Zitat:Lagebeurteilung des österreichischen Bundesheeres
Ein wesentlicher Aspekt der hier von Herr Oberst Reisner nicht angesprochen wird ist, auf welche Weise die Russen hier ihre Streitkräfte ins Gefecht geführt haben, und zwar dahingehend, dass man nicht erst eine notwendige Masse angesammelt hat, sondern die Verbände so wie sie kamen einen nach dem anderen ins Gefecht geworfen hat. Auch das hat den Durchbruch der Russen stark beeinträchtigt bzw. verhindert.
Das waren ganz klassische Piecemeal-Attacks, wie es so schön neudeutsch heißt, der Russe hat also seine Kräfte verkleckert und stückchenweise verkleckert, statt erst mal im Bereitstellungsraum ausreichende Kräfte aufzubauen.
Die einzig logische Erklärung hierfür ist Druck von Oben, also politische Ziele.
Allgemein:
Die russischen Operationslinien werden viel zu stark von politischen Objektpunkten beherrscht. Es ist aber für einen Sieg absolut notwendig, dass die Wahl der politischen Objekte den Interessen der militärischen Strategie so lange untergeordnet sein muss, bis die militärische Frage durch die Waffen entschieden ist.
Die aktuelle Auslegung der russischen Operationsbasen wie der Operationslinien ist zudem katastrophal nachteilig für die Russen aufgrund ihrer geographischen Ausrichtung. Es droht hier schlußendlich, dass die eine (südliche) Hälfte ihrer Streitkräfte gegen das Meer abgedrängt, dort eingekesselt und vernichtet wird. Dann wird der Rest der Streitkräfte im Osten sich im weiteren als unzureichend erweisen.
Die Benennung der Eroberung der Schwarzmeerküste als politischem Objektpunkt bedeutet, dass die russische Operationslinie hier entlang gelegt wird, was aber strategisch gesehen extrem problematisch ist und die Wahrscheinlichkeit eines ukrainischen Sieges deutlich erhöht. Es fehlen den Russen auch vorläufige Basen oder strategische Reserven um überhaupt diese falschen (weil nachteiligen) Operationslinien überhaupt sichern zu können. Die Ukrainer wiederum bewegen sich auf Inneren Linien und haben damit alle Vorteile.
Ein weiterer strategischer Fehler der Russen ist es meiner Meinung nach, dass sie jetzt angesichts der realen Kräfteverhältnisse nicht ihre Kräfte auf den wichtigsten Punkt allein konzentriert haben, um an den Nebenpunkten in starken Stellungen oder hinter Flüssen in der Verteidigung zu bleiben, sondern dass sie auch wieder an den Nebenpunkten zugleich aktiv geworden sind und selbst in Bezug auf die "kleine Lösung" im Donbass in zwei gleichberechtigten Operationslinien agierten, um dort einen Kessel zu bilden, was sich aber angesichts der Beschränktheit der Kräfte eigentlich verbietet (verboten hat).
Die Russen hätten daher ihre Kräfte im Norden konzentrieren und dort allein mit dem größten Teil ihrer Kräfte durchbrechen müssen, statt zugleich auch von Süden her den Durchbruch zu versuchen. Ebenso war es meiner Meinung nach ein Fehler die Manövrierlinien ungeachtet der ukrainischen Stellungen einfach direkt entlang der strategischen Linien zu führen. So traf Stärke auf Stärke während man bei einer Verlegung der Manövrierlinie - beispielsweise nach einem Durchbruch im Norden weiter westlich verlaufend die stärksten ukrainischen Stellungen hätte vermeiden können.
Es sind all diese Fehler welche sich fortlaufend addieren und einen russischen Sieg immer fragwürdiger machen. Mit den aktuell noch vorhandenen Kräften ist es eher wahrscheinlich, dass die Ukrainer in einiger Zeit südöstlich in Richtung Asowsches Meer werden durchbrechen können, so dass dann nicht unerhebliche russische Truppenteile im Süden im Bereich Kherson eingekesselt werden. Ich bin mal sehr gespannt ob das so kommen wird wie von mir angenommen.