Schneemann:
Zitat:Womit wir wieder beim Thema der Notwendigkeit von schwerem Gerät wären...
Und vor allem jeder Menge schwerem Pioniergerät und einer engen Verzahnung gerade eben von Kampfpanzern, FlaK-Panzern und Panzerpionieren - kommt mir irgendwie bekannt vor
Man braucht also einen Verbund bestimmter Systeme um den Durchbruch zu erzielen, aber dann benötigt man im weiteren meiner Meinung nach eben einen anderen Verbund um diesen zu explorieren. Der Verbund welcher sich auf den Durchbruch spezialisiert ist meiner Ansicht nach nicht zugleich optimal dafür diesen auch auszunützen. Noch darüber hinaus nutzt er sich beim Durchbruch ab und mindert seine Verbrauchs- und Wirkmittel. Nach westlicher Doktrin aber soll beides gleichermaßen primär durch den MBT als Konzept erfolgen. Das erwies sich nun in der Ukraine bei Durchbruchsoperationen als falsch.
Und darüber hinaus kommt es natürlich stark darauf an, wo man den Durchbruch ansetzt. Auch mit schwerem Gerät in großer Quantität kommt man nicht überall durch geschweige denn schnell genug durch. Man bleibt dann in den feindlichen Linien hängen, was dann oft auch vor allem Versorgungsgründe hat weil die Kämpfe vor und in der Linie länger dauern.
Entsprechend ist die Frage wo man ansetzt von allergrößter Wichtigkeit. Und die Russen haben wiederum eben nicht die Quantität die gesamte Front so abzudecken wie sie es bei Tokmak getan haben. Entsprechend hätte man an anderer Stelle russische Einheiten mit einem oder mehreren Durchbrüchen einschließend und nachhaltig ausschalten können - wohlgemerkt immer mit den feindlichen Soldaten als primärem Ziel und nicht der Rückeroberung von Gelände als Ziel.
Zitat:Dass die Defensive mittlerweile der Primat dieses Krieges ist, ist sicher richtig. Das ist aber einfach der Situation geschuldet, dass beide Seite gar nicht mehr wirklich anders können.
Bedingt ja, aber auch zu Beginn eines Krieges können die Gesamtumstände dazu führen, dass die Defensive wesentlich besser ist. Spezifisch in der Ukraine war dies beispielsweise so und war die Defensive ganz von Anfang an weit überlegen. Das ergibt sich aus der Gesamtheit aller Faktoren dort und hängt dort also nicht allein an der Erschöpfung beider Seiten, sondern hat vor allem Technologische, Strukturelle und Systemische Gründe. Das ist im weiteren ein wiederkehrendes Muster in der Kriegsführung: mal hat die Defensive das Primat, mal die Offensive usw. Es schwankt hin und her je nachdem wie Technologie und System es bedingen. Beispielsweise hatte im Ersten Weltkrieg aus genau dem gleichen Grundprinzip die Defensive den Vorrang und hatte im Zweiten Weltkrieg die Offensive den Vorrang usw.
Das ist also unabhängig von der Frage der Erschöpfung. Die tritt dann nur als weiterer verstärkender Faktor noch dazu. Sie verstärkt aber nur was ohnehin schon von Anfang an gegeben war.
Zitat:Nur mit einer defensive Strategie wirst du keinen Krieg gewinnen und auch keine Entscheidung herbeiführen können.
Doch natürlich. Selbstverständlich geht das und es gibt sehr viele Kriege die exakt so gelaufen sind und in der Defensive gewonnen wurden im Sinne der Zielsetzung des Gewinners. Und damit sind wir beim wesentlichsten: dem Kriegsziel. Der Sieg ist ja keine Entinität die unabhängig von allem anderen für sich selbst existiert. Man siegt, wenn man seine Kriegsziele erreicht. Und man kann auch seine Ziele ändern, dass Erreichen von Teilzielen akzeptieren usw.
Es ist eine spezifische Wahnidee zu vieler westlicher Militärs, dass man den Feind vollständig schlagen muss indem man im Prinzip einen "totalen Sieg" erreicht. Genau durch diese Wahnidee hatten und haben westliche Armeen erhebliche Probleme in Bezug auf ihre Kriegsführung gehabt. Man verfolgt totale, und damit extrem ehrgeizige oder sogar ganz klar erkennbar unmögliche Ziele, welche dann auch entsprechend schwer oder gar nicht zu erreichen sind.
Wenn aber schon das Ziel selbst falsch ist, weil unrealistisch, dann wird man weder mit einer defensiven noch mit einer offensiven Strategie eine Entscheidung herbei führen. Man wird überhaupt nicht siegen, weil der Sieg nicht möglich ist.
Zitat:Was ich allerdings anders sehe, ist, dass man die Initiative auch in der Defensive leben könnte.
Das liegt nur daran, weil du Initiative lediglich als eine Offensive Handlung verstehst. Initiative ist Angriff, ist aktives Handeln, ist Pro-Aktiv usw. und genau darin liegt meiner Meinung nach der Denkfehler. Man kann auch in der Verteidigung aktiv handeln, pro-aktiv sein, ohne anzugreifen.
Tatsächlich ist die Initiative ein Wert der völlig unabhängig ist von der Frage ob ich in der Offensive bin oder in der Defensive. Sie ist ein Wert der stattdessen aus der Frage der Gesamtgeschwindigkeit meines Systems herrührt in Relation zum feindlichen System. Gröbst vereinfacht: Wenn ich in Relation zum Feind schneller bin als dieser (insgesamt), dann habe ich die Initiative, völlig egal ob in der Defensive oder in der Offensive.
Und entsprechend kann man auch umgekehrt in der Offensive nicht die Initiative haben usw.
Zitat:Oder anders ausgedrückt: Mit dieser Defensivinitiative kann man diesen leidigen Krieg noch zehn Jahre lang führen und es wird sich nichts ändern.
Doch natürlich ändert sich dadurch etwas. Der Krieg produziert fortwährend Effekte und diese haben Auswirkungen. Im übrigen dauert der Krieg damit keineswegs unbeschränkt, sondern wie lange er dauert häng davon ab, was man damit erreicht. Wenn ich beispielsweise in der Defensive extremste Abtauschverhältnisse erziele und dies immer wieder, wird der Feind dadurch ganz genau so kollabieren wie wenn ich die kühnste Offensive erfolgreich über weite Räume führe. Und im weiteren ist alles weitere eine Frage der Zielsetzung, also der politisch-strategischen Ziele:
Zitat:D. h. nun nicht, dass es nicht auch defensive Phasen geben muss, aber die Defensive selbst ist immer nur ein temporärer Zustand und eben keine strategische Initiative, die ich benötige, um eine Entscheidung herbeizuführen.
Und um das nochmal zu wiederholen: Es ist meiner Meinung nach ein gerade für deutsche Militärs extrem typischer Fehler (der seine Wurzeln meiner Ansicht nach in Clausewitz und der Vorstellung des deutschen Militärs von Cannae als dem Muster idealer Kriegsführung hat), Initiative immer nur offensiv zu denken und eine Entscheidung herbeiführen zu wollen in dem Sinne, dass Entscheidung bedeutet dass die feindliche Streitmacht im Angriff vollständig geschlagen wird indem man die Initiative ergreift, den Feind einkesselt und seine Verbände offensiv zerschlägt. Das zieht sich als Muster durch die gesamte deutsche militärische Denkweise.
Das ist aber nur eine Möglichkeit und oft nicht einmal die beste. Da mein militärisches Denken mehr von Jomini herrührt, bin ich da vermutlich einfach anders sozialisiert, aber dessen ungeachtet ist der wesentlichste Punkt, dass >die Entscheidung< eben keine unabhängig Sache ist, sondern bedeutet, dass man seine politisch-strategischen Ziele erreicht hat.
Und diese müssen realistisch sein und sie müssen möglich sein, sonst ist es vollkommen egal ob man defensiv oder offensiv agiert, man wird ansonsten mit beidem verlieren. >Die Entscheidung< wird daher nicht erreicht werden, auf gar keine Weise, wenn die Ziele nicht erreichbar sind.
Zitat:Ich bin nicht überzeugt, dass eine Abnützungsstrategie zielführend ist, zumal dann nicht, wenn ich der kleinere "Spieler" bin und das Gegenüber eine drei- oder viermal so große Bevölkerung besitzt (und auch, wie ich schon mal schrieb, durchaus ernstzunehmende Produktionskapazitäten nutzen kann, selbst wenn seine Gerätschaften nicht unbedingt die besten sind).
Natürlich ist Gott auf der Seite der größeren Bataillone, aber dessen ungeachtet ist er auch zugleich auf der Seite der besseren Bataillone. Es ist möglich quantitativ wesentlich stärkere Gegner zu schlagen. Je stärker aber der Gegner rein quantitativ ist, desto wesentlicher wird die Defensive ! Gerade eben weil Russland quantiativ so überlegen war, gerade eben deswegen hätte man noch mehr in der Defensive bleiben müssen. Denn was sollte die Alternative sein? Wie das Kriegsziel der Ukraine überhaupt erreicht werden?!
Nehmen wir einmal rein theoretisch an, man hätte sofort schon 2022 die Russen vollständig aus der Ukraine vertrieben (rein theoretisches Gedankenexperiment) - und hätte überall die Grenzen erreicht. Was dann? Wäre dann dadurch Frieden? Auf magische Weise der Kampf zu Ende? Gebiet zurückerobert, Kriegsziel erreicht, Sieg ?? !! Das wäre eben nicht der Fall. Weder wäre der Krieg zuende, noch das Kriegsziel eines zumindest ausreichend langen Friedens erreicht noch überhaupt irgend etwas.
Wenn ich also die bloße Zurückeroberung der besetzten Gebiete als Kriegsziel erkläre, als mein politisch-strategisches Ziel, bleiben zwei wesentliche Fragen offen: 1. Was soll das erreichen ? 2. Wie exakt führt dass einen Frieden herbei ? Denn das eigene Staatsgebiet wieder zu besetzen heißt nicht automatisch dass es zum Frieden kommt. Und falls der Krieg dann weiter geht, was nützt dann in diesem Kontext das zurück eroberte Gebiet ?!
Deshalb ist es bereits fragwürdig, wenn man davon spricht, der Krieg sei siegreich für die Ukrainer beendet, wenn sie ihr Territorium zurückerobert haben. Dem ist nicht so und wird nicht so sein.
Stattdessen muss Russland in einen Zustand versetzt werden, indem es den Krieg nicht mehr weiter führen will und nicht mehr weiter führen kann ohne nicht mehr vertretbare Nachteile und Probleme an anderer Stelle zu haben. Ein gutes Beispiel für eine siegreiche erfolgreiche Strategie in ähnlichem Kontext wäre der Finnisch-Sowjetische Winterkrieg.
Ich fand es übrigens auch recht erstaunlich, dass du den deutschen Angriff auf Moskau als historisches Beispiel benannt hast, und Dünkirchen, aber den doch viel eher passenden Winterkrieg mit Finnland nicht.
In diesem Kontext könnte ich dich übrigens mal fragen, was für finnische Offensiven den Finnen hier den de facto Sieg ermöglicht haben und mit welchen strategischen Offensiven Finnland hier die Initiative an sich gerissen hat ?!
Was ich aber für wahrscheinlich halte, ist, dass nach einem solchen Debakel die internen Spannungen in Russland sich Bahn brechen. Ob dann Putin stürzt oder es eine Militärrevolte oder gar einen Bürgerkrieg gibt etc. pp., das muss Theorie bleiben (wir haben dazu ja auch schon einige Gedankenspiele abgehalten), aber Fakt dürfte sein, dass die Russen erst einmal sehr stark mit sich selbst beschäftigt wären und ein möglicher Folgekrieg erst einmal in die Ferne rückt. Und damit hätten die Ukrainer schon wertvolle Zeit gewonnen.
Wenn du vor der Zurückeroberung des ukrainischen Staatsgebietes die russischen Streitkräfte nicht ausreichend dezimiert hast, dann wird der Krieg mit Erreichen der russischen Grenze zur höheren Wahrscheinlichkeit nicht enden. Wir sprechen hier dann nicht von einem Folgekrieg, sondern von einer Fortführung des bestehenden Krieges, nur dass die Front dann halt an der russischen Grenze verläuft. Und was dann? Offensive, die Initiative an sich reißen und ein Angriff in russisches Gebiet hinein ?!
Deine These dass das Erreichen der Grenze automatisch interne Spannungen entlädt teile ich nur bedingt. Solche werden nur dann auftreten, wenn die russische Armee im Prinzip in einen Zustand versetzt wurde der sie moralisch, psychologisch wie vom Material her schlussendlich weitgehend kriegsunfähig macht. Nur dann kommt es intern zum Umsturz, zumal Russland kein Militärstaat ist, sondern ein Polizei- und Geheimdienststaat und das Militär in diesem daher keine Machtposition hat und keine Rolle spielt. Die Russen werden nur dann mit sich selbst beschäftigt sein, die Ukrainer dadurch Zeit gewinnen, wenn die russischen Streitkräfte vorher geschlagen sind.
Man muss zuerst die feindliche Streitkraft schlagen. Erst dann - erst danach also - kann man daran gehen Gebiete zu besetzen. Die russische Streitkraft kann aber mit einem sinnvollen Abnutzungsverhältnis in der Offensive eben nicht geschlagen werden. Also muss sie in der Defensive geschlagen werden.
Bevor man aber die Russen nicht ausgeblutet hat, und damit meine ich vor allem Materiell - wird es keinen internen Umsturz geben. Es spielt dafür keine Rolle wieviel Kriegsmaterial Russland selbst produziert oder produzieren kann. Wenn die Abnutzung größer ist als die Produktionskapazität, und dass ist praktisch real erreichbar, dann sinkt die russische Militärstärke fortwährend ab. Es spielt dann keine Rolle ob noch theoretisch ein paar Millionen Mann rekrutierbar wären, dass wären keine Gegner mehr und die würden nichts ausrichten.
Und die Lager und Arsenale sind bald leer, dass ganze Material welches man noch einsetzen konnte aus seinen Lagern verbraucht. Dann bleibt nur noch das was man selbst produzieren kann und trotz aller Anstrengungen ist das nicht so viel, dass es nicht abarbeitbar wäre.
Und dann, dann würde es zum internen Umsturz in Russland kommen. Dieser erfolgt nicht durch den Verlust der eroberten Gebiete, sondern durch den materiellen Zusammenbruch der eigenen Streitkräfte. Alles andere ist eine Illusion.
Zitat:Es kommt also auf die Umstände an.
Es kommt darauf an, die feindliche Streitmacht zu vernichten und ausreichend kampfunfähig zu machen.
Die Ukraine aber will Terrain zurück erobern und betrachtet das vernichten der Feinde lediglich als notwendiges Mittel um dieses ganz andere Ziel zu erreichen.
Die feindliche Streitmacht selbst muss aber das einzige, primäre und absolute Ziel sein.