@lime
Zitat:Also wenn die vakanten Gebiete sowieso nichts wert sind und wegen der Demographie bald entvölkert, warum kämpft man dann überhaupt so verbissen darum? Meines Erachtens wird hier der Wert von Land absolut unterschätzt. Allein die Rohstoffe die in der Ostukraine lagern dürften Billionen wert sein, wenn man sie langfristig abbaut.
Man kämpft hier v. a. deswegen so verbissen darum, weil sich die Front eben hier stabilisiert hat. D. h. es ist nicht das primäre Ziel oder so geplant gewesen, in der Region eine verlustreiche Abnutzungsschlacht zu bestreiten, sondern dies hat sich eigentlich nur aus dem Umstand heraus ergeben, dass sich die Front eben dort stabilisiert hat. Die Situation könnte so sich - wenn die Russen weiter hätten vorstoßen können - auch westlich von Charkow oder anderswo ähnlich darstellen.
Darüber hinaus ist der Donbass - zumindest vordergründig und auf den ersten Moment - natürlich wegen seiner Kohle, seiner Steinbrüche und seiner Schwerindustrie ein recht wichtiges Industriegebiet, ferner waren auch die Häfen des Asowschen Meeres wichtige Umschlagplätze für den Handel (Hauptexportgüter waren Kohle, Öl, Erze, Lokomotiven, Traktoren und teils Schwarzerde). Grob machte der Donbass vor 2014 (seitdem besteht ja die Konfliktsituation dort) etwa ein Fünftel (22%) des ukrainischen
Industrie-BIP aus, wobei Donezk 2010 etwa 75% davon alleine trug, danach folgten Dnepropetrowsk und Saporoschja (gemessen am BIP-Anteil). Allerdings ist aktuell die Produktion sehr schwer einschätzbar, da a) die Transportwege (auch Häfen) und b) die Produktionsanlagen enormen Schaden erlitten haben. Vermutlich liegt der Rückgang bei über 80%, d. h. allzu viel dürfte nicht mehr übrig sein.
Was aber auch berücksichtigt werden muss, ist, dass die Schwerindustrie in der Ostukraine bereits
vor dem Krieg bzw. vor dem Maidan einen deutlichen Rückgang gesehen hatte. Zwischen 1995 und 2014 ging die Zahl der Industriearbeiter dort von geschätzt etwa 4 Mio. Beschäftigen auf rund 3 Mio. zurück und sah die Industrie dort bzgl. des "Ausstoßes" einen Rückgang von ca. 30%, d. h. die aktuellen Entwicklungen bzw. der Krieg haben eine Tendenz nur beschleunigt. Die Finanzkrise seit 2008 hatte ferner bis 2014 einen Einbruch bei den Exporten aus den Häfen im Asowschen Meer von ca. 21% bewirkt. Dazu kommt, dass die Industrie in den russisch kontrollierten Separatistengebieten Luhansk und Donezk von 2014 bis 2022 durch Inkompetenz, Willkürhandlungen und Korruption (und die Flucht von Fachkräften) auf den Status von beinahe "nichtexistent" ruiniert wurde (alleine in Donezk haben seit 2014 75% der größeren Industriebetriebe die Tore geschlossen) - was aus unserer Sicht eigentlich absolut unverständlich und aus russischer Warte auch geostrategisch-wirtschaftlich unverzeihlich ist.
Ein weiterer Faktor ist die Flucht, Vertreibung oder Deportation von Menschen - so hat sich die Bevölkerung des Donbass seit 2014 um ca. 1,8 bis 2 Mio. Menschen verringert. Bspw. sank die Einwohnerzahl von Debalzewo - manchem sagt diese Stadt vllt. noch etwas - von 25.000 auf ca. 5.000, ähnlich sieht z. B. in Krasnohoriwka aus, wo noch von 18.000 Einwohner vielleicht 4.000 bis 5.000 geblieben sind. Und die, die geblieben sind, sind meistens Ältere oder Arme, die nicht fliehen konnten. Man könnte hier noch viele Städte nennen - und überall sieht die demographische Lage überaus düster aus.
Kurzum: Bis die Ostukraine wieder ein gewichtiges Industriezentrum werden wird, dürften nicht nur Jahre ins Land gehen, sondern es würde auch einer klar strukturierten Industriepolitik und Milliardeninvestitionen bedürfen. Zwar hat man in Moskau genau dies schon mehrmals großspurig angekündigt, aber vor Ort ist davon bislang - außer ein paar medial hervorgekehrten Potemkin'schen Dörfern - nichts angekommen (bzw. die Gelder sind in höchst dubiosen Kanälen versickert).
Man kämpft also dort, weil man gezwungenermaßen - weil es der Kriegsverlauf eben so ergeben hat - dort kämpfen muss, und zugleich kämpft man um ein Gebiet, dass seine wirtschaftliche Zugkraft schon lange eingebüßt hat. Und daran dürfte sich in nächster Zeit auch nichts ändern.
Schneemann