Helios:
Zitat:Warum sollte man beispielsweise (und das ist wirklich rein fiktiv) keine Luftwaffe aus schweren Kampfflugzeugen ohne entsprechende leichte Mehrzweckmuster betreiben können? Oder warum keine Marine aus Zerstörern ohne eine größere Zahl an Fregatten oder Korvetten? Jetzt bitte keine inhaltliche Diskussion über diese Beispiele (die ich nur aus plakativen Gründen gewählt habe), mir geht es bei der Erwähnung nur um die prinzipielle Möglichkeit.
Betreiben kann man das zweifelsohne. Aber es macht keinen Sinn und ergibt für sich keine kriegsfähige Struktur. Und wenn die realen praktischen Grenzen dergestalt sind, dass wir uns nicht alles leisten können, dann muss man von unten her die Struktur so aufbauen, dass sie trotz dieser Lücken kriegsfähig ist. Entsprechend braucht man bei beschränkteren Mitteln dann neue andere Wege der Kriegsführung, ein komplett anderes strategisches Konzept, eine neue andere Kampfweise.
Um ein bewusst übertriebenes / besonders plakatives Beispiel zu bemühen: eine Bundeswehr nur aus Kampfflugzeugen und Sanitätern ist sinnfrei. Sie kann die Sicherheit der Nation allenfalls indirekt über die Unterstützung anderer mitleisten. Eine Bundeswehr nur aus Jägern könnte hingegen dem verfassungsgemäßen Auftrag sogar eher nachkommen als das was ist. Nun könnte man die Frage aufwerfen, welches dieser beiden (lediglich als Illustration angeführten) Beispiele für ein Militärbündnis mehr bringt und das Argument bringen, dass eine Bundeswehr nur aus Jägern in einem Bündnis weniger sinnvoll ist.
Meiner Wahrnehmung nach schätzen wir den Aspekt der Bündnisverteidigung sehr verschieden ein und resultieren unsere diametral unterschiedlichen Ansichten hier vor allem auch aus einer fundamental verschiedenen Bewertung und Sichtweise derselben.
Zitat:Wir sind es, die seit Jahrzehnten unsere Sicherheitskosten auf andere Staaten, vornehmlich aber nicht nur den USA, abwälzen.
Du wirst aber wohl gewiss nicht behaupten wollen, dass dies meine Zielsetzung wäre. Ganz im Gegenteil wäre es ja zuvorderst mein Ziel die nationale militärische Schlagkraft so weitgehend wie möglich zu erhöhen, weil meinem Verständnis heraus auch nur so eine echte militärische Leistung für die Bündnispartner erbracht werden kann und eben nicht durch ein Stuckwerk an Systemen der Hochtechnologie.
Zitat:die eigene unabhängige Kriegsfähigkeit ist ein überflüssiger Narzismus, eine Fokussierung darauf wird uns weder militärisch noch politisch nutzen und uns auch hinsichtlich einer souveränen europäischen Sicherheitspolitik keinen Schritt weiter bringen.
Da haben wir einen vollständigen Dissens. Meiner Überzeugung nach können wir in einer souveränen europäischen Sicherheitspolitik nur dann voran kommen, wenn Deutschland ernsthaft und massiv militärisch aufrüstet und aus einer solchen nationalen militärischen Stärke heraus einen ersten Kondensationskeim für eine europäische Streitmacht bildet. Zuerst braucht es sozusagen eine gewisse Schwerkraft, für diese eine gewisse „Masse“, dem folgend erst werden die anderen sich Stückweise dieser wachsenden europäischen Sicherheitsstruktur anpassen. Ein Staat muss hier voran gehen, wir könnten dies, wollen es aber offenkundig nicht.
Zitat:Absurderweise ist meiner Ansicht nach damit zu rechnen, dass wir diese unabhängige Kriegsfähigkeit in einem kleineren Kontext eher erreichen, wenn wir darauf verzichten, sie auf fundamentaler Ebene in einem größeren Kontext erreichen zu wollen.
Vorausgesetzt ich verstehe deine Aussage hier richtig, ist das im Prinzip meine Aussage in diesem Kontext.
Wir sind völlig abhängig, und werden es auch weiterhin bleiben, wenn wir darauf verzichten uns in Europa gemeinschaftlich weiterzuentwickeln.
Da stimmen wir ja völlig überein, nur die Frage wie man diese gemeinsame Europäische Armee erreichen soll ist die in welcher wir einen derartigen Dissens haben. Meiner Ansicht nach wird es nie eine gemeinschaftliche europäische Sicherheitspolitik geben, wenn nicht ein Staat hier voran geht, der EU auf seine eigenen Kosten erhebliche militärische Fähigkeiten zur Verfügung stellt (dafür müssen diese für sich selbst kriegsfähig sein) und damit also ein Opfer für die Gemeinschaft erbringt, indem er überproportionale Lasten dafür auf sich nimmt. Das nenne ich dann immer einen Kondensationskeim. Aus diesem heraus wächst dann die europäische Armee.
Den Versuch in gemeinsamer Kooperation auf Augenhöhe, ohne besondere nationale Opfer und durch eine gleichmässige und „gerechte“ Beteiligung aller „Partner“ eine solche Armee aufzubauen kann meiner Auffassung aber nur scheitern. Besonders schlicht und plakativ gesagt: viele Köche verderben den Brei, das hat viel zu viel Raum für Friktionen, versucht viel zu viele höchstgradig divergierende Einzelinteressen zu vereinen und ist viel zu komplex, zu kompliziert und schlussendlich nicht steuerbar, also nicht ausreichend koordinierbar.
Wir brauchen zunächst EINE kriegsfähige Armee, von dieser ausgehend kann dann alles weitere organisch von unten nach oben wachsen. Stuckwerk der Hochtechnologie, gleichgültig wie nützlich es militärisch sein mag, kann keinen solchen Kondensationskeim bilden.
Zitat:Ich habe hier kein Konzept vorgestellt, sondern nur dargelegt, warum ich es für einen Irrweg halte, jetzt alle zukunftsweisenden Hochtechnologieprojekte nach hinten zu schieben um militärisch fundamentale Fähigkeiten aufzubauen.
Und ich schrieb nicht davon ALLE zukunftsweisenden Hochtechnologieprojekte nach hinten zu verschieben, sondern nur ganz bestimmte, während man Schwerpunkte bei den anderen bildet.
Wir versuchen da zu viele Baustellen zugleich zu bearbeiten. Wir müssen uns beschränken, davon bin ich fest überzeugt, und daraus resultiert eben meine Fragestellung, welche dieser Hochtechnologieprojekte tatsächlich unabdingbar notwendig sind, welche wie substituiert werden könnten und wie man durch eine Beschränkung dieser Mittel frei machen kann für eine sofort verfügbare EU Streitmacht, welche zunächst aus einem nationalen Projekt und nationaler militärischer Stärke heraus erwächst.
Zitat:Finanzielle und koordinatorische Probleme werden aktuell gerade bei den Großprojekten immer wieder in den Vordergrund gerückt, und sicherlich besteht hier Potenzial zur Reduzierung von Entwicklungszeiten. Der überwiegende Teil der Laufzeit ergibt sich aber aus der Grundlagenforschung, die sich auch mit größerem Finanzeinsatz nur bedingt beschleunigen lässt (das sind exponentielle Abhängigkeiten). Zudem lässt diese Grundlagenforschung keine Schwerpunktbildungen zu, weil Hochtechnologie ganzheitlich betrachtet werden muss, sofern man nicht nur ein einziges, technologisch und zeitlich eng beschränktes Ziel erreichen will. Bei der Umsetzung wiederum gibt es bereits jetzt Schwerpunkte, wenn man alle theoretischen Entwicklungsmöglichkeiten betrachtet.
Diese Schwerpunkte bei der Umsetzung der Grundlagenforschung in reale praktische militärische Fähigkeiten könnte und sollten jedoch noch enger umrissen und konzentrierter gefasst werden. Während man bei der Grundlagenforschung sicherlich einen ganzheitlicheren Ansatz benötigt, so kommt diese ja nicht nur dem militärischen Sektor zugute und sollte daher nicht begrenzt auf diesen betrachtet werden. Umgekehrt aber muss man die real praktische Umsetzung dieser Forschung in militärische Systeme durchaus begrenzen, auf das was unabdingbar notwendig ist. Um die Mittel frei zu machen, welche für das Militär selbst notwendig sind um kriegsfähige Strukturen vorzuhalten. Den Hochtechnologie bzw. Technologie an sich ist nur ein Aspekt, nur ein Teil des größeren Ganzen hier.
Wenn man die Technologie zu sehr anstelle der anderen Teile gewichtet, ihr einen zu großen Raum einräumt, dann kann dies genau den gegenteiligen Effekt erzeugen den man damit eigentlich anstrebt. Dann ist man technologisch weit überlegen und verliert trotzdem jeden Krieg selbst gegen technologisch weit unterlegene Gegner. Diese Gefahr der Übertechnisierung der Streitkräfte besteht also vor allem darin, dass die Kampffähigkeit in allen anderen Aspekten reduziert und auf dem Altar der Hochtechnologie geopfert wird, weil man diese als kriegsentscheidend bzw. wesentlich bedeutender wahrnimmt als sie es ist.
Da ich aber keineswegs bestreiten kann, dass Hochtechnologie zwar nicht der primäre und alles dominierende, aber doch ein durchaus wesentlicher Faktor ist, deshalb muss man meiner Überzeugung nach zwar in der Grundlagenforschung durchaus ganzheitlich vorgehen, in der praktischen realen Umsetzung dieser Grundlagenforschung aber die Schwerpunkte so setzen, dass möglichst viel mit möglichst wenigen Systemen abgedeckt wird und darüber hinaus diese Rüstung so effizient wie möglich ist und dadurch eben nicht die militärischen Grundlagen beeinträchtigt werden, also trotz der teureren / aufwendigeren Systeme der Hochtechnologie weiterhin eine kriegsfähige nationale Armee besteht.
Eine bloße Unterstützungstruppe aus einer größeren Bandbreite von Systemen der Hochtechnologie, erzeugt nicht nur eine kaum größere Quantität an diesen Systemen insgesamt, da die Bandbreite dann trotz der Vernachlässigung der Kriegsfähigkeit der Streitkraft selbst die Zahl der Systeme aufgrund von Kosten / Aufwand beschränkt und es kostet wie schon geschrieben die Einsatzfähigkeit der Armee.
Dies ist nicht nur politisch-strategische eine meiner Ansicht nach zu risikoreiche Ausrichtung, weil sie wie schon beschrieben Abhängigkeiten von anderen erzeugt, sie leistet auch (so meine These) eben weniger für die Integration der nationalen Streitkräfte der EU Staaten in eine EU Armee, weil eine solche nicht aus einer gemeinsamen simultanen Kooperation auf Augenhöhe heraus entstehen kann, sondern nur aus einer organisch wachsenden Ergänzung eines Gravitationszentrums um von diesem angezogene Elemente. Man braucht einen wirklich großen, kriegsfähigen Block einer real einsatzfähigen Streitkraft, an diese können dann geringere Unterstützungskräfte von anderen angehängt werden.
Eine bloße Unterstützungsstruktur (Rahmennationenkonzept) bei der ein solcher Block fehlt, die also darauf setzt dass andere die Basis bilden und wir uns auf Führung, Santitätswesen, Kampfflugzeuge usw konzentrieren erzeugt meiner Meinung nach zu viele Friktionspunkte um funktional zu sein. Sie ist nicht koordinierbar und daher nicht schnell genug implementierbar. Und wenn diese sicherheitspolitische Strategie dann scheitert, steht man alleine ohne kriegsfähige Streitmacht dar.