, wenn man es anders macht.
Beim ersten Punkt stimme ich zu. Wenn die Bevölkerung partout nicht will, dann sollen sie halt mit der vorhandenen und durch die Taliban noch radikalisierten Lokalideologie weiterleben. Ich bin aber davon überzeugt, dass, wenn man mal alle Betroffenen befragen würde (insbesondere die Frauen) und ihnen darstellen würde, wie man sich sonst noch so organisieren könnte, die Taliban-Ideologie abgelegt würde. Das funktioniert aber nur in einem Klima der Sicherheit. Wo die Leute nicht aus Angst um Leib und Leben in einer Debatte darüber entscheiden können, was sie individuell für sich wollen.
Den zweiten Punkt kann ich, wie auch schon gesagt, nicht unterstützen. Das käme einer Kapitulation vor einem System gleich, das ganz und gar unmenschlich ist. Unmenschlich deswegen, weil eine Weiterentwicklung fast verunmöglicht wird: nicht der Mensch steht im Zentrum, als ständiger Kritiker und Veränderer des Systems, sondern das System selbst. Die Folge ist unglaubliches Leid, obwohl synchron auf der Welt schon gesellschaftliche Lösungen angeboten werden, welche dieses verhindern würden.
Exirt schrieb:Hunter deine Position erinnert mich an das damalige koloniale Motto "The White Man`s Burden".
"White Man's Burden" musste ich erst mal googlen...so wie ich es verstanden habe, gehts darum, dass man "primitive" Völker bzw. Andersdenkende zu ihrem eigenen Glück zwingen muss, indem man ihnen die eigenen Wertvorstellungen aufdrückt, stimmts? Nun, wenn Du mir diese Position unterstellst, liegst Du teils richtig, teils falsch. Richtig ist, ich halte das europäische Auslegung der Menschenrechte für die beste, die wir momentan auf der Welt haben. Selbst die Europäer können die eigenen Menschenrechte nicht zu 100 Prozent umsetzen, aber sie erreichen dabei ein Level, wovon man in anderen Weltregionen nur träumen kann. Selbstverständlich bin ich also dafür, dass jeder Mensch auf der Welt sich selber entscheiden darf, ob er oder sie das auch so haben will. Und dass diese Entscheidung von den Mitmenschen akzeptiert wird. Falsch ist, dass man Menschen um jeden Preis dazu zwingt und ihnen jede Möglichkeit nimmt, sich selbst zu definieren. Ich merke schon, Du gehst davon aus, dass dies genau meine Haltung gegenüber den Afghanen ist: dass ich sie zu "ihrem Glück" zwingen will, koste es, was es wolle. Das ist aber nicht meine Haltung. Mir geht es darum, dass man ihnen unsere Sichtweise
anbietet und dass sie sich dann - jeder für sich - dafür oder dagegen entscheiden. Und daher ist es meine Pflicht, jeden, der sich dafür entscheidet, in Schutz zu nehmen.
Was Du übrigens nicht ausser Acht lassen darfst: "The White Man's Burden" funktioniert in jede Richtung. Mal bezogen auf die Kultur der Paschtunen (das von Erich angesprochene Pashtunwali), können wir auch davon profitieren, z.B. vom Konzept der Gastfreundschaft. Andere Konzepte, wie z.B. Rache oder Ahndung und Defintion von Ehrverletzung werden in unserem System dafür definitiv besser gelöst und sollten (nur in einem nationalstaatlich funktionierenden Afghanistan) von den Paschtunen geändert werden.
Exirt schrieb:Was hat den Westen bisher in seine Kriege getrieben wenn nicht die Gier nach mehr, und die absoulute Intoleranz gegen alles was sich seinem Machwillen nicht unterwirft?
"Der Westen"...auch wenn ich aus diesem kulturellen Kontext stamme, entspricht meine Position eigentlich eher derjenigen der UNO. "Der Westen" müsste zudem erst mal klar definiert werden.
In Deiner Frage könntest du "den Westen" übrigens bequem durch "die Muslime, die Mongolen, die Ägypter, Alexander den Grossen, die Kommunisten, die imperialen Japaner, die Perser, die Römer, etc...., DIE MENSCHEN" ersetzen.
Bezogen auf Aghanistan ist Deine Frage sowieso ziemlicher Murks, da hier tatsächlich mal nicht die Gier nach mehr im Vordergrund stand, sondern in erster Linie Rache und Strafe. Klar fährt die Gier nach mehr jedesmal mit (man wird seinen Einfluss in Afghanistan ausdehnen wollen), aber das war hier zu Beginn der ISAF-Operation wirklich nachrangig. Für den Irak-Krieg triffts hingegen sehr genau zu.
