(14.03.2022, 11:49)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Du machst dir ernsthaft keine Sorgen über einen Nuklearkrieg und schreibst im nächsten Atemzug, dass man über eine Flugverbotszone öffentlich nachdenken sollte?! Eine solche würde meiner Überzeugung nach die höchste Wahrscheinlichkeit für einen Nuklearkrieg bedeuten seit es diese Waffen gibt. Die RF wird sich unter gar keinen wie auch immer gearteten Umständen eine Flugverbotszone über der Ukraine gefallen lassen, dass wäre auch intern der sofortige Untergang der Regierung Putin und dessen persönliches Ende.
Ein Eingreifen der Nato könnte sogar ein Ausweg für Putin aus einem ansonsten festgefahrenen Konflikt mit der Ukraine sein. Es liese sich leichter verkaufen, dass er den Konflikt aufgrund des Eingreifens des übermächtigen Westens hat beenden müssen als zuzugeben, dass die glorreiche russische Armee nicht mal mit ein paar Nazis in der Ukraine fertig wird.
Davon ab:
Eine nukleare Eskalation in einem Konflikt mit der Nato um die Ukraine macht nur dann tiefergehenden Sinn, wenn sich dadurch ein militärischer Vorteil ergibt. Ich sehe das nicht. Putin kann einen Krieg mit der Nato nicht gewinnen, egal ob er zu Atomwaffen greift oder nicht. Der Einsatz von Atomwaffen würde nur den Preis des Konflikts auf beiden Seiten erhöhen.
Wenn wir Putin unterstellen, dass er auf jeden Fall Russland als Nation erhalten möchte, führen ihn Atomschläge doch nur in eine Sackgasse.
In der maximalen Esklationsstufe müsste er sich entscheiden zwischen einem velorenen Abenteuer in der Ukraine und der Vernichtung Russlands und der westlichen Welt. Für Putin mag die Ukraine wichtig sein, aber ich bin mir sehr sicher, dass ihm das Fortbestehen Russlands noch wichtiger ist.
In diesem Zusammenhang lohnt es sich vielleicht auch einen Blick in die Geschichte zu riskieren. Der Deutsche Gernegroß hat bis zuletzt darauf verzichtet Giftgas einzusetzen. Selbst dann noch als er alles verloren gegeben und mit der Deutschen Nation und dem Deutschen Volk abgeschlossen hatte. Natürlich lag das in weiten Teilen auch an Hitlers persönlichen Erfahrungen mit Giftas im 1. Weltkrieg, aber es ist schon ein Beispiel das zeigt, dass ein Krieg wahnhaft bis zum bitteren Ende ausgefochten werden kann, ohne das allerletzte Register zu ziehen.
Und bei allen Memes, Putin und erst Recht sein Umfeld und die militärische Befehlskette sind sehr weit von Führerbunker 1945 entfernt.
Es gibt keinen Automatismus der unbegrenzten Eskalation, auch nicht im Atomkrieg.
Von kleinen taktischen Kernwaffen gegen militärische Hochwertziele zum unbegrenzten nuklearen Schlagabtausch ist es ein sehr weiter Weg. Bei Lichte betrachtet wäre der Einsatz taktischer Kernwaffen gegen militärische Ziele in Osteuropa sicherlich eine sehr unschöne Geschichte, aber nichts was irgendjemanden existentiell bedrohen würde.
Die Schäden wären gewaltig (und im Machtkalkül sinnlos wie oben geschrieben), aber sie wären ein Fliegenschiss in Vergleich zu dem Inferno das ein unbegrenzter Atomkrieg entfesseln würde. Und das wissen alle Beteiligten.
Quintus Fabius schrieb:WARUM sollten wir für die Ukraine einen Atomkrieg riskieren?
Pourquoi mourir pour Tallin? Why die for Visby? Warum für Lappeenranta sterben?
Wo ziehst du denn die Linie? Was ist am EU/NATO Grenzen so magisch anders, als das wir auf der einen Seite der Vernichtung der Staatlichkeit der Ukraine zusehen und gleichzeitig jeden Quadratzentimeter europäische Nato-Erde bis zum letzten Blutstropfen verteidigen wollen?
Was machen wir denn wenn Putin im Baltikum nicht so plump vorgeht wie in der Ukraine? Wenn er über Jahre die russischsprachige Bevölkerung dort anstachelt, Provokateure und Akteure einschleust und irgendwann einfach die kleinen grünen Männchen da sind und ganz bestimmt nur in den russisch geprägten Gebieten jetzt halt für Ordnung sorgen?
Oder robuster, was machen wir denn wenn irgendwann wieder aufgebaute VDV-Verbände einfach so auf Gotland landen und Putin demonstrativ eine Kernwaffe in der Ostsee zündet?
Helios hat das schon schön herausgearbeitet und mir erschließt sich auch nicht, wie wir Putin zukünftig abschrecken können werden, wenn wir ihn nach Belieben in der Ukraine rumtoben lassen. Warum sollte er annehmen, das unsere Drohungen glaubthaft sind, wenn wir demonstrieren, dass wie einen Atomkrieg bis zur Selbstverleugnug vermeiden wollen?
Wir laufen mit unserer Passivität Gefahr, das Putin die gleichen Fehlkalkulationen unterlaufen die schon den zweiten Weltkrieg mit ausgelöst haben.
Quintus Fabius schrieb:Mit einem Wort: Nein. Und zwar weil die Führung von Rot viel weniger Optionen hat und die Lage für die Führung von Rot bereits längst viel kritischer ist als es für die von dir vorgeschlagene Strategie nötig wäre. Rot hat unter bestimmten Umständen gar keine Wahl mehr, weil es dort längst um das eigene physische Überleben geht. Deshalb wird Rot diese deine Logik nicht mitgehen und ist deine Kausalkette falsch.
Diese Sichtweise verküzt aber wie oben schon angerissen die Kalkulation. Putin sieht in bestimmten Szenarien womöglich sein persönliches Ende. Schön und gut. Ein umfassender Atomkrieg wird dieses Ende in keinem Fall verhindern sondern im Gegenteil besiegeln. Gleichzeitig setzt er mit der nuklearen Eskalation im Maximum halt nicht nur sein persönliches Schicksal sondern das der ganzen russischen Nation aufs Spiel. Warum sollte er das wollen?
Putin weiß das Russland ihn überleben wird. Putin weiß das Russland einen velorenen Krieg in der Ukraine überleben wird. Wenn sein primärer Motivator die Größe Russlands seinsoll, warum sollte er Russland in extremis der Vernichtung preisgeben, nur weil sich sein Traum vom großrussischen Imperium nicht erfüllen wird? Das macht doch keinen Sinn.