16.03.2022, 11:04
Werter Nightwatch:
Vor allem anderen sollte der Krieg in der Ukraine aufzeigen, dass man NIEMALS einen Feind unterschätzen darf.
Und man muss feststellen, dass der Umstand dass die Russen (Gott sei es gedankt!) deutlich schwächer als erwartet sind rein gar nichts daran ändert, dass wir selbst erhebliche Defizite haben. Wie voyageur es so perfekt geschrieben hat:
Wir benötigen zeitnah eine glaubhafte konventionelle Abschreckung, denn die nukleare Abschreckung wird meiner Einschätzung nach Russland nicht davon abhalten konventionell NATO Gebiet anzugreifen.
Das was dabei zuvorderst heraus kommen würde ist ein vollumfänglicher Krieg mit der RF mit einem viel zu hohen - inakzeptablen Risiko für eine nukleare Eskalation. Ein Krieg der selbst wenn er konventionell bleiben würde so große Schäden anrichten würde, dass man die Frage der Kosten - Nutzen Relation stellen muss.
Da bin ich allerdings wieder voll bei dir und dass ist exakt das was ich hier im Forum auch schon vor 2014 so geschrieben habe, dass man das Baltikum zu einer neuen Militärgrenze aufrüsten muss. Indem wir unser Geld für die Aufrüstung der Balten geben.
Dabei muß man allerdings beachten, dass diese erhebliche Aufrüstung im Baltikum keine Offensivkraft hat, denn sonst wird sie von Russland gekontert werden müssen. Das heißt wir brauchen im Baltikum ganz andere Wehrstrukturen, ganz andere Grundsätze und auch ganz andere Waffensysteme als die welche bisher dort beschafft wurden.
lime:
Nehmen wir noch den Umstand dazu, dass keineswegs alle Ukrainer Anti-Russisch sind und es auch im Westen pro-russische Gruppen gibt. Meiner Überzeugung nach würde trotzdem ein erheblicher Guerillakrieg de facto unbegrenzt stattfinden können, wenn wir dann verdeckt und heimlich diesen aus dem Ausland mit Waffen, Informationen und Geld nähren.
Zieh mal den Vergleich zu Afghanistan: die Sowjets gingen in Afghanistan noch sehr viel brutaler und extremer vor als alles was man in den letzten Jahren von den Russen je gesehen hat. Sehr viele Afghanen flohen ins Ausland. Ganze Landstriche wurden entvölkert. Trotzdem ging der Guerillakrieg immer weiter und weiter.
Das entscheidende Moment eines Guerillakrieges ist nicht, dass die Bevölkerung selbst nicht mehr kämpfen will oder dass sie kämpfen will, deshalb scheitern die aktuellen westlichen Hearts- and Minds- Strategien im Bereich COIN, sondern dass die Guerilla selbst von außen von einer Dritten Macht unterstützt wird und dass sie mit dieser Unterstützung den Kampf einfach weiter führt - ohne dass dieser je zu einem Ende kommt, bzw. ohne dass es eine Entscheidung gibt. Daher ist das primäre Element der Guerilla mit der Unterstützung welche sie von Dritten erhält einfach nur den Kampf aufrecht zu erhalten und dass ist auch dann möglich, wenn ein Gros der Bevölkerung fliehen sollte oder keine Lust mehr dazu hat.
Broensen:
Warum muss man das? Allein schon den Begriff Gemeinschaft finde ich übrigens hier einfach nur falsch: es gibt keine Gemeinschaft. Sich vorher festlegen beraubt einen notwendiger Handlungsoptionen und dies unnötig, weil diese Festlegung bezüglich der Ukraine nicht notwendig ist.
Natürlich muss man klar vorher festlegen was passiert wenn NATO Territorium angegriffen wird, aber die Ukraine und NATO Staaten sind etwas völlig verschiedenes.
Nun greift genau hier das Argument von Helios ein, dass wir ja sozusagen indirekt durch eine solche Vorab-Festlegung explizit NATO Staaten schützen, indem wir für diese eine glaubhafte Abschreckung erzeugen, gerade indem wir auch für die Ukraine solche Vorab-Festlegungen von uns geben. Und genau da ist der Dissens: meiner Überzeugung nach erhöht das die Abschreckung in Bezug auf NATO Territorium nicht - oder nur unzureichend, und geht zugleich mit einem höheren Risiko für eine Eskalation einher. Dieses Risiko steht nun in keiner Relation zum Nutzen - der Verbesserung der Abschreckung, weil man hier meiner Meinung nach von Fehlannahmen in Bezug auf die russische Führung und die Inneren Verhältnisse in Russland ausgeht.
Natürlich könnte diese Methodik rein theoretisch funktionieren, aber dafür ein solches Risiko einzugehen, ohne dass der Ausgang definitiv gesichert ist, halte ich für Hasardeurtum. Selbst Helios hat ja eingeräumt, dass weder er noch meine Wenigkeit gesichert wissen was nun genau geschehen wird und alles spekulativ ist. Solange das so ist, kann man nicht derartige Maßnahmen auch nur ankündigen, weil der Mangel an gesichertem Wissen und die möglichen Fernwirkungen unkalkulierbar sind.
Keineswegs sollte man die Ukrainer möglichst schnell zur Einstellung offener Kampfhandlungen treiben, sondern nach außen muss man es natürlich völlig anders darstellen, und das exakte Gegenteil behaupten, im Geheimen aber die Weichen so stellen, dass der weitere Verlauf so sein wird, wie es sich vom Status Quo her abzeichnet, nämlich dass die Ukraine konventionell innerhalb der nächsten 2 Monate verlieren wird.
Es kommt auf die genau richtige Temperatur an. Natürlich darf man die Temperatur nicht zu weit herunter drehen, dann köchelt es nicht mehr vor sich hin und wird genau so wenig funktionieren. Wir dürfen aber nicht nur den Ukrainern den naiven Glauben daran dass sie siegen könnten nicht nehmen, sondern wir dürfen den Russen auch nicht den Glauben daran nehmen dass sie gewinnen können. Und der zweite Part, den Russen nicht die Hoffnung zu nehmen ist ebenso elementar wichtig.
Tatsächlich ist der Status Quo gar nicht so schlecht (für uns). Von da aus könnte man die Rahmenbedingungen leicht so gestalten, dass sie schlußendlich optimal sind und der ganze Konflikt organisch dann zeitnah (innerhalb der nächsten Wochen) in den Guerillakrieg übergeht, ohne dass die Russen den Kampf in der Ukraine drastisch eskalieren.
Wesentlich wäre es natürlich, weiterhin sehr exakt zwischen der Darstellung unserer Politik nach außen und der tatsächlichen Realpolitik strikt zu unterscheiden und auch das ist ja im Ansatz hier und heute bereits der Fall, wenn wir weiter ca. 1 Milliarde Euro pro Tag aus der Gesamt-EU an Russland überweisen für Rohstofflieferungen und uns zugleich ach so moralisch empören und den Import von russischen Vodka verbieten. Diese Heuchelei die ohnehin Realität ist sollte man also hinnehmen und schlicht und einfach ausbauen.
Zitat:Ich meine doch, dass der Krieg in der Ukraine zeigt, dass unsere militärische Lage so schlimm nicht ist. Wir müssen doch feststellen, dass wir die Fähigkeiten der russischen Streitkräfte in der Breite überschätzt haben.
Vor allem anderen sollte der Krieg in der Ukraine aufzeigen, dass man NIEMALS einen Feind unterschätzen darf.
Und man muss feststellen, dass der Umstand dass die Russen (Gott sei es gedankt!) deutlich schwächer als erwartet sind rein gar nichts daran ändert, dass wir selbst erhebliche Defizite haben. Wie voyageur es so perfekt geschrieben hat:
Zitat:Dann kam der jetzige Ukrainekrieg, und die Russen wurden als (Teil) Papiertiger identifiziert. Was aber überhaupt nichts an unseren Defiziten ändert.
Wir benötigen zeitnah eine glaubhafte konventionelle Abschreckung, denn die nukleare Abschreckung wird meiner Einschätzung nach Russland nicht davon abhalten konventionell NATO Gebiet anzugreifen.
Zitat:Ehrlich gesagt ist mir – eine ordentliche Vorbereitung vorausgesetzt – schleierhaft, wie bei der robusten Durchsetzung einer Flugverbotszone groß etwas anders herauskommen sollte als eine schnelle Zerschlagung der eingesetzten russischen Luftverbände.
Das was dabei zuvorderst heraus kommen würde ist ein vollumfänglicher Krieg mit der RF mit einem viel zu hohen - inakzeptablen Risiko für eine nukleare Eskalation. Ein Krieg der selbst wenn er konventionell bleiben würde so große Schäden anrichten würde, dass man die Frage der Kosten - Nutzen Relation stellen muss.
Zitat:Das sinnvollste was man da machen könnte wäre aber die Stärkung der baltischen Streitkräfte selbst. Jede Milliarde die da investiert wird generiert ein vielfaches der Kampfkraft als wenn wir sie für die Bundeswehr ausgeben würden. Es wäre absolut zu überlegen, ob wir nicht mit einem Teil des Sondervermögens schlicht (deutsche) Waffen für die baltischen Verbündeten kaufen.
Da bin ich allerdings wieder voll bei dir und dass ist exakt das was ich hier im Forum auch schon vor 2014 so geschrieben habe, dass man das Baltikum zu einer neuen Militärgrenze aufrüsten muss. Indem wir unser Geld für die Aufrüstung der Balten geben.
Dabei muß man allerdings beachten, dass diese erhebliche Aufrüstung im Baltikum keine Offensivkraft hat, denn sonst wird sie von Russland gekontert werden müssen. Das heißt wir brauchen im Baltikum ganz andere Wehrstrukturen, ganz andere Grundsätze und auch ganz andere Waffensysteme als die welche bisher dort beschafft wurden.
lime:
Zitat:Angenommen dies passiert und Rußland hat die Ukraine de facto besiegt, zum Beispiel durch die Eroberung Kiews, Annektierung der Ostukraine und Einsetzung eines Marionettenregimes in der Westukraine. Wie groß wird dann noch die Kampfmoral für einen langfristigen Guerillakrieg sein? Wäre es nicht wahrscheinlicher dass die Männer dann ihren Frauen und Kindern in die EU folgen und den bewaffneten Kampf aufgeben?
Nehmen wir noch den Umstand dazu, dass keineswegs alle Ukrainer Anti-Russisch sind und es auch im Westen pro-russische Gruppen gibt. Meiner Überzeugung nach würde trotzdem ein erheblicher Guerillakrieg de facto unbegrenzt stattfinden können, wenn wir dann verdeckt und heimlich diesen aus dem Ausland mit Waffen, Informationen und Geld nähren.
Zieh mal den Vergleich zu Afghanistan: die Sowjets gingen in Afghanistan noch sehr viel brutaler und extremer vor als alles was man in den letzten Jahren von den Russen je gesehen hat. Sehr viele Afghanen flohen ins Ausland. Ganze Landstriche wurden entvölkert. Trotzdem ging der Guerillakrieg immer weiter und weiter.
Das entscheidende Moment eines Guerillakrieges ist nicht, dass die Bevölkerung selbst nicht mehr kämpfen will oder dass sie kämpfen will, deshalb scheitern die aktuellen westlichen Hearts- and Minds- Strategien im Bereich COIN, sondern dass die Guerilla selbst von außen von einer Dritten Macht unterstützt wird und dass sie mit dieser Unterstützung den Kampf einfach weiter führt - ohne dass dieser je zu einem Ende kommt, bzw. ohne dass es eine Entscheidung gibt. Daher ist das primäre Element der Guerilla mit der Unterstützung welche sie von Dritten erhält einfach nur den Kampf aufrecht zu erhalten und dass ist auch dann möglich, wenn ein Gros der Bevölkerung fliehen sollte oder keine Lust mehr dazu hat.
Broensen:
Zitat:Aber man muss halt als Gemeinschaft festlegen, was man gewillt ist, zu akzeptieren.
Warum muss man das? Allein schon den Begriff Gemeinschaft finde ich übrigens hier einfach nur falsch: es gibt keine Gemeinschaft. Sich vorher festlegen beraubt einen notwendiger Handlungsoptionen und dies unnötig, weil diese Festlegung bezüglich der Ukraine nicht notwendig ist.
Natürlich muss man klar vorher festlegen was passiert wenn NATO Territorium angegriffen wird, aber die Ukraine und NATO Staaten sind etwas völlig verschiedenes.
Nun greift genau hier das Argument von Helios ein, dass wir ja sozusagen indirekt durch eine solche Vorab-Festlegung explizit NATO Staaten schützen, indem wir für diese eine glaubhafte Abschreckung erzeugen, gerade indem wir auch für die Ukraine solche Vorab-Festlegungen von uns geben. Und genau da ist der Dissens: meiner Überzeugung nach erhöht das die Abschreckung in Bezug auf NATO Territorium nicht - oder nur unzureichend, und geht zugleich mit einem höheren Risiko für eine Eskalation einher. Dieses Risiko steht nun in keiner Relation zum Nutzen - der Verbesserung der Abschreckung, weil man hier meiner Meinung nach von Fehlannahmen in Bezug auf die russische Führung und die Inneren Verhältnisse in Russland ausgeht.
Natürlich könnte diese Methodik rein theoretisch funktionieren, aber dafür ein solches Risiko einzugehen, ohne dass der Ausgang definitiv gesichert ist, halte ich für Hasardeurtum. Selbst Helios hat ja eingeräumt, dass weder er noch meine Wenigkeit gesichert wissen was nun genau geschehen wird und alles spekulativ ist. Solange das so ist, kann man nicht derartige Maßnahmen auch nur ankündigen, weil der Mangel an gesichertem Wissen und die möglichen Fernwirkungen unkalkulierbar sind.
Zitat:den Ansatz, die Ukrainer möglichst schnell zur Einstellung der offenen Kriegshandlungen und zum Rückzug in den Guerillakampf zu treiben, halte ich weder für erstrebenswert, noch für realisierbar. Der Widerstand lebt doch im Moment gerade davon, dass man an die Chance glaubt, regulär siegen zu können, so gering diese auch in der Realität sein mag. Aber dieser Glaube und auch das Gefühl einer gewissen -wenn auch begrenzten- internationalen Rückendeckung sind es, die den Ukrainern den Willen zum Kampf gibt. Jede Bemühung, die diesem Glauben abträglich ist, schwächt auch den zu erwartenden Guerillakampf,
Keineswegs sollte man die Ukrainer möglichst schnell zur Einstellung offener Kampfhandlungen treiben, sondern nach außen muss man es natürlich völlig anders darstellen, und das exakte Gegenteil behaupten, im Geheimen aber die Weichen so stellen, dass der weitere Verlauf so sein wird, wie es sich vom Status Quo her abzeichnet, nämlich dass die Ukraine konventionell innerhalb der nächsten 2 Monate verlieren wird.
Es kommt auf die genau richtige Temperatur an. Natürlich darf man die Temperatur nicht zu weit herunter drehen, dann köchelt es nicht mehr vor sich hin und wird genau so wenig funktionieren. Wir dürfen aber nicht nur den Ukrainern den naiven Glauben daran dass sie siegen könnten nicht nehmen, sondern wir dürfen den Russen auch nicht den Glauben daran nehmen dass sie gewinnen können. Und der zweite Part, den Russen nicht die Hoffnung zu nehmen ist ebenso elementar wichtig.
Tatsächlich ist der Status Quo gar nicht so schlecht (für uns). Von da aus könnte man die Rahmenbedingungen leicht so gestalten, dass sie schlußendlich optimal sind und der ganze Konflikt organisch dann zeitnah (innerhalb der nächsten Wochen) in den Guerillakrieg übergeht, ohne dass die Russen den Kampf in der Ukraine drastisch eskalieren.
Wesentlich wäre es natürlich, weiterhin sehr exakt zwischen der Darstellung unserer Politik nach außen und der tatsächlichen Realpolitik strikt zu unterscheiden und auch das ist ja im Ansatz hier und heute bereits der Fall, wenn wir weiter ca. 1 Milliarde Euro pro Tag aus der Gesamt-EU an Russland überweisen für Rohstofflieferungen und uns zugleich ach so moralisch empören und den Import von russischen Vodka verbieten. Diese Heuchelei die ohnehin Realität ist sollte man also hinnehmen und schlicht und einfach ausbauen.