Exirt schrieb:Wenn die Menschenrechte doch so wichtig sind, wieso unterstützt man dann überall auf der Welt Diktatoren? Wieso tötet man Millionen Menschen aufgrund von Lügen?
Das ist nicht meine Position. Wie gesagt, ich vertrete nicht den Westen, so wie Du ihn siehst. Ich vertrete eher die Ideale der UNO, wie sie zu Beginn der UNO mal formuliert wurden. Es ist mir schon klar, dass diese Ideale niemals global verwirklicht werden. Aber ich kann dafür leben und danach streben. Und daher ist es eben legitim, wenn ich die Taliban verurteile und sie wegwünsche, solange sie Andersdenkende abschlachten. Ich verurteile ja auch G.W. Bush für seinen Einmarsch in den Irak, Saddam Hussein für sein Verhalten im Irak, usw.
Zitat:Es ist eine Farce wenn man sich hier über einige getötete aufregt die-falls die Geschichte überhaupt stimmt- im einklang mit dem Rechtssystem der Taliban verurteilt worden sind, gleichzeitig aber Hochzeitsgesellschaften und Trauerfeiern mit ungleich mehr Gästen aus der Luft per Drohne und nur wegen einem wagen Verdacht plättet.
Jetzt fängst Du an, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Wenn die NATO eine Hochzeitsgesellschaft oder Zivilisten plättet, ist das ein Verbrechen. Die NATO weiss das, die Medien wissens, die NATO-Staaten und deren Bevölkerung wissens und jeder verurteilt es. Auch wenn sich die NATO in so einem Fall herauszureden versucht, werden doch Reparationszahlungen geleistet, es gibt Entschuldigungen, die Schuldigen werden evtl. zur Verantwortung gezogen. Wenn hingegen die Taliban oder irgendwelche Dschihadisten Zivilisten enthaupten, halten sie diese Aktion für legitim. Die gehen sich hinterher nicht bei den Angehörigen entschuldigen oder leisten Schadenersatz. Weil sie ja das Gefühl haben, im Recht gehandelt zu haben. Wenn Du diesen Unterschied nicht siehst, kann ich Dir auch nicht weiterhelfen.
Und was die pöhsen Drohnen angeht...die Taliban haben schon lange vor der NATO Drohnen eingesetzt: jeder Selbstmordattentäter ist eine Drohne. Denk mal drüber nach.
Klar könnte man den Krieg auch anders führen. Mehr Soldaten auf dem Boden, anstatt in einem Drohnenkontrollzentrum in Nevada. Mehr Kontrolle über die Handlungen der einzelnen Soldaten. Aber auf jeden Fall steht bei den ROE der NATO nirgends, dass man pro Krieg soundsoviele Zivilisten töten muss, sondern eben das Gegenteil (möglichst keine zivilen Verluste). Bei den Taliban geht man hingegen so vor, dass man Zivilisten drakonisch bestraft, wenn sie nicht spuren.
Erich schrieb:und genau das ist auch meine Vorstellung: nichts wirkt nachhaltiger als die Überzeugung - und nichts überzeugt so sehr wie das gute Vorbild. Wenn unser Wertesystem überzeugen soll, dann müssen wir es vorbildlich vorleben und zur Implantation und Nachahmung anregen.
Überzeugung kann aber nicht durch "Anordnung" oder "Durchsetzung mit Gewalt" erzielt werden. Was ich wünsche, ist ein mühseeliger Prozess - der dafür aber dauerhaft und langfristig nachwirken wird.
Das mit dem guten Vorbild unterschreibe ich sofort. Individuell kann man das auch recht gut vorleben, auf staatlicher Ebene wirds da tatsächlich sehr doppelmoralisch, was ich auch verurteile, sowie mir wünsche, dass es besser wird. Und was den mühseligen Prozess angeht, gibts da zwei Varianten. Erstens kann man einfach nur "gut zureden" oder gar nichts tun, dann ist der Prozess nicht nur mühselig, sondern dauert tatsächlich Jahrhunderte und ist evtl. erfolglos. Oder man greift ein, wobei es wieder verschiedene Grade des Zwangs gibt. Einen Nationalstaat mit Gewaltmonopol halte ich dabei für die bestmögliche Variante des Zwangs. Sofern dieser Nationalstaat nach unseren Prinzipien der Demokratie aufgebaut ist.
Erich schrieb:Und damit ich mich nicht doch noch zur weiteren Diskussion hinreissen lasse, gibts erst mal eine Woche "Internet-Pause".
Schöne Ferien wünsch ich!
