Zur Gesamtlage:
Der in Ungnade gefallene Ex-FSB-Oberst Igor Girkin alias Strelkow, die treibende Kraft hinter der Entstehung der sogenannten Volksrepubliken Luhansk und Donetsk, hat sich aus dem Straflager gemeldet. Seiner Einschätzung nach sind die russischen Kriegsanstrengungen unter den herrschenden Bedingungen vergebens, und das sei allein die Schuld der politischen und militärischen Führung. "Die zweieinhalb Jahre andauernde maligne Praxis, Brände zu löschen, indem man Wasser in Bechern ausgießt", dauere an. "Daraus konnte und kann natürlich nichts werden", so Girkin. Es brauche daher den "vollen Einsatz der nationalen Kräfte", um den Krieg wenigstens "auf einen Waffenstillstand zu reduzieren".
Das "Kursker Abenteuer" der Ukraine (wie es im russischen Sprachgebrauch heißt) ziele nicht darauf ab, strategische Ergebnisse zu erzielen, sondern möglichst viele Kräfte der russischen Armee "an einem neuen, verlängerten Frontabschnitt zu binden". Überdies gehe es, "wie könnte es auch anders sein?", darum, "die Machtlosigkeit der zentralen Moskauer Behörden der Bevölkerung vor Augen zu führen". Girkin rechnet nun mit einer weiteren ukrainischen Offensive noch vor dem Winter, voraussichtlich im Oktober, die sich gegen die Krim oder das linke Ufer am unteren Dnepr richten werde: "Ich kann mir dessen nicht hundertprozentig sicher sein, halte die Wahrscheinlichkeit eines solchen Angriffs aber für ziemlich hoch".
Zur offiziellen Darstellung der Lage äußert er sich verächtlich und pessimistisch: "Keine wie auch immer gearteten Angriffe auf die Infrastruktur" der Ukraine würden "den Sieg oder auch nur eine Kompromisslösung" bringen. "Bloß eine entscheidende Niederlage der ukrainischen Streitkräfte kann den Sieg bringen". Anderenfalls werde die "sogenannte Ukraine weiterhin als Wegwerfwerkzeug dienen" [gemeint ist natürlich die NATO], um Russland "auf Dauer zu erschöpfen". Und "unter bestimmten, äußerst unangenehmen Umständen, bis hin zu unserer militärischen oder politischen Niederlage, hängt dieses Wort immer deutlicher und bedrohlicher über unserem Feldzug, ganz gleich, wie sehr sich die offizielle Propaganda aufbläst." (
Quelle)
Da wartet schon die nächste Verurteilung wegen "Diskreditierung der Armee". Was wieder ganz erstaunlich ist. Wer sich durch seine Telegram-Zeitleiste arbeitet, wird feststellen, dass Girkin bis zu seiner Verhaftung alle Wendepunkte des Krieges vorhergesagt hat.
Putins Russland erfüllt das entscheidende Merkmal eines "pathologisch-ideologischen Systems", wie Jordan Peterson es einmal klassifizierte: Offensichtliche Fakten werden geleugnet, obwohl deren Anerkennung der eigenen Ideologie zum Sieg verhelfen könnte.