@Quintus
Zitat:Gerade der Freistaat Preußen war politisch deutlich stabiler als der Rest der Weimarer Republik, und innerhalb dieses Freistaates waren die eigentlichen genuin preußischen Gebiete noch mal deutlich stabiler und dort setzte sich der Nationalsozialismus viel weniger durch als sonst irgendwo in Deutschland. Preußen galt als Bollwerk der Demokratie gegen die Radikalen von Links und Rechts - und wurde fast durchgehend von Sozialdemokraten regiert.
Das ist richtig. Genau genommen schenken sich allerdings die Gebiete der Weimarer Republik nicht sonderlich viel, was Wirren zu Beginn und mangelnde politische Stabilität danach betrifft. Die Umsturzversuche waren nach dem Abgang des Kaisers landesweit, und Revolutionen und Putsche fand man in den ersten Jahren der neuen Republik überall, von Bayern über das Ruhrgebiet und Hamburg bis nach Berlin. Die relative Phase der Prosperität und Ruhe nach der Inflationszeit galt dann weitgehend aber auch für alle Bereiche des Landes.
Zitat:Nirgends im Reich hatten es die Nationalsozialisten so schwer sich durchzusetzen wie in den preußischen Kerngebieten, dem echten und eigentlichen Preußen.
Wobei das, je nachdem, wo man nun die Grenze zieht, nicht unbedingt für Ost- und Westpreußen gilt. Vor allem Ostpreußen war bereits vor der eigentlichen "Machtübernahme" der NSDAP eines der Reichsgebiete, wo Hitler am meisten Zuspruch bekam. Allerdings muss natürlich auch korrekterweise daraufhin hingewiesen werden, dass dies den Teilungsabsichten der Siegermächte und auch der Bedrohung durch den neu entstandenen polnischen Staat geschuldet gewesen sein mag.
Zitat:Die vielzitierten preußischen Tugenden welche die Nationalsozialisten zweifelsohne missbrauchten waren zudem in dieser Zeit längst genuin allgemeine deutsche Tugenden geworden, es ist daher verfehlt ausgerechnet in Preußen die Grundlage des Nationalsozialismus erblicken zu wollen, nichts könnte entfernter von der Wahrheit sein.
Dass es diesen Missbrauch gab, sagst du hier ja selbst. Und ob es nun (bereits) genuin deutsche Tugenden waren, darüber kann man streiten. Möglich ist es allerdings durchaus, wenn man bedenkt, dass Millionen von Frontsoldaten, die im Regelfall die Philosophie der Kaiserzeit, wonach man nur als Uniformträger etwas galt, und hieran hatte Preußens Militärtradition ein gerüttelt Maß Anteil, in sich trugen bzw. wieder ins Reich mitbrachten (wobei im Arbeitermilieu und in katholischen Kreisen dieses Empfinden weniger stark ausgeprägt war).
Zitat:Nationalismus wird heute immer gleichgesetzt mit Intoleranz, Agression gegen andere und Verachtung anderer. Genau das ist falsch.
Das sehe ich anders. Im Regelfall geht Nationalismus, und das kann man auch historisch so sehen, leider immer einher mit einer oftmals überheblichen bis herabsetzenden Deutung gegenüber anderen Staaten (oder auch Religionsgruppen, z. B. wenn man sich den Nationalismus in Indien anschaut). Zumal er sich auch mit Komponenten wie Hass und Furcht sehr viel leichter kombinieren lässt (wenn ein politisches System dieses propagandistisch anstrebt). Ein gesunder Patriotismus sollte davor eigentlich gefeit sein bzw. er sollte aus der Überzeugung
für eine Sache heraus entstanden sein und nicht, weil er
gegen (wie im Regelfall der Nationalismus) etwas ausgerichtet ist.
Zitat:Für eine Armee kann und darf es daher keinen Unterschied zwischen Patriotismus und Nationalismus geben, wenn sie Kriegsfähig sein soll. Ein abstrahierter Grundgesetz-Patriotismus ist viel zu abstrakt, viel zu weit von jeder realen Lebenswirklichkeit entfernt. Soldaten den Nationalismus zu verweigern führt im weiteren gerade eben dazu, dass sie sich solchen Wahnideen wie dem Nationalsozialismus oder anderem rechtsextremen Denken zuwenden. Es ist gerade eben die Verweigerung echten positiven Nationalismus zuzulassen, welche diejenigen welche ansonsten darin Halt finden würden dazu verleitet sich dem Rechtsextremismus zuzuwenden.
Ja, ich denke, ich kann auch verstehen, was du genau meinst. Das Problem dürfte aber sein, dass das nur sehr schwer umzusetzen ist. Genau genommen ist es ein relativ theoretisches Gebilde, dass beim Versuch, dieses in eine Armee zu implementieren, enorme Schwierigkeiten in sich trägt. Das ist eine Gradwanderung, und ich frage mich auch, wie man das umsetzen sollte, alleine mit Unterricht wird es nicht klappen. Zudem wirst du leider immer auch Leute haben, die das ganze Ideenkonstrukt hin zum Größenwahn kapern wollen.
@Broensen
Zitat:Nicht-expansive Nationen haben hingegen teilweise ein ganz anderes, unproblematischeres Verständnis von Nationalismus und Patriotismus.
Das trifft es recht genau bzw. gibt wieder, wo meine Sorgen hinsichtlich Patriotismus und Nationalismus liegen. Um einen Schweizer Nationalismus oder einen in Neuseeland mache ich mir wenig Gedanken, aber um einen in Russland oder China schon eher.
Auch in europäischen Ländern ist es teils problematisch. Vor allem weil der Nationalismus/Patriotismus teilweise die Türen öffnet für eine Geschichtsschönfärberei. Während es Italien z. B. nur schwer über sich bringt, seine Kriegsverbrechen in Libyen und in Abessinien aufzuarbeiten, auch das Vereinigte Königreich will von seinen kolonialen Vergehen ungefähr so viel wissen wie Frankreich von der Vichy-Zeit und dem Gemetzel im Algerienkrieg, ist es in Deutschland so, dass man nicht wie die genannten anderen Staaten irgendwie "mitsiegen" und letztlich auf der guten Seite stehen konnte, sondern eben genau weiß, dass man verloren hat und dass ein überbordender Nationalismus, gepaart mit Diktatur und Rassenhass, in die fürchterliche Katastrophe der Gotenschlacht von 1945 mündete.
Dies führte letztlich in Deutschland (allerdings auch erst grob nach 1970) zu einer durchaus grundlegenden Aufarbeitung der Verbrechen und Irrungen der Vergangenheit, und das ist zweifelsohne auch wichtig, hat aber zugleich es mit sich gebracht, dass jegliche patriotische Regung sofort einem reflexhaften Verdachtsmoment unterworfen wird, ja die Befürchtung aufkommt, es könnte ein intoleranter Nationalismus entstehen, der den Kern einer erneuten Katastrophe in sich trägt. Und da gebe ich Quintus auch wiederum recht, da dies ein Hemmschuh sein kann für den Esprit de Corps und den (notwendigen) Patriotismus in einer Armee, zumal sich die Gefahren ergeben, dass sich manche Idioten einfach "Ersatztraditionen" suchen und dann 88er-T-Shirts anziehen.
Eine optimale Lösung habe ich allerdings keine. Es wird, wie vieles auch in einer Demokratie, mühsam sein, aber es ist unumgänglich, dass wir eine Tradition und einen Patriotismus/Nationalismus in der Armee schaffen, der frei ist vom Dritten Reich, der aber zugleich es ermöglicht, einen gewissen Nationalstolz in sich zu tragen, ohne dass man hierfür die dunklen Seiten der Geschichte ausblendet oder gar leugnet oder bis zu Arminius zurückgeht. Nicht einfach, gewiss, aber unumgänglich...
Schneemann