22.11.2024, 03:14
Zur geostrategischen Lage:
–Trennung–
Anmerkungen und Gedanken:
- In neu aufgetauchten Weitwinkelaufnahmen des Geschehens zähle ich um 18 MIRVs, wahrscheinlich eher 20 als 18. Es stellt sich mir damit die Frage, ob es wirklich nur eine Rakete war. Die größten Interkontinentalraketen Russlands können bis zu 16 MIRV tragen, eine solche Nutzlast wäre für eine Mittelstreckenrakete ziemlich viel.
- Dass Hyperschallwaffen prinzipiell zu schnell seien, um sie abzufangen, ist falsch; wir hatten das Thema ja schon beim ersten Einsatz der Ch-47M2 Kinschal. Die Probleme liegen anderswo.
- Putin zeigt in dieser Ansprache gleichzeitig Eskalations- und Deeskalationsbereitschaft. Das ist strategisch unerwartet klug, er schiebt den Schwarzen Peter den westlichen Regierungen zu und kann zugleich seine Hände in Unschuld waschen. Auf die Bundestagswahlen 2025 wird dieses Ereignis definitiv Auswirkungen haben. Die SPD wird sich als Partei der Vernunft darstellen gegenüber CDU, Grünen und FDP, die die Abgabe von Taurus-Marschflugkörpern gefordert hatten.
- Es scheint mir klar, was Putin im Hinterkopf hat: Das Iran-Israel-Szenario. Der Iran hat bewiesen, dass man auch eine Nuklearmacht mit strategischen Waffensystemen angreifen kann, wenn man den Gegner vorwarnt und ihm klarmacht, dass es sich "bloß" um eine Show of Force handelt und man danach Ruhe geben wird.
- Vermutlich wird Russland einen konventionellen Angriff auf militärische Einrichtungen der Nuklearmächte USA, Frankreich und Großbritannien dennoch nicht wagen, zumal das zur Erreichung seiner Ziele gar nicht notwendig ist; aber es ist in meinen Augen ab heute zumindest vorstellbar, dass Russland wirklich mit Vorankündigung einen begrenzten Angriff auf militärische Einrichtungen anderer NATO-Staaten durchführen könnte, zumal nach der Amtseinführung der neuen US-Administration.
- Deutschland böte sich leider insofern als Ziel an, als wir nicht über die militärischen Mittel zur Vergeltung verfügen und die Chancen gut stehen, dass das politische Klima im Land die Bundesregierung dazu zwingen könnte, den Angriff hinzunehmen. Aber auch in anderen Ländern wird niemand in den Dritten Weltkrieg ziehen wollen, "nur" weil z.B. eine unbewaffnete Oretschnik auf den längst evakuierten Weserhafen niedergeht.
- Ich revidiere meine Meinung teilweise: Die Gefahr einer unbeabsichtigten Eskalation ist mit dem heutigen Tag tatsächlich etwas gestiegen. Das heißt nicht, dass der nukleare Winter damit auch nur eine Nanonsekunde näher gerückt wäre; im Gegenteil hat Russland heute bewiesen, dass es die nukleare Abschreckung der NATO sehr wohl ernst nimmt. Aber es ist nun zumindest eine realistische Ereigniskette denkbar, die zu einer direkten militärischen Konfrontation zwischen NATO und Russland führen könnte.
–Trennung–
Zur geostrategischen Lage, part deux:
Wenn Russland eine Nuklearwaffe gegen die Ukraine einsetzt, fällt das seit 1945 geltende Tabu, das von allen Seiten peinlich genau beachtet wurde. Taiwan, Südkorea und etliche andere Staaten würden sofort den Besitz von Nuklearwaffen anstreben, was etlichen befreundeten Staaten Russlands die Aussicht auf eigene Expansionen versauen würde. Alle Nuklearmächte müssten erheblich aufrüsten, und zwar mit Trägersystemen aller Reichweiten, um das Gleichgewicht des Schreckens wiederherzustellen. Das sind Billionenkosten, die sich vor allem China zurzeit absolut nicht leisten kann. Keine Nuklearmacht kann wollen, dass Putin nur deshalb eine Atombombe auf die Ukraine wirft, weil er frustriert ist, dass seine Golfcart-Dagestanis nicht weiterkommen. Das ist eine Frage der Logik. Obendrein ist doch schon längst bekannt, dass die USA und Frankreich angekündigt haben, im Falle eines Nuklearschlags gegen die Ukraine zu intervenieren.
(21.11.2024, 12:18)muck schrieb: [ -> ]Russland hat heute morgen gegen 05:00h Ortszeit eine Interkontinentalrakete (ICBM) auf die ukrainische Stadt Dnipro abgefeuert, wie die ukrainische Luftwaffe mitgeteilt hat. (Quelle) Wahrscheinlich handelte es sich bei der Rakete um eine RS-26 Rubesch, abgefeuert aus der Region Astrachan. Bilder zeigen sechs MIRV (Wiedereintrittsflugkörper), wie sie auf die Stadt niedergehen. Die Schäden waren gering, was dafür spricht, dass die MIRV überhaupt keine Nutzlast enthielten. Es wäre der erste Kriegseinsatz einer ICBM.Der russische Präsident Wladimir Putin hat sich heute Abend im Staatsfernsehen zu den Ereignissen des Tages geäußert. Nach seinen Angaben wurde gegen die Juschmasch-Fabrik in Dnipro die neue Mittelstreckenrakete 9M729-Oretschnik eingesetzt. Die Rakete erreiche Geschwindigkeiten von bis zu 3 km/s und sei daher unmöglich abzufangen. Putin sagte, dass sich Russland aufgrund der an die Ukraine erteilten Erlaubnis, Waffen aus westlicher Produktion gegen russische militärische Ziele einzusetzen, berechtigt sehe, "spiegelbildlich" militärische Ziele "der USA und ihrer Satelliten" ins Visier zu nehmen. Bei einer "weiteren Eskalation" werde Russland zu diesem Mittel greifen, jedoch vorher eine Warnung aussprechen, damit Zivilisten Zeit hätten, sich in Sicherheit zu bringen. (Quelle) Die US-Regierung hat erklärt, dass sie vom Kreml vor dem Einsatz der Rakete informiert wurde. (Quelle)
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Anmerkungen und Gedanken:
- In neu aufgetauchten Weitwinkelaufnahmen des Geschehens zähle ich um 18 MIRVs, wahrscheinlich eher 20 als 18. Es stellt sich mir damit die Frage, ob es wirklich nur eine Rakete war. Die größten Interkontinentalraketen Russlands können bis zu 16 MIRV tragen, eine solche Nutzlast wäre für eine Mittelstreckenrakete ziemlich viel.
- Dass Hyperschallwaffen prinzipiell zu schnell seien, um sie abzufangen, ist falsch; wir hatten das Thema ja schon beim ersten Einsatz der Ch-47M2 Kinschal. Die Probleme liegen anderswo.
- Putin zeigt in dieser Ansprache gleichzeitig Eskalations- und Deeskalationsbereitschaft. Das ist strategisch unerwartet klug, er schiebt den Schwarzen Peter den westlichen Regierungen zu und kann zugleich seine Hände in Unschuld waschen. Auf die Bundestagswahlen 2025 wird dieses Ereignis definitiv Auswirkungen haben. Die SPD wird sich als Partei der Vernunft darstellen gegenüber CDU, Grünen und FDP, die die Abgabe von Taurus-Marschflugkörpern gefordert hatten.
- Es scheint mir klar, was Putin im Hinterkopf hat: Das Iran-Israel-Szenario. Der Iran hat bewiesen, dass man auch eine Nuklearmacht mit strategischen Waffensystemen angreifen kann, wenn man den Gegner vorwarnt und ihm klarmacht, dass es sich "bloß" um eine Show of Force handelt und man danach Ruhe geben wird.
- Vermutlich wird Russland einen konventionellen Angriff auf militärische Einrichtungen der Nuklearmächte USA, Frankreich und Großbritannien dennoch nicht wagen, zumal das zur Erreichung seiner Ziele gar nicht notwendig ist; aber es ist in meinen Augen ab heute zumindest vorstellbar, dass Russland wirklich mit Vorankündigung einen begrenzten Angriff auf militärische Einrichtungen anderer NATO-Staaten durchführen könnte, zumal nach der Amtseinführung der neuen US-Administration.
- Deutschland böte sich leider insofern als Ziel an, als wir nicht über die militärischen Mittel zur Vergeltung verfügen und die Chancen gut stehen, dass das politische Klima im Land die Bundesregierung dazu zwingen könnte, den Angriff hinzunehmen. Aber auch in anderen Ländern wird niemand in den Dritten Weltkrieg ziehen wollen, "nur" weil z.B. eine unbewaffnete Oretschnik auf den längst evakuierten Weserhafen niedergeht.
- Ich revidiere meine Meinung teilweise: Die Gefahr einer unbeabsichtigten Eskalation ist mit dem heutigen Tag tatsächlich etwas gestiegen. Das heißt nicht, dass der nukleare Winter damit auch nur eine Nanonsekunde näher gerückt wäre; im Gegenteil hat Russland heute bewiesen, dass es die nukleare Abschreckung der NATO sehr wohl ernst nimmt. Aber es ist nun zumindest eine realistische Ereigniskette denkbar, die zu einer direkten militärischen Konfrontation zwischen NATO und Russland führen könnte.
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Zur geostrategischen Lage, part deux:
(21.11.2024, 04:59)muck schrieb: [ -> ]Ungeachtet der von der russischen Regierung geäußerten Drohungen, hat die ukrainische Armee erstmals mit ATACMS-Raketen und Storm Shadow-Marschflugkörpern aus westlicher Produktion Ziele in Russland angegriffen. In Karatschew in der Oblast Brjansk wurde ein großes Munitionsdepot getroffen (Quelle), und gegen ein Anwesen in Marjino (Oblast Kursk) wurden nicht weniger als 12 Marschflugkörper eingesetzt (Quelle). Unbestätigten Berichten (Quelle) zufolge könnte es sich dabei um ein Hauptquartier der russischen Streitkräfte gehandelt haben.Der für gewöhnlich gut informierte Z-Blogger 'Dossier eines Spions' berichtet, dass es sich bei dem Ziel tatsächlich um den Gefechtsstand der in der Oblast Kursk operierenden Verbände gehandelt hat. 18 Soldaten seien gefallen und 33 verwundet worden, darunter auch Nordkoreaner. Unter den Opfern befindet sich möglicherweise auch der Befehlshaber der 36. Armee, Generalleutnant Waleri Solodtschuk. (Quelle)
(22.11.2024, 01:01)lime schrieb: [ -> ]Ich denke da irrst Du dich gewaltig, da sind ganz schnell wieder die eigenen Staaten wichtiger als die Ukraine, auch oder gerade bei den USA, GB und Frankreich. Es ist eben wenn es drauf ankommt was ganz anderes wenn das eigene Land oder nur ein (indirekter) Verbündeter nuklear angegriffen wird.Eigentlich hasse ich es, ad verecundiam zu argumentieren, trotzdem muss ich sagen: Wenn das so ist, dann irren sich auch verdammt viele Experten, die schon seit zwei Jahren genau das Gleiche sagen. Und China hat erst Ende September Putin vor den Vereinten Nationen wieder einmal dazu aufgefordert, das atomare Säbelrasseln zu unterlassen. Warum wohl?
Wenn Russland eine Nuklearwaffe gegen die Ukraine einsetzt, fällt das seit 1945 geltende Tabu, das von allen Seiten peinlich genau beachtet wurde. Taiwan, Südkorea und etliche andere Staaten würden sofort den Besitz von Nuklearwaffen anstreben, was etlichen befreundeten Staaten Russlands die Aussicht auf eigene Expansionen versauen würde. Alle Nuklearmächte müssten erheblich aufrüsten, und zwar mit Trägersystemen aller Reichweiten, um das Gleichgewicht des Schreckens wiederherzustellen. Das sind Billionenkosten, die sich vor allem China zurzeit absolut nicht leisten kann. Keine Nuklearmacht kann wollen, dass Putin nur deshalb eine Atombombe auf die Ukraine wirft, weil er frustriert ist, dass seine Golfcart-Dagestanis nicht weiterkommen. Das ist eine Frage der Logik. Obendrein ist doch schon längst bekannt, dass die USA und Frankreich angekündigt haben, im Falle eines Nuklearschlags gegen die Ukraine zu intervenieren